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SZENE 1: DAS GELBE ZEICHEN

„Wir hatten schon eine Zeit lang träge und monoton miteinander geredet, als ich bemerkte, dass wir über den König in Gelb sprachen. Oh, welche Sünde, diese Worte niederzuschreiben – Worte, so klar wie Kristall, schimmernd und musikalisch wie ein sprudelnder Quell, Worte, die funkeln und leuchten wie die giftigen Diamanten der Medici! Oh, die Verworfenheit, die hoffnungslose Verdammnis einer Seele, die menschliche Wesen mit solchen Worten in den Bann schlagen und betäuben konnte – Worte, die von Ungebildeten und Weisen gleichermaßen verstanden werden, Worte, die wertvoller sind als Edelsteine, sanfter als Musik, grauenhafter als der Tod! Wir redeten weiter, achteten nicht auf die sich sammelnden Schatten, und sie flehte mich an, die Spange aus schwarzem Onyx wegzuwerfen, die eingelegt war mit dem, was wir nun als das Gelbe Zeichen erkannten.“

– Robert W. Chambers,

The Yellow Sign, 1895.

(Aus dem Amerikanischen von Andreas Diesel.

„Der König in Gelb“ 1. Auflage Juni 2002, Festa Verlag)

Figuren:

CAMILLA

CASSILDA

In einem marmornen Zimmer, in einem der Türme des Palastes von Yhtill, durchstöbert Camilla unzählige Ballkleider in einem vergoldeten Schrank. Cassilda steht währenddessen auf dem Balkon und betrachtet etwas am anderen Ufer von Hali.

CAMILLA: (Hält begeistert ein gelbes Kleid in die Höhe.) An deiner Stelle würde ich morgen Abend auf dem Ball das Gelbe tragen. Du siehst darin haargenau aus wie Mutter – findest du nicht auch, Schwester?

CASSILDA: (Scheint Camilla nicht zu hören.)

CAMILLA: (Dreht sich zu Cassilda um.) Schwester?

CASSILDA: (Reagiert noch immer nicht.)

CAMILLA: (Blick wird zunehmend besorgter. Geht langsam auf Cassilda zu und berührt sie sanft an der Schulter.) Ist alles in Ordnung mit dir?

CASSILDA: (Fährt zusammen, dreht sich um und setzt ein unechtes Lächeln auf.) Verzeih, ich war in Gedanken versunken. Von welchem Kleid sprachst du gerade?

CAMILLA: (Besorgt.) Du hast wieder Carcosa gesehen, nicht wahr?

CASSILDA: (Das unechte Lächeln erstirbt sogleich auf den Lippen.) Kein Tag vergeht, an dem ich Carcosa nicht sehe, dort am anderen Ufer von Hali.

CAMILLA: Carcosa ist nicht real, niemand außer dir vermag es zu sehen. Sieh doch, (Zeigt auf das andere Ufer.) dort drüben gibt es nichts, nur die Sonnen und Halis rätselhaften Nebel.

CASSILDA: Camilla, ich sage dir, eine Stadt wacht dort am anderen Ufer, zu sehen stets als dunkle Silhouette, ein einziges Gewirr aus nachtschwarzen Türmen und Kuppeln, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Zwei dieser Türme überragen die restlichen, sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen, und ragen so weit gen Himmel empor, dass ihnen selbst die Wolken untertan sind.

CAMILLA: Es gibt nur eine Stadt an Halis Ufern und das ist Yhtill.

CASSILDA: (Schweigt.)

CAMILLA: Du erzähltest mir einst, dass des Nachts der Mond vor Carcosas Zwillingstürmen vorüberziehe. Sag, ist denn dies nicht ein Beweis dafür, dass Carcosa nirgendwo anders als bloß in deinem Kopf existiert?

CASSILDA: Carcosa ist so fremdartig, dass selbst der Mond es nicht mehr kennt. Denn ewig schon strömt dort kein Leben mehr durch die breiten Straßen, sterben der Hyaden Lieder ungehört, während die Fetzen des Letzten Königs schaurig emporflattern. Doch erst seitdem ich dieses verfluchte Amulett gefunden habe, ist Carcosa gänzlich verloren. (Blickt betrübt auf das Amulett mit dem Gelben Zeichen, das noch immer an der Perlenkette um ihren Hals hängt.)

