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Das geheime Treffen

Tiefe Nacht lag über den Dächern Tanárs. Eine fette Ratte huschte an einer Mauer entlang und verschwand schließlich hinter einer Regentonne. Sekunden später kam sie wieder hervor und reckte Schnauze und Vorderpfoten neugierig in die Höhe.

Der verlockende Duft bereitliegender Nahrung zog sich wie ein süßlicher Faden durch die schwüle Luft bis zu ihrer Nase – ein Stück verwesenden Fleisches, Schinken oder Speck vielleicht.

Mit ein bisschen Glück befand sich die Köstlichkeit diesseits des Flusses.

Die Ratte setzte sich in Bewegung und folgte zielstrebig dem betörenden Geruch, wobei sie ab und zu innehielt und auf verdächtige Laute achtete. Ihre Nase führte sie über den Steg, der am Wasser entlanglief, bis zum Nachbarhaus, einer Spelunke, aus der gedämpft Musik und die Stimmen ausgelassen feiernder Gäste drangen. Die Ratte wurde vorsichtiger, verharrte regungslos auf der Stelle, um dann hastig loszutrippeln. Im Inneren des Wirtshauses ertönte ein dumpfer Knall, die Musik brach ab, und zornige Rufe wurden laut. Die Ratte hielt an, legte den Kopf schief und wartete. Dem Geruch nach musste sie ihrer Beute ganz nahe sein. Die Verlockung war stärker als die Vorsicht. Sie hastete weiter. Glas splitterte, der Wirt fluchte wüst, und die Ratte nutzte den Lärm dazu, die letzten paar Schritte unbemerkt hinter sich zu bringen.

Endlich berührte die Spitze ihrer Schnauze das ersehnte Stück grünschillernden, von Fliegen umschwirrten Speck – da geschahen zwei Dinge zugleich. Mit einem leisen Klicken löste sich der Bügel der Falle und brach der Ratte das Genick, während die Tür des Gasthauses aufflog und an die Außenmauer des Gebäudes krachte.

Unter triumphierenden Rufen zerrten drei Gäste einen vierten, der sich unbeholfen zu wehren versuchte, an Armen und Beinen nach draußen. Zwei von ihnen packten jeweils einen Arm und der dritte die Beine, dann hoben sie ihn wie einen Sack Mehl in die Höhe, holten Schwung und ließen los. Ihr Opfer segelte quer über den hölzernen Steg und fiel platschend ins Wasser.

Sie lachten grölend, klatschten sich gegenseitig in die Hände und kehrten gleich darauf ins Haus zurück. Die Tür wurde geschlossen, die Stimmen beruhigten sich, und die Musik dudelte weiter.

Der Unglückliche, den man an die Luft gesetzt hatte, war kein guter Schwimmer. Er tauchte in der schmutzigen Brühe unter, kam wieder empor und prustete, als ihm das Dreckwasser in den Mund schwappte. Er bemühte sich, den Kopf über Wasser zu halten, und paddelte wild mit Armen und Beinen in Richtung des rettenden Ufers. Die Strömung trieb ihn im Kreis herum. Er streckte die Arme aus und pflügte mit den Beinen umso verbissener durch das Wasser, bis er endlich glitschiges Holz zu fassen bekam. Krampfhaft hielt er sich fest, schnappte nach Luft und erklomm dann die Streben. Schwerfällig zog er sich auf den Laufsteg hinauf, wo er einen Momentlang auf allen vieren verharrte und sich würgend für seinen Übermut verwünschte. Nach fast einer halben Gallone Wein hätte er sich nicht auch noch auf ein Trinkspiel einlassen dürfen.

Geschieht mir recht, dass ich verloren habe. Aber das zahl ich ihnen heim.

Ihm brummte der Schädel. Das sudelige Starkbier, das der Wirt des Heulenden Elends ausschenkte, war ihm schon mehr als einmal sauer aufgestoßen. Aber Schwarzfell Streuner von Tanár, genannt Wolf, konnte Herausforderungen wie diese grundsätzlich nicht ablehnen.

Um wieder trocken zu werden, schüttelte er sich ausgiebig. Die Bewegung begann mit dem Kopf, setzte sich über Schultern, Rumpf und Hüften fort und lief in den Schenkeln aus, so dass das brackige Wasser des Kanals nach allen Seiten wegspritzte. Dann richtete Wolf sich langsam auf.

Seinesgleichen bewegten sich auf zwei Beinen fort, auch wenn sie schneller vorankamen, wenn sie die Arme zu Hilfe nahmen. Doch warum anderen in etwas nachstehen, selbst wenn jene vielleicht mehr Übung darin hatten? So zum Beispiel die Menschen. Sie fanden den zweibeinigen Gang der Streuner unbeholfen, nannten ihn Staksen oder Watscheln – zumindest wenn sie glaubten, unter sich zu sein. Ein aufgerichteter Streuner war einen guten Kopf größer als jeder hochgewachsene Mensch und fast doppelt so stark.

