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Kapitel 2
ОглавлениеShane
Shane stieg aus dem Flieger. Die Hitze hatte ihn mit dem Polster verschmolzen. Die Hose war vom Scheiß klebrig geworden, sein dezent gestreiftes Hemd auch. Während sich Hunderte von schwarzen und roten Fliegen durstig auf seinen Schweiß stürzten rollte ein Polizeiwagen auf ihn zu. Hinter dem Steuer des Wagens, hatte sich ein Kloß in Uniform gequetscht, der sich nun aus dem Auto mühte und sagte:
„Paddy Dunegal. Hat man Sie strafversetzt?“
Dunegal: Ein Endfünfziger mit weit auseinander stehenden Augen, einem dichten grauen Fellbewuchs auf dem Kopf, abstehenden Ohren und einem runden Kinn unter einer Knollennase. Das Uniformhemd unter spannte unter den Achseln und war dunkel von Schweiß.
Shane ignorierte die Bemerkung, behielt die Sonnenbrille auf und knurrte:
„Shane O’Connor.“
„Sie mögen keine Witze, oder? Na ja, aber ob Sie es glauben oder nicht, mir gefällt es in dem Ort. Wir sind wie eine große Familie. Und das hier, das hat es noch nie bei uns gegeben.“ Paddy Dunegal schnaubte, und Shane ahnte, dass ihm Paddy das Leben nicht so einfach machen würde. Er setzte sich auf den Beifahrersitz des Wagens. Paddy Dunegal schlug die Tür zu und Shane bemerkte den Schweißgeruch im Auto.
„Irgendein Hinweis, um wen es sich bei dem Toten handeln könnte?“, fragte er, um einen Anfang zu machen, während Dunegal den Wagen startete. „Jemand vermisst hier in der Gegend?“
Paddy warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu.
„Nein. Keiner. Lediglich ´ne Frau vor zwei Jahren, ist aber wieder aufgetaucht. In Darwin. Hatte sich in einen Fleischpastetenverkäufer verliebt, der sich dann als Heiratsschwindler entpuppte.“ Paddy schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Eins sag ich Ihnen, hier hat es so was noch nie gegeben!“ Und es klang, als empfände er es als persönliche Beleidigung, dass jemand es wagte, Unruhe in sein Reich zu bringen.
Die breite Straße war voller Schlaglöcher, denen sich nicht immer ausweichen ließ. Rechts und links der Straße schlossen sich die Vorgärten einfacher Holzhäuser an. Lehmfarbige Rasenflächen zeugten von der Trockenheit. Grau fleckige Caravans klebten an den dünnen Wänden der Häuser, deren Bewohner entweder zuerst im Caravan gelebt und dann das Haus daran gebaut hatten, oder zur Erweiterung des Hauses einfach einen Caravan dazugestellt hatten. Eine Schule, ein Haus mit der Aufschrift CWA – Country Women Association. Shane sah niemanden auf der Straße. Kein Wunder, dachte er, schließlich war es ein Uhr mittags und über dreißig Grad heiß. Er war schon öfter an solchen Orten gewesen, und die Ermittlungen hatten sich immer zäh gestaltet, und wenn sie noch so zerstritten untereinander waren – gegen einen fremden Detective aus der Stadt hielten sie plötzlich alle zusammen.
Sie bogen in eine Seitenstraße und fuhren etwa einen Kilometer stadtauswärts. Am Ende der geteerten Straße konnte Shane einen großen Parkplatz sehen, einen Bagger, Autos und mindestens zwanzig Menschen.
„Detective Philipp Russell aus Charleville ist vor einer Stunde zurück gefahren, hatte einen wichtigen Termin“, sagte Dunegal beiläufig bevor er losstapfte. Shane ärgerte sich, dass der für die Region zuständige Polizist nicht dageblieben war. Was bildete sich dieser Russell eigentlich ein?
„Wir haben alles abgesperrt“, sagte Paddy und schwitzte schon wieder wie ein Schwein.
„Das hoffe ich!“, murrte Shane, schritt ein paar Meter über einen offensichtlich erst kürzlich geteerten Parkplatz zu der Gruppe von Menschen, die von einem rot-weißen Band davon abgehalten wurden, näher an die Grube heranzutreten. Da blieb Paddy Dunegal plötzlich stehen, sodass Shane beinahe auf ihn geprallt wäre. Paddy drehte sich zu ihm um und sein Ton hatte es Warnendes:
„Falls Sie es nicht wissen sollten: Ich hab mal einen gefährlichen Mörder gefasst. Und zwar allein.“ Paddy lockerte seinen Hemdkragen. „Sehen Sie die Narbe? Nur einen halben Zentimeter von der Halsschlagader, an den Rippen hab ich auch eine.“
Shane hoffte, er würde sich jetzt nicht auch noch das Hemd vom Leib reißen.
„Dass die mich bei der Beförderung übersehen haben“, fuhr Paddy fort, „ist mir ganz recht. Mir gefällt es hier. Und meine Leute verteidige ich wie ´ne Schlangenmutter ihre Jungen. Nur, damit wir uns verstehen, Sie und ich.“
Gerade noch rechtzeitig dachte er an das Foto von ihm in der Zeitung, er wollte ja nicht hier und jetzt seine Karriere vollends beenden. Also nickte er nur, bückte sich unter dem Band hindurch und stand direkt vor dem Aushub. Unter ihm lag ein zweifellos menschlicher Körper, ohne Kopf und ohne Kleidung, in einem weit fortgeschrittenen Verwesungsstadium. Er hätte nicht sagen können, ob der Tod genauso lange oder länger zurücklag als bei der Leiche, die er am Morgen bei Howard gesehen hatte. Ein kleiner, filigraner Mann war damit beschäftigt, die Hände der Leiche mit Plastikbeuteln zu verkleben, damit eventuell vorhandene Gewebereste unter den Fingernägeln oder Fingerabdrücke untersucht werden könnten. Ein anderer, bulligerer Mann mit militärischem Kurzhaarschnitt machte gewissenhaft von allen Seiten Aufnahmen.
„Das ist Constable David Webster.“ Dunegal schlug seinen Arm auf die Schulter eines jungen, schmächtigen Polizisten, der an der Absperrung wartete. David Webster streckte Shane eifrig die Hand entgegen. Sie war feucht. „Willkommen in Coocooloora“, sagte er hastig und errötete dabei. „Das hat er schön gesagt, oder!“ Dunegal lachte und Webster sah unbehaglich drein.
Plötzlich flutete Adrenalin in seine Blutbahn, und riss ihn heraus aus seinem Zustand der müden Übellaunigkeit. Die Schwarzhaarige im weißen Overall mit ihrem Köfferchen ... musste die Gerichtsmedizinerin sein. Er hatte sie noch nie gesehen. Vielleicht war sie neu?
„He, Detective, Sie sind doch der Detective! Also, dafür lass ich keinen Sarg ankarren!“, krächzte es aus einer anderen Richtung. Vor Shane baute sich eine kleine, ältere Frau in rosafarbener Kittelschürze auf.
„Ah, Abigail, das ist Detective Shane O’Connor“, begrüßte Paddy die Frau, die unablässig ihren graugelockten Kopf schüttelte. Tremor, dachte Shane, oder Parkinson ...
„Das ist Abigail Hicks, die Bestattungs-unternehmerin.“ Dunegal schob, für seinen Körperbau besonders sanft, Abigail in Richtung Shane.
„Letzte Woche hatten wir ´n schönes Begräbnis, ´n weißer kleiner Sarg“, plapperte sie munter vor sich hin, „ich hab noch ´n paar kurze rote Rosen draufgesteckt. War die kleine Miller, war wirklich süß!“
Shane wusste nicht, ob sie mit „süß“ das Mädchen oder den Sarg meinte. Er reichte ihr die Hand, die sie übersah. „Aber das hier ist wahrscheinlich einer der alten Ureinwohner“, ging es weiter, „die wollen ja sowieso lieber in ´nem Baumstamm beerdigt werden. Ich pack’s jetzt. Hab noch ´ne Menge Schreibkram zu erledigen. Ach Gott, heut ist ja Mittwoch. Wahrscheinlich steht er schon vor der Tür.“
„Hoho, Abigail, hast du ´nen neuen Verehrer?“ Paddy Dunegal lachte, dass Bauch und Kinn waberten und seine Schweinsaugen fast in den Speckfalten verschwanden.
