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– 5 – Der Inder

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Die Menschenmassen, anfänglich von mir übersehen, strömten nun wieder aus allen Richtungen. Manche warteten, andere liefen und alle schienen zu rennen. Selbst die, die standen. Unruhige Blicke um sich werfend, aufgeregt, erregt oder einfach nur gespannt. Wieder andere wirkten einfach nur müde und verspannt, von dem dauernden Rennen. Auch ich ließ mir keine Zeit, schlenderte einfach hinter Konrad her, ohne weiter in den Gesichtern zu lesen. So viel wäre da gewesen, um die Leere des Gebäudes zu füllen, doch ich ließ dieses Loch in mir unge­stopft. Ich genoss einfach die Ruhe, der Lärm störte mich dabei keines­wegs, er drang nicht einmal zu mir durch, denn das Fieber hatte noch immer eine Schutzglocke über mich gestülpt. Wie in einem U-Boot saß ich, und der Druck der Strömung konnte mir nichts anhaben. Wie durch dickes Glas betrach­tete ich die Fische, die an mir vorbei schwammen, genoss ihre zahl­reichen Farben, ihre zahllosen verspielt - hektischen Bewegungen. Wie in Trance erfüllte mich das Schauspiel, ohne irgendwo einen Abdruck in meinem Geist zu hinterlassen.

Die breite Gestalt vor mir glitt widerstandslos durch den Strom und mein Körper wurde im Sog mitgerissen.

Mit einem letzten begehrenden Schwall der Klimaanlage im Rücken, schlug mir die Hitze des Wüstenlandes entgegen. Ich spürte den Druck auf meiner Brust und erregt atmete ich schneller, da ich mich fühlte, als hätte ich nicht genüg­end Luft. Immer diese Vergleiche – ich musste für mich lachen – keine Luft, und das in der Wüste, wo es außer Luft und Sand nichts gab.

Doch es reichte ein Blick, um zu wissen, dass es so nicht war. Meine studierte Fähig­keit zu zählen wurde bei dem Anblick der Unmenge an Autos, Taxen und Bussen bei Weitem überfordert. Überall um mich herum konnte ich irgendjemand schreien hören. Verstehen konnte ich nicht viel, nur ein paar Brocken Englisch schlugen mir gegen die Ohren, doch ich wehrte sie genauso unbewusst, wie auch erfolgreich ab.

«Sir, Sir. Ich habe gefunden», drängte sich eine aufgeregte Stimme durch all den Lärm. Die Männerstimme bediente sich einem sehr brüchigen, aber nicht minder leidenschaftlichen Akzent meiner Muttersprache.

Mit einem Glanz in den Augen, wie ich ihn noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte, stürzte er an mir vorbei und blieb leicht unbeholfen vor dem Dicken stehen. Der etwas kleinwüchsige Mann hatte eine bräunliche Haut, schwarze Haare und Brauen von einer Dunkelheit, die es mit jeder Finster­nis aufnehmen könnte.

Als wäre ich eben in diesem Moment aus einem langen Traum erwacht, betrach­tete ich den Mann voller Begeisterung. Anfänglich hielt ich ihn für einen Ägypter, doch bereits mein zweiter Blick lehrte mich eines anderen. Es war ein Inder, unverwechselbar seine dunklen Augen, seine dürre Gestalt. Meine Faszination für den Mann wuchs schneller als meine Blicke sie stillen konnten.

Seine Kleidung war scheinbar eine Mischung aus allem, vor allem aber aus Wider­sprüchen. Er machte den Eindruck als versuchte er elegant zu wirken, doch wirklich gelingen wollte es ihm nicht. Seine traditionelle indische Kleidung vermengte sich mehr oder minder gut mit einer Art westlicher Geschäfts­kleid­ung. Ein weißes Hemd samt Krawatte drängte sich zwischen seinem weitaus bunt­eren Oberteil hervor und der offene lange Umhang, den er trug, endete an seinen schwarzen Lackschuhen. Interessante Persönlichkeit, dachte ich, auch wenn ich seinen Geschmack nicht wirklich gut heißen konnte. Aber sein breites Lächeln ließ mich es ihm verzeihen.

