Читать книгу Vergiftete Hoffnung - Mara Pfeiffer - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеAuf dem Weg zum Auto klingelt Jos Handy. Hans. Kurz überlegt sie, einfach nicht dranzugehen. So sehr sie sich nach der Rückkehr aus Barcelona gefreut hat, ihn wiederzusehen, so schnell ist er ihr in den Tagen danach auch auf den Wecker gegangen. Es ist nicht so, dass er sich blöd verhält oder etwas falsch macht. Sie kann nur seine permanente Anwesenheit in ihrer Wohnung nicht ertragen. Thematisiert sie das aber, fängt er wieder davon an, dass sie doch zusammenziehen könnten – aus diesem Kreislauf scheint es kein Entkommen zu geben. Jo atmet tief durch und geht ran.
„Hi there, Sheriff.“
„Du willst nicht ernsthaft noch eine zweite Katze in diese kleine Wohnung holen.“
Sie spürt, wie etwas in ihrer Kehle heftig rumort. Es bringt sie auf die Palme, dass Hans, wenn er verärgert ist, keine Fragen stellt, sondern versucht, mit Ansagen Fakten zu schaffen.
„Dir auch einen schönen guten Tag.“
„Jo, was soll der Blödsinn?“
„Sag du’s mir. Ich habe nicht angerufen.“
„Was erzählt Luca mir da von einer neuen Katze?“
„Wann hast du mit Luca gesprochen?“
„Eben.“
„Und warum?“
„Ich wollte hören, was ihr heute noch vorhabt. Weil ich dich weder auf dem Handy noch im Büro erreichen konnte, habe ich bei Nonna angerufen und Luca gefragt.“
Das, was da in Jos Kehle rumort, wächst bei Hans’ Worten in alle Richtungen. Es umschließt ihr Herz, verstopft ihre Kehle und beschwert ihre Zunge.
„Jo?“
„Das geht so nicht, Hans.“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Diese Hinterhertelefoniererei. Ich rufe doch auch nicht auf dem Präsidium an, wenn ich dich übers Handy nicht kriege. Oder bei deiner Familie.“
„Ich bezweifle, dass du da irgendeine Nummer hast.“
„Was zur Hölle soll das wieder heißen?“
„Als ob dich meine Familie interessieren würde. Wie oft waren wir bislang zusammen bei meinen Eltern?“
„Worüber willst du jetzt genau mit mir reden, hm? Meinen Sohn? Deine Eltern? Die Frage, wie viele Katzen ich in meiner Wohnung halten darf? Oder vielleicht doch was Grundsätzliches?“
Schweigen. Jo ist inzwischen am Auto angekommen und lässt sich auf den Fahrersitz des Lupos gleiten.
„Wenn du’s nicht weißt, Hans. Ich weiß es sicher nicht.“
„Vielleicht sollten wir mal grundsätzlich reden.“
„Be my guest. Aber nicht heute.“
„Weil du erstmal eine neue Katze anschaffen musst? Als wäre das nicht etwas, worüber wir vorher sprechen sollten?“
„Muss ich dich denn auch um Erlaubnis bitten, wenn ich mir neue Bettwäsche kaufe?“
„Jo, das ist was komplett anderes. Hier geht es um Verantwortung für ein Lebewesen. Und wenn wir irgendwann zusammenwohnen, möchte ich vielleicht mitreden dürfen, wenn es darum geht, wie viele Menschen und Tiere da beteiligt sind.“
„Wenn wir irgendwann mal zusammenwohnen sollten, kannst du dich da gerne auch einbringen. Aber vorher geht es dich echt einen feuchten Scheißdreck an.“
Noch bevor Jo auflegen kann, tönt ihr aus dem Hörer ein Tuten entgegen. Wütend knallt sie das Handy auf den Beifahrersitz und startet den Motor. Im Autoradio singt Gisbert zu Knyphausen
„Es gelingt nicht mehr
so zu tun als wär’ alles okay
für diese Scheinheiligkeit ist es zu spät
du hast einen Wurm im Ohr der dich verweht
wir sind immer unterwegs
aber überall zu spät.“
Jo unterdrückt das Bedürfnis zu heulen und brettert in Richtung Nonnas Wohnung durch den Nachmittag. Die Anrufe, die auf dem Weg dorthin mit unterdrückter Nummer bei ihr eingehen, nimmt sie erst wahr, als sie den Wagen am Ostergraben parkt, um Luca bei ihrer Großmutter einzusammeln. Sieben neue Nachrichten auf der Mobilbox. Was zur Hölle?