„Nachdem du ja regelmäßig einschläfst!“, erwiderte sie, ohne eine Miene zu verziehen. Paddy lachte noch lauter, sagte: „Du alte Hexe!“
Wo ist sie, überlegte Shane indessen, und schaute sich erfolglos nach der Gerichtsmedizinerin um.
„Aber wenn’s dich beruhigt, ich erwarte keinen Verehrer, sondern den Blumenstrauß von meiner Tochter“, sagte Abigail und wandte sich an Shane: „Schickt sie mir alle zwei Wochen, weil sie mir zu meiner Beerdigung keine Blumen mehr kauft, sagt sie.“
„Praktisch veranlagt, ihre Tochter“, sagte Shane, er wollte nicht ganz unhöflich sein. Wenn man sich es mit den Leuten verdarb, konnte man gleich wieder heimfahren.
„Was?“ Abigail hielt sich die Hand ans Ohr.
„Sie hört schlecht“, erklärte Paddy. Abigail rammte ihren Gehstock auf die Erde. „So, ich werde ja hier nicht mehr gebraucht, he, Detective, wenn Sie länger hier sind, besuchen Sie mich mal, freu mich über ´nen jungen Mann, der ´ne Tasse Tee mit mir trinkt!“
Shane sah ihr nach, wie sie zu dem klapprigen Pritschenwagen zockelte, an der Tür rüttelte, fast rückwärts umfiel, als die Tür quietschend aufsprang, und sich irgendwie hineinhievte.
„Sie fährt noch?“, fragte Shane.
„Was dagegen?“, blaffte ihn Paddy an. Shane seufzte.
Der Roadworker, Keith Duff, ein gedrungener, zäher Mann, stellte sich vor und erklärte, dass sein Vorgänger Alkoholprobleme gehabt und vor einem halben Jahr unter anderem die Stromkabel für die Beleuchtung des Parkplatzes vergessen habe. Weshalb er, Keith, mit seinem Kollegen ein Stück der geteerten Fläche wieder habe aufreißen müssen, wobei er diesen Fund am Morgen gemacht habe. Shane notierte Name und Firma.
„Und was war vorher an der Stelle?“ Keith Duff zuckte die Schultern.
„He, Paddy, was vorher an der Stelle?“, fragte Shane verärgert.
Ein stämmiger, vierschrötiger Mann löste sich aus der Gruppe von Menschen. „Was soll hier schon gewesen sein?“, raunzte er und schob sich den Hut aus der Stirn. „Sehen Sie sich doch mal um! Hier wächst kein verdammtes Gras. Nichts für Rinder. Nichts war hier! Gar nichts!“
„Na, dann ist ein Parkplatz natürlich eine geniale Lösung“, sagte Shane trocken. Schon jetzt hing ihm der ganze Ort mit seinen idiotischen Einwohnern zum Hals heraus.
„Gehört das Grundstück Ihnen?“, wandte er sich an den bulligen Mann.
„Verdammt, ja. Ich bin übrigens Billy Henderson. War auch ein harter Kampf. Und jetzt das!“ Billy Henderson warf den filterlosen Zigarettenstummel in die Grube.
„Harter Kampf?“, wiederholte Shane.
„Schon mal was von Native Title gehört?“, schnauzte Billy und begann, sich eine neue Zigarette zu drehen.
„Aber davon habt ihr in der Stadt ja keine Ahnung! Ihr seid fein raus, habt einfach beschlossen, dass eure Städte, Gärten und Häuser von den Aborigines nicht wieder zurückverlangt werden dürfen. Clever! Aber uns lasst ihr hängen! Scheißregierung!“
„Billy, ich erwarte Sie morgen um zehn in der Polizeistation. Da erklären Sie mir das nochmal.“
Billy Henderson neigte den Kopf und sah Shane aus schmalen Augen an.
„Hören Sie, ich erkläre es Ihnen auch gern hier und jetzt.“ Er stand jetzt breitbeinig vor Shane. „Hier kommt ´n Bowling Club hin, mit Spielautomaten, Bar, Restaurant und ´n paar schicken Zimmern. Und das alles auf meinem Grundstück.“ Er sah Shane noch kurz in die Augen, dann stapfte er zu einem Toyota Landcruiser, neuestes Modell.
„Gehört die Stadt ihm?“ Shanes Laune näherte sich dem Nullpunkt.
„Nein, nur das Motel“, knurrte Paddy.
„Etwa ein Fünf-Sterne-Schuppen?“ Er hörte nicht mehr, ob Paddy etwas erwiderte.
„Sind Sie der Detective?“ Er sah auf dunkelrote ungeschminkte Lippen. Die Gerichtsmedizinerin hatte ihr Arme in die Hüften gestemmt. Für eine Asiatin war sie groß.
„Eliza Lee.“
„Shane O’Connor“, erwiderte er so desinteressiert wie möglich, „habe Sie noch nie gesehen.“ Er schaute an ihr vorbei, doch ihm entging nicht, dass sie ihren Mund spöttisch verzog.
„Tja, ich Sie auch noch nicht.“ Ihre Stimme fiel ihm auf, samtig, dunkel. „Sind Sie gestürzt?“ Sie deutete auf seine aufgeplatzte Lippe. Das hatte er schon vergessen.
„Nein.“
„Haben Ihre Augen auch was abgekriegt?“
„Wieso?“ fragte er irritiert.
„Was verstecken Sie denn sonst hinter ihren schwarzen Panzergläsern?“
Reflexartig nahm Shane die Sonnenbrille ab und hätte sich im gleichen Moment dafür ohrfeigen können.
„Ah“, sie lächelte spöttisch und Shane setzte hastig die Sonnenbrille wieder auf.
„Wie ich schon nach Brisbane berichtet habe“, sagte sie nun sachlich, „handelt es sich nicht wie in den vorangegangen Fällen um eine weibliche, sondern um eine männliche Leiche, die enthauptet wurde. Außerdem fehlt wahrscheinlich der Stich in den Bauch. Das Opfer hatte übrigens einen Waden- und Schienbeinbruch links.“ Sie drehte sich um.
„Wieso sollte plötzlich ein Frauenmörder einen Mann umbringen“, warf Paddy ein, „und wo ist der verdammte Kopf? Wie ich mitbekommen habe, waren Kopf und Klamotten bei den anderen Fällen immer in der Nähe vergraben, hab ich Recht? Also, ganz ehrlich, ich würde Ihnen nicht raten, den ganzen Platz aufreißen zu lassen. Da hat Billy Henderson sicher was dagegen.“
Shane ärgerte sich, dass die Gerichtsmedizinerin ihn so einfach hatte stehen lassen. Er wandte sich zu Paddy:
„Eins merken Sie sich: Ob Billy oder sonst irgendjemand irgendetwas gegen die Art meiner Ermittlungen hat, ist mir verdammt egal. Der Parkplatz wird aufgerissen. Und zwar der ganze!“ Er sah sich um. „Und wo kann ich hier wohnen? Ich kann mich nicht entscheiden, Paddy, ob im Hilton oder im Hyatt. Was würden Sie mir empfehlen?“
„Die Zimmer im Pub sind ganz in Ordnung“, antwortete Paddy Dunegal trocken. Bestimmt, dachte Shane. Er konnte sie sich schon vorstellen.
Paddy drückte die Schwingtür des Coocooloora-Pubs auf. Countrymusik jammerte aus den Boxen, Spielautomaten fiepten, Männer mit Hüten lehnten an der Theke. Die Luft roch nach Fett, Zwiebeln, Zigaretten und Bier. Genauso hatte es sich Shane vorgestellt.
„Hi, Paddy! Das ist ja ´ne Geschichte, und das bei uns!“, rief die Frau hinter der Theke, eine blasse Mittfünfzigerin mit fettigem Haar.
„Der Frauenkiller hier bei uns! Ich hab schon den ganzen Tag ´ne Gänsehaut!“
„Hi, Kate!“ Dunegal hob die Hand zum Gruß. „Das war nicht der Frauenkiller, diesmal hat es einen Mann erwischt.“
„Oh, Gott, jetzt ist ja keiner von uns mehr sicher!“, Kate stieß einen lauten Seufzer aus, um dann gleich wieder sachlich zu fragen:
„Was darf es sein? Steaks oder Hamburger?“
„Für mich ´en Steak und ´en Bier, Kate. Den Hamburger hatte ich die letzten beiden Male. Man soll sich ja schließlich abwechslungsreich ernähren.“ Paddy klopfte auf seinen Bauch.
