Читать книгу Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner - Страница 6
– 3 – Arztbesuch
ОглавлениеEs gab ihn dann doch noch, diesen Kleinkrieg, doch wurde er diesmal sehr manierlich, und nur in Form von einer Papierschlacht ausgefochten.
Doch dieses Gemetzel interessierte mich nicht, und so zog ich mich abseits an eine kleine, dafür aber sehr hohe Fensterfront.
Von dieser Seite aus konnte ich einen riesigen Parkplatz überblicken. Die Startbahn sah ich nicht. Ich spürte nur die starken Vibrationen, wenn Flugzeuge vorbeikamen. Dass die schallisolierten Fenster den Großteil des Lärms schluckten, ließ das Ganze wie einen Traum wirken. So nah, und doch so fern, so als wäre ich selbst gar nicht hier. Ich liebte solche Momente, die Gedanken konnten dann so schön reisen.
Hinten gegen eine graue, unverputzte Betonwand gelehnt, ließ ich meinen Blick draußen über die Dächer der Autos wandern. Da waren sie wieder, die unzähligen Romane der Anderen. Alle warteten sie darauf gelesen zu werden, doch ich konnte es nicht. Die Bücher waren alle verreist. Keine Gesichter, die sie mir erzählen wollten.
Deshalb versuchte ich in mein eigenes Abenteuer zu versinken, doch es fühlte sich noch zu fremd an, und so durchlebte ich einen dieser Augenblicke, in dem die Gedanken auf Reisen gingen, und man, sobald sie wiederkehrten, nicht wusste, wo sie eigentlich gewesen waren.
«Na, wird es dir mulmig?», hörte ich eine warme, angenehme Frauenstimme in meinem Ohr und spürte, wie eine Hand sich freundschaftlich auf meine Schulter legte.
Ich war zu müde, um jetzt noch zu spielen, und wagte es nicht mich umzudrehen.
Auch wollte ich keine Freundlichkeit für eine dieser dunklen und kalten Kameras aufbringen, obwohl ich mir eingestehen musste, dass die Journalistin den richtigen Ton getroffen hatte. Beinahe hätte ich sie nicht einmal erkannt gehabt, wäre da nicht ihre Hand gewesen.
«Bist du eigentlich schon einmal geflogen?», fragte sie weiter und schien sich an meinem Schweigen nicht weiter zu stören.
Langsam, fast resignierend senkte ich den Blick, bevor ich diesen hereinrief.
«Nein, das ist mein erster Flug», sagte ich mit etwas übertrieben lauter und deutlicher Stimme. Doch da fehlte etwas. Wir waren allein. Allein, ohne diese Million Zuschauer auf der Schulter eines einzelnen Mannes, und selbst dieser fehlte.
Verwundert sah ich zu den anderen, die immer noch fleißig Papiere austauschten und unterzeichneten, die drei Mitarbeiter der Frau ungefährlich weit von mir weg und es schien fast als wollte keiner ein Auge für uns beide haben.
Um mir gleich noch mehr Rätsel zu bereiten, trafen sich unsere Blicke nicht, als ich die Frau direkt ansah. Der ihrige ging an mir vorbei nach draußen und ich sah an den Pupillen, die in ihren tiefbraunen Irissen gebettet waren, dass ihre Blicke keinen Halt fanden.
Wie vertraut und doch geheimnisvoll sie mir auf einmal vorkam. Ihre Berührung war fast zu einer Umarmung geworden, als ich mich umgedreht hatte. Und obwohl ich von der Frau wusste wie fordernd, neugierig und überdreht sie war, fühlte es sich angenehm an. Auch wenn es sich dabei um eine Illusion handeln musste, so gönnte ich mir es doch sie zu genießen.
Ich wusste nicht, wie lange wir so dastanden, aber wohl lange genug, als dass in dieser Zeit Kriege entschieden werden konnten.