Wolf wankte den Steg entlang. Seine Blase drückte. An der Stelle, wo die Kehrstraße auf das Flussufer stieß, schlug er mit angewinkeltem Bein sein Wasser ab und machte sich dann auf den Weg in die Stadtmitte.

Tanár, Hauptstadt der Zentralregion und Sitz des Königs der Mitte, dampfte unter der Hitze eines viel zu langen Sommers.

Der neunte Mond ging zu Ende, doch aus Kellern und Gossen drang der Gestank von Kot und verwesendem Abfall und blieb über den Häusern hängen, als hätte jemand eine riesige Käseglocke über die Stadt gestülpt. Kein Lüftchen regte sich.

Die nächtliche Stille, die nur ab und zu von entferntem Hundegebell durchbrochen wurde, hatte etwas Bedrückendes.

Tagsüber erweckte die Stadt jedoch kaum mehr Vertrauen. Die Bewohner hetzten durch die Straßen, sprachen wenig und warfen einander misstrauische Blicke zu. Wer herumlungerte und Löcher in die Luft starrte, galt rasch als Tagedieb oder gar als Spitzel. Das Leben in Tanár hatte sich eben zum Schlechten verändert, seit die Kunde vom Tod des Nordkönigs die Stadt erreicht hatte.

Verdammt, dachte Wolf, während er vergeblich versuchte, beim Gehen nicht ständig hin und her zu schwanken. Das nächste Mal werde ich diese Angeber in eine Partie Taks verwickeln.

In seinem Gesicht machte sich ein rachsüchtiges Grinsen breit. Er malte sich aus, wie seine Gegner am Ende um Gnade winseln würden, wenn er sie dank seines Glücks beim Kartenspiel um ihren letzten Groschen brächte. Wenn sie dann immer noch nicht kapierten, wer hier das Sagen hatte, würde er handfestere Argumente vorbringen müssen. Nichts anderes hatten sie verdient, die drei aufgeblasenen Kerle aus Orilac, die vor einigen Tagen zum ersten Mal im Heulenden Elend aufgetaucht waren und nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als mit ihren angeblichen Reiseabenteuern zu prahlen und ihn zu provozieren. Natürlich – sie waren Streuner, genau wie er, und damit Angehörige eines rauen, wettbewerbsfreudigen Volkes. Wolf konnte sich nicht erinnern, jemals eine Gelegenheit ausgelassen zu haben, sich mit seinesgleichen zu messen.

Er erreichte eine Kreuzung mit einem Brunnen und trank gierig, um den Brand in seiner Kehle zu löschen. Dann griff er nach dem bereitstehenden Eimer, tauchte ihn in den Trog und schüttete sich das kalte Wasser über den ganzen Körper. Erst als Wolf den Gestank des Flusswassers einigermaßen los war, schüttelte er sich erneut und ging weiter.

In diesem Stadtviertel kannte er sich nicht allzu gut aus. Gewöhnlich bestieg er in Ost-Tanár, wo er wohnte, eine der Treibgondeln, die tagsüber in Kolonnen den Fluss hinunterfuhren. So erreichte er seine Arbeitsstelle, eine Zimmerei in Zweieich, und kam auch leicht in entferntere Gegenden der Stadt. Der Rückweg war fast immer derselbe:

Entweder fuhr er auf einem Schleppkahn den Fluss hinauf oder ging zu Fuß bis zur Marktstraße, wo er notfalls noch etwas einkaufen konnte, dann über die Triumphbrücke und die Prachtstraße entlang bis zum Stadtrand. Nun aber war er ziemlich genau in der entgegengesetzten Richtung unterwegs. Aber warum eigentlich nicht?, dachte er unternehmungslustig. Schließlich habe ich morgen frei.

Das kam ihm zupass, denn es musste sehr spät sein. Er hatte das Gasthaus zum Heulenden Elend erst kurz vor Mitternacht betreten. In den Fenstern weniger Häuser war noch Licht, aber die meisten Bewohner Tanárs schliefen längst. Auch die Straße war unbeleuchtet, doch vom diesigen Nachthimmel schien der fast volle Mond auf die Stadt herab. Eine Weile folgte Wolf seinem eigenen langen Schatten.

Schon wieder nach Axthill, dachte er. Ob sie mich erwartet? Axthill war einer der ältesten Stadtteile und lag im Nordwesten Tanárs. Dort lebten fast ausschließlich Menschen, ein paar wenige Scherenschrecken und keine Streuner. Bis auf einen. Vielleicht konnte er den Rest der Nacht bei Lúpa verbringen.

Das Gelände stieg ein wenig an, und die Häuser rückten zusehends von der Straße ab. Schließlich mündete die Straße auf einen halbkreisförmigen Platz, dessen nördlich gelegene gerade Kante ein kunstvoll geschwungenes Geländer beschloss. In der Mitte des Platzes stand eine Steinsäule, auf der ein bronzener Greif thronte, das Wahrzeichen Tanárs. Das Regenwasser, das der Figur an den Augenwinkeln heruntergelaufen war, hatte eine grünliche Patina hinterlassen. Es sah aus, als weinte sie.