„Und für Sie?“, wandte sich Kate an Shane. „Sie sehen so aus, als hätten Sie was Kräftiges nötig. Die Steaks sind zart.“
„Das will ich hoffen!“, meinte Paddy lachend und ging zu einem Tisch, „letztes Mal sind mir beinahe die Zähne drin stecken geblieben. Das ist übrigens Detective Shane O’Connor, direkt aus Brisbane! Benehmt euch ´en bisschen, Leute, damit er keine schlimmen Gerüchte von uns Bushies in die Welt setzt.“
„Hallo, Detective!“, schnurrte Kate. „Also?“
„Ich nehm auch das Steak“, sagte Shane und Kate strahlte ihn an, „und eine Cola.“ Er setzte sich zu Dunegal an den Tisch.
„Diese ganze Stimmungsmache gegen das Cholesterin!“, fing Paddy an, „ich sag immer, an irgendwas muss man ja sterben! Dann doch lieber an ´nem Herzschlag als an Krebs.“ Kate brachte die Getränke und Paddy nahm einen Schluck.
„Meine Frau hat stets drauf geachtet, dass ich nichts Falsches gegessen habe. Paddy, keine Steaks mehr!, hat sie gesagt, und die Pommes sind auch tabu!“ Er lachte kurz. „Dann ist sie zuerst gestorben – vor mir. Dabei war sie nie krank. Lungenkrebs.“ Er trank das Bier aus, „hat ihr Leben lang keine Zigarette angerührt.“ Er sah ins leere Glas und Shane fürchtete eine Lebensbeichte.
„Es hat nicht so lange gedauert, aber, wissen Sie, danach bin ich aus der Kirche ausgetreten. Wenn es einen Gott gibt, dann kann er so ein Leid nicht zulassen.“ Paddy schüttelte den Kopf. „Ach, reden wir von was anderem! Von fremden Toten. Fällt leichter.“
„Sind Sie schon lang hier?“, fragte Shane.
„Das kann man wohl sagen. Letztes Jahr hatte ich mein fünfunddreißigjähriges Jubiläum.“
„Nie ´ne Versetzung?“
„Doch! Bin schon rumgekommen, aber nachdem meine Frau tot war, wollte ich hierhin zurück. Tja, und seit sieben Jahren bin ich wieder hier. Gefällt mir hier. Ist alles meine Familie. Meine Tochter ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mein Sohn studiert in Melbourne Literatur. Haben Sie Kinder? Kate, noch ´n Bier – zwei Bier!“
„Nein, für mich noch ´ne Cola“, sagte Shane und antwortete schneller als er wollte: „Ich habe eine Tochter, aber sie lebt bei ihrer Mutter.“ Shane registrierte Widerwillen, Paddy etwas über sein Leben zu erzählen.
„Hm, ja, ja, das ist schon was mit den Kindern. Da freut man sich, wenn sie größer werden und man ihnen was beibringen kann, und dann wollen sie nichts mehr von einem wissen, werden einem ganz fremd.“ Paddy schwitzte. Er wischte sich die Stirn und den Nacken mit einem Taschentuch ab, das fast so groß wie ein Handtuch war.
„So, Achtung, heiß!“ Kate brachte die Steaks. „Guten Appetit!“ Sie senkte die Stimme: „Weiß man denn schon, wer der Tote ist?“ Schnell warf sie ein paar Blicke um sich, und sprach noch leiser: „Und der Mörder – meinen Sie etwa, es war jemand von hier?“
Bevor Shane etwas sagen konnte schüttelte Paddy den Kopf.
„Ich wette, dass der Kerl mit der Leiche im Auto durch den Ort gefahren ist und gedacht hat, das ist ´n guter Platz, da am Ende der Stadt. Da wird nie jemand was finden. Reiner Zufall, dass der da vorbeigekommen ist. Der Mörder ist keiner von uns. Ich kenne hier alle in- und auswendig.“ Dunegal kaute und schwitzte. „Kate, das Steak ist klasse!“
„Danke, Paddy. Ich kann mir ja nicht leisten, gleich zwei Polizisten zu vergiften!“ Doch dann änderte sie ihren Ton und sagte gedämpft:
„Vielleicht war es ja einer von den Blackfellows. Wenn die gesoffen haben, nicht wahr, Paddy ...?“ Sie warf Paddy einen um Unterstützung heischenden Blick zu und eilte zurück hinter die Theke. Sie trug dreiviertellange bunt gemusterte Leggins, stellte Shane fest. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Er seufzte lautlos. Die Steaks waren verkohlt und die Pommes fettig, aber er wusste, dass wenn er sich beschwerte, er sich gleich zwei Feinde machte. Also aß er.
„Sie sind sicher der Detective aus der Stadt“, hörte Shane sagen und drehte sich um.
„Das ist Jeff Petterson vom Outback-Radio in Charleville“, stellte Paddy Dunegal den langen, hageren Kerl vor. „Er macht alles, was mit Unfällen, Katastrophen und anderen weltbewegenden Themen zu tun hat. Jeff, das ist Detective Shane O’Connor aus Brisbane, geschickt, um unseren Barbareien auf den Grund zu gehen!“ Paddy lachte dröhnend, „setz dich.“
Jeff rückte einen weiteren Stuhl an den Tisch und verzog sein Pferdegesicht zu einem Lächeln. Seine hellen Augen flackerten und unter seiner Haut traten Adern und Sehnen hervor. Er sah aus als stünde er ständig unter Strom.
„Und Detective, wie gehen Sie jetzt vor? Das ist ja wohl kein Opfer dieses Frauenkillers!“ Jeff hatte bereits sein Aufnahmegerät gezückt und hielt es Shane unter die Nase. Der schob es zur Seite wie einen verdorbenen Fisch. Paddy stopfte sich Pommes in den Mund und sagte kauend:
„Langsam Jeff, der Detective kennt die Leute hier ja nicht.“ Er schluckte und seine Worte klangen nun etwas deutlicher. „Ich bin ziemlich sicher dass die auch nicht gerade heiß darauf sind, mit einem Fremden aus der Stadt zu reden, oder Jeff?“
Jeff verzog wieder das Gesicht. „Hast wahrscheinlich Recht.“
„Eben“, sagte Paddy, „da hilft Ihnen Ihre ganze Ausbildung nichts, O’Connor!“ Seine Schweinsaugen leuchteten triumphierend auf.
„Ich meine, das hat man ja schon bei Billy Henderson gesehen, an den kommen Sie nicht ran“, redete Paddy weiter, schluckte erneut und schüttete Bier hinterher. Von seinen Lippen troff Fett, und auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
Shane spürte, wie seine Kiefermuskeln malmten. „Ich bin schon mit anderen fertig geworden, Paddy“, sagte er, und er gab sich keine Mühe mehr, harmlos zu klingen. „Und morgen reißen wir den Parkplatz auf und suchen den Kopf.“ Dabei bemerkte er Paddys zornig zuckende Mundwinkel und Jeffs amüsiertes Lächeln.
Andy
Im Nachhinein fiel es Andy wieder ein: das erste, was er von Coocooloora gesehen hatte, war das kugeldurchsiebte Shell-Schild neben dem Highway.
Willkommen in Coocooloora 10 Minuten bis zur Tankstelle
stand da in roter Schrift, und jemand hatte das zweite O von Coocooloora exakt durchschossen. Dann, Werbeschilder für eine Autowerkstatt, Best’s Coffee Shop, Übernachtungen im Stonewall-Motel, Lunch und Dinner im Coocooloora-Pub. Morgen bin ich schon in Lambina und stecke meinen Claim ab, dachte er und sah weiter zum Fenster hinaus.
Die Häuser standen nun dichter beieinander. Bei vielen blätterte der Anstrich von der Holzfassade wie die Rinde von Eukalyptusbäumen, Dachrinnen und Fensterläden hingen schief, und würden vom nächsten Windstoß mitgerissen werden. Wäschespinnen mit Hosen und bunten Hemden ächzten heiser im Wind, Fliegentüren schlugen auf und zu.