„Jo, bitte leg nicht gleich auf, hör dir erst …“
Es ist Finns Stimme, die sich da unerwartet in ihr Ohr schleicht. Jo hat seine Nummer seit dem letzten Anruf gesperrt, aber indem er sie unterdrückt, dringt er offenbar doch zu ihr durch. Sie schnaubt. Was für eine beschissene Dreckstechnik. Sicher auch super für die Opfer von Stalking, dass irgendwelche Arschlöcher nur absolute Basics bei der Bedienung eines Telefons draufhaben müssen, um einfach ungestört weiter zu nerven. Im Telefonbuch ihres Handys sucht Jo fahrig nach Finns Nummer, wählt daneben die kleine Sprechblase für eine SMS aus und tippt:
„Lass mich in Ruhe, du Penner. Sonst gehe ich zur Polizei.“
Beim Wort Polizei muss Jo an Hans denken, und dass er auf der Liste von Menschen, die sie gerade am liebsten nicht sehen will, den Platz direkt hinter Finn hat. Mit einem zynischen Lachen knallt sie die Tür ihres Lupos ins Schloss. Was für ein Scheißtag.
„Engelchen.“
„Nonna.“
Jo fällt ihrer Großmutter so heftig in die Arme, dass die alte Frau ins Wanken gerät. Mit beiden Armen fest um Nonna geschlossen, bringt Jo die Bewegung, die sie selbst ausgelöst hat, wieder unter Kontrolle. Sie küsst die Großmutter sanft auf den Kopf, tritt einen Schritt zurück und lächelt sie schief an.
„Alles gut bei dir?“
„Besser als bei euch, Kleines.“
„Wieso? Stimmt was nicht mit Luca?“
„Die Frage ist eher, was mit dir nicht stimmt. Eine zweite Katze?“
„Fang du nicht auch noch an.“
„Wieso auch?“
„Weil Hans mich schon nervt, in der Wohnung sei nicht genug Platz für noch ein Tier. Als ob es ihn was angeht.“
„Engelchen.“ Nonna greift nach ihrer Hand. „Mich geht es nichts an, wie viele Katzen in eure Wohnung passen. Aber du sagst seit Monaten, noch ein Tier kommt nicht in Frage. Jetzt versprichst du es deinem Sohn aus dem Nichts zwischen Tür und Angel. Mit solchen großen Gesten willst du meistens ein schlechtes Gewissen beruhigen. Ich muss es wissen, denn das hast du von mir.“
„Autsch.“
„Hm?“
„Treffer, versenkt.“
„Das weiß ich doch, Jo. Was ist los?“
„Kann ich dir das ein andermal erzählen, Nonna? Ich will wirklich mit dir drüber reden. Ich weiß nämlich nicht mehr weiter. Aber nicht jetzt. Ist das okay? Heute will ich einfach mit meinem Kind Katzenbabys flauschen. Das brauche ich gerade.“
Nonna führt Jos Hand, die sie immer noch in ihrer hält, zum Mund und haucht ihr einen sanften Kuss auf die Finger. „Wie du magst, Kleines. Aber denk dran, du kannst Luca nicht jedes Mal eine neue Katze schenken, wenn du dich ihm gegenüber schlecht fühlst. Und ich bin eine alte Frau und werde wohl nicht mehr ewig hier sein.“ Sie lächelt verschmitzt, trotz der Schwere ihrer Worte.
„Du wirst hundert, Nonna. Das hat der liebe Gott versprochen.“
„An den glaubst du doch gar nicht.“
„Aber Luca. Und der hat es mit ihm ausgemacht.“
„Mama?“
„Was denn, Cookie?“
„Möchtest du ein Mädchen oder einen Jungen?“
„Ich bin mit dir ganz zufrieden.“
„Orrr. Mama. Ich meine die Katze.“
„Da bin ich mit Obama ganz zufrieden.“
„Mama. Du bist unmöglich.“
Jo betrachtet den zappelnden Luca im Rückspiegel und muss über seine offensichtliche Ungeduld lachen.
„Hör mal, Cookie. Ich habe dir das mit der Katze noch nicht fest versprochen, okay? Es ist also nicht gesagt, dass wir da gleich mit einem neuen Mitbewohner aus dem Tierheim rausgehen.“
„Es ist aber auch nicht gesagt, dass wir es nicht machen.“
Jo grinst.