«Hey, ihr beiden, ausgeträumt, es geht weiter», riss eine kräftige, belustigte Stimme aus weiter Ferne an uns, und ich spürte, wie die Frau kurz zusammenzuckte, bevor sie wieder verhärtete.
«Du wirst es sicherlich mögen», umgarnte sie mich wieder mit ihrem gewinnenden Lächeln, bevor sie zum Millionär davon huschte. Ihre Stimme aber hatte sich nicht so schnell ändern können und so war noch ein letzter Hauch ihrer Zuneigung mitgeschwungen, bevor diese, mitsamt der Wärme auf meiner Schulter, sich in der großen Halle verflüchtigen konnte.
Wieder wollte ich langsam hinter ihnen her schlendern, doch nachdem Konrad einige zugeflüsterte Worte mit ihr ausgetauscht hatte, schien dieser etwas gegen mein Vorhaben einzuwenden zu haben und wartete auf mich.
Als ich mich dann doch noch beeilt hatte und zu ihm gestoßen war, hatte sich die übrige Crew bereits aus meinem Gesichtsfeld entfernt.
«Du musst jetzt nur noch zum Arzt, ein paar Routineuntersuchungen und Impfungen, und schon kann deine Weltreise beginnen», meinte Konrad und war mit allem, und vor allem mit sich selbst zufrieden.
Doch bei diesem Stichwort fiel mir doch gleich etwas ein, was ich geklärt haben wollte.
«Aber muss man die Impfungen nicht eine gewisse Zeit im Voraus haben?», wollte ich mein bescheidenes Wissen ergänzt wissen.
«Mach dir da mal keinen Kopf», sagte er leichtfertig, «das ist alles geregelt», endete er und damit war dieses Thema für mich abgehakt.
Seltsam nur fand ich, dass keine Kamera zugegen war. Irgendwie bereitete dies mir nun Unbehagen, denn der Gedanke sie wollten meine Privatsphäre ungestört lassen, war mir bei denen eher unverständlich.
Vielleicht lag das seltsame Gefühl daran, dass ich Ärzte lieber gehen als kommen sah, und mit meiner Begeisterung für Spritzen war es nicht weit her.
Aber da musste ich nun durch, wie jedes Spiel, so hatte auch dieses seine Tücken.
Das Ärztezimmer lag am Ende eines langen, schmalen Korridors, und nachdem ich die Weite der großen Hallen des Flughafens gewohnt war, fühlte ich mich recht beengt, als ich nun hindurchgehen musste.
Konrad wich nicht von meiner Seite und hatte seine große Hand auf meinen Rücken gelegt, als habe er Angst, ich würde ihm davon laufen.
Irgendwie war ich ihm für seine Hilfe sogar dankbar, denn ohne die Alternative eines Fluchtweges, ging es sich viel leichter.
An der Tür angelangt war es der Millionär, der anklopfte. Verwundert stellte ich fest, dass seine Handknöchel viermal die Tür berührten.
Nun konnte ich auch wieder über mich lachen. Was einem doch alles durch den Kopf geht, wenn man etwas Unangenehmes vor sich hat. Und ich war froh, dass ich es wohl bald hinter mir hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür öffnete und uns ein kleinwüchsiger, gesetzter Mann mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck entgegen trat. Mit einem etwas verspannten Blick sah er an uns vorbei in den Korridor, bevor er uns hereinbat.
Mich begrüßte er mit einem für Ärzte typischen, äußerst schwachen Händedruck. Eine Berufseigenschaft, die noch nie viel Vertrauen bei mir erweckt hatte. Doch diesen Kerl mochte ich auf Anhieb gut leiden. Er hatte ein helles, aufgeschlossenes Gesicht und schien sich die Motivation an der Arbeit bewahrt zu haben.
Er machte sich gleich daran, mich auf jede Verdachtsmomente hin zu untersuchen. Doch als sportlicher Student, der auch noch auf seine Ernährung geachtet hatte, war an mir und meiner Gesundheit nichts zu beanstanden. Während meines Studiums war ich nicht einmal einer dieser allgemein bekannten und hinterhältigen Fünfminutenprüfungskrankheit zum Opfer gefallen.