Auf den Rasenflächen der Vorgärten parkten rostige Autos und zerbeulte Caravans, zwischen kümmerlichen Bäumchen und trockenen, blütenlosen Büschen. Ein Mann mit Shorts und weißen Kniestrümpfen führte einen fetten Dackel die Straße entlang. Der Hund setzt sich zum Kacken auf den Rasen vor der Adventskirche. Andy reckte den Hals. Im Vorbeifahren konnte er beobachten, wie der Mann vergeblich versuchte, den Hund wegzuzerren.
„Hier war früher ´en bisschen mehr los, weil jeder durchfuhr, der zur Küste wollte, aber seitdem sie den Highway ausgebaut haben ...“
Scotty versuchte, den Schlaglöchern auszuweichen.
„Gab wohl auch, ´n bisschen Ärger mit den Aborigines. Na ja, das Übliche. Hier soll aber jetzt ´n Bowling Club hin mit Spielautomaten und so.“
Andy hörte nicht zu. Er war viel zu müde, und außerdem wusste er, dass er sowieso nicht bleiben würde.
„Findest sicher einen, der dich weiter mitnimmt“, meinte Scotty. Andy kurbelte das Fenster hinunter. Eigentlich sah es in Quilpie genauso aus. Dort gab es vielleicht ein paar Straßen und Häuser mehr. Er sah einen langen Balkon mit der Aufschrift: Pub Coocooloora. Und davor einen massigen Aborigine mit grauschwarzem Haar, der ihnen nachstarrte. Erst als Scotty sagte: „So, Endstation!“, bemerkte Andy, dass sie in einen Hinterhof gefahren waren. Scotty stellte den Motor ab.
„Da du gerade da bist, kannst du mir was reintragen helfen.“ Scotty kletterte aus dem Auto und Andy sah, dass er ein steifes Bein hatte. Er rutschte vom Sitz und stand in der warmen Sonne.
„He!“, hörte er von hinten Scotty rufen und ging um den Lieferwagen herum. Scotty stand im Laderaum und ließ auch schon einen Karton mit Brot in Andys Arme fallen. Er selbst nahm einen kleineren Karton, hinkte voraus zu einer grauen Eisentür und stieß sie auf. Andy sah in eine dunkle Höhle. Es roch nach Schinken, Schokolade und Putzmittel. Er stolperte hinter Scotty durch den vollgestellten Lagerraum in den Laden.
„Hi, Scotty!“, hörte Andy eine Frauenstimme hinter den Regalen. Dann sah er einen blonden Pferdeschwanz und dann ihren Mund, der ihn irgendwie irritierte.
„Sie haben hier eine Leiche gefunden“, sagte sie ohne Einleitung. Sie war so aufgeregt, dass sie Andy nicht wahrnahm. „Unten, wo sie den Parkplatz für den Bowling Club gebaut haben!“
„Jesus!“ Scotty stellte ächzend den Karton ab. „Hier in diesem verschlafenen Kaff? Ermordet?“
„Die schicken jemand von der Küste hierher. Ist das nicht schrecklich? Ein Mord hier bei uns!“
Scotty wiegte den Kopf hin und her. Er wandte sich an Andy:
„Du hörst ja, wie es hier zugeht. Sieh lieber zu, dass du so schnell wie möglich weiterkommst.“
Jetzt erst streifte sie ihn mit einem Blick.
„Ja, fast überall ist es besser als in Coocooloora.“ Andy bemerkte ihren goldenen Ring. Sie war höchstens vierundzwanzig, schätzte er, oder fünfundzwanzig.
„Ihr trinkt sicher noch ´n Kaffee“, fragte sie und machte schon einen Schritt auf eine Glastür zu, hinter der ein Rollo heruntergelassen war.
„Der da kann sicher was vertragen“, meinte Scotty und wies auf Andy. „Er war schon im Auto ´n bisschen müde. Also, Jo, nichts für ungut, aber ich muss los, hab heut noch ´n paar Fuhren und will rechtzeitig zu Hause sein!“ Scotty klopfte Andy aufmunternd auf die Schultern und hinkte nach draußen. Andy lief ihm nach.
„He, was soll ich verdammt noch mal hier?“
„Willst du wieder zurück nach Quilpie?“ Scotty blinzelte durch die Brillengläser. „Jungchen, du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir!“ Er lachte und zog die Wagentür zu. Andy sah dem Lieferwagen hinterher und ging zurück in den Laden. Während er zwei Coladosen aus dem Kühlschrank nahm, spürte er, dass sie ihn beobachtete. Er schob die Dosen vor die Kasse.
„Ist schon okay, statt Kaffee“, meinte sie. Er wollte sie nicht ansehen, aber er tat es doch. Ihre Augen waren honigbraun und es dauerte, bis seine Augen von ihren loskamen. Die Türglocke bimmelte und Andy sah auf. Ein knochiger, vollbärtiger Alter schlurfte herein.
„Hi, Jo!“, krächzte er und tippte an seinen löchrigen Hut. „Das ist ja ein Ding! Möchte wissen, wer der Tote ist!“ Er bleckte nikotingelbe Zahnstummel, stopfte die Hände in die Taschen und wippte auf den Spitzen seiner schlammverkrusteten Stiefel. „Gehst du nicht raus und guckst dir das an?“, wollte er von Jo wissen.
„Nein.“ Sie mochte den Alten nicht, das merkte Andy.
„Hm, na ja, dem haben sie die Klamotten ausgezogen, ich meine, der, der ihn da reingelegt hat. Brrrrrrr, ich sag dir, ist kein schöner Anblick, so ´n Toter. Zum Glück sieht man sich selbst nicht, wenn’s einen erwischt.“ Er lachte heiser. „Kommen halt zu viele Fremde her.“ Er kratzte sich den verfilzten Bart und bemerkte Andy. „Auch nicht von hier.“ Er musterte Andy von oben bis unten.
„Bin auf der Durchreise.“
„Ja, ja, auf der Durchreise sind sie alle, die Jungen, was will so einer wie du auch hier in diesem Nest, was Jo?“ Er suchte bei Jo Zustimmung, doch sie kramte unter der Theke nach Tüten.
„Willst sicher an die Küste?“ Er wippte auf den Schuhspitzen.
„Nein, nach Lambina.“
„Lambina?“ Der Alte zog die Stirn in Falten. „Was willst´n da? Opal, was? Soll aber nix mehr zu holen sein. Und die Aborigines geben nix her, haben ihren Native Title drauf. Die haben überall ihre dreckigen Pfoten drauf, wo es was zu holen gibt. Würd mich ja nicht wundern, wenn die mit dem Toten da was zu tun hätten. Ich würd an die Küste geh’n, wenn ich so jung wär wie du, was Jo?“ Der Alte gab ein krächzendes Lachen von sich und meinte zu Jo gewandt: „Haben gestern gerade von Peter gesprochen. Ist doch wieder Pferderennen und Rodeo.“ Er hustete. „Is’n Jammer!“ Er seufzte. „Sag Peter ´en schönen Gruß!“
„Was wolltest du Rick?“, fragte Jo.
„Ach ja, hätte ich fast vergessen. Die Zeitung von heute.“ Sie griff hinüber zum Zeitschriftenstapel. Er gab ihr einen Dollar, nahm die Zeitung und drehte sich im Weggehen noch einmal um.
„Solltest dich beeilen, Junge, von hier wegzukommen. Es gibt Regen. Ungewöhnlich für die Jahreszeit.“
Andy sah ihm nach. Die Türglocke bimmelte und dann war er wieder mit ihr allein. Etwas hinderte ihn daran, einfach Auf Wiedersehen zu sagen und zu gehen.
„Er hat Recht. Wenn man erst mal hier festsitzt ...“, sagte sie und machte sich ans Ordnen der bereits gewissenhaft gestapelten Zeitungen. Als Andy die Tür aufzog, bimmelte es.
„Du hast deine Cola vergessen!“ Er drehte sich um, nahm die beiden Dosen und konnte ihre Finger für eine Sekunde berühren. Wieder auf der Straße, fragte er sich, was so eine Frau wohl an so einen Ort verschlagen hatte.
