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Kapitel 7

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Die Leiterin des Tierheims kann sich noch an Jo erinnern und fragt nach Obama. Jo zeigt ihr Fotos, Luca kommentiert: Lieblingsplatz, Lieblingsessen, Lieblingsdecke. Der Katzenflügel ist gerade unter Quarantäne. Vor ein paar Tagen sind viele Tiere hier angekommen, die von irgendwelchen geldgeilen Arschgeigen in beengten Käfigen in einer viel zu kleinen Wohnung gehalten worden waren, um sie weiterzuverkaufen. Die meisten von ihnen in elendem Zustand. Jo erinnert sich daran, dass die Kollegin, die für Ingelheim in der Wochenkonferenz sitzt, davon erzählt hat. Nachbar*innen hatten sich wegen des üblen Geruchs aus der Wohnung beschwert. Die Polizei war angerückt und hatte das Lebendtierlager entdeckt. Insgesamt eine ziemlich miese Geschichte. Die armen Viecher.

Kurz befürchtet Jo, nun unverrichteter Dinge wieder abfahren zu müssen, als die Leiterin ihnen anbietet, einen Wurf dreimonatiger Kitten anzuschauen. Weil die Neugeborenen im Tierheim in einem speziellen Bereich untergebracht sind, ist das Zimmer der Familie von der Quarantäne nicht betroffen. Eigentlich wollte Jo dem Sohn lieber die älteren Tiere zeigen. Nonna hat ihm extra erklärt, wie schwierig es für die ist, ein Zuhause zu finden, weil viele Leute lieber Babys adoptieren. Nun sitzt sie doch mit Luca inmitten einer Bande entzückender kleiner Plüschkätzchen in allen Farben und kann sich ungefähr vorstellen, wie das ausgehen wird.

Sie beobachtet, wie Luca mit konzentriertem Gesichtsausdruck eine Babykatze nach der anderen in Spiele verwickelt. Die Fünf haben ganz unterschiedliche Farben und Muster. Besonders hat es Jo eines angetan, das bis auf die Pfötchen und einen Fleck am Bauch vollkommen schwarz ist. Es hat sich neben Luca eingerollt und schläft, den Kopf leicht an den Oberschenkel des Jungen gedrückt, während er mit einem Kitten nach dem anderen spielt, sie krault und streichelt. Nur das kleine schwarze scheint ihn so gar nicht zu interessieren. Plötzlich steht eine Mitarbeiterin des Tierheims in der Tür. Sie scheint überrascht, Jo und Luca hier zu sehen.

„Hi, sorry. Ich muss Sie bitten, den Raum zu verlassen.“

„Oh, okay. Machen Sie schon zu?“

„Nein, aber wir haben beschlossen, wegen der Quarantäne mit der Familienfindung der Kleinen eine Woche früher anzufangen.“

„Was meinen Sie?“

„Wir geben die Kätzchen heute in die Vermittlung.“

„Das heißt?“

„Das heißt, wir lassen jetzt die Leute hier rein, die sich für eine Adoption interessieren. Draußen ist sogar schon eine Schlange, die Kleinen haben viele Fans, die sie in den letzten Wochen besucht haben. Und Sie wollten nur zum Spielen reinschauen, oder?“

„Nein, wir möchten ein Kätzchen haben, gell Mama?“

Jo zögert einen Moment. Sie war nicht darauf vorbereitet, dass sie darüber so schnell entscheiden muss.

„Wollen Sie?“ Die Mitarbeiterin steht abwartend in der Tür. „Und wissen Sie auch schon, welches? Dann merke ich das auf der Tür vor, damit wir keine Dopplungen haben.“

Luca setzt das Tier, mit dem er gerade gespielt hat, vorsichtig auf den Boden. Er tippt mit dem Finger zart auf den Kopf der kleinen schwarzen Katze, die sich neben ihm eingerollt hat. „Die da.“

Zuhause schickt Jo ihren Sohn erstmal in die Wanne. Sie will in Ruhe das Interview mit René Adler runterschreiben und in die Redaktion schicken. Dafür ist sie ohnehin schon spät dran. Luca verschwindet ohne Murren im Badezimmer. Auf der Heimfahrt hat er nicht viel gesprochen, nur mit großer Ernsthaftigkeit das Papier in seinen Händen betrachtet. Nun liegt das Blatt neben Jo auf dem Schreibtisch und sie muss über Lucas krakelige Unterschrift neben ihrer eigenen grinsen. Er wollte den Vertrag, mit dem sie sich dazu verpflichten, das schwarze Kätzchen in zwei Wochen abzuholen, unbedingt mitunterzeichnen. „Sicher ist sicher“, hatte die Leiterin des Tierheims gescherzt und ihm zugenickt. Jo muss grinsen. Ihr Sohn schafft es sogar, die sonst oft eher brüsk auftretende Frau um den Finger zu wickeln. Von seiner Mutter ganz zu schweigen. Mit einem Seufzer streichelt sie Obama, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hat. „Hoffentlich bereue ich das nicht, Dicker. Und hoffentlich verstehst du dich mit der kleinen Maus.“