«Du hast die Kondition und Konstitution zum Abenteurer», schloss er seine Untersuchung, bevor er mir fröhlich pfeifend, einen regelrechten Cocktail an Spritzen abwechselnd in Arme und Hintern jagte.
«Es kann sein, dass dir nachher ein wenig flau wird. Ich gebe dir lieber ein paar Beruhigungstabletten mit, damit du im Flugzeug ein wenig Schlaf findest», sprach er die Warnung erst aus, als die letzte Ampulle ihren Inhalt in meine Blutgefäße ergoss.
«Nein danke», lehnte ich freundlich lächelnd ab. «Ich möchte nicht mehr Chemie als nötig in meinem Körper haben.»
«Richtige Einstellung, mein Kleiner», lobte er mich und war erleichtert, dass ich seine Befürchtungen so leicht nahm.
Da Flugzeuge bekanntlich nicht lange auf jemanden warteten, ging alles recht schnell von der Bühne, schnell genug, damit ich mir keine Gedanken darüber machen musste. Doch dann wartete noch die, in der heutigen Welt, längste Aufgabe auf uns – die Bürokratie.
Es galt noch eine Unzahl von Berichten, Formularen und Bestätigungen auszufüllen. Vieles war vorgefertigt gewesen und brauchte nur ergänzt zu werden.
Zum Zeitvertreib erlaubte ich mir die ausgefüllten Zettel durch meine Hände gehen zu lassen, bevor ich sie Konrad, der die ganze Zeit am Pult gesessen hatte, überreichte.
Nur wenig interessiert flog ich über die Berichte, von denen ich nur wenig, und nichts Wichtiges verstehen konnte.
Nur die Stempel interessierten mich, und die Länder, für welche ich diese Dokumente benötigte.
Als ich einige durchgereicht hatte, wurde ich auf einmal stutzig. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, überprüfte ich meine Vermutung. Die Daten, zu denen diese Formulare ausgefüllt worden waren, schwankten erheblich. Den ältesten Stempel, den ich in meine Hände bekam, war auf vor drei Monaten datiert, und dabei hatte ich dem Arzt eben dabei zugesehen, wie er diesen draufgesetzt hatte.
Nun begriff ich endlich, wieso keine Kamera zugegen war. Diese Tür, die hinter mir war, musste verschlossen bleiben, und Tageslicht war nicht erwünscht.
Auch wenn der Arzt seinen weißen Kittel würdevoll trug und er eine angenehme Persönlichkeit besaß, war mir nun bewusst, dass der Unterseite seines Schreibtisches der Anblick von Geld durchaus vertraut sein musste.
Obschon die Bürokratie in diese Praxis Einlass gefunden hatte, so hatte sie dennoch keinen Sieg davon tragen können. Die beiden Herren hatten ihre eigenen Regeln und sie verstanden es zu spielen.
Hätte ich nicht eine angeborene Schwäche für Zahlen gehabt, so wäre es mir nie aufgefallen. Abgesehen von den anfänglichen bedächtigen Blicken, war keiner der Männer irgendwann ein Unbehagen anzumerken gewesen.
Ich musste lachen über die Vorstellung von der Welt, wie wir sie hatten lernen müssen. Nun begann es erst, das Leben, das wahre. Und mein Flug war gebucht, und ich gesund, beziehungsweise so krank, wie die Menschheit mich nun gemacht hatte, mit all ihren Regeln. Diesmal hatte ich das Gift direkt eingespritzt bekommen, was nicht bedeutete, dass ich es sonst nie bekam, vorher war es nur immer langsamer gewesen, und ohne Einstichstellen. Es waren die Werte, die Erwartungen, die ich nach und nach hatte inhalieren müssen, als wäre ich sonst nur ein Wrack gewesen, ohne diese Kur, die das Leben einem verschreibt.