Ohne noch weitere Worte zu verlieren, ging der Inder vor dem Dicken her, wobei er sich umblickte, um sich zu vergewissern, dass dieser ihm folgte.

Nun wieder wach, eilte ich neben Konrad und sah ihn rätselnd an.

«Ich habe gefunden?», fragte ich überrascht.

Der Dicke lachte herzhaft, bevor er mich mit leuchtenden Augen ansah.

«Seine Manieren sind wirklich noch nicht die besten», meinte Konrad vergnügt. «Aber dafür weiß man, dass seine Freude stets ehrlich ist», erklärte Konrad und glaubte offensichtlich sich verständlich ausgedrückt zu haben. Genauso unwissend wie noch zuvor, ließ ich es dabei bewenden und langweilte ihn nicht mit Fragen, deren Antworten ich vielleicht selbst noch finden konnte. Ich wusste nicht, was ich von diesem seltsamen Mann halten sollte. Mein Blick aber blieb auf ihm haften und erfreute sich an dem lebhaften Beneh­men des strahlenden Inders.

Ich musste beinahe lachen, mit einem entflohenen Blick zur Seite merkte ich, dass selbst Sabrina dem Neuen in unserer Mitte ein nicht unbeachtliches Maß an Interesse entgegen brachte. Doch nachdem die erste Verwunderung ver­flogen war, erinnerte ich mich daran, dass das ihr Beruf so mit sich brachte.

Der dunkelhäutige, aber hell strahlende Inder führte uns zu einer weißen Limou­sine mit dunkel getönten Fenstern.

Mit einer tiefen, übertriebenen, aber respektvollen Verneigung öffnete er Konrad die Tür. Ein anschwellendes, unfreundliches Hupen erklang, als die Taxi­­fahrer den Chauffeur erblickten, der sie zugeparkt hatte. Doch der Inder ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, selbst nicht, als die Taxifahrer sich ab­müht­en, ihre zahllosen Flüche in ein eigensinniges Englisch zu übersetzen.

Als der Inder erkannte, dass Sabrina und ich zu Konrads Gefolgschaft zählten, verneigte er sich freudig strahlend vor uns, und seine Ehrerbietung uns gegen­­über, brachte sein Gesicht nicht weniger nah an den staubigen Boden, als zuvor bei Konrad. Dann eilte er mit einer fiebrigen Genugtuung zur anderen Seite des wohl gerade eben gewaschenen Gefährts und öffnete uns die Tür.

Die Limousine nahm ich diesmal schlicht nur zur Kenntnis. Der Innenraum war anders, aber vergleichbar und fand von mir sonst nur wenig Beachtung. Auch der Kameramann hatte wieder vorne Platz gefunden. Als ich ihn sah, bekam ich fast einen Schlag. Nicht weil er da war, oder wegen des schwarzen Gerätes, mit dem er so bedrohlich auf mich zielte. Nein, was mir Angst bereit­ete, war seine Erscheinung schlechthin.

Sein Gesicht glänzte, klitschnass, und zeugte von einer atemlosen Erschöpfung, von seinen Strapazen am Flughafen, die ich nicht ein­mal mit bekommen hatte. In irrsinnigem Tempo muss er hin und her gerannt sein, bemüht um die besten Perspektiven zu ergattern. Zumindest ließ sein mitleiderregender Zustand dies erahnen. Ich fühlte mich an das Rennen von Igel und Hase erinnert. Der Igel blieb nur stehen und der Hase mühte sich ab, einzig um ein Rennen zu gewinnen, das er nicht gewinnen konnte, weil die Frau des Igels, als ihr Gemahl verkleidet, stets auf den Hasen wartete. Ich musste lachen, und hatte doch irgendwie Schuldgefühle, dass ich dem Hasen so übel mitspielte. Aber es war seine Gier, die ihn trieb, er wollte Bilder, die ich nicht liefern konnte. Er wollte zeigen, wie gut er war, nun, dann musste er laufen. Aber das war nicht mein Rennen. Ich schaute bloß zu und genoss die Show – trotz meines schlechten Gewissens – denn es zeigte mir, dass die Zeit des Laufens hinter mir lag.