CAMILLA: Verfluche nicht das Gelbe Zeichen, oh geliebte Schwester. Denke nur an all das Elend, das uns heimsuchte, bevor Hali es dir zum Geschenk machte: Denke an Vater und daran, wie gebrochen er war nach Mutters Tod. Weder Hunger noch Schlaf suchten ihn heim. Nun geht es ihm besser denn je. Sein Schlaf übertrifft den eines jeden Säuglings, und sein wieder zum Leben erwachter Appetit begrenzt sich nicht bloß auf feine Speisen, sondern auf alle nur erdenklichen Reize, die einem das Leben anzubieten hat.

Denke an Thale, keinen Vers vermochte er mehr auf Papier zu bringen. Er war leer, beraubt jeglicher Inspiration, leidend unter dem Gedanken, der Welt bereits sämtliche Wunder entlockt und aufgezeichnet zu haben. Seine Feder kennt nun kein Halten mehr und nie zuvor schrieb er solch unvergleichlich schöne Gedichte, die einem zugleich das Blut in den Adern gefrieren lassen.

Denke an Uoht, welch kühner Krieger, welch weiser Feldherr er doch ist. Doch konnte er von seinen Gaben nie richtig Gebrauch machen. Nicht bevor unser Nachbar, das wilde und barbarische Königreich Robardin uns den Krieg erklärt hat.

Denke an Naotalba. Oh, welch traurige Ironie. Er, der Hohepriester von Hoseib, fand in der Religion letztlich keine Zuflucht mehr. Er war ermüdet von ihrer erdrückenden Fadheit und Eintönigkeit. Verzweifelt glaubte er, bereits sämtliche Weisheiten der Hyaden erlernt, und somit kein erstrebenswertes Ziel im Leben mehr zu haben. Doch auch er wurde eines Besseren belehrt. Seine Reformationen finden im ganzen Land Anerkennung und Bewunderung. Naotalba wird vom Volk sogar als ein Heiliger, ja ein Spross der Hyaden gepriesen.

Und wenn auch das dich nicht zu überzeugen vermag, so denke an mich, Schwester. Wie langweilig und fad war nicht auch mein Leben gewesen. Alle Tänze und Lieder waren mir bereits seit Kindesbeinen an vertraut, jedes meiner Kleider hatte ich schon so oft zu den immer gleichen Festen getragen und einen jeden Jungen am Hofe kannte ich bereits. Wie Vater, meine Brüder und Naotalba war auch ich dem Leben letztendlich überdrüssig geworden. Glaubte, es habe uns bereits all seine Wunder gezeigt und mit ihnen übersättigt. Ich lebte in der bitteren Gewissheit, dass es unser aller Schicksal sei, an Langeweile und der Sehnsucht nach Neuem, Unbekanntem und Fremdem qualvoll zugrunde zu gehen. Doch dann brachtest du das Gelbe Zeichen mit nach Yhtill und alles hat sich geändert. Wo früher Mauern aus Sitte und Moral unsere Fantasie begrenzten, kann sie sich heute frei bewegen. Erleuchtete Wesen sind wir nun, befreit von jeglicher Einschränkung, dazu befähigt, das Leben in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit zu genießen.

CASSILDA: (Schließt ihre Augen und senkt betrübt den Kopf.)

CAMILLA: (Seufzt traurig.) Nur du Schwester, du bist die Einzige, der das Gelbe Zeichen kein Glück gebracht hat. Naotalba sagt, du seiest eine Märtyrerin. Dass es dir, als dessen Trägerin, bestimmt sei, für unser aller Glück zu leiden.

Dies sei der Grund, weshalb du mit Schwermut und Halluzinationen gepeinigt wirst. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, ist es eine große Ehre, die dir zuteil wurde. Und es erfüllt mich mit großem Stolz, dass du das Amulett dennoch Tag für Tag so tapfer trägst.

CASSILDA: Der einzige Grund, weshalb ich das Ding noch immer trage, ist der, dass es sich nicht mehr von Mutters Kette lösen lässt und ich mich um keinen Preis der Welt von ihr trennen könnte.