Wolf kannte den Ort. Vor vielen Jahrhunderten hatte Tanár hier aufgehört; heute grenzten an die teilweise noch sichtbare Linie der einstigen Mauer, jenseits des alten Verteidigungswalls, große, später hinzugekommene Viertel.

Dieser Platz war der klägliche Rest eines von zwölf Wachtürmen, die früher die Mauer verstärkt hatten und von denen inzwischen kaum mehr als die Fundamente übrig waren.

Er trat an das Geländer. Bei Tag bot sich einem hier eine herrliche Sicht über die Altstadt, wobei die Königsburg, das Parlamentsgebäude und die Verwaltungstürme besonders ins Auge stachen. Jetzt, in der Dunkelheit, sah man nur die Pracht- und die Königsstraße, die sich im Zentrum der Stadt kreuzten und deren Verlauf Tausende brennender Öllampen markierten. Alles andere verschwamm schemenhaft im Mondlicht.

Von der Altstadt wehte eine schwache Brise herüber, der sich Wolf dankbar entgegenreckte. Er atmete tief durch. Die ungewöhnliche Hitze in diesem Jahr machte allen Bewohnern der Stadt zu schaffen, doch seinesgleichen wohl am meisten.

Streuner konnten ihr Fell nicht einfach ablegen wie die Menschen ihre Hemden. Dafür waren sie aber auch niemals nackt wie sie.

Er schloss die Augen und öffnete sie wieder, schaute auf die Altstadt hinab und wunderte sich darüber, dass die Lichter der beiden großen Straßen vor seinen Augen einen trägen Tanz aufführten.

Verflixtes Bier …

Er blickte zum Himmel hinauf. Die Mondgöttin tanzte nicht, hatte aber scheinbar eine Zwillingsschwester bekommen. Wolf verrenkte die Augen und gab sich alle Mühe, doch er schaffte es nicht, die beiden Monde zu einem einzigen zusammenzufügen. Warum sich nicht eine Weile irgendwo niederlassen und warten, bis die Folgen des Trinkgelages ein wenig abgeklungen waren? Entschlossen schwang er sich über das Geländer und kletterte ein Stück den Fels hinab.

Die Trümmer des alten Verteidigungswalls waren von Nesseln und kleinen Sträuchern überwuchert. Wolf erreichte eine Nische, über der sich eine junge Birke in alte Mauerreste krallte.

Dort ließ er sich nieder und betrachtete eine Weile den Himmel. Vielleicht sollte er ein Lied singen, wie es seine Artgenossen auf dem Lande noch regelmäßig zu tun pflegten. Die Lieder der Streuner hatten selten Worte, was gerade die Menschen oftmals befremdete. Doch hier, mehrere Steinwürfe vom nächsten Haus entfernt, war er ungestört. Was sollte er singen? Ein nie zuvor gehörtes Loblied auf die Mondgöttin? Ja, das war sicher eine gute Idee. Er holte Luft.

»Pst«, machte jemand über ihm.

Wie alle Streuner hatte Wolf äußerst scharfe Ohren. Er wusste sofort, aus welcher Richtung und Entfernung die Stimme kam.

Jemand stand am Geländer des Wachturmfundaments, ein Stück links von der Stelle, die direkt über ihm lag.

»Pst«, machte der Unbekannte erneut.

Ob man ihn beim Abstieg beobachtet hatte? Sollte er Antwort geben, sich womöglich rechtfertigen?

»Die Parole«, flüsterte von oben eine weitere Stimme, was ihm die Entscheidung ersparte. Offenbar gaben sich hier zwei Soldaten ein nächtliches Stelldichein. Wolf war selber einmal Soldat gewesen; Parolen und Rangordnungen waren ihm von damals bestens vertraut.

»Wir haben einen schönen Neumond«, sagte der Besitzer der ersten Stimme, vermutlich ein Mensch, in leierndem Tonfall. »Aber die Sonne steht im Zeichen des Schnitters«, gab der zweite zurück.

Was für eine seltsame Parole, dachte Wolf irritiert. Das konnten keine Soldaten sein. Er reckte die Nase und schnüffelte, so leise er konnte, doch vergeblich. Der leichte Wind aus der anderen Richtung machte es ihm unmöglich, die individuellen Gerüche der beiden Flüsternden wahrzunehmen.

»Müssen äußerst vorsichtig sein«, zischte derjenige, der zuletzt gesprochen hatte. »Ist in Aufruhr, das ganze Land, seit der ersten Mission. Wird deshalb länger leben als ursprünglich geplant, der König des Westens.«

Wolf horchte angespannt. Mit seiner etwas harscheren Aussprache mochte der Besitzer der Stimme ein Streuner sein. Seine merkwürdige Art, Sätze zu bilden, war Wolf allerdings vollkommen fremd.

