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Kapitel 4

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Jo wird davon wach, dass ihre Nase kitzelt. Als sie sich ins Gesicht greift, um daran zu kratzen, landet ihre Hand in Obamas weichem Fell. Der seufzt theatralisch und dreht sich so auf den Rücken, dass Jo keine Luft mehr bekommt unter seinem dicken Pelz.

„Puffel, I love you too, aber lass mich bitte am Leben.“

Der Kater reagiert mit einem empörten Schlag nach ihrer Hand, als sie sich erdreistet, ihn von ihrem Gesicht zu heben. Sie tastet im Halbdunkel nach dem Kissen neben sich, es ist leer. Vermutlich ist Hans bereits zur Arbeit gegangen.

Jos Magen krampft sich zusammen. Das Chaos der letzten Wochen trifft sie schmerzhaft. Adam. Hans. Luca. Adams Hände. Hans, der eine ganze Woche alleine mit ihrem Kind verbringt. Luca, der Erstklässler, der letzte Nacht unter müden Lidern in ihre Küsse gemurmelt hat, wie sehr er sich freut, sie wiederzusehen. Hans, der für sie gekocht hatte, Spaghetti Arrabiata, obwohl er selbst kein scharfes Essen mag. Dazu Merlot aus bauchigen Gläsern und viele Fragen zum Workshop, den sie angeblich in der letzten Woche in der Bretagne besucht hat. „Sportjournalismus heute“, sie hat ihm die Infoblätter gezeigt im Vorfeld. Erklärt, wieso es wichtig für sie ist, sich weiterzubilden auf dem Gebiet.

Weniger, weil sie das inhaltlich nötig hätte, als um zu beweisen, sie hat die neue Stelle nicht als Trostpflaster gegen den Tod ihres besten Freundes bekommen, sondern, weil sie das kann, was der Posten erfordert. Nur deswegen ist Sportchef Dave Wright auf sie zugekommen und hat ihr reichlich überraschend angeboten, Jonas’ Nachfolgerin im Sport zu werden. Was Jo zunächst vollkommen absurd erschien, dann aber schnell sympathisch wurde, so dass sie das Angebot schließlich annahm. Seit Saisonbeginn begleitet sie die 05er nun nicht mehr nur als Fan, sondern befasst sich auch journalistisch noch intensiver mit dem Verein und hat in der kurzen Zeit bereits festgestellt, wie sehr ihr die Aufgabe liegt.

Die Lüge war eine leichte gewesen. Hans hatte selbst angeboten, eine Woche bei Luca zu bleiben, damit Jo sich in dem Workshop weiterbilden konnte. Was sie ursprünglich auch wollte – bis die Geschichte mit Adam immer weiter ins Rollen kam und der eine Woche Auszeit in Barcelona vorgeschlagen hatte. Warum sie darauf eingegangen war, das funkt jede Faser ihres Körpers ganz deutlich, doch gerade versucht Jo, sich einzureden, was für ein vollkommener Blödsinn die ganze Geschichte gewesen ist. Und dass sie abgeschlossen sein muss, keine Fortsetzung mehr haben wird, in ihrer Vergangenheit liegt, unumstößlich.

Die Schritte, die leise ins Zimmer tapsen, erkennt Jo sofort als die ihres Sohnes. Sie weiß, wie gerne Luca sie weckt und schließt ihre Augen daher fest, um ihm die Gelegenheit zu geben. Auch durch die geschlossenen Lider nimmt sie wahr, wie sich das Licht im Schlafzimmer verändert, weil die Vorhänge geöffnet werden. Sie runzelt überrascht die Stirn. Seit wann schafft es Luca, die selbst zu bewegen? Der Duft, der sie trifft, ist eine Mischung aus allzu Vertrautem. Lucas Kinderatem, Kaffee, frisch gebrüht, feuchtes Papier und Hans’ Rasierwasser. Jo hört flüsternde Stimmen, schielt aus einem Auge ins helle Licht und schaut in zwei erwartungsvolle Gesichter. Ihr Herz macht einen frohen Sprung.