Es war zwei Uhr mittags. Er sollte sich beeilen wegzukommen. Wenn er Glück hatte, könnte er heute Abend schon dreihundert Kilometer weiter sein. Und so stapfte er den brüchigen Bürgersteig entlang. Die Läden hier hatte man aufgegeben. An manchen Türen klebten noch angerissene Aufkleber SALE und VISA CARD und PUSH und PULL. Andy legte die Hände an eine Scheibe und sah hinein. Von den Wänden blätterte der Putz. An einem Schrank hing ein vergilbter Bilderkalender mit einem Foto, das schneebedeckte Gipfel und eine Blockhütte zeigte. Von den Wänden baumelten Steckdosen an blanken Drähten; Teppichfliesen schimmerten grünlich. An manchen Stellen hatte man sie weggerissen, darunter kam grauer Beton zum Vorschein, auf dem der Teppichklebstoff gelbbraune Schlieren hinterlassen hatte. Hier will keiner bleiben, dachte Andy. Vielleicht war jemand im Pub, der ihn mitnehmen konnte.
Shane
Nach dem Lunch fuhr Shane mit Paddy zur Polizeistation, einer dünnwandigen Baracke, die man wegen der üblichen Überflutungen des Warrego Rivers auf Stelzen erbaut hatte. Paddy Dunegal schien nicht besonders begeistert zu sein, als Shane Drucker und Computer auf dem Schreibtisch in Paddys Büro installierte. Argwöhnisch beobachtete er ihn und räumte nur sehr widerwillig einen mit Papierstapeln, Ordnern und Zeitungen zugemüllten Schreibtisch frei.
Shane tat so, als sei ihm das völlig egal, erledigte die notwendigen schriftlichen Arbeiten, schrieb einen SITREP, einen Situation Report, ließ die Firma kontaktieren, die die Bauarbeiten ausführte und ordnete an, den Arbeiter ausfindig zu machen, dem damals der Fehler unterlaufen war. Anschließend las er noch einmal die Aussage von Keith Duff, der die Leiche gefunden hatte und rief dann Jack im Brisbaner Headquarters an.
Jack hatte keine guten Neuigkeiten:
„Jetzt machen die uns da oben ganz schön Feuer unterm Arsch! Ich komm die nächsten Tage nicht mehr zum Schlafen. Ann ist verdammt sauer!“ Shane erinnerte sich, dass Ann wie Kim am Anfang stolz auf ihren Mann und seinen Erfolg gewesen war und gern das höhere Gehalt angenommen hatte, dann aber, als Erfolg und Geld selbstverständlich geworden waren, von ihrem Mann verlangt hatte, sich mehr der Familie zu widmen. Er wählte die Nummer des für die Region zuständigen Detectives Philipp Russell in Charleville. Er war aber nicht erreichbar und Shane ärgerte sich, dass Russell es offenbar überhaupt nicht für nötig hielt, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Russell war es doch, der sich hier auskannte und auf dessen Hilfe er angewiesen war. So musste er sich zunächst mit Dunegal und Webster zufrieden geben.
Der Kollege von der Spurensicherung kam herein und teilte Shane mit, dass sie den Kopf noch nicht gefunden hatten und morgen weitermachen würden. „Dr. Lee“, berichtete er, „ist schon mit der Leiche abgeflogen, ich soll Ihnen ausrichten, dass sie sich so schnell wie möglich meldet.“ Sie war also gegangen, ohne sich von ihm zu verabschieden, dachte Shane, und er ärgerte sich schon wieder. Alles lief irgendwie falsch. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er ermitteln sollte. Vielleicht ein Ritualmord? Vielleicht hatte ja sogar Kate Recht, mit ihrer Bemerkung, dass der Täter ein Aborigine sein konnte. Nein, er hatte das Gefühl, der Falsche hier zu sein. Er sollte nicht hier sein! Und wieder dachte er an Eliza Lee. Sie hatte ihn in seiner Eitelkeit verletzt, als sie einfach so gegangen war. Nein, es lief nichts so, wie es laufen sollte.
Andy
Er ging an einem kläffenden Hund auf einem Pritschenwagen vorbei, der an seiner Leine zerrte, überquerte die Straße und stieß die Schwingtür des Pubs auf. Im Pub weiß immer einer Bescheid, wie es weitergeht, dachte Andy.
Keine Minute brauchte er, um zu wissen, dass das keine gute Idee gewesen war.
Schummriges Licht, Geruch nach Rauch und Bier, dunkle, schwere Tische und Stühle, fünf Männer; zwei mit karierten Hemden und alten Hüten lehnten mit einem Bier an der Bar, ein anderer mit struppigem Haar und Bart spielte gelangweilt an einer der Pokermaschinen. Die anderen beiden hockten an einem Tisch und rauchten. Hinter dem Tresen zapfte eine Frau Bier. Blechern klimperte einer dieser ewig gleichen Countrysongs aus den Lautsprechern. Als er hereinkam drehten sich alle Köpfe zu ihm.
„Ein FourX“, bestellte er an der Theke.
„Bist du schon achtzehn?“, fragte die Frau und musterte ihn. Sie hatte unreine Haut, auf den Wangen geplatzte Äderchen und vom Rauchen eine raue Stimme. Die Männer lachten. Die Frau lachte auch und meinte:
„Na ja, die Cops sind ja weg.“ Sie zapfte ein Bier und die Männer lachten wieder.
„Zwei fünfzig“, sagte sie und stellte das randvolle Glas auf den Tresen. Andy zählte das Geld passend ab. Dann nahm er einen Schluck, holte Luft, nahm seinen Mut zusammen und fragte in die Runde:
„Ich will heute noch weiter in Richtung Süden. Kann mich einer von euch vielleicht mitnehmen?“
„Wenn ich hier fremd wäre, würd ich auch abhauen! Wo sie doch gerade den Toten gefunden haben“, bemerkte die Frau an der Theke.
„Kate, red’ doch nicht so!“, schaltete sich der Typ am Spielautomaten ein, „der denkt sonst, wir murksten hier Fremde ab!“ Er grinste breit und die anderen Männer lachten wieder. In dem Moment kam Rick, der knochige Alte aus Jos Laden, vom Klo. Er machte seinen Gürtel zu.
„Junge, du bist ja immer noch da“, krächzte er.
Die Frau zapfte dem Alten ein Bier. Andy fühlte sich unter den zotteligen Männern unwohl.
„Ich such noch ´ne Mitfahrgelegenheit Richtung Süden“, wiederholte er.
„Warum fährst du nicht zur Küste, wie ich’s dir geraten hab?“ Rick stürzte das Bier hinunter.
„So ´n Arschgesichtchen wie du gehört an die Küste zu Mama!“, fing der am Spielautomaten wieder an.
„Oder zu den Schwanzlutschern“, brummte einer an der Theke, worauf alle laut lachten, nur Rick und die Frau nicht. Da trat der Alte näher zu Andy, so dass er dessen Atem riechen konnte.
„Jos Mann ist ´n feiner Kerl, auch jetzt noch. Nie ein Wort der Klage, nie ein Jammern. Hat zuvor die fettesten Karpfen rausgezogen, war immer großzügig, hat nie zu viel gesoffen und hat keine andere neben Jo gehabt, obwohl es genug gegeben hätte ...“ Er warf einen kurzen Blick zu der Frau hinterm Tresen, die sich aber mit einem Tttt abwandte. Alle waren still geworden und hörten ihm zu. Alle schienen zu wissen, worum es ging, alle - außer Andy. Doch bevor er fragen konnte, fuhr Rick fort:
„Und deshalb lassen jetzt auch alle Jo in Ruhe. Weil wir es ihm schuldig sind. Kapiert?“ Er sah Andy eindringlich an. Besser, wenn er jetzt ginge. Er warf noch ein Lächeln in die Runde und ging zum Ausgang.
Draußen atmete er auf. Er sollte wirklich so schnell wie möglich von hier abhauen, die hatten hier wohl alle was an der Birne. Er warf einen Blick in den Himmel. Die dunklen Wolkenberge waren näher gerückt. Er beschloss, weiter durch den Ort bis zu der auf dem Schild angekündigten Tankstelle zu gehen. Dort würde ihn sicher jemand mitnehmen. Zwei Pick-ups und ein klappriger Mitsubishi Pajero fuhren an ihm vorbei. Er ärgerte sich, dass er nicht gleich zurück zum Highway gegangen war, da hätte sicher gleich ein Auto für ihn angehalten.
Etwa fünfhundert Meter weiter sah er endlich das rot-gelbe Shell-Emblem zwischen den Hausdächern hervorragen. Dort würde er es versuchen; wenn er kein Glück hatte, konnte er immer noch zum Highway zurückkehren.