Der andere lachte leise. »Aber nicht zu lange. Der Schnitter hat ja mit dem Aufruhr gerechnet! In der Zwischenzeit darf unter keinen Umständen ein Thronfolger für den Nordkönig bestimmt werden.«

»Wird nicht passieren. Mahlen langsam, die Ratsmühlen in Hauraro. Sind traditionelle Regeln zu befolgen, außerdem. Der Trauermonat, Kandidatenwahl, Senatsempfehlungen und so weiter. Ist Winter, bis ein Thronfolger vorgeschlagen werden kann. Und längst Geschichte, der Westkönig.«

»Hauraro«, sagte der Erste, und Wolf konnte förmlich sein Grinsen hören. »Wie ist es dort gelaufen?«

»Blendend.« Der Gefragte senkte die Stimme, bis sie kaum mehr als ein Flüstern war. Wolf verstand trotzdem jedes Wort. »Hast sie ja gehört, die Boten. War aber gar nicht so leicht, das alles. Musste improvisieren. Hab es hinterlassen, sein Zeichen, mit Blut an der Wand, wie er es wollte, der Schnitter. Hätte natürlich auch unbemerkt verschwinden können.«

Wolf glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Entweder hatte er diesmal eindeutig zu viel getrunken und sein Verstand spielte ihm einen Streich – oder er belauschte hier zwei Mörder. Die Mörder des Königs des Nordens!

»Was hatte Seine Majestät zu sagen?«, fragte der Erste mit vor Hohn triefender Stimme.

»Nicht viel. Wie denn auch? War schreckensbleich und brachte nichts heraus, keinen Ton. Wusste bestimmt, dass es das Letzte war, was er lebend zu sehen bekäme, mein Messer. Kam erst auf die Idee zu schreien, als ich loslegte mit der Arbeit. Hatte da aber schon keine Kehle mehr, der König. Hat geblutet wie ein Schwein und geröchelt und sich Zeit gelassen mit dem Sterben. Gab eine Mordssauerei. Nehme lieber wieder den Draht, nächstes Mal.«

Wolf hatte Mühe, sein aufgeregtes Keuchen zu unterdrücken.

»Wie du willst. Es ist spät …« Ein Rascheln ließ vermuten, dass der Erste seinen Mantel durchsuchte. »Hier, nimm. Das sind die Pläne des Palasts des Westens. Mit besten Grüßen vom Schnitter persönlich. Die Bezahlung erfolgt auf dem üblichen Weg.«

»Und hoffentlich pünktlich!«, brummte der andere unwirsch.

»Können Verzögerungen nicht ausstehen, ich und meine Leute. Solltet euch dieses Mal mehr Mühe geben. Wollen den Schnitter endlich persönlich treffen, meine Leute. Wann …«

»Überlasst das ihm selbst!«, unterbrach ihn der Erste scharf. »Du und deine Leute, ihr müsst euch so lange gedulden, bis er ein Treffen für notwendig befindet. Wenn alles läuft wie geplant, könnte das schon kurz nach der zweiten Mission der Fall sein. Wenn nicht, oder wenn ihr nicht spurt …«

Ein abruptes metallisches Zischen, als wäre eine Klinge aus der Scheide gerissen worden, schnitt ihm das Wort ab.

»Siehste das hier?«, stieß der andere in kaum unterdrückter Wut hervor. »Ist der Nordkönig dran verreckt. Hätte kein Problem, es nochmal einzusetzen, gegen freche Lakaien!« »Schon gut«, wehrte der Bedrohte eingeschüchtert ab, »also voraussichtlich nach der zweiten Mission. Vergiss die verabredete Strategie nicht. Hylándia soll untergehen. Wenn der Westen erst einmal sein Heer gegen den Süden mobilisiert, werden unsere Aktivitäten weniger auffallen.«

Wolf hörte, wie das Messer weggesteckt wurde.

»Wir treffen uns also in zwanzig Tagen in Téan Hu. Du und deine Leute, ihr solltet für uns leicht zu erkennen sein.

Wartet auf die übliche Nachricht bezüglich des Versammlungsortes und verhaltet euch bis dahin ruhig. Wenn der Plan des Schnitters gewissenhaft und ohne dumme Fragen ausgeführt wird, dann …«

»Alle sechs Könige«, fiel ihm der Zweite ins Wort. »Ist verdammt hochgegriffen, nicht?«

»Alle sieben«, wurde er verbessert. »Auch die Tage des Königs der Mitte sind gezählt. Ihn beseitigt der Schnitter persönlich, ganz am Schluss. Und dann bricht endlich ein neues Zeitalter an … Aber es ist spät. Nimm die Kehrstraße. Ich gehe kurz nach dir.«

»Es lebe der Schnitter«, murmelten sie gemeinsam, dann hörte Wolf, wie sich einer der beiden mit zügigen Schritten entfernte. Er spürte, dass der andere Verschwörer noch eine Weile am Geländer stehen blieb. Wolf bemühte sich, zwischen den Zweigen der Birke hindurch einen deutlichen Blick auf ihn zu werfen. Alles, was er sah, war eine dunkle Gestalt, deren Gesicht er unter einer tief heruntergezogenen Kapuze nicht erkennen konnte. Dann plötzlich war sie verschwunden, und Wolf blieb allein in seinem Versteck zurück. Er fröstelte.