„Hase! Ich dachte, du bist im Präsidium?“

Hans strahlt, stolz auf seinen Coup. „Nee. Morgen ist doch Feiertag und ich habe heute frei genommen. Muss erst am Mittwoch wieder hin. Wir haben also zwei Tage zu dritt.“

Er beugt sich zu ihr und sein Kuss ist frei von Beiläufigkeit und Alltag. Es ist ein Kuss, den sie gerne ausbauen würde, was aber natürlich mit dem erwartungsvoll dreinschauenden Luca in ihrer Mitte nicht möglich ist. Hans drückt ihre Hand und zwinkert ihr zu und Jo erinnert sich dunkel, dass sie letzte Nacht eingeschlafen sein muss, während er in der Küche den Tisch abgeräumt hat. Kurz hatte sie da noch davon geträumt, sich an ihn zu drängen, wenn er zu ihr ins Bett kommen würde, ihn zu sich zu ziehen, mit Küssen zu bedecken, anzufassen, in sich zu spüren – dann hat der Schlaf sie mit sich fortgezogen. Nun bedauert sie das.

„Mama, hier ist deine neue Ahzett!“ Luca legt die nassgeregnete Allgemeine Zeitung auf ihrer Brust ab und lässt sich mit lauten Küssen in sie fallen. Jo spürt ihren Nacken rebellieren unter seiner Ruppigkeit, verkneift sich aber einen Tadel und streichelt seine wilde Haarpracht. „Dich müssen wir bald mal wieder zum Friseur bringen, Cookie!“

„Nee, Mama, das trägt man heute so.“

„Ach was, ist das so? Das musst du deiner alten Mutter erklären!“ Sie kitzelt ihn unter den Achseln, Luca strampelt und schreit.

„Mama, nicht, dein Kaffee!“ Seine nackten Füße stehen in der Luft und er bemüht sich sichtlich, sie nicht in Richtung des Nachttischs und in ihre Tasse abstürzen zu lassen.

„Kein Kaffeefußbad?“ Sie zieht ihn weiter ins Bett und mit einem lauten Schnaufen lässt ihr Sohn die Füße auf die Decke fallen.

„Mama, du bist uuunmöööglich!“ Er kichert und Jo bedeckt sein Gesicht und den blonden Schopf mit Küssen.

„Ich habe dich so vermisst, Cookie.“

„Mama. Ich bin kein kleines Kind mehr.“

„Ach nein? Du kommst mir aber noch ganz schön kurz vor.“

„Aber ich hab’ nicht einmal geweint, weil du weg warst. Hans sagt, ich war ganz schön erwachsen.“ Stolz richtet er sich auf.

„Du warst wirklich super, Luke. Komm, lass uns mal Frühstück machen, dann kann Mama in Ruhe den ersten Kaffee trinken und in der Zeitung schauen, was die 05er in ihrer Abwesenheit gemacht haben, okay?“ Er zieht den Jungen mit sich.

„Luke?“ Jo schaut skeptisch von einem zum anderen.

„Skywalker!“, rufen die beiden wie aus einem Mund. Jo erinnert sich vage, dass sie einen Star-Wars-Marathon zusammen machen wollten – offenbar hat der also stattgefunden.

Der Kaffee schmeckt nach Zuhause. Jo nippt vorsichtig, genießt dabei die Wärme in ihren Händen und den Geruch, der dampfend aus der Tasse aufsteigt. Die ersten beiden Seiten der Zeitung sind durch den Regen völlig verklebt. Sie schüttelt den Sport aus dem hinteren Teil und streicht die Seiten glatt, als er in ihren Schoß fällt. In diesem Moment klingelt ihr Handy auf dem Nachttisch.

