Читать книгу Puppenrache - Manuela Martini - Страница 8
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ОглавлениеEr war zum Auto zurückgegangen, hatte sich reingesetzt, das Fenster heruntergefahren und sich eine Zigarette angesteckt. Das war ein Spaß gewesen, da drin! Hab ich dich doch gefunden, Puppe!, dachte er zufrieden. Und ihr Gesicht dabei! Wie eine angestochene Sau!
Mann, Mann! Er schüttelte grinsend den Kopf und sah den Rauchkringeln nach, die in die Nacht schwebten. Wie dunkel es hier war. Das kannte er gar nicht mehr. Keine gleißenden Scheinwerfer, keine Bewegungsmelder ... bloß ein paar Straßenlaternen an der Ecke. Er streckte den Kopf aus dem Fenster und sah in den Nachthimmel. Das Dröhnen aus den Bars klang wie aus weiter Ferne. Ihm summten jetzt noch die Ohren. Nichts mehr gewöhnt!, dachte er und warf die Kippe aus dem Fenster auf den Bürgersteig. Mann, das Leben konnte so einfach sein.
Allerdings – er hätte da drin ja schon gern ein bisschen Spaß gehabt. Da waren ein paar Bräute gewesen, die er nicht übel fand, an die hätte er sich gerne rangemacht. Aber er durfte kein Risiko eingehen, das wusste er. Das machte leider überhaupt keinen Spaß. Er fühlte sich so ... so aufgeheizt ...
Er zündete sich eine neue Zigarette an, vielleicht half die beim Entspannen.
»He Kumpel, du weißt, was du mir schuldig bist!«, hatte er dem Arschloch gesagt. Und das Arschloch hatte Grips genug, das zu kapieren. ’ne anständige Versorgung mit Kokain war schließlich keine Kleinigkeit! Das war echter Service! Und dieses Arschloch hatte das für ’ne Weile vergessen! Bloß weil er, Troy, im Knast saß, in einer verpissten Zelle, die dieses Arschloch auf- und zuschloss. Tja, manche Typen hatten echt nur Kakerlakenkacke im Hirn!
Troy hatte ein bisschen fester zugetreten und zugedrückt als nötig. Um ihn noch mal dran zu erinnern. An die Facts! Um klarzumachen, wer hier am längeren Hebel saß. Im Endeffekt hatte er ihm damit sogar einen Gefallen getan. So musste das Arschloch sich jetzt beim Lügen wenigstens keine Mühe geben. Troy habe ihm beim Aufschließen der Zellentür ein Messer an die Kehle gehalten, ihn in die Zelle gezerrt, ihn bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und ihm anschließend seine Uniform genommen und den Schlüssel. »Nein, ehrlich, ich weiß nicht, woher der Häftling das Messer hatte«, würde das Arschloch den Bullen sagen, die den Ausbruch untersuchten. Und sie würden ihm sicher glauben, bei mindestens zwei gebrochenen Rippen. Er hatte es knacken gehört.
Das war erst gestern gewesen. Super Timing.
Er warf die Zigarette aus dem Fenster. Die Zigarette hatte ihm noch mehr Lust gemacht. Jetzt braucht Troy-Boy aber unbedingt eine kleine Belohnung! Bevor es zum Eigentlichen geht!
Er sah wieder aus dem offenen Fenster auf die Straße. Warf einen Blick in den Außenspiegel und setzte sein süßestes Grinsen auf. Die Scheißbullen hatten ja nichts Besseres zu tun gehabt, als seine Visage in den Zeitungen zu drucken und in der Glotze zeigen zu lassen. Aber so nett wie jetzt sah er da nicht aus. Er hatte viele Gesichter. Trotzdem. Aufpassen. Immerhin hatte er sie sich da drinnen im Klub schon mal aus der Nähe gezeigt. Langsam, langsam, sonst brachte er sich ja um den Spaß an der Sache. Zum Eigentlichen würde er später kommen. Und bis dahin wollte er sich noch ein bisschen die Zeit vertreiben.
Wie wär die kleine Schlampe dort drüben, die mit den langen blonden Haaren und den Pants, die gerade da aufhören, wo die Arschbacken anfangen? Echt nuttig. Wo will die denn hin? Die ist doch sicher noch nicht mal siebzehn. Gefällt sie dir, Troy-Boy? Sieh mal, wie sie sich von ihren Freundinnen verabschiedet! »Ciao, Tess!« Küsschen rechts, Küsschen links.
Mann, die sind alle ganz schön scharf, brav und scharf – und vielleicht sogar erst sechzehn. Troys Kehle wurde trocken und ihm entfuhr ein heiseres Keuchen. Noch einen Moment, bis sie sich alle abgeknutscht haben ... hoppla, ganz nüchtern sind die Schlampen auch nicht mehr, so wie die gackern und torkeln.
Die drei zogen endlich ab und Tessie-Schatz machte sich nun allein auf den Weg. Tja, das arme Lämmchen musste definitiv gerettet werden!