Der Korridor war nicht mehr der gleiche, als ich wieder raustrat. Der Arzt hatte mich freundlich verabschiedet und mir viel Glück gewünscht. Ich kannte den Menschen nicht, und doch hatte es etwas von einem Abschied an sich haften, in dem Moment, da ich seinen Raum verließ und sich die Tür hinter mir schloss.
Den Dicken hinter mir, sah ich in den Gang, wie in einen langen Tunnel. Zurück konnte ich nicht mehr, da war nur dieses eine Zimmer, mit dem einen, seltsamen Arzt.
Und vor mir lag die Welt, wie in diesem einen, unzählige Male geträumten Traum. Ich hatte nie lange genug schlafen können, um das Licht zu erreichen, aber diesmal würde ich nicht aufwachen.
Bisher hatte ich alles leicht genommen, für mich war es nur ein Spiel, und ich hatte geglaubt, ich, ein untersetzter Knabe, könnte die Regeln bestimmen.
Doch nun musste ich feststellen, dass ich das Spiel nicht einmal mehr beenden konnte.
Es war ein befremdlicher Marsch den Korridor entlang. Dieser mündete in einen Flur, welcher mich an einer hohen Fensterfront vorbei, und weg führte.
Der Dicke ging immer noch hinter mir und sein erregtes Atmen trieb mich weiter. Er, der alles gesehen hatte, hoffte endlich etwas zu finden, was ihn wieder erfreuen konnte, und ich, der noch nichts gesehen hatte, freute mich auf die Suche.
Jetzt waren diese Geier vom Fernsehen wieder da, aber nur noch einer der Kastenträger hatte sein Ungetüm ausgepackt.
Als letztes Mittel seiner Verzerrungskunst hatte er sich weit hinten im Flur platziert, um mich nun wie eine Heldenfigur bei ihrem Aufbruch einzufangen.
Nun half mir auch der Dicke dabei, den Flur und das Bild auszufüllen. Um mir nicht nachher Sabotage nachsagen lassen zu müssen, bemühte ich mich um einen möglichst starken Gesichtsausdruck. Da mir der Verlauf der Reise noch recht ungewiss vorkam, und ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, mich dem Ausmalen möglicher Szenarien hinzugeben, wählte ich eine skeptische Miene, die mir mit reichlich übertriebener Brauenverzerrung wohl auch überzeugend gelang.
Recht versöhnlich lächelte der Kameramann mir zu und ich zeigte meinen guten Willen und gab ihm eine Zugabe.
Langsam hob ich meine Hände und fuhr mir genüsslich durch mein Gesicht, wobei ich mich durch die Präsenz einer Brille nicht stören ließ. Nachdem ich die Spannung der Miene aus meiner Haut gezerrt hatte, faltete ich die Finger ineinander und ließ die Handflächen mit auseinander gespreizten Armen fest gegen meine Stirn gedrückt ruhen, bevor ich mit den Händen über meinen Kopf, durch mein dichtes Haar fuhr, um dann mit einem genussvollen kräftigen Atemzug meine Arme neben meinem Körper auszuschütteln.
«Jetzt bin ich doch ein bisschen aufgeregt», trat ich an die Journalistin heran.
Mich beschlich die Befürchtung, dass wenn ich nicht bald zu reden anfing, ich nachher beim Schnitt sehr schlecht davon kommen könnte. Mir machte der Gedanke Angst, dass ich vielleicht als dummer umhertänzelnder Affe in die Wohnzimmer der verstrahlten Zuschauer gesendet würde.
Erfreut darüber, dass ich doch noch auftaute, zog die Frau mich gleich wieder in ihre Arme. Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben und glaubte nun, dass sie ihre Erwartung in die Reaktion eines normalen Menschen bald erfüllt sehen würde.
Wie sehr sie sich da irrte, denn als sie mich nun zu sich heranzog, fehlte die Wärme. Es war, als wäre sie wieder die Frau, die ich kennengelernt hatte. Die andere, die, die mich zuvor umarmt hatte, war kaum mehr als eine verblassende Spiegelung in einem großen Fenster, von dem ich mich eben abwendete und wusste, dass ich nicht wieder zurückkommen würde.