Ich wusste nicht wieso, aber auch wenn wir nicht dorthin fuhren, wohin ich zu gelangen wünschte, so war ich doch auf einmal zufrieden. Vielleicht lag es daran, dass ich es immer noch nicht glauben konnte. Wie sollte ich es auch, mit dem Rest an Fieber in meinem Körper und der seltsamen Reise, die ich wie einen dunstigen Traum wahrgenommen hatte. Es wirkte völlig belanglos, als beträfe es mich gar nicht, so als könnte ich einfach auf einen Knopf drücken und dieser Film würde aufhören. Doch irgendwie mochte ich das Programm und so ließ ich es weiter laufen. Blieb liegen auf meiner gemütlichen Couch und glotzte mit einer wohligen Schläfrigkeit aus dem Fenster. Es musste ein Film sein, dachte ich, und strahlte über das ganze Gesicht. Ja, das war mal ein richt­iger Film, auch wenn es einem noch an Nähe fehlte, denn ich war in einem Wüst­en­staat und alles, was ich fühlte, war die kühle Umarmung einer Klima­anlage. Ich musste erneut für mich lachen, diese Filmleute hatten aber auch keine Ahnung. Doch mich musste es nicht sorgen, ich war Endverbraucher, einfach nur in die Röhre starren, meine Gedanken wurden gelenkt. Ich musste zugeben, der Dienst war ausgezeichnet.

Zu meiner Überraschung war des Inders Fahrstiel ein ganz anderer, als seine auf­ge­weckte Erscheinung es erwarten lassen könnte. Deshalb auch wurde ich nicht aus meinem schlum­mern­den Zustand gerissen.

Die Fahrt war recht ereignislos, geachtet nach dem was die Fernsehleute Bedeutung anmessen würden. Für mich war das natürlich anders, ich genoss den Traum, oder den Film – ich wusste selbst nicht, wie ich es nennen sollte. Zu reich an Gefühlen, als dass es ein Film sein könnte, und zu greifbar um sich mit der konturlosen Freiheit eines Traumes messen zu können. Auch wenn ich das Leder auf dem ich so weich saß nicht recht spürte. Und von der dunkel getönten Fensterscheibe hielt ich mich bedächtig fern.

Mein Kopf blieb gerade auf meinem Hals, leicht hin und her gewiegt von dem abenteuerlichen Rhythmus der Straße, die der Inder mit seinem, wie ich fand, unpassenden Gefährt, bezwang.

Doch daran konnte ich nichts ändern, einen solchen Streit würde ich mit Konrad nicht anfangen. Erst recht nicht nun, da er sich wieder von seiner Aus­ein­ander­setzung mit Sabrina beruhigt hatte und sich offensichtlich wieder zufrieden der Reise hingab. Ein fast unsichtbares, verwegenes Lächeln um­spielte seinen breiten Mund und hüllte mich in Vorahnungen, die mich auf die Reise freuen ließ. Unter dem Umhang der noch leichten Betäubung und dem sanften Hauch der Klimaanlage war ich gewillt der Stadt einen Besuch abzu­statten, es machte mir keine Angst mehr. Die anspruchsvolle Lektüre, von der ich mich umgeben wusste, machte mir Appetit auf mehr. Eine gewisse Genug­tuung mischte sich unter meine Zufriedenheit, dass ich mich in diese riesige Bibliothek wagte.

Nachdem ich mich wiederholt dabei erwischt hatte, wie ich mit einer ge­spann­ten Vorfreude in Konrads Gesicht gelesen hatte, kam mir der Vergleich zu meinen so gern gelesenen Phantasiebüchern. Seine Ausdrucksweise wirkte leicht und füllte Bände, ohne dass ich fürchten musste, dass es mir langweilig werden könnte.