Als Jo ihr Mailprogramm öffnet, um das fertige Interview an Dave zu schicken, beginnt ihr alter Laptop mächtig zu rödeln. Offenbar ist da Post mit viel Anhang in der Leitung. Das legt ihr fast das System lahm. Die Anzeige in der Taskleiste steht bei 53 Prozent. Vermutlich irgend so ein Werbeschwachsinn. Genervt rollt Jo weg vom Schreibtisch und rüber zum Sideboard, wo ihr Handy liegt. Obama nörgelt leise bei der Bewegung, bleibt aber liegen. Jo wählt Hans’ Nummer. Nachdem für eine gefühlte Ewigkeit nur das eintönige Tuten aus der Leitung klingt, geht der Anrufbeantworter an. Sie runzelt die Stirn. Hans hat heute Abend definitiv keinen Dienst, was bei ihm meistens bedeutet, dass er zuhause auf dem Sofa liegt. Zumindest, wenn er nicht bei ihnen ist. Sie hinterlässt ihm eine Nachricht mit der Bitte um Rückruf.

„Mamaaa.“

Sie kann es nicht leiden, wenn Luca so durch die Wohnung brüllt und reagiert nicht auf seinen Ruf.

„Maaamaaaa.“

Obama springt aufgeschreckt von ihrem Schoß und Jo läuft durch den Flur zum Badezimmer.

„Cookie, du sollst nicht so brüllen, das weißt du doch.“

„Was essen wir denn heute Abend?“

„Worauf hast du denn Lust?“

„Pizza? Zur Feier des Tages?“

„Was feiern wir denn?“

„Weißt du doch.“ Luca strahlt und Jo ertappt sich beim Gedanken, dass dieses Glück ihres Sohnes alles wert ist, alles aufwiegt, alles ist, was sie jemals braucht und möchte. Dabei stellt sie fest, dass sie solche Formulierungen bei anderen Müttern immer schrecklich findet. Als wären die erst durch ihren Nachwuchs zu Menschen geworden. Als sei eine Frau, die kein Kind hat, irgendwie mit einem Makel behaftet. Als gäbe es nur diesen einen Weg zum Glück. Jo betrachtet ihren Sohn. Sie ist sicher, dass ein anderes Leben möglich gewesen wäre. Auch für sie. Dass sie ohne diesen Jungen ebenso glücklich hätte sein können, einfach, weil sie dann das Gefühl, ihn zu lieben, nicht kennen würde. Aber sie ist froh, sich für diesen Weg entschieden zu haben. Vorsichtig beugt sie sich zu Luca und küsst seinen nassen Schopf. „Was für eine Pizza möchtest du denn, Großer?“

„Juhuuu!“

„Die Sorte kenne ich gar nicht.“ Sie kitzelt seine nassen Arme.

„Mit Fischstäbchen!“

„Es gibt keine Pizza mit Fischstäbchen.“

„Nein, aber es gibt Pizza mit Spinat, da kann man Fischstäbchen drauflegen. Das habe ich ihm Internet gesehen.“

„Mh. Klingt eigentlich ganz lecker. Muss ich ja zugeben.“

Jo hat gerade die Pizzen in den Ofen geschoben, als das Telefon klingelt. Es ist Dave und sie spürt ihre unverhohlene Verärgerung darüber, nicht Hans’ Nummer im Display zu sehen.

„Hi, Dave.“

„Oh, du erinnerst dich also an mich.“

„Was. Äh.“

„Hast du mal auf die Uhr geschaut?“

„Hast du deine verlegt?“

„Jo, wir warten auf das Interview. Schon mal was vom verfrühten Sportandruck für die ergebnisfreien Seiten gehört?“

„Shit, sorry, hier hat vorhin ein Mailanhang das Postfach verstopft. Und dann habe ich es vergessen. Tut mir total leid.“

Genervtes Schnauben.

„Ehrlich, Dave. Du hast das Interview in einer Minute. Und ich habe auch ein paar Bilder gemacht.“

„Gut genug für den Zeitungsdruck?“

„Denke schon. Das neue Handy hat echt eine super Kamera und die Sonne hat geschienen.“

„Das heißt, die Bilder sind draußen?“

„Ja. Waren kurz mit ihm im Stadion vor dem Gespräch.“

„Alles klar, schick durch. Morgen arbeitest du in der Redaktion, wie abgemacht?“

„Logisch.“

„Gut. Dann bis dann.“

„Bis dann.“

Fluchend hechtet Jo zum Schreibtisch, hängt die Fotos von Adler an ihre vorbereitete Mail, fügt Daves Adresse der Sammeladresse für den Sport hinzu und drückt auf Senden. Sie könnte sich selbst in den Arsch treten dafür, dass sie vergessen hat, das Interview zu mailen. Ausgerechnet, nachdem heute sowohl Schneider als auch Dave über ihre vielen Home-Office-Tage gesprochen haben.