Die Gasthäuser in Axthill hatten noch geöffnet. In der Goldenen Scheune, einer verrauchten Stube im Süden des Stadtteils, würfelten die Gäste um die Wette. Die Gewinner johlten beim Einstreichen ihrer Münzen, nur um sie gleich darauf für mehr Bier oder die Dienste sie anfeuernder Huren auszugeben. Und es wurde getrunken, dass die Wirtin kaum mit dem Ausschenken nachkam.

Niemand beachtete den schwarzen Streuner, der allein an einem Tisch abseits saß und in die Flamme der vor ihm stehenden Öllampe starrte. Wolf sah und hörte nicht, was um ihn herum vorging. Ihm war, als stünde für ihn die Zeit still, während die der Außenwelt mit doppelter Geschwindigkeit ablief:

Blicke, Gestalten, Worte flogen an ihm vorbei, ohne in seiner Wahrnehmung Kontur anzunehmen. Alles wurde verdrängt von zwei Stimmen, die sich seiner Erinnerung deutlich eingebrannt hatten.

Dann bricht endlich ein neues Zeitalter an, hallten ihm die Worte durch den Kopf. In zwanzig Tagen in Téan Hu …Wenn der Westen erst einmal sein Heer mobilisiert … geblutet wie ein Schwein … Die Sonne steht im Zeichen des Schnitters … Königsmörder! Seine Hände umklammerten den Becher Branntwein, den er sich bestellt hatte. Er spürte kaum, wie sich dabei die Nägel in sein Fleisch bohrten. Ein neues Zeitalter – sie hatten vor, die Herrschenden aller sieben Reiche Lesh-Tanárs umzubringen, den König der Mitte zuletzt. Wolf kannte sogar den Namen ihres Anführers. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ihm schwindelte, wenn er daran dachte, was geschehen mochte, wenn die Verschwörer davon erfuhren … »Alle sechs Könige!«, triumphierte jemand lautstark hinter ihm, und Gelächter brandete auf.

Wolf fuhr herum, als hätte ihn eine Hornisse gestochen. Dabei fiel sein Becher um, und der Branntwein floss über den ganzen Tisch.

»Alle sieben!«, durchdrang eine hohe, dünne Stimme das Durcheinander. Die Männer verstummten überrascht. Eine Scherenschrecke vom Nebentisch erhob sich. Anklagend deutete sie auf einen Würfel, der offenbar auf den Boden gefallen war, und wandte sich an ihren Spielpartner. »Seht ihr? Alle sieben Könige. Du hast verloren, Bashan.«

Für einen Moment herrschte Stille, dann brach ein Tumult aus, als die Umstehenden von dem unglücklichen Verlierer ihre Einsätze zurückforderten. Wolf verstand – hier wurde die Würfelvariante von Sieben Könige gespielt. Ein amüsanter Zeitvertreib, vorausgesetzt, man verfügte über genügend Kleingeld.

»Gestattet Ihr, dass ich mich zu Euch setze?«, riss ihn die unverkennbare Stimme der Scherenschrecke aus seinen Gedanken. Sie war an seinen Tisch gekommen und betrachtete ihn neugierig.

»Ich spiele nicht«, brummte Wolf abwesend. Die Münzen in seinen Taschen sparte er sich lieber für ein Bier auf.

»Ich hab auch genug«, erwiderte die Schrecke, während sie vergnügt ihren Gewinn verstaute. »Mir ist nach Plaudern zumute. Streunern begegnet man nicht oft in Axthill. Wartet, ich hole uns etwas zu trinken.«

Sie kam mit zwei Bechern zurück und stellte einen vor Wolf auf den Tisch.

»Ich dachte, Ihr bleibt sicher bei Eurem Branntwein? Wohl bekomm′s.«

Wolf nickte anerkennend. Obwohl das Zeug in der Kehle brannte, genehmigte er es sich in großzügigen Schlucken. Dabei musterte er die Scherenschrecke. Wie immer war es ihm unmöglich zu bestimmen, ob er ein männliches oder ein weibliches Exemplar vor sich hatte. Scherenschrecken sahen alle gleich aus, und weder der Klang ihrer Stimmen noch ihr leicht stechender Geruch ließ eine Unterscheidung nach Geschlechtern zu.

»Ich heiße Rikkulin«, sagte sein Gesprächspartner und nippte kurz an dem Becher, den er beständig von einer seiner vier vielgliedrigen Hände an die nächste weiterreichte. »Und – hm, ein guter Tropfen – wie lautet Euer Name, wenn ich fragen darf?«

Dem Namen nach musste Rikkulin männlich sein. Wie alle Scherenschrecken hatte er entfernte Ähnlichkeit mit einer Vogelscheuche, der eine geöffnete Schere verkehrtherum auf der Nase saß. Scherenschrecken trugen Brillen, die ihre Augen ins Überdimensionale vergrößerten; die »Klingen«, die von ihrer Nase aus weit nach unten abstanden, waren in Wirklichkeit lange Schnurrbärte. Scherenschrecken gingen aufrecht und wedelten mit ihren vier Armen unablässig in der Gegend herum. Ihre Haut war fahl und spärlich von stracken schwarzen Härchen bewachsen, ähnlich dem Körper einer großen Spinne.