Dieser Schock, dieses erbarmungslose Verschwinden der Illusion ließ mich schlagartig erfrieren. Weder ihre hingebungsvollen Versuche mich zum Reden zu bewegen, noch die erwachte Hoffnung in den Augen des Kameramannes konnten daran etwas ändern.
Fast erdrückte sie mich mit ihrem verkrampften Bemühen, mich an sich zu binden. Doch je fester sie ihren Arm um mich schlang, desto weiter entfernte ich mich wieder aus ihrer Welt. Mein schüchternes Wesen duldete keine Aufforderung, sich zu zeigen.
«Sabrina, jetzt lass den Jungen doch endlich los», befreite mich Konrad aus ihrem hilflosen Griff, lange nachdem der Kameramann resigniert hatte.
Sabrina, dachte ich, erfreut, dass ich ihren Namen nun endlich wusste. Nur Sabrina kannte ich noch nicht, sie war mir, seit ich sie kennengelernt hatte immer fremder geworden. Das Spiel, auf das ich mich eingelassen hatte, war mir längst entglitten, ich war nun nur noch ein Spieler. Regeln und Drehbuch hatte inzwischen jeder aufgeben müssen. Dies sollte ein Abenteuer werden, so hatte sich Konrad es vorgestellt, und ich es mir gewünscht, und gemeinsam mussten wir merken, dass man ein solches nicht planen konnte. So traten wir nach draußen und die erste frische Brise, die unsere Nase umspülte, ließ uns diese nur oberflächlich wahrgenommene Erkenntnis rasch vergessen.
Nirgends gab es eine Absperrung und niemand schien uns aufhalten zu wollen. Nur ein einzelner Angestellter des Flughafens war zu uns gestoßen und führte uns nach einer knappen Begrüßung wortlos auf die Rollbahn hinaus.
Dort stand ein wahres Schlachtross an Flugzeug. Allein die Größe schlug mich fast zu Boden. Nur am Himmel und im Fernsehen hatte ich sie bisher winzig klein gesehen. Selbst aus dieser, noch beachtlichen Entfernung, lehrte mich dieses Ungetüm Ehrfurcht.
Bei den riesigen Rädern angefangen, wusste ich nicht, wo mein Staunen aufhören sollte.
Mein Blick klebte förmlich am Flugzeug, und so fiel mir nicht auf, dass ich meinen Kopf immer weiter hatte drehen müssen, und wir allesamt am Flugzeug vorbei gegangen waren.
Erst als mein Hals zu schmerzen anfing, riss es mich aus meiner Bewunderung und ich blickte vorwurfsvoll den Flughafenangestellten an, der in einem unverschämten Tempo mir dieses ehrfurchterregende Monstrum wieder kleiner werden ließ.
Ich hatte kein Verständnis für diese Missachtung dieser atemberaubender Größe gegenüber. Wiederholt drehte ich mich, fast wie ein kleines Kind, zu diesem Flugzeug um, hin und her gerissen zwischen Staunen und Enttäuschung.
Völlig fassungslos nahm ich die nüchterne Teilnahmslosigkeit der Anderen wahr. Sie hatten es nicht einmal bemerkt und ihm sicher nicht die Bewunderung entgegen gebracht die dieser enormen Erscheinung angemessen war.
Es war ein befremdlicher, beeindruckender Weg über die ebenmäßige Startbahn hinweg. Alles wirkte so gehetzt, und doch hatte man die Ruhe zu gehen, eigentlich gar zu spazieren. Wenn ich den Dicken betrachtete, so hatte ich das Gefühl, als ging er durch einen Wald hindurch, so entspannt, so gelöst schritt er voran.
Nichts erinnerte an den herrschsüchtigen, alles kontrollieren wollenden Manager, vielleicht noch sein Blick, aber den konnte ich, hinter ihm herschreitend, nicht erkennen.