„Also, willst du ein Mädchen oder einen Jungen, Mama?“
„Ich bin mit meinem Jungshaushalt eigentlich ganz zufrieden. Du, Obama und ich – das klappt ganz gut, was meinst du?“
„Und Hans.“
„…“
„Mama?“
„Hm?“
„Warum hast du ein eigenes Zimmer und ich habe ein eigenes Zimmer und Hans hat kein eigenes Zimmer? Er weiß gar nicht, wo er seine Sachen hintun soll, wenn er bei uns ist.“
„Hat er das gesagt?“
Luca grübelt angestrengt.
„Cookie?“
„Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“
„Wieso sollte ich mit Hans schimpfen?“
„Er sagt, du bist sauer, wenn er ein eigenes Zimmer will.“
„Sagt er das, hm.“
Nicken.
„Schau mal, Luca, als wir in die Wohnung gezogen sind, da gab es Hans doch noch gar nicht. Erinnerst du dich?“
„Ja. Da gab es Jonas.“
Jo beißt sich heftig auf die Unterlippe. „Stimmt, da gab es Jonas.“ Die plötzliche Erwähnung ihres besten Freundes versetzt ihr einen Stich. Sie macht eine mentale Notiz, in den kommenden Tagen zu seinem Baum im Friedwald zu fahren.
„Jonas hatte auch kein eigenes Zimmer, Mama.“
„Nein. Er hatte eine eigene Wohnung. Genau wie Hans.“
„Hast du ein Zimmer in Hans’ Wohnung?“
„Nein. Die ist dafür auch viel zu klein.“
„Und unsere ist zu klein für ein Hans-Zimmer.“
„Stimmt.“
Luca zwirbelt mit den Haaren in seinen Locken. „Mama.“
„Was denn, Cookie?“
„Hättest du gerne eine andere Wohnung?“
„Wie meinst du das?“
„Eine für uns alle. Mit Hans?“
„Hättest du das denn gerne?“
Jo fährt auf den Stellplatz neben dem Tierheim und dreht sich zu ihrem Sohn um. Luca betrachtet angestrengt seine Nägel, von denen die dunkelgrüne Farbe schon fast vollständig abgeblättert ist. Sie macht eine weitere gedankliche Notiz, schwarzen Lack zu besorgen. Den hat er sich als nächstes gewünscht und sie weiß, der Zwerg wird sie an die alte Farbe nicht ranlassen, ohne, dass sie neue besorgt hat, die sie ihm anschließend aufträgt.
„Ich mag Hans echt gerne, Mama.“
Sie drückt ihrem Sohn die feuchte Hand. „Ich auch.“
„Aber ist es okay, wenn ich keine andere Wohnung will? Auch, wenn Hans dann traurig ist?“
Jo quetscht sich so gut es geht zwischen den Sitzlehnen hindurch, um Luca zu umarmen. „Natürlich ist das okay, Cookie.“
Er schnieft.
„Und Hans ist auch gar nicht traurig.“
„Doch.“
„Nein. Mach dir keine Sorgen.“
„Aber er hat es mir gesagt.“
Jos Herz setzt einen Schlag aus. Sie nimmt das Gesicht ihres Sohnes in beide Hände. „Was hat er gesagt?“
„Dass er traurig ist, weil er nicht bei uns wohnen darf.“
Zähneknirschen.
„Als du weg warst.“
„Cookie. Das war nicht in Ordnung von Hans.“
„Du darfst nicht mit ihm schimpfen.“
Etwas in Jos Brust explodiert.
„Werde ich nicht, versprochen. Aber du darfst nicht mehr traurig sein, okay? Das ist ein Erwachsenenthema. Und Hans hätte nicht mit dir darüber sprechen dürfen. Ich rede mit ihm.“
„Mama, bist du sauer?“
„Auf keinen Fall.“
So viele Lügen. Und so viel Wut. Als Jo mit Luca an der Hand auf das Tor der Tierhelfer zustapft, ist ihr ein bisschen schwindelig. Sie könnte Hans umbringen für das, was er getan hat. Wie kann er es wagen, ihren Sohn in diese Diskussion hineinzuziehen? Das ist astreine Erpressung. Sie muss unbedingt mit ihm reden.
Als Jo die gusseiserne Klingel drückt, brummt ihr Handy. Sie zieht es ein Stück aus der Jackentasche, um aufs Display zu schauen. Es ist eine Nachricht von Adam. „Du fehlst.“
Mist.
Mist.
Mist.