„Was zur Hölle?“ Jo betrachtet ungläubig die Nummer. Es ist Finn. „Du traust dich ja was“, murmelt sie hinter zusammengebissenen Zähnen und lässt das Handy weiter klingeln.

Auf den Sportseiten überfliegt Jo die Berichte zu den anstehenden WM-Qualifikationsspielen gegen Nordirland und Aserbaidschan. Sie kann es nicht konkret begründen, aber die Nationalmannschaft interessiert sie aktuell kein bisschen. Schade, dass deren Spiele der Bundesliga gerade eine Pause verordnen, sie wäre gern mit Luca ins Stadion gegangen am Wochenende. So müssen sie sich eine Woche gedulden, dann steht ein Heimspiel gegen den Hamburger SV an. Wenigstens mal wieder eine ausverkaufte Partie. Sie seufzt und erschrickt, als im nächsten Moment ihr Handy piepst. Finn hat ihr eine Nachricht auf die Mobilbox gesprochen.

„Hey Jo.“ Pause „Darf ich dich überhaupt so nennen?“ Nervöses Lachen. „Es. Ich würde wirklich gerne mit dir sprechen.“ Sie kann ihn atmen hören, es klingt schwerfällig. „Schau, ich weiß, dass du auf mich nicht gut zu sprechen bist. Aber es geht nicht um mich. Jemand, der sie verdient hat, braucht deine Hilfe. Bitte melde dich doch mal bei mir. Du bist der einzige Mensch, der mir einfällt.“

Wütend schnaubt sie durch die Nase. Vor einem Jahr war Jonas der einzige Mensch, der ihm eingefallen ist. Und was hat das ihrem besten Freund gebracht? Den Tod. Was bildet sich dieser kleine, überbewertete Kicker eigentlich ein, sie mit seinem Schwachsinn zu belästigen? Das Handy piepst erneut. Eine SMS.

„Hast du die Nachricht abgehört?“

„Fick dich, Finn. Lass mich in Ruhe“, tippt Jo wütend.

„Okay, fair.“

„Was weißt du denn über Fairness?“

Finn Arscholch schreibt.

Online.

Online.

Finn Arscholch schreibt.

Online.

„Gib mir fünf Minuten.“

„Wieso sollte ich?“

Finn Arscholc h schreibt.

Online.

Finn Arscholch schreibt.

Jo muss lachen. Nicht, weil sie Finn statt des Nachnamens in ihrem virtuellen Telefonbuch ein „Arschloch“ verpasst hat, sondern, weil sie beim Abspeichern seiner Nummer offenbar so neben sich stand, dass sie das Wort falsch geschrieben hat. Dann ploppt ein Foto im Chat auf: ein schwarzer Jugendlicher mit neugierigen Augen, im roten Trikot der aktuellen Saison des 1. FSV Mainz 05.

„Sagt er dir was?“

„Nein. Sollte er?“

„Das ist Ugonna Okorie.“

„Okaaay.“

„Er ist in Schwierigkeiten.“

„Und warum ist das mein Problem?“

Finn Arscholch schreibt.

Online.

Finn Arscholch schreibt.

Am Küchentisch schlägt Luca laut und vernehmlich sein Messer auf den Rand seines Tellers. „Maaaamaaa. Es gibt Früüüühstück.“ Jo lässt das Handy ohne einen weiteren Blick aufs Bett sinken und verlässt das Schlafzimmer. Sie hat keine Lust, sich mit Finn und dem, was ihn beschäftigt, auseinanderzusetzen. Wie dumm von ihr, dass sie seine Nummer nicht schon vor Monaten gesperrt hat, dann könnte er sie jetzt einfach nicht erreichen. Sie beschließt, das nach dem Essen nachzuholen, um die Verbindung zwischen sich und dem Spieler zu kappen. Denn Finn kann sie mal kreuzweise. Und Ugonna, dings, unbekannterweise auch.

Vergiftete Hoffnung

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