Die Tankstelle: ein Dach über zwei Zapfsäulen, eine schiefe Garage als Werkstatt mit einem winzigen Raum als Büro. Allmählich zweifelte Andy an Scottys Behauptung, er fände jemanden, der ihn nach Lambina mitnehmen könnte. Er sah in die Werkstatt, in der eine Hebebühne aufragte und eine lange Werkbank in wenigen Sekunden unter der Last ölverschmierter Werkzeuge zusammenzubrechen drohte. Erst dann bemerkte er neben dem Büro den Parkplatz, den Holden Kombi mit aufgeklappter Motorhaube und den Tankwart, der gerade Öl nachfüllte. Andy ging auf ihn zu.
„Ich muss heute noch nach Süden, wie komm ich hier weg?“
Der Tankwart im roten Overall schüttelte den letzten Tropfen Öl aus dem Kanister. Er war ein kräftiger Typ, etwa so groß wie Andy, aber breit wie ein Schrank.
„Brady“, sagte er, wischte die ölige Hand an einem Lumpen ab und streckte sie ihm entgegen. „Weiß vielleicht jemand, warte mal!“ Brady ging zur Fahrertür, stieg ein und ließ den Motor an.
„Musst du heut schon weg?“
„Bin schon lange genug hier!“
„Na ja, hast Recht, is’ ja nicht gerade aufregend. Mein Bruder und ich feiern heut ´ne kleine Party. Bist eingeladen.“ Brady legte den Gang ein. Seine Lippen ließen Andy an zwei Schläuche denken, und seine Nase war platt wie die eines Boxers.
„Was für `ne Party?“, fragt Andy.
„Wir feiern immer irgendwas. Kannst auch bei uns pennen. Haben ´n Häuschen da hinten.“ Brady deutete mit dem Daumen aus dem geöffneten Seitenfenster. Andy sah in die angegebene Richtung: kniehohes Gras, sonst nichts. Brady fuhr rückwärts und parkte ein paar Meter weiter vor der Werkstattmauer. Eine Party wäre gut. Auf der Mine gab es das nie. Und in Quilpie war es auch nicht aufregend. Außerdem könnte er dort schlafen. Am nächsten Morgen könnte er früh los und hätte den ganzen Tag.
„Hm. Danke, muss drüber nachdenken.“
„Tu das. Ich bin noch zwei Stunden hier.“
Er nahm sich vor, noch diese zwei Stunden zu warten. Und so hockte er sich an den Straßenrand. Ein Lastwagen mit Schotter auf der Ladefläche donnerte an ihm vorbei. Ab und zu kam Wind auf, fegte den Staub über den löchrigen Asphalt. Dann klang es, als regnete es Diamanten.
Shane
Das Zimmer roch nach Mottenkugeln und einem scharfen Putzmittel. Der grünliche Teppich sah so aus, dass ihm bei der Vorstellung graute, jemals darauf barfuß laufen zu müssen. Das einzelne Bett stand direkt an der Wand. Toilette und Dusche waren nachträglich eingebaut worden und mit einer Schiebetür vom Raum abgetrennt. Neben dem Bett war eine kleine Ablage an der Wand angebracht, gerade groß genug für die übliche Hotelbibel und einen Wecker. Gleich in der Ecke hinter der Tür stand ein Kühlschrank, den man nur bei geschlossener Zimmertür öffnen konnte. Er riss das Fenster auf. Musik von unten drang herauf. Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite über dem Supergrocer, dem Lebensmittelladen, brannte Licht. Er nahm eine lange Dusche, legte sich ins Bett und hoffte, dass ihn der Schlaf bald überfallen würde. Er dachte an ein kaltes Bier, an Eliza Lee, erlebte noch einmal den Flug und sah wieder die Toten vor sich und glitt in einen merkwürdigen Halbschlaf.
Überall spielten sie Weihnachtsmusik, und in den Shopping Malls posierten langbärtige Nikoläuse in roten Mänteln mit Kindern auf den Knien. Es war Boxing Day und er hatte mit Steve zusammen Dienst. Schon seit einer Woche brütete die Hitze über der Stadt und dieser Abend machte keine Ausnahme. Kim war mit Pamela zu ihren Eltern nach Syndey gefahren, und er war froh, arbeiten zu dürfen. Sie hatten die Nachtschicht. Newfarm. Nicht unbedingt die ruhigste Gegend in Brisbane. Bis halb eins war alles relativ problemlos verlaufen. Eine Schlägerei zwischen einem eifersüchtigen Ehemann und einem Freund der Ehefrau in einer Pizzeria. Alle hatten mehr als genug getrunken. Die Männer kamen über Nacht in die Ausnüchterungszelle. Vorher waren sie von einer besorgten Nachbarin in eine Wohnung im Valley gerufen worden.
Als er mit Steve dort ankam, hatte ein Mann seine Freundin blutig geschlagen, das Aquarium zertrümmert, den Fernseher aus dem Fenster in den Vorgarten geworfen und noch ein paar andere unschöne Sachen angerichtet. Im Grunde aber war das nichts besonders. Dann aber bekamen sie jenen Anruf, den er seit fünf Jahren nicht vergessen konnte.
Die Zentrale schickte sie ein paar Straßen weiter, wo ein Mann, bewaffnet mit einem Messer, Amok lief. Shane erinnerte sich noch, wie er und Steve auf der Fahrt Witze über die Freundin eines Kollegen rissen. Der Mann hockte auf den Stufen vor dem Haus. Ein schlaksiger Weißer, der selbst im Sitzen noch riesig erschien. Er starrte ins Leere und murmelte als sie kamen:
„Ich war’s.“
Der Lichtstrahl von Steves Taschenlampe fiel auf den Briefkasten, aus dessen Öffnung der Griff eines Bowiemessers ragte. Shane zog es heraus. Bis zum Schaft klebte dunkles Blut daran. Shane ging ins Haus. Es war ein Mietshaus mit zwei Etagen. Er schaltete das Licht an und entsicherte die Pistole.
Die erste Zimmertür war verschlossen, die zweite stand einen Spalt offen. Er glaubte, ein leises Röcheln zu hören, es brannte kein Licht. Shane leuchtete durch den Spalt, konnte nichts erkennen und zwängte sich blitzschnell in den Raum. Dort drückte er sich an die Wand, die Pistole im Anschlag. Als er das Licht anschaltete, sah er auf ein blutiges Stück Fleisch. Der Mann atmete noch. Aus unzähligen Schnitten seines Körpers troff Blut, das in dunkelroten Flecken in den Teppich sickerte. Über Funk riefen sie die Ambulanz und machten sich auf den Weg nach oben. Die alten Holzstufen knarrten. Im oberen Stockwerk befanden sich drei Türen. Hinter der ersten lag das Bad, hinter der zweiten ein leerer Raum. Hinter der dritten Tür stand das, was ihn immer noch bis in seine Träume verfolgte. Zuerst starrte er in ihre aufgerissenen Augen, und eine Zehntelsekunde später auf eine blutige Höhle, deren Wände Muskeln und Sehnen bildete. Die Frau war so gut wie enthauptet. Für einen Augenblick sackten ihm die Knie weg. Er stützte sich auf eine Stuhllehne und kämpfte gegen die Übelkeit an.
Shane fuhr hoch. Dieselbe Übelkeit kroch wieder nach oben – er stürzte aufs Klo und übergab sich. Der Mann hatte seine Mutter ermordet, die ihn jahrelang gedemütigt hatte.
Andy
Das Haus erhob sich mitten im wogenden Feld. Von der Straße aus konnte man nur einen Teil des Giebels sehen. Zwei Kilometer ortsauswärts waren sie gefahren und bogen nun in einen schmalen Schotterweg ein. Der Himmel hatte sich dunkelviolett gefärbt. Und dort, wo die schweren Wolken hingen, sah er sogar schon schwarz aus. Seit einer Stunde blies der Wind heftiger und mit ihm rückten auch die Wolken näher.
Brady parkte den Wagen direkt vor dem Haus, auf vertrocknetem Rasen. An der Seitenfront war eine große, überdachte Veranda. Das Grundstück sah genauso aus wie das Land entlang der Straße. Büsche, ein paar niedrige Eukalyptusbäume und rissige Erde.
„He, gib Acht!“, sagte Brady, als Andy hinter ihm die Holztreppe hochstieg. „Das Ding muss repariert werden.“ Und Andy konnte sich gerade noch von der morschen Stufe auf die nächste retten. Brady zog eine löchrige Fliegentür auf und trat gegen die Holztür dahinter, die ächzend aufsprang. Brady schaltete das Licht ein. Eine einzelne Glühbirne warf gelbliches Licht auf den schmalen Flur, von dessen Wänden sich eine Blümchentapete ablöste.