Gerade will sie den Laptop zuklappen, da fällt ihr wieder ein, wie der vorhin ums Überleben gerödelt hat. Sie checkt ihr Postfach. Die Mail, die alles lahmgelegt hat, ist von Finn, der Betreff: „Bitte nicht löschen, Jo!!!“ Der Typ ist wirklich hartnäckig. Sie klickt auf den kleinen Umschlag. Der Anhang sind Fotos des Spielers, auf den Finn sie kürzlich schon angesprochen hat. Wie hieß der noch? Ugonna irgendwas. Jo mustert ein Bild, auf dem er im Porträt zu sehen ist. Wirkt noch verdammt jung, der Kerl. Und wo hat sie nur diesen Namen schon mal gehört? Vermutlich, als es um eine der Mannschaften aus dem Nachwuchsleistungszentrum des Vereins ging. Für die Profis kann der unmöglich schon spielen.

„Jo, das hier ist Ugonna Okorie aus Nigeria. Er ist seit einem Jahr im Nachwuchsleistungszentrum der 05er. Bei dem Auswärtsspiel in München war er im Kader der Profis. Hast du das zufällig mitbekommen? Meine Quelle sagt, du warst nicht vor Ort.“

Seine Quelle, so, so. Jo schnaubt und blättert in ihrem Kalender. Aber Finn hat Recht, sie hatte an dem Wochenende keinen Dienst, weil sie Nonnas 75. Geburtstag nachgefeiert haben. Der war am 11. September. Sie erinnert sich jetzt aber an die Partie und auch an Ugonna. Der spielt nämlich eigentlich seit Sommer für die U19, weil aber Danny Latza kurzfristig mit einer Verletzung aus dem Abschlusstraining ausgefallen war, hatte Sandro Schwarz Okorie als Back-up für diese Partie in den Kader der Profis beordert. Und weil Pablo de Blasis gegen die Bayern richtig untergegangen ist, hatte Schwarz den jungen Spieler tatsächlich noch vor der Halbzeit eingewechselt. Jo stutzt. Das ist jetzt einen Monat her. Wohin ist der Junge seither verschwunden? Sie kann sich nicht erinnern, nochmal etwas von ihm gelesen zu haben. Der Verein hatte Interviewanfragen mit dem üblichen Hinweis auf den Schutz des jungen Spielers abgelehnt – aber beim Training ist er ihr auch nicht mehr untergekommen. Ob er einfach zur U19 zurückgekehrt ist? Möglich wäre es. Sie verflucht sich selbst dafür, dass sie es nicht schafft, regelmäßiger zu verfolgen, was in den Nachwuchsteams gerade läuft. Das muss sie unbedingt ändern.

„Er steckt in riesigen Schwierigkeiten. Bitte triff dich mit uns, Jo, bitte. Wir brauchen deine Hilfe. Mir fällt sonst niemand ein. Bitte.“ Jo schüttelt unwillig den Kopf. Wer außer überdrehten Autoren für schlechte Drehbücher benutzt bitte die Formulierung, dass jemand in Schwierigkeiten steckt? Zugegeben, Finns Hartnäckigkeit weckt ihre journalistische Neugierde. Aber sie hat absolut keinen Bock, sich mit dem Typen zu treffen. Nicht nach dem, was Jonas passiert ist, als der ihm helfen wollte. Warum kapiert Finn das bloß nicht? „Zu viele Kopfbälle“, murmelt sie und kichert über ihren eigenen doofen Witz. „Klischees? Kann ich.“

„Mit wem redest du denn, Mama?“

„Mit mir selbst.“

„Worüber?“

„Darüber, dass ich jetzt gleich mit dem besten Kind der Welt eine leckere Pizza verspeisen und es dann ins Bett schmeißen werde, damit ich noch ein bisschen in Ruhe arbeiten kann.“

Sie setzt zu seiner Verfolgung an und Luca rennt quietschend in die Küche.

Nach dem Essen ist ihr Sohn so müde, dass er nicht protestiert, als sie ihm sagt, die Gutenachtgeschichte muss heute ausfallen, weil es schon so spät ist. Jo stopft die Decke um ihn herum fest, so wie Luca das gerne mag, dann küsst sie ihn auf die Stirn.

„Schlaf gut, mein Großer.“

„Du nachher auch, Mama.“

„Und träum was Schönes.“

„Von Pesto.“

„Pesto? Sag bloß, du bist nicht satt geworden?“

Luca grinst. „Doch. Aber Pesto heißt unsere neue Katze.“

„Haha. Nein. Auf gar keinen Fall.“

„Ach Mama. Das hast du neulich auch gesagt, als ich eine zweite Katze wollte. Und guck, was da draus geworden ist.“

Jo beißt ihrem Sohn leicht in die Wange. „Kleiner Mistkäfer.“

Er grinst unter müden Lidern. „Gute Nacht, Mama.“

„Gute Nacht, Cookie.“

Vergiftete Hoffnung

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