Kurz nachdem die Truppe hinter einem Tankwagen verschwunden war, konnte ich abermals ein Flugzeug erblicken. Dieses aber konnte mich nun nicht mehr mitreißen. Klein und unauffällig, wenn es nicht so spitz und schnittig frech einen angestarrt hätte, rollte es eben aus einem der zahlreichen kleineren Hangars hervor.
Konrad, Sabrina und die Anderen blieben wartend stehen, und als ich sie eingeholt hatte, konnte ich einen neuen Glanz in Konrads Augen sehen.
«Jetzt zeig ich dir, wie man richtig reist», meinte Konrad scherzhaft, doch ich spürte, dass er es ernster meinte, als er es aussprach, während er mich das erste Mal mit einem fühlbar emotionalen Anhauch – wenn man seine Wutausbrüche nicht mitzählte – mit einem seiner kräftigen Arme an sich drückte und durchschüttelte.
«Damit du auch etwas hast, wovon du träumen kannst», fuhr er lachend fort und nickte zu dem kleinen Spielzeug, das dort auf uns zugerollt kam.
Ich begleitete ihn kurz in seinem Lachen, auch wenn ich kein wirkliches Verständnis für seinen Humor hatte. Ich wusste, dass ich ihm mit seinem Privatflugzeug Unrecht tat, aber für mich war dieses große von vorhin mehr gewesen, auch wenn wir dann mit mehreren Hundert darin gesessen hätten. Es ging mir um das Gefühl, um die Erfahrung und nicht, so wie bei Konrad, um den Besitz selbst.
Sabrina, die neben uns stand, konnte ich nicht sehen, nur ihre fiebrige Erregung konnte ich spüren. Eingefangen wurde es von einer Kamera, die sich in einiger Entfernung postiert hatte. «Was für ein Heldenauftritt», frohlockte ich mir ein amüsiertes filmreifes Lächeln ins Gesicht.
«Wenn schon, dann richtig, nicht wahr Konrad?», meinte Sabrina.
Mir entging ihr dezent ironischer Unterton dabei nicht. Sie wollte sich die Show nicht stehlen lassen. Noch zu jung war ihre Karriere, als dass sie sich diese Chance entgehen lassen durfte.
Konrad verschränkte seine Arme vor seiner geschwollenen Brust, und tat als würde er sein Werk bewundern, und war wieder einmal mit sich selbst zufrieden.
Es war dann doch eine merkwürdige erregende Empfindung die Stufen in dieses Flugzeug zu betreten. Irgendwie hatte ich gleich das Gefühl, als würden meine Füße den festen Untergrund verlieren. Ob es sich dabei nur um eine vom Verstand vorgetäuschte Illusion, oder um mir weich werdende Knie handelte, konnte ich nicht sagen, und um ehrlich zu sein, wollte ich mit keinem Gedanken diesen Moment beschweren.
Höchstens noch die Vorstellung, wie es wohl sein würde in die wirklich große Maschine zu steigen, doch selbst diese gedachte Stimulation verflog, als ich die Treppe verlassen und den Innenraum betreten hatte.
Überwältigend war nicht die Größe, denn die Superlative glaubte ich bereits gesehen zu haben, aber es war der Platz, den man hatte, der mich mehr als nur irritierte. Es hatte so rein gar nichts mit dem zu tun, was ich mir unter Flugzeug allgemein vorgestellt hatte.
Anstelle von Sitzplätzen, wie sie mir aus Zügen bekannt waren, gab es Sessel und schöne hölzerne Tische.
Geblendet von dem hellen, und doch warmen Licht und dem vielen weißen Leder, musste ich mich an der Innenwand stützen, so trunken wurde mir.