Er öffnete die Tür.
»Tess? Richtig?«
Sie drehte sich in seine Richtung. Sie war etwa sechs Meter von ihm entfernt. Die Straße war nicht gerade hell beleuchtet, aber auch nicht ganz düster. Und still war es auch nicht. Sie hatte sicher keine Angst.
»Du bist doch Tess, oder?«
Sie nickte benommen.
»Gott sei Dank! Sorry, dass ich dich einfach so hier überfalle, aber ich soll dich abholen und nach Hause fahren.«
Er machte einen Schritt in ihre Richtung. Sah, wie sie unter dem Pony ihrer blonden Mähne die Stirn in Falten legte und offensichtlich nachdachte.
»Deine Mutter hat mich gebeten ...« Ein Schuss ins Blaue. Blöd, wenn die Alte schon unter der Erde lag oder mit einem anderen Typen durchgebrannt war ...
»Wieso?«
»Die Taxifahrer streiken. Und wie sollst du jetzt nach Hause kommen?«
Er sah, wie sich ihr süßes, alkoholgetränktes Hirn abmühte, seine Behauptungen zu prüfen. Zum Glück fuhr gerade kein Taxi hier vorbei.
»Wer sind Sie überhaupt?« Ihre Stimme klang schrill. Aber wahrscheinlich war das normal bei ihr. Passte jedenfalls zu diesem blasierten Blick und den ewig langen Beinen ...
Er war jetzt fast bei ihr. Müsste bloß noch die Hand ausstrecken ...
Er setzte sein kumpelhaftes, harmloses Lächeln auf. »Sorry, hab ich ganz vergessen. Tony.«
Tess stand da, irritiert, unentschieden.
»Meine Kumpels dürfen es natürlich nicht erfahren«, fügte er hinzu.
»Was?« Sie begriff überhaupt nichts mehr.
»Dass ich ein verfluchter Streikbrecher bin!« Er lachte: »Komm, beeilen wir uns, sonst glaubt deine Mom noch, ich bin einfach mit ihrem Geld abgehauen und hab mir einen schönen Abend gemacht.« Unauffällig tippte er in der Hosentasche auf sein Handy, dass es einen Probeklingelton spielte. »Entschuldige!« Er hielt das Handy ans Ohr.
»Ja, okay, wo? Ja, ist in Ordnung. Ich denke mal ... in einer halben Stunde? Und wohin möchten Sie? Surry Hills. Okay, kein Problem, ich bin pünktlich.« Er steckte das Handy weg.
Oh, wie die winzigen Rädchen in ihrem kleinen, süßen Köpfchen ratterten!
»Viel los heute! Mann, wie sollen die Leute auch nach Hause kommen? Bezahlung hin oder her, aber ich finde, man hat eine Verantwortung als Taxifahrer.« Er lächelte wieder. »Also, hier entlang.« Er wies die Straße hinauf zu seinem Auto.
Sie folgte ihm, wenn auch etwas zögerlich, aber seine Handytour und diese Sache mit der Berufsehre hatten wohl gewirkt ...
»Aber das ...« Sie blieb plötzlich stehen, anstatt einzusteigen, wo er ihr doch schon die Tür aufhielt. »Das ist ja gar kein ...«
»... gar kein Taxi?« Er lachte. »Natürlich nicht, was glaubst du, was die Kollegen aus mir machen, wenn sie mich in meinem Dienstwagen sehen würden? Hackfleisch! Das ist natürlich ein Privatwagen.«
Irgendwas war wohl nicht ganz überzeugend, jedenfalls stieg sie noch immer nicht ein. Noch einen Versuch, dachte er, dann ziehen wir andere Saiten auf.
»Tess, ich dachte, deine Mutter hätte dir Bescheid gesagt, dass ein Taxi hier auf dich wartet – zumindest hat sie mir am Telefon gesagt, dass sie dich erreichen will. Also, wir müssen echt los oder ich muss dich hier stehen lassen, mein anderer Kunde wartet vor der Oper am Hafen und das ist noch ein ziemlich langer Weg bis ...«
Endlich nickte sie, stieg ein und er warf die Tür zu. So ganz behaglich war ihr nicht zumute, merkte er, aber jetzt war sie drin. Er stieg auch ein, startete den Motor, fuhr los – und verriegelte die Türen.
»Ich bin letzte Woche hier in der Oxford Street überfallen worden. Von einem verdammten Junkie. Seitdem geh ich auf Nummer sicher.«
Sie nickte wieder. Er lächelte. Mann, war das ein Spaß! Und er hatte noch nicht mal richtig angefangen ...
Als sie anfing, Fragen zu stellen: »Wie hat meine Mutter denn von dem Taxistreik erfahren?«, und auf dumme Ideen zu kommen: »Ich ruf sie schon mal an und sag ihr, dass wir unterwegs sind«, bog er in die Einfahrt der Lagerhalle ein.