Dank ihrer dürren, insektenhaften Gestalt gab es keine Lücke, durch die sie nicht hindurchpassten, und bei aller Zerbrechlichkeit sagte man ihnen ungeahnte Körperkräfte nach. Da sie keine Farben unterscheiden konnten, kleideten sie sich in abenteuerlich zusammengewürfelte Stoffe. Nicht so Rikkulin: Er trug ein dunkelblaues Gewand, ein himmelblaues Halstuch und einen azurblauen Hut auf dem Kopf.

»Nun, Ihr müsst es mir nicht sagen. Dass Streuner für gewöhnlich eher wortkarger Natur sind, weiß ich schon länger – genauso übrigens, dass sie dem nächsten Becher niemals abgeneigt sind.« Er lächelte und prostete Wolf erneut zu. »Ich hoffe, das Zeug schmeckt Euch wenigstens. Geht aufs Haus. Ich habe heute Abend so viel Geld erspielt, dass Frau Wirtin sich veranlasst sah, einen auszugeben, um ihre Gäste bei Laune zu halten. Die nächste Runde werde ich dann selber bezahlen, um meinerseits Frau Wirtin bei Laune zu halten. Nicht dass sie mir noch Hausverbot erteilt. Schade übrigens, dass Ihr nicht auch eine Partie wagen wolltet. Mein Triumph am Schluss hat selbst Euch überrascht, nicht wahr? Ich meine das mit den sieben Königen auf einen Streich – das hat vor mir noch keiner geschafft, nicht einmal der legendäre Würfelspieler Raffazin Scherenschreck von Tanár.«

»Ich habe …«, begann Wolf.

»… kein Geld, das sieht man«, fiel ihm Rikkulin lächelnd ins Wort. »Aber macht Euch deswegen keine Sorgen. Ich lade Euch ein, und während Ihr Euch stärkt, können wir einfach weiterplaudern. Ihr seid ein fabelhafter Gesprächspartner. Wusstet Ihr, dass Streuner zu den verständigsten Wesen überhaupt gehören? Nein? Das muss Euch nicht peinlich sein – kaum jemand weiß das. Dabei vollzieht sich die weitgehend unerforschte Streunerkommunikation dank dreier wesentlicher, kritischer Faktoren: Ihr unbeirrbares Schweigen bricht erst einmal das Eis; ihre phänomenale Trinkfestigkeit gewährleistet eine lange, angeregte Gesprächsphase; und ihre großen, spitzen, nach vorne gerichteten Ohren signalisieren ihrem Gegenüber stete Bereitschaft, Neues aufzunehmen.«

Ratlos schüttete Wolf den dritten Becher Branntwein in sich hinein.

»Ein Streunerkopf ist nie voll, sozusagen«, dozierte Rikkulin und zwirbelte seinen Schnurrbart, »genauso wenig wie sein Magen übrigens. Daneben gibt es natürlich noch ein paar weitere wichtige Voraussetzungen, die Streuner zu unverzichtbaren Gesprächsteilnehmern machen. So zum Beispiel ihr liebenswert verständnisloser Blick – womit ich natürlich keineswegs sagen möchte, dass Ihr mich nicht versteht, aber auch Eure Augen haben etwas Treues, Einfühlsames, was beispielsweise uns Scherenschrecken, aber auch den Menschen, im Laufe der Zeit abhanden gekommen sein muss …«

Was für ein verfluchter Schwätzer, dachte Wolf entnervt, während er den fünften Becher an seine Lippen führte. Nur gut für ihn, dass er bei all diesem Gebrabbel über Streuner und ihren treuen Blick nicht das Wort Hund in den Mund nimmt. Er leerte den Branntwein in einem Zug, knallte den Becher auf den Tisch und grinste Rikkulin mordlüstern an.

»Schmeckt gut, was?«, unterbrach dieser seinen eigenen Redeschwall. »Wartet, ich werde Frau Wirtin Bescheid geben, dass sie Euch noch mehr bringen soll. Freut Euch nur ungeniert über sämtlichen Nachschub, ich genieße es, wenn mir jemand wie Ihr … Aber – aber wo wollt Ihr denn hin?«

Wolf war aufgestanden, um der Wirtin zu sagen, dass es genug sei. Doch der Boden schwankte so sehr unter seinen Füßen, dass er sich rasch wieder setzte.

»Gut so, mein Freund. Es ist ohnehin zu spät, um noch auszugehen. In diesen unwägbaren Zeiten kann man nie wissen, was für Gelichter sich in den Straßen herumtreibt, zumal so spät in der Nacht. Und obwohl es heißt, Streuner seien mutig und wehrhaft, möchte ich es doch nicht verantworten, dass Ihr Euch meinetwegen in Gefahr begebt. Versteht Ihr?«

Rikkulins Worte drangen zwar an seine Ohren, doch ihr Sinn erschloss sich Wolf nicht mehr. Nach dem siebten Becher Branntwein fühlte es sich an, als schwankte sogar der Stuhl, auf dem er saß. Rikkulin schien sich in undurchsichtige Schleier gehüllt zu haben. Was immer die Scherenschrecke sagte, mischte sich mit den anderen Geräuschen in der Schenke zu einem undefinierbaren Rauschen.