Andy stapfte hinter Brady her, über einen klebrigen Linoleumfußboden, während Brady eine Tür nach der anderen aufriss als wäre er Immobilienmakler.
„Die Küche!“ Wie in unserem Wohnwagen, dachte er, stapelweise schmutziges Geschirr.
„Mein Zimmer.“ Poster von Heavy Metal Bands und Kricket-Stars an den Wänden. Auf dem Bett haufenweise Kleider und Bettzeug, daneben, auf dem fleckigen Teppich, Comic-Hefte. Brady ließ die Tür offen.
„Und da, Mikes Zimmer.“ Ein schmales Bett, ein hoher Schrank, hinter dessen Türen Klamotten hervorquollen. Spielzeugautos und Plastikfiguren mit Muskeln und Waffen lagen auf dem gewellten und fleckigen Teppich.
„Und das?“, fragte Andy.
„Das?“ Brady zögerte einen kurzen Moment. „Das war das Zimmer meiner Eltern. Mein Alter ist schon seit ein paar Jahren tot, und unsere Mum mussten wir in die Klapse bringen, Alzheimer.“
„Tut mir leid.“
Brady ging hastig an der Tür vorbei.
Sie standen in einem altmodisch eingerichteten Zimmer mit abgestoßenen Möbeln und vergilbten Tapeten.
„Du kannst da auf der Couch pennen.“ Er ließ sich auf das zerfledderte Sofa fallen. „Und eine Veranda gibt es auch. Man kann die ganze Nacht draußen sitzen, quatschen, saufen und rauchen. Hab gerade erst das Fliegennetz hier überall geflickt!“ Brady schob die Verandatür auf. Die Dielen waren morsch, man hätte sie längst streichen müssen.
Andy gefiel es hier. Und es gefiel ihm noch mehr, dass hier keine Eltern wohnten. Er ließ sich in einen der alten Schaukelstühle fallen und zog ein Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche. Ja, ihm gefiel es hier.
Sie rauchten und tranken Bier. Bald würde es dunkel sein. Die Grillen zirpten.
„Komisches Leben auf so´ner Mine. Muss man wohl für geboren sein. Ich könnt so was nicht, brauch immer ´n paar Leute zum Quatschen, `ne Kneipe, muss rumfahren ... na ja, was man halt so macht“, sagte Brady. Andy nickte. Genau das hatte ihm auch gefehlt.
„Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten!“ Andy fühlte sich endlich verstanden. Da kam Mike.
„He, ihr Säcke, habt ihr mir auch was übrig gelassen?“ Mike zog einen alten Ohrensessel auf die Veranda. Andy fand, dass er aussah, wie ein nicht ganz fertig gewordener Brady. Alles war ein wenig grober als bei seinem Bruder. Überhaupt wirkte Mike, als wäre er zwar nicht besonders helle, aber ein guter Kumpel. Und schließlich kam es ja darauf an, sagte er sich.
„Mike sorgt immer für was zu trinken, stimmt`s?“, sagte Brady.
„Ja, ja.“ Als Mike lachte, sah Andy, dass seine hinteren Backenzähne fehlten.
„Andy will nach Lamina, Opale finden! Hab ihn aber erst mal davon abgebracht!“ Brady öffnete eine neue Flasche.
„Opale?“ Mike kratzte sich am Hinterkopf.
„Ja, da muss man richtig schuften. Wär nix für mich!“, sagte Brady und nahm einen Schluck Bier.
„Ist eigentlich ziemlich cool“, erwiderte Andy, „du bist immer im Freien, sitzt nicht von neun bis fünf im Büro, bist dein eigener Boss und abends gibt`s Lagerfeuer unterm Sternenhimmel.“ Aber er wusste, dass er das alles beschönigte. Er war ganz und gar nicht sein eigenen Herr, und Lagerfeuer gab es nur, wenn jemand sie besuchte.
„Und dann ist da natürlich der Schotter“, fuhr Andy fort. „Es gibt Gewinner und Verlierer. Die einen finden Opale, die anderen finden nie was.“ Andy zuckte die Schultern. „Niemand kann dir sagen, woran das liegt.“
Brady grinste Andy herausfordernd an.
„Und was bist du? Gewinner oder Verlierer?“ Andy zögerte, lachte dann und sagte: „Gewinner natürlich!“
„Habt ihr auch so ´nen Kohldampf wie ich?“, fragte Brady. Er stand auf und briet in der Küche ein paar Eier. Sie aßen auf der Veranda. Der Mond schimmerte weiß durch die Wolken. Andy fühlte sich wohl. Das hatte er sich immer gewünscht. Als hätte Brady seine Gedanken gelesen, sagte er:
„Du kannst hier bleiben, so lange du willst.“
Irgendwann schleppten sie sich ins Haus, weil es kalt geworden war. Bevor Andy sich auf dem Sofa auf die Seite drehte, dachte er an seinen Vater im Camp. Er verdrängte die Gedanken, wollte jetzt nicht an seinem Vorhaben zweifeln – und sich nicht selbst den Abend verderben.
Als er in der Ferne die raue Stimme eines Didgeridoos hörte, überwältigte ihn endlich der Schlaf.
In der Nacht tastete er sich im Dunkeln zum Klo. Auf dem Rückweg zur Couch stieß sein Zeh an etwas Hartes, Metallisches. Er fluchte, suchte den Lichtschalter und fand ihn endlich. Das Licht flackerte auf, und er starrte auf einen offenen Kasten mit einer Axt. Erzählten nicht alle von dem Mörder, der seine Opfer mit der Axt enthauptete?
„He, suchst du was?“ Er drehte sich um. Vor ihm stand Brady in Boxershorts. Breit wie ein Klotz. Die Arme in die Seiten gestemmt.
„Hab mich in eurem Riesenhaus verlaufen ...“
Brady musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen und klappte mit dem Fuß den Deckel des Kastens zu.
„Mach nächstes Mal gleich das Licht an.“
Andy nickte. Hier hat bestimmt jeder eine Axt im Haus, sagte er sich.
Shane
Er hatte besser geschlafen als erwartet und wurde erst von seinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Obwohl auch das Pub Frühstück anbot, ging er ein paar Meter weiter, in Best’s Coffee Shop. Er schlang einen zu stark gerösteten Toast mit zu süßer Orangenmarmelade hinunter, spülte mit dem Rest Kaffee nach, und ging, um in Paddy Dunegals Wagen zu steigen, der gerade heranrollte.
„Na, gut geschlafen?“, fragte Paddy und fuhr los.
„Ich werde es weiterempfehlen“, murmelte Shane und verbarg nicht seine schlechte Laune. Paddy roch durchdringend nach Duschgel. Und sein kurzes, fellartiges Haar war noch nass.
„Als ich in Ihrem Alter war, hab ich mir den Ärger aber nicht so raushängen lassen“, bemerkte Paddy und sah ihn von der Seite an. „Haben Sie auch mal gute Laune im Programm?“
Shane grunzte etwas Unverständliches und sah bis sie ankamen zum Fenster hinaus.
Das, was am Donnerstag noch ein stattlicher Parkplatz gewesen war, hatte sich in einen Bombenkrater verwandelt. Dunegal stellte den Wagen an der Straße ab und folgte Shane über Teerbrocken und Erdhügel zu dem Kollegen von der Spurensicherung.
„Wo verdammt noch mal ist der Kopf?“ Shane blickte suchend über die umgegrabene Erde, als könnte ihn dort jemand übersehen haben. Talbot Wood von der Spurensicherung gab ein Zeichen, und Keith Duff schaltete den Bagger aus.
„Noch nichts gefunden. Sieht schlecht aus. Wir sind fast durch“, rief Talbot zu ihnen herüber.
„Da haben Sie den Schlamassel!“, meinte Paddy, „jetzt kriegen Sie wohl ziemlichen Ärger mit Billy Henderson. Der will hier endlich seinen Spielclub mit Motel hier bauen. Und jetzt so was!“ Paddy verschränkte die Arme vor seinem immensen Oberkörper. Dann sah er zu Talbot.