»Aber ... was machen wir denn hier?«, ließ er sie noch fragen, dann schaltete er die Scheinwerfer aus und zog ihren Kopf zu sich herüber. »Dreimal darfst du raten, Tessie.«
Ihr Blick, die Augen, der offene Mund! Schon dafür lohnte es sich – beinahe.
»Jetzt komm schon, stell dich nicht so an, je weniger du dich sträubst, umso leichter ist es. Glaub mir. Ich hab Erfahrung.«
Dann machte er seinen Reißverschluss auf.
Am Morgen, als Stephen ihr einen Kuss gab, schloss sie die Augen. Auch diesen Kuss wollte sie niemals vergessen.
»Bis heute Abend!«, rief er ihr zum Abschied zu.
»Pass auf dich auf«, sagte sie.
Die Tür fiel ins Schloss und sie hörte, wie sich auf der Treppe seine Schritte entfernten. Sie stand auf und ging wie immer zum Fenster und sah hinunter.
Zäh floss der Verkehr unten auf der Straße vorbei, auf allen vier Spuren, die einen wollten in die Stadt, die anderen hinaus. Die einen waren Pendler, die anderen auf dem Weg in den Süden oder in den Norden des Landes. Jetzt kam Stephen aus dem Hauseingang. Er drehte sich um und sah zu ihr hinauf, wie immer. Und sie winkte ihm zu, wie immer.
Er wusste nicht, dass es zum letzten Mal war, und lachte. Sie sah ihm zu, wie er sich zwischen den Autos den Weg über die Straße bahnte, und über den Parkplatz ging, zur vierten Reihe, wo der grüne VW-Bus stand.
Sie sah ihm zu, wie er aufschloss, einstieg, rückwärts aus der Parklücke rangierte und sich dann in den Verkehr Richtung Innenstadt einfädelte.
Manchmal stand sie noch eine ganze Weile da am Fenster und träumte von einem anderen Leben. Von dem, wie es vielleicht hätte werden können. Vielleicht wäre sie wie Amber aufs College gegangen, bestimmt wäre sie an den Wochenenden mit ihr und anderen Freunden ausgegangen. Und sie wäre wie immer der Mittelpunkt gewesen. Weil sie so lustig war, immer gut gelaunt, weil es mit ihr nie langweilig war, weil sie immer Ideen hatte. Weil sie nicht gern zu Hause hockte, sondern voller Energie war. Früher zumindest war sie so gewesen ...
Stephens VW-Bus war hinter der Kurve verschwunden, sie wandte sich ab und sah auf die Uhr. Kurz nach acht. In einer Stunde würde Supercash öffnen. Lisa würde glauben, dass sie trotz ihrer gestrigen Beteuerungen nun doch krank wäre.
Sollte sie ihr eine Nachricht schicken?
Nein, beschloss sie, so wenig Risiko wie möglich. So unauffällig wie nur möglich bleiben. Keine unnötigen Infos streuen. Nur Stephen schrieb sie eine Nachricht, legte den Zettel auf die Couch. Dort würde er ihn sofort finden, wenn er nach Hause kam.
Sie schob einen Stuhl vor den Einbauschrank im Flur, stieg hinauf und zog aus dem obersten Fach ihre Reisetasche, warf Unterwäsche, ein paar T-Shirts, zwei Hosen und ein Paar Schuhe hinein, schnappte ihren Kulturbeutel im Badezimmer, packte ihn auch in die Tasche, nahm ihre Denimjacke von der Garderobe und drehte sich noch einmal um.
Sie versuchte, alle Gefühle in sich auszuschalten, so, wie sie es schon den ganzen Morgen über getan hatte, nachdem sie aufgewacht war und ihr Entschluss feststand. Sie wollte sich verbieten zurückzudenken, aber es funktionierte nicht.
»Willst du nicht bei mir wohnen?«, hatte Stephen nach drei Monaten gefragt. »Wenn es dir nicht gefällt, ziehst du halt wieder aus.«
Das Apartment hatte ihr gleich gefallen. So hoch oben kam es ihr sehr sicher vor. Viel sicherer als ihr Zimmer im Wohnheim, das noch nicht mal ein stabiles Schloss hatte. Und es hatte sich tatsächlich gut angefühlt, hier zu sein. Eine Weile hatte sie sich tatsächlich gerettet gefühlt.
»Bye«, sagte sie leise. »Bye, Stephen, ich wär so gern anders zu dir gewesen, ich hätte dir so gern alles erklärt ... danke für alles.« Ein paar Tränen kündigten sich an, entschieden wischte sie über die Augen. So war es am besten. Es gab keine andere Möglichkeit.
Schnell ging sie hinaus, schloss die Tür und warf unten am Hauseingang den Schlüssel in den Briefkasten.
Auf der Straße drehte sie sich nicht mehr um und schlug den Weg zur Bushaltestelle ein. McCafferty fuhr am Bahnhof ab und von dort gingen Busse überallhin.