Bis Wolf beschloss, selbst das Wort zu ergreifen. Da schwieg Rikkulin und hörte hinter Schleiern und Brille äußerst aufmerksam zu. Das Nächste, was Wolf wusste, war, dass er den Becher und sein Gleichgewicht verlor. In jener Nacht war es auch das Letzte.

Er erwachte an hämmernden Schmerzen in seinem Schädel. Helles Licht durchflutete den Raum. Er drehte sich auf den Bauch. Der Untergrund fühlte sich viel weicher an als sein eigenes Strohlager in Ost-Tanár. Ein berauschender Duft nach gebratenem Speck und Röstkáwha stieg ihm in die Nase. Sein Magen knurrte. Er wusste, dass er nicht mehr einschlafen würde.

Aber wo war er?

Wolf richtete sich auf und sah sich um. Er befand sich immer noch in Axthill – in einer wohlvertrauten Dachkammer.

Wie bin ich hierhergekommen? Ratlos kratzte er sich am Kinn, dann streckte er sich ausgiebig. Sowohl sein Kopf als auch der widerlich saure Geschmack, der ihm auf der Zunge lag, gemahnten ihn an die Fehltritte der vergangenen Nacht; von der kolossalen Gedächtnislücke ganz zu schweigen. Durch die beiden Giebelfenster fielen die Strahlen einer hoch am Himmel stehenden Sonne.

»Guten Morgen«, sagte eine Stimme, deren Klang ihn stets von neuem zu betören verstand.

Er blickte zur Tür. Seine Gastgeberin war eingetreten. Sie trug ein hellgrünes Gewand, das eindeutig nicht für sie, sondern für eine Menschenfrau gemacht war. Die Farbe passte irgendwie gut zu ihrem rotbraunen Fell.

»Gut geschlafen?« Sie musterte ihn mit belustigtem Funkeln in den Augen.

»Wie spät ist es?«, fragte er gähnend.

»Fast Mittag. Wie wär′s mit Frühstück?«

»Wann bin ich hergekommen? Und wie?«

»Das Wann vergessen wir mal lieber«, erwiderte Lúpa. »Eine Scherenschrecke namens Rikkulin hat dich hergebracht. Er redete in einem fort. Ich konnte ihm nicht einmal klarmachen, dass ich dich kenne. Es wäre ein Wunder, wenn er überhaupt gehört hat, dass ich ›Gute Nacht‹ sagte, als er wieder ging.« »Hat er Geld verlangt?«

»Wolf! Was soll das Verhör? Reicht es dir nicht zu wissen, dass du die Nacht an meiner Brust geschnarcht hast und leider zu betrunken warst, um es zu bemerken?«

Er schwieg betreten.

»Also? Hast du keinen Hunger?« Lachend verschwand Lúpa in der Küche. Sein Blick hing an ihren Schultern. Ihr Gang war von nahezu menschlicher Geradlinigkeit. Er kratzte sich unter der linken Achsel, erhob sich und schlurfte ihr hinterher.

»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte sie entschuldigend. »Unten warten schon die nächsten drei Kranken auf mich. Setz dich.« »Ohne Begrüßung?«

»Wir kennen uns doch schon so lange, Wolf.«

»Gerade deshalb sollten wir nicht darauf verzichten.« Sie seufzte, hielt jedoch bereitwillig inne, um seinem Wunsch nachzukommen.

Als Streuner schätzte Wolf die traditionelle Begrüßung seines Volkes, bei der man sich für einen Augenblick mit den Nasenspitzen berührte, sich des lebendigen Atems des jeweils anderen vergewisserte und seine persönliche Duftnote erschnupperte. Die Begrüßung der Menschen – sie packten sich gegenseitig beim Unterarm – oder der Scherenschrecken – die einander mit den Fingerspitzen die rechte Seite des Schnurrbarts zwirbelten – kamen ihm dagegen sinnlos und heuchlerisch vor.

Lúpa ließ ihm Zeit. Er erkannte ihren Duft sofort. Das Kecke, Direkte, Verspielte darin. Vor allem das Weibliche. Er wich zur Seite aus und schnupperte an ihrer Wange. Sie schnaubte leise. Mit beiden Armen umfasste er ihre Hüfte und drückte seine Nase zärtlich in das dichte Fell an der Seite ihres Halses. Unter der Berührung sträubte es sich, und Lúpa legte genießerisch die Ohren an. Tief sog er ihren Duft ein. Sie hatte extra für ihn Rosenharz aufgelegt, ein teures Öl, das die Menschen für ihre Frauen her stellten.