„Wenn Sie nicht gleich diese alberne Kappe gegen ´n richtigen Hut umtauschen, fallen Ihnen heute Mittag die Ohren ab!“
Talbot griff an seine Ohren.
„Man merkt, dass Sie noch nicht lange hier draußen bei uns im Busch sind“, Paddy schüttelte den Kopf.
„Hören Sie mir mit diesem Billy Henderson auf!“, sagte Shane, „der kann mich mal.“ Und er kickte wütend gegen einen Stein. Der verfehlte nur um ein Haar Dunegals Wagen. Dunegal sah Shane wütend an, doch der zuckte nur mit den Schultern und wandte sich an Talbot.
„Jedes Mal war der Kopf nicht weit vom Tatort vergraben. Was ist zum Beispiel da drüben?“ Talbot sah wie ein zurechtgewiesener Schüler in die Richtung, in die Shane zeigte.
„Aber das ist doch viel zu weit entfernt. Sie haben doch selbst gesagt, dass der Kopf sonst immer in der Nähe des Körpers war“, sagte er vorsichtig.
„Dann ist es verdammt noch mal diesmal anders, soll ja vorkommen. Fordern Sie Verstärkung an!“, ordnete Shane an und ging zurück zum Wagen. Paddy stolperte hinter ihm her. „Einen Hut – können Sie mir einen Hut vorbeibringen?“, rief Talbot noch, doch niemand interessierte sich für ihn.
„Wollen Sie noch die ganze Stadt umgraben lassen?“, japste Paddy, am Auto angekommen.
„Wenn Sie es genau wissen wollen, Paddy: am liebsten ja!“ Shane ließ sich genervt auf den Beifahrersitz fallen. Paddy schnaubte, als er sich hinters Steuer quetschte.
„Worauf warten Sie noch, Paddy? Hier im Auto werden Sie den Kopf bestimmt nicht finden.“ Paddy schnaubte wieder und sagte dann:
„Ich weiß zwar nicht, wie es Ihnen geht, aber ich muss jetzt was zwischen die Kiemen kriegen!“
„Dann schauen wir doch mal bei unserem Hauptverdächtigen vorbei.“
Paddy glotzte Shane an und kratzte sich. „Und wer ist ... der Hauptverdächtige?“
Shane grinste und setzte die Sonnenbrille auf.
„Ihr Freund Billy.“ Er konnte sehen, wie Paddy die Klappe runterfiel.
Billy Hendersons Motel lag am anderen Ende des Ortes. Es trug den irgendwie unpassenden Namen Stonewall und war wie eine Ranch im Blockhausstil erbaut.
Shane erkannte im überdachten Restaurant mit roh gezimmerten Tischen und Bänken, Billys kompakten Rücken. Er schob gerade den Riegel des Kühlraums zurück. Rockmusik kam leise aus den Lautsprechern.
„Billy!“, brüllte Paddy.
Shane ließ seinen Blick über die nicht gerade rege besuchte Hotelanlage schweifen. Sie bestand aus einem eingezäunten, ovalen Pool und den üblichen aneinandergereihten Wohneinheiten und den Parkplätzen davor. Kein einziger Wagen parkte dort.
„Yeah?“ Billy kam mit einem großen, schweren Beutel blutigen Fleischs hinter der Theke hervor. Das enge Muskelshirt machte ihn noch kompakter.
„Seid ihr zum Helfen gekommen? Hier fällt zum Essen gleich ein ganzes Rudel hungriger Touristen ein“, keuchte er mit heiserer Stimme und drängte sich mit dem Fleisch an Shane vorbei. Im Mundwinkel steckte eine kurze selbstgedrehte Zigarette. Ohne den Akubra erschien sein mächtiger Schädel noch quadratischer. Billy warf den Beutel mit Schwung neben den großen Grill.
„Ich dachte eher, Sie könnten mir helfen“, erwiderte Shane.
„Wüsste nicht, wie.“ Shane fiel auf, dass Billy einen schnellen Blick zu Paddy warf, bevor er ein Messer aus dem Messerblock zog und den Beutel aufschnitt. Blut tropfte auf den Steinboden.
„Wenn Sie noch immer auf diesem verfluchten Stück Land rumhacken wollen, wo die Arbeiter den Toten gefunden haben, und das zufällig mir gehört, dann hab ich nichts Neues für Sie.“ Er drückte die Zigarette in einem Aschenbecher aus und begann dann mit präzisen Bewegungen, das Fleisch in dicke, gleichmäßige Scheiben zu schneiden. „Das hat Ihnen Paddy sicher auch schon gesteckt.“
„Klar, Billy, ich hab ihm erklärt, dass er bei dir auf dem Holzweg ist“, bei diesen Worten grinste Paddy.
„Ich sag Ihnen eins, Detective“, Billy hörte auf zu schneiden, seine Hals- und Nackenmuskeln wölbten sich, die Spitze des Fleischermessers zeigte auf Shanes Bauch, „der Busch, der lebt nur, weil Leute wie ich sich abrackern. Ohne uns wär der ganze verfluchte Kontinent nur eine schmale Linie entlang der Küste.“ Er ließ das Messer sinken, „und keiner wäre je bisher gekommen, hätte Gold gefunden, Zinn und Saphire und all die verfluchten Bodenschätze, die Sie nach Asien verscherbeln. Australien wäre ohne uns ein Scheißdreck!“ Er wischte sich die Hände ab. „Und dann kommen so Typen wie Sie aus ihren klimatisierten Büros in den Hochhäusern an der Küste und beschuldigen Leute wie mich, einen umgebracht zu haben, nur weil ich in dieses verschlafene Kaff ein bisschen Leben reinbringen will! Komm schon, Paddy, sag ihm, dass es so ist!“
Paddy wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Sicher ist es so.“
Shane sah von einem zum anderen.
„Wenn hier einer Stunk macht“, begann Billy wieder und stemmte die Arme in die Hüften, „dann sind das die verdammten Blackfellows. Die wollen nicht arbeiten. Wir hatten ein Zimmermädchen, das fehlte immer, wenn es was zu tun gab. Die kriegen ihre Unterstützung vom Staat und wir sind blöd und schuften.“ Ein Anfall seines Raucherhustens unterbrach seinen Redefluss. „Das Grundstück gehört mir. Der Native Title wurde nicht beantragt. Es wäre auch nie erfolgreich gewesen. Es leben ja nur noch zwei aus dem Clan.“
„Ich hab Sie nicht beschuldigt, Billy.“ Shane lächelte. „Warum also regen Sie sich so auf? Und ich frage mich, warum hier alle so aggressiv auf die Aborigines reagieren.“
Wieder ein schneller Blick zwischen Paddy und Billy. Shane ahnte, dass er doch nicht ganz auf dem Holzweg war.
„Also, Detective, ich hab ´ne Menge zu tun“, sagte Billy, „in zwei Stunden kippt ein Bus hier sechzig Touristen aus, weil das Restaurant in Charleville geschlossen hat. Wenn das neue Motel steht, dann zieh ich das mit den Barbecues größer auf, da wird viel mehr los sein.“ Er schnitt weiter Steaks und seine Bewegungen erschienen Shane regelrecht zärtlich.
„Dann wird der gute Morgan auch nicht darum herum kommen, bei dir seine Barbecues zu veranstalten!“, lachte Paddy, doch Billys Blick verdüsterte sich.
„Morgan?“, hakte Shane nach.
„Ja“, plapperte Paddy, der Billys Blick nicht gemerkt hatte, gutgelaunt weiter. „Guter Typ von der Whole Nation Party. Sein Bruder führt die Farm weiter. Die größte übrigens hier. Alter Familien ...“
„Es reicht, Paddy!“, herrschte Billy den Polizisten an, der daraufhin sofort verstummte und entschuldigend grinste.
„Haben Sie ein Problem mit den Morgans?“, fragte Shane. Billy richtete sich auf. Blut tropfte vom Messer und von seinen Händen.
„Paddy rührt alte Geschichten auf“, knurrte er.
„Was für Geschichten?“
„Bullshit, alles Bullshit. Ich hab jetzt zu tun. Löchern Sie Paddy mit dem Zeug.“ Billy ließ sie einfach stehen und verschwand im Kühlraum.
Wenn ich nur wüsste, wonach ich suche, dachte Shane, als sie wieder im Auto saßen. Als sie am Pub vorbeifuhren, bemerkte Shane einen massigen Aborigine, dessen Blick sich in Shanes Augen bohrte.