CAMILLA: So wie sich dein größter Schatz mit dem unseren verbunden hat, musst du nun die Liebe, die du noch immer für Mutter empfindest, mit unserer Liebe für das Gelbe Zeichen verbinden.

CASSILDA: (Wechselt das Thema.) Was ist der wahre Grund, weshalb du mich heute besuchen kommst, Schwester?

CAMILLA: (Verspielt.) Brauche ich neuerdings einen Grund, um meine große Schwester zu besuchen?

CASSILDA: Wie mir scheint, bin ich nicht die einzige untalentierte Schauspielerin in der Familie. Genug des albernen Spiels, wieso bist du hier?

CAMILLA: (Beißt sich auf die Unterlippe und errötet vor Scham.) Onkel hat mich geschickt. Er bat mich darum, noch einmal mit dir aufgrund deines … aufgrund deines gesundheitlichen Zustandes über etwas zu sprechen.

CASSILDA: Worüber?

CAMILLA: Über den Maskenball. Wie du weißt, ist dies morgen der womöglich bedeutendste Abend unseres Lebens. Denn wir feiern nichts Geringeres als das tausendjährige Bestehen unseres Königreiches.

Du bist dir über die damit einhergehende Bedeutung im Klaren, nicht wahr? Du weißt, was geschehen wird und was man von dir als ältestes Kind des Königs erwartet, wenn die Glocken von Yhtill zur dreizehnten Stunde läuten und all unsere edlen Gäste aus ganz Hoseib ihre Masken ablegen?

CASSILDA: (Zögerlich.) Sie werden um meine Hand anhalten und ich werde mich sodann für einen von ihnen entscheiden, ganz so, wie es der Hyaden Wille ist.

CAMILLA: Ganz genau. (Aufgeregt.) Und? Weißt du schon, wen von ihnen du zum Gemahl nehmen wirst? Uoht oder Thale?

CASSILDA: (Eisiger Schauer läuft ihr den Rücken herunter.) Muss es einer meiner Brüder sein? Wird außer ihnen sonst niemand um meine Hand anhalten?

CAMILLA: Oh, es werden morgen Abend viele Edelleute aus Hoseib versuchen, deine Gunst zu gewinnen. Und offiziell steht es dir – aus Dank, dass du das Gelbe Zeichen nach Yhtill gebracht hast – auch frei, deinem Herzen zu folgen und dich für einen jeden von ihnen zu entscheiden.

CASSILDA: Und inoffiziell?

CAMILLA: Nun … inoffiziell – so fürchte ich – wird von dir erwartet, dich für dein Fleisch und Blut zu entscheiden. Denn nur ein Casastine ist würdig, auf dem Elfenbeinthron zu sitzen und über Hoseib zu herrschen. Diese Wahrheit hat uns das Gelbe Zeichen gelehrt.

CASSILDA: (Schweigt.)

CAMILLA: Es ist fürwahr keine leichte Entscheidung. Uoht ist stark und tapfer, ein wahrer Krieger. Thale dagegen ist sanft und einfühlsam, ein leibhaftiger Künstler.

CASSILDA: Für wen von ihnen würdest du dich entscheiden, wenn du an meiner Stelle wärst?

CAMILLA: (Entschlossen.) Für Thale, meinen Zwillingsbruder. Wir waren immer schon eins – eine Seele in zwei Körpern –, um es mit seinen Worten zu sagen. Ich bin mir sicher, du wirst die richtige Entscheidung treffen. Höre nur auf das Gelbe Zeichen.

CASSILDA: (Spricht geistesabwesend mit sich selbst.) Wenn Wahnsinn eine Farbe hätte, welche Farbe wäre es wohl …?

CAMILLA: Was sagst du? Ich verstehe kein Wort, wenn du so düster vor dich hinmurmelst.

CASSILDA: Schon gut, ich habe mit mir selbst gesprochen. In Gedanken war ich bereits auf dem Maskenball.

CAMILLA: (Errötet.) Glaubst du, Hastur wird morgen Abend auch kommen?

CASSILDA: Wer ist Hastur?

Die Stadt Carcosa mit ihren im Nebel verborgenen Zwillingstürmen (siehe rechte Sonne):


„Carcosa”

By Steve Lines.

Die Zwillingstürme von Carcosa:


„Carcosa Coin”

By David Lee Ingersoll.

Der König in Gelb

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