»Danke für die Aufnahme eines Gestrandeten«, flüsterte er. »So poetisch heute?« Lúpa lachte wieder und entwand sich seinem Griff. »Der viele Branntwein muss deinen Geist beflügelt haben. Lass es dir schmecken.«

Auf dem kleinen Holztisch standen neben zwei tönernen Gedecken die Eisenpfanne mit dem gebratenen Speck und eine Schüssel mit Fladenbroten, Obst und hartgekochten Eiern. Mit einer anmutig fließenden Bewegung goss Lúpa schwarzen, würzig duftenden Káwha in die beiden Becher.

»Wenn′s nur der Branntwein gewesen wäre …«, brummte Wolf und nahm Platz, obwohl das Frühstück seinetwegen ruhig noch hätte warten können. Er verspürte eine ganz andere Art von Hunger, jetzt, wo er bei Lúpa war. Wenigstens war der Káwha brühheiß und sehr stark, genau wie er ihn mochte. Das Zeug half gegen die Kopfschmerzen.

»Sag bloß, du warst nicht den ganzen Abend in der Goldenen Scheune?«, fragte sie, nachdem sie die Kanne weggestellt hatte.

»Das hätte ich mir wohl kaum leisten können«, gab er kauend zurück. »Nein, davor war ich da, wo ich immer bin.«

»Du hast mir nie verraten, wo das genau ist.«

»Ist ja auch nicht wichtig.«

»Und wen du dort triffst, weiß ich auch nicht.«

»Keine Streuner, falls du das denkst. Ich meine, keine Streunerinnen.«

Sie musterte ihn eindringlich, dann sagte sie mit plötzlich sehr weicher Stimme: »Versprich mir, dass du es mir irgendwann sagst. Stell dir vor, es geht dir einmal wieder wie gestern Nacht, ich meine, dass du Hilfe brauchst, und ich weiß nicht, wo du …«

»Es ging mir noch nie wie gestern Nacht«, sagte er lauter als nötig, »und das wird es auch nie mehr!«

Lúpa schlug die Augen nieder und biss geräuschvoll in einen Flaumapfel.

»Ich wollte eigentlich gar nicht in die Goldene Scheune«, fuhr er in versöhnlichem Tonfall fort. »Aber auf dem Weg zu dir … habe ich etwas sehr Merkwürdiges er lebt. Das konnte ich nicht so einfach weg stecken.« Flüchtig bemerkte er Lúpas fragenden Blick. »Ich kann dir nicht davon erzählen. Es ist furchtbar … und …«

»Ach, Wolf«, unterbrach sie ihn, »seit gestern bist du ein Jahr älter …« Der Blick ihrer hellbraunen Augen ruhte liebevoll auf ihm. »Aber du bist deshalb nicht klüger als zuvor.«

Achtundzwanzig, na und?, dachte er. Aber wenn die beiden am Wachturm mich entdeckt hätten …

Laut sagte er: »Du verstehst mich nicht. Ich habe zufällig … erfahren, dass bald ein neues, schreckliches Zeitalter anbrechen wird. Eins, das mit Blut erkämpft und mit Frieden und Freiheit bezahlt werden wird. Und ich bin der Einzige, der davon weiß. Es …«

»Wolf«, sagte Lúpa leise, doch selbst ein Flüstern hätte gereicht, um ihn verstummen zu lassen.

»Du glaubst mir nicht?«

»Wie könnte ich? Du warst völlig betrunken.«

Abrupt sprang Wolf auf und trat ans Fenster. Er spürte, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Unten im Brunnenhof spielten drei Menschenkinder mit einem jungen Hund. Ihre ausgelassenen Rufe und das Gekläff des Welpen drangen zu ihnen herauf.

»Siehst du sie? In Tanár können die Kinder fast überall auf den Straßen spielen. Wir leben in Frieden. Noch. Du weißt, was vor zehn Tagen aus Hauraro berichtet wurde.«

Lúpa, die zu ihm ans Fenster gekommen war, nickte. »Der Nordkönig ist gestorben.«

»Er ist nicht einfach gestorben. Man hat ihn umgebracht!«

»Sein Barbier soll es gewesen sein.«

»Er war es aber nicht!«

»Was macht das schon? Bald wird in Hauraro ein Nachfolger auf dem Thron sitzen. Das Gerede wird sich legen, und die Unsicherheit auch.«

»Gerede? … Unsicherheit?«, murmelte Wolf resigniert, während ihm durch den Kopf ging, was der Schnitter anzurichten gedachte, während man in Hauraro noch trauerte.

»Dann erklär es mir doch«, rief Lúpa, »und zwar alles!« Sie schaute ihm tief in die Augen. »Was hast du gestern Abend er lebt? Was meinst du damit, dass wir noch in Frieden leben? Was ist das für eine Zeit, die deiner Meinung nach anbrechen soll und mit Blut erkauft wird?«

Wolf kämpfte mit sich. »Ich … kann es dir nicht sagen.

Vielleicht bringe ich dich unnötig in Gefahr.«

Sie ging zum Tisch zurück und widmete sich ihrem Káwha.

»Mein Stuhl wackelt«, sagte sie vorwurfsvoll, und er

versprach, sich darum zu kümmern.

Die Kinder unten waren inzwischen wieder ins Haus gerufen worden.

Streuner

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