Kaum hatte ich die Wand berührt, wurde es unter meiner Hand gleich angenehm warm. Verwundert fuhr ich mit den Fingerspitzen weiter über die Oberfläche und fühlte, wie seltsam weich es war, fast wie Wolle, nur unendlich feiner. Doch mein Tastsinn wollte mir das gestellte Rätsel nicht lösen, und so nahm ich meinen Blick zu Hilfe, der sich aber nur ungern vom Innenraum löste.
Es war wirklich Tierhaar, aber sicherlich keine Wolle, musste ich mich rügen, das war Kaschmir, wie ich mich mit meinem fachmännischen, ungebildeten Blick belehren konnte.
Wolle, musste ich für mich lachen, allein an dem Gedanken merkte man, wie wenig Wissen und Ahnung ich von und über die Upperclass hatte. Fernsehen bildet, ich war ein ungebildeter Mensch. Ruhig sitzen zu bleiben war nicht meine Stärke, außer vor dem Computer, aber wenn ich da spielte, zuckte ich immer wild umher. Und außerdem redete ich mit meinem PC, eine Verbindung, die ich nie zum Fernseher hatte aufbauen können.
Und jetzt strahlte es mich wieder an, oder besser, es saugte mich auf, für die Zuschauer. Erfreut über meine zärtliche Streicheleinlage kauerte ein Kameramann auf seinen Knien und filmte fleißig über die Lehne eines Sessels hinweg.
Abermals hatte ich ihn beim Versuch ertappt, alles möglichst dramatisch wirken zu lassen. Ich freute mich auf die Musik, die ich bei dieser Eintrittsszene hören würde. Es war einfach zu lächerlich.
Die Perspektive, die er nun nach allen Mitteln der Kunst zu verzerren versuchte, ließ viel befürchten.
Der Dicke ließ sich mit einem herzhaften, entspannenden Seufzen in einem der Sessel niederfallen. Etwas verlegen blieb ich, mich befremdlich fühlend, stehen. Nicht aber Sabrina, die sich wie zu Hause fühlte, es aber nicht daran mangeln ließ, Konrad für seine Einrichtung Komplimente auszusprechen.
Sie war wieder in ihrem Element. Fast mehr noch, sie drehte wieder auf, wie ein energiegeladener Kreisel. Nicht wissend, was sie als erstes betrachten, kommentieren oder gar anfassen sollte, zuckte ihr Kopf ständig hin und her. Nicht einmal ihr Redeschwall ließ sich durch ihre, auf mich gestört wirkenden, hektischen Bewegungen beirren. Sie redete als wäre es ihr Leben, und als ginge es nicht um weniger als eben dieses.
Neben dieser Kulisse da konnte ich nur verblassen, ein Umstand, der mir sehr gelegen kam, da es mir ein wenig Ruhe vor Sabrina verschaffte. In diesem Zustand wollte ich nicht ihre Aufmerksamkeit erhaschen.
Da war es mir um einiges lieber sie nun beobachten zu können, besser als Fernsehen war das, ich spürte mehr, und vor allem könnte ich mit ihr sprechen.
Aber das brauchte ich nicht, sie unterhielt sich, und uns mehr als ausreichend. Nicht einmal Konrad wagte den Versuch sie zu bremsen, oder schlimmer noch, sie zu übertönen. Ich traute Konrad wirklich viel zu, aber ein solcher Versuch wäre zum Scheitern verurteilt. Ich kannte keinen Menschen, mich eingeschlossen, der einen wenigstens ebenbürtigen Atem hatte wie Sabrina. Und dann noch ihre Zunge, die war so gewand wie ein Turner, Sätze mit drei Fragezeichen zu versehen, war für sie die leichteste Übung. Beinahe jeder Satz wäre als Schlagzeile brauchbar gewesen. Subtil, und doch bissig. Nur unvorbereiteter Text, keine Probe, kein Schnitt, so sollte Fernsehen sein.
Insgeheim hoffte ich, dass der Kameramann reichlich gute Bilder mit verwertbarem Material fand, und er weniger auf mich angewiesen war, denn bei mir war nun Funkstille. Feierabend, abschalten und zuhören, oder so ähnlich.