Sabrina dagegen bedurfte weitaus mehr Konzentration, ich konnte nicht einfach entspannen, so wie es mir bei Konrad möglich war. Es hatte immer etwas Schweres an sich haften, einen Nachgeschmack, den ich nicht so leicht ein­ordnen konnte. Aber auch ihre verborgenen Züge hatten ihren Charme, auch wenn ich mit jedem Blick riskierte, dass sie mich auftaute.

Jedes Mal wenn sich unsere Blicke trafen, war es als würden wir beide ein Buch lesen, und beim Umblättern ein flüchtiges Lächeln austauschen. Dabei wirkte ihres immer beschwicht­igend, so als wollte sie mir zeigen, dass es nichts zu befürchten gab.

Aber es war nicht so, dass ich Angst hatte. Ich war eher gebannt, wie bei einem Buch, dessen Ende ich kaum erwarten konnte, so zog sie ständig meinen Blick an sich. Aber ich konnte es nicht schnell lesen, nur ein kurzer Blick. Dann zuklappen und darüber nachdenken, was zwischen den Zeilen stand.

Und der kühle Schauer, der mir den Rücken runter lief, wenn ich sie dabei erwischte, wie sie mich mit ihren Blicken abtastete, rührte von der Art, wie sie zu lesen schien. Sie las nicht um des Genusses willen, sie wollte den Büchern ihr Wissen entreißen und sie dann, wie leere Hüllen wegwerfen. Mit dieser Art der Lektüre konnte ich nur wenig anfangen. Genauso wie diese Literaten, die den Wert eines Textes erst dann erkannten, wenn sie ihn in seine Einzelteile ver­stümmelt hatten. Mir als Ingenieur graute vor dieser Vorstellung, denn ich suchte als solcher stets zerstörungsfreie Prüfmethoden. Alles andere war einfach unsachgemäß. Genauso wie diese Weinkenner. Kaum benässte dieser Trank ihren Gaumen, spuckten sie ihn aus. Sollten sie doch Wasser trinken, wenn sie keine Ahnung hatten, was Genuss bedeutet. Ich spürte, wie meine innere Wärme gegen die Klimaanlage ankämpfte. Und ich genoss, wie mein Körper gegen die unsachgemäße Darstellung der Wüste protestierte, und meine fieb­rigen Gedanken schürten das Feuer.

Rasch wandelte sich meine Wut in Mitleid, als ich abermals bemerkte, mit welchen verzweifelten, rätselnden Blicken die Journalistin mir meine Geheim­nisse entreißen wollte. Keineswegs aufdringlich sah sie mich an und mich durchfloss plötzlich der Drang zu reden.

Ich öffnete bereits leicht meinen Mund, doch dann bemerkte ich, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte und mich verließ der Mut. Mit einem er­schöpf­ten, kraftvollen Ausatmen schloss ich meine Lippen und wandte mich dem Fenster zu. Was draußen geschah, sah ich dennoch nicht. Nur eine bräunliche Landschaft schwamm an meinen Augen vorbei. Selbst der Himmel wirkte seltsam dunkel und da fiel mir wieder die getönte Scheibe ein und ich beschäf­tigte meinen Verstand damit, diese nun in Betracht zu nehmen.

«Warst du schon in Kairo?» Sabrina konnte der Verführung nicht wider­stehen. Sie musste bemerkt haben, dass ich etwas sagen wollte, und wollte die Ge­legen­heit nicht ungenutzt lassen.

«Nein», lachte ich, nachdem ich einen Moment verstreichen ließ, so als habe sie mich gerade aus meinen Gedanken gerissen. Ich bemühte mich um ein möglichst offenes Gesicht. Sie musste endlich etwas zu lesen haben, das war mir klar. Anders würde sie verhungern, und schließlich sorgte sie sich gut um mich. Ihre liebevollen Blicke, ihr unvergleichliches Lächeln, das sie mir pausen­los schenkte. Und nicht zu vergessen, die Lektüre – der reinste Genuss. Für denjenigen, der darauf Wert legte, und das tat ich. Nun war es also an der Zeit, zu geben.

«Ich war eigentlich noch nie wirklich im Ausