Читать книгу Puppenrache - Manuela Martini - Страница 10
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ОглавлениеNa, wo bleibt denn unsere Puppe, dachte er und lugte so unauffällig wie möglich durchs Schaufenster zu den Kassen. War noch ’ne ganz schöne Ochsentour gewesen, sich erst ’nen neuen Wagen zu besorgen und dann quer durch die Stadt zu diesem Scheiß-Supermarkt zu gurken. Sicher suchten die Bullen schon nach dem dunkelroten Holden – falls die Schlampe so clever gewesen war, sich die Marke oder sonst noch was zu merken. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen. Nicht noch einen Fehler machen.
Ein paar andere Klamotten hatte er auch noch aufgetrieben. Musste ihn ja nicht gleich jeder erkennen. Jetzt trug er einen übergroßen schwarzen Kapuzenpulli über der Jeans und eine Pilotensonnenbrille. Und endlich fror er nicht mehr.
Die neue Kiste hatte nämlich Sitzheizung, obwohl sie schon so alt war, dass sie nicht diese bescheuerte Wegfahrsperre hatte. Da hatte er sich erst mal einen warmen Arsch gegönnt.
So, jetzt aber endlich zur Sache!
Überraschung muss sein, dachte er und rieb sich die Hände. Macht die Sache viel lustiger!
Irgendwie musste er sie nach draußen locken, wenn er sich nicht bis zum Abend die Beine in den Bauch stehen wollte. Wenn er allerdings richtig gesehen hatte, saß sie nicht an der Kasse. Da stimmte was nicht. Außer sie war mal eben auf dem Klo oder hatte Pause. Aber irgendwie glaubte er das nicht.
Na, dann muss es wohl sein, dachte er, das kleine Risiko.
Er betrat den Supermarkt und zog den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke zu. Scheißkalt war’s hier drin. Ließen wohl das ganze Jahr über die verdammte Klimaanlage laufen. Seit der Zeit im Knast fror er fast immer.
Sein Blick glitt über die Kassen – nein, da war sie wirklich nicht. Eine Kassiererin wollte gerade ein Kasse-geschlossenSchild aufs Rollband stellen. Ja, genau die würde er fragen.
»Hi, ich such Sara.« Verdammtes Schlitzauge, du!
»Ja, wir auch!«, war die Antwort inklusive abschätzendem Blick.
Mann, die glaubt ja, sie hat die Weisheit mit Löffeln gefressen! Arrogante Schlampe.
»Wieso?«, fragte er.
»Sie ist heute nicht gekommen.«
»Sie ist gar nicht gekommen?«, wiederholte er blöd und ärgerte sich gleich darüber. Wie steh ich denn da vor dieser Schlitzaugen-Schlampe, die hält mich noch für bescheuert, wenn ich so weitermache.
»Nein. Sind Sie ein Freund?« Sie beäugte ihn misstrauisch. Ob sie ihn erkannte? Sein Bild war immerhin im Fernsehen und in den Scheißzeitungen.
Er setzte sein harmlosestes Lächeln auf. »Ja, ich bin ein paar Tage in der Stadt und sie wollte, dass ich sie hier treffe.« Er ließ seinen Blick über die Kassen schweifen. Falls er auch nur den leisesten Verdacht haben sollte, dass diese Tussi ihn erkannt hat, würde er sie kaltmachen. Keine weiteren Fehler mehr, Troy!
»Tja, tut mir leid.« Sie wollte sich gerade schon wieder bücken, um weitere Plastiktüten hervorzuholen, als sie plötzlich innehielt und ihn aufmerksam musterte. »Kann es sein, dass ich Sie schon mal gesehen hab? Sie kommen mir irgendwie bekannt vor ...«
Verdammte Scheiße, dachte er. Und verdammt Scheiße für dich, Schlampe. Er suchte noch nach einer Antwort, als die Schlitzaugentussi die Schultern zuckte.
»Na ja, hier kommen jeden Tag so viele Leute vorbei – man kann sich nicht alle Gesichter merken, was!«
Die war ja dümmer, als er gedacht hatte! Erleichtert setzte er ein Lächeln auf, gab ein »Na, dann werde ich’s mal bei Sara zu Hause versuchen« von sich, hob die Hand und ging dann schnellen Schrittes zum Ausgang.
Mann, das war echt knapp gewesen!
Schlecht gelaunt verließ er den Supermarkt. Er durfte keine Fehler mehr machen. Wenn er zu viel riskierte, kassierten die Bullen ihn wieder ein, ohne dass er vorher mit seiner Puppe hatte spielen können.
Er steckte die Hände in die Taschen und ging nachdenklich die Straße vor dem Supermarkt bis zu seinem geparkten Auto hinunter. Er musste in ihre Wohnung. Vielleicht war sie ja statt in der Arbeit woanders gewesen und längst wieder zu Hause. Lag auf dem Bett, stopfte sich mit Chips voll und sah fern. Er hoffte bloß, dass dieses Surfer-Weichei nicht auch da war. Dass die beiden nicht blaumachten und sich einen freien Tag gönnten.
Verärgert kickte er eine Plastikflasche beiseite, die vor ihm auf der Straße lag. Nein, das wäre gar nicht gut.
Hinter der Scheibe flog die immer gleiche Landschaft vorbei. Stunde um Stunde. Flaches, trockenes Land. Endlos. So wie ihre Flucht.
Sie seufzte. Ein Schleier legte sich über ihre Sicht und ihre Augenlider wurden schwerer. Dreißigtausend Menschen verschwinden jedes Jahr in Australien, hatte sie mal irgendwo gelesen. Manche tauchten nach Jahren wieder auf, irgendwo, aber die meisten blieben verschwunden.
Warum soll mir das nicht gelingen?, fragte sie sich.
In der Feme lief ein Emu mit dem Bus um die Wette, sie konnte deutlich seinen langen Hals und den wippenden Federkörper erkennen. Das Land war zwar ein Kontinent. Aber trotzdem war es eine Insel. Umgeben von Ozeanen, dem Reich von Haien, giftigen Quallen und tödlichen Strömungen. Und im Herzen war die trockene, lebensfeindliche Wüste.
Ich bin genauso wie dieses Land, dachte sie.
Der jüngere Typ, der sich kurz vor der Abfahrt noch neben sie gesetzt hatte, schnarchte. Irgendwie beruhigte sie das. Auch wenn Stephen schnarchend neben ihr lag, hatte sie sich sicher gefühlt.
Sie machte die Augen zu.
Wie hatte er sich auf den freien Nachmittag mit ihr gefreut. Jetzt war es halb vier und seine Welt war zusammengebrochen. Stephen lehnte die Stirn an die Fensterscheibe und starrte hinunter auf die Straße. Was war schiefgelaufen? Was hatte er übersehen?
»Ach, Frauen ...!«, hörte er Vans Stimme und erinnerte sich an seine Anwesenheit. Van war sofort hergekommen, als Stephen ihn angerufen hatte. Auf ihn war Verlass.
»He, Alter, die hat dir was vorgemacht«, redete Van weiter und fuhr sich schon wieder durch seine roten, kurzen Haare, »die hat dich zum Affen gemacht. Wer weiß, vielleicht ist sie ’ne Irre, ein Freak! Vielleicht hat sie sich irgendwelches Zeug reingepfiffen und du hast’s nicht gemerkt.«
Stephen drehte sich um. »Ich bin doch nicht blind! Das hätt ich gemerkt!«
Van zuckte die Schultern und machte den Kühlschrank auf. »Mann, hast aber nicht gerade einen großen Vorrat. Willst du auch eins?«
Stephen schüttelte den Kopf. Sie hat sogar noch das Bett gemacht, dachte er, während er das zerknüllte Stück Papier, das er in der Hand hielt, auf dem Küchentisch glattstrich.
Sorry. Aber ich kann nicht bei dir bleiben. Sara
Wie oft hatte er in der vergangenen Stunde den Satz schon gelesen? Sie hatte ihn auf einen Notizzettel geschrieben, als würde sie ihm nur mitteilen wollen: Heute Abend komme ich später oder Essen steht im Kühlschrank.
Sorry. Aber ich kann nicht bei dir bleiben. Es waren nur diese paar Worte. Nicht mehr. Und doch hatte sie damit seine Welt zum Einstürzen gebracht.
»Jetzt leg mal diesen Wisch hin!« Van riss ihm den Zettel aus der Hand und klatschte ihn auf die Küchentheke. »Und hör mir zu: Das sind alles Scheißbräute. Hey, vergiss die Schlampe einfach!«
»Red nicht so über Sara!«, fuhr er seinen Freund an.
»Sorry, bin manchmal bisschen impulsiv. Komm, Stevie, lass uns ein paar Mädels aufreißen gehn.« Van schraubte den Verschluss auf und nahm einen großen Schluck.
»Geh allein«, sagte Stephen niedergeschlagen. Dass sie ihm so etwas antun würde ... Sie war doch noch am Morgen so ... so zärtlich gewesen.
Van haute ihm auf die Schulter. »Komm schon, Alter, wegen so einer lässt man sich doch nicht das Leben versauen. Trink ’n Bier, das tut dir gut.« Schon streckte er die Hand zum Kühlschrank aus, aber Stephen schüttelte den Kopf.
»Ich bin müde. Wirklich.« Stephen ging wieder zum Fenster und sah hinaus. Vielleicht hatte sie es sich anders überlegt und stand da unten.
»Okay, aber sag später nicht, du hättest keine Freunde, die sich um dich kümmern.« Van rammte die Bierflasche auf die Küchentheke, dass das Bier rausschwappte. »Lass dir eins sagen: Sie ist durchgeknallt. Hat zu viel Alk und Drogen im Mutterleib abbekommen. Hast du ihre Mutter mal kennengelernt? Bestimmt ist die auch schräg drauf.«
»Ihre Mutter ist tot.«
Van seufzte. »Sorry.«
»Ich bin die Nummern durchgegangen, die noch auf dem Telefon gespeichert waren«, sagte Stephen nun doch, obwohl er es zuerst für sich hatte behalten wollen.
Van sah auf. »He, du bist gar nicht so dumm. Und?«
»Sie hat nicht viel auf dem Festnetz telefoniert. Aber eine Nummer hat sie in den letzten zwei Tagen mehrmals angerufen.«
»Lass mich raten: Langley. Sie ist beim CIA. Richtig?«
»Van, deine Witze sind scheiße.«
»Du hast recht, also?«
»Eine psychiatrische Klinik in Brisbane.«
Van verschluckte sich fast. »Hab ich’s nicht gesagt? Eine Durchgeknallte! Du kannst verdammt froh sein, dass du sie los bist. Irgendwann hätte sie mitten in der Nacht mit ’ner Axt vor deinem Bett gestanden.«
Stephen gab ihm einen Stoß vor die Brust. Er hatte genug. »Hat dir schon mal einer gesagt, dass du total geschmacklos bist? Am besten haust du ab, bevor ich dich rauswerfe.«
Van machte eine besänftigende Handbewegung. »Langsam, langsam, Stephen, hey, schon gut, ja? War nicht so gemeint. Ich bin nur ... na ja, manchmal ein bisschen ...«
»Dein bisschen ist mir heute definitiv zu viel. Verschwinde jetzt, Van!«
»Ich geh schon, aber ... hast du vielleicht für den Heimweg ... noch ein Bier ...«
Stephen holte eine Flasche aus dem Kühlschrank, drückte sie Van in die Hand und schob ihn aus der Wohnung.
»Alter, so behandelt man doch keinen Freund! Aber Schwamm drüber, ist ’ne Ausnahmesituation«, protestierte Van, doch da machte Stephen schon die Tür hinter ihm zu.
Troy gähnte und steckte sich eine neue Zigarette an. Wenigstens Zigaretten waren in der Scheißkiste. Scheißwarterei! Er stand sich die Beine in den Bauch, während die beiden da oben ihren freien Nachmittag feierten.
He, da tut sich ja was. Dieser Typ, der da gerade aus dem Apartmenthaus kommt, das ist doch der aus der Bar. Groß, stämmig und rothaarig wie ein Ire – und genauso versoffen. Sieht ganz so aus, als hätte er schon wieder ein paar Bierchen intus, und eins in der Hand hat er auch. Troy grinste unwillkürlich. Wenn er eins und eins zusammenzählte, dann war dieser Kerl gerade bei den beiden gewesen. Und wusste vielleicht was.
Er warf die Zigarette weg, stieß sich mit der Schuhsohle vom Auto ab, an dem er gelehnt hatte, steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte so lässig, wie man über eine befahrene, vierspurige Straße eben schlendern konnte, auf ihn zu.
»Hi!«
Der andere blieb stehen, drehte sich langsam um und hob träge die Augenbrauen.
»Du bist doch ein Freund von Sara, oder?«, fing Troy locker an.
»Und?«
Mann, war das Arschloch gesprächig!
»Ich wollte Sara noch was vorbeibringen, ist sie da? Ich hab ’n paarmal versucht, sie anzurufen ...«
Die Augen des anderen wurden schmal, gefährlich schmal. Mit dem Typen könnte er es nicht aufnehmen, schoss es Troy durch den Kopf. Jedenfalls nicht ohne Waffe. Aber er wollte ihn nicht auf offener Straße abstechen. Troy wollte gerade den Mund für weitere Erklärungen aufmachen, da pikste der Typ ihm seinen Zeigefinger in die Brust. »Sie ist ’ne ganz miese Schlampe, hab ich auch Stephen gesagt. Er hat alles für sie getan, hat sie abgöttisch geliebt und sie lässt ihn einfach sitzen.« Er schüttelte den Kopf und zog den Arm zurück. »Kannst die Biege machen, Kumpel. Die ist auf und davon.«
Am liebsten hätte er vor Wut über diese Information den Typen verprügelt. Ruhig Blut, sagte er sich. Das wäre wirklich das Dümmste, was er tun könnte. »Das klingt echt mies, Kumpel. Und ihr Freund weiß nicht, wo sie ist?«
»Nee, der ist total fertig. Voll am Arsch. Kam alles wie aus dem Nichts. Mann, er hat mich sogar rausgeschmissen. Ist ’n armer Kerl gerade.«
Die Bierfahne von diesem Typen war enorm. Troy musste sich anstrengen, freundlich zu bleiben. Aber das war seine einzige Chance, was rauszufinden. »Und du? Hast du keine Ahnung, wo sie sein könnte?«, fragte er.
Der andere dachte ziemlich angestrengt nach. Kratzte sich am Kopf, zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte schließlich den Kopf. »Nee, wirklich nicht! Mit mir hat sie eh nicht viel geredet. Kam sich als was Besseres vor, wenn du mich fragst.«
»Hm«, machte Troy und überlegte, wie er jetzt weiter vorgehen sollte.
»Tja, Kumpel, so sieht’s aus. Kann dir auch nicht helfen.« Der andere wollte gehen, dann fiel ihm noch was ein. »Warum gibst du’s nicht Stephen, ich meine, das, was du ihr geben willst. Würde mich nicht wundern, wenn er losfährt und sie sucht.«
Troy nickte. »Ja, super Idee. Welcher Stock?«
»Fünfter«, sagte der andere und setzte sich in Bewegung.
Troy blickte an der Fassade hinauf. Einen Moment überlegte er, ob er hoch zu diesem Weichei sollte, um sich selbst davon zu überzeugen, ob er wirklich nichts wusste. Er faltete seine Hände und ließ die Fingerknöchel knacken. Doch dann entschied er sich, nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Außerdem war er sich sicher, dass Stephen seinem Freund die Wahrheit gesagt hatte. Der Typ wusste wirklich nicht, wo seine Freundin war.
Sie hatte ihn gelinkt. Eine unbändige Wut kochte in ihm hoch. Diese miese kleine Puppe! Na, warte! So einfach entkommst du mir nicht!
Seine Wut half ihm nicht weiter. Jetzt nur keine Panik, sagte er sich, ich muss nachdenken und mich ausruhen. Ich brauch ein Bett, was zu essen und Kohle. Und dann geht’s zum Eigentlichen.
Die Vorstellung dieses Rendezvous jagte ihm ein Kribbeln über den ganzen Körper.
Er überquerte wieder die Straße und stieg in den weißen Corolla. Eine Scheißkarre, aber wenigstens ohne Wegfahrsperre – und unauffällig.
Bis zu seiner Mutter waren es zwei Stunden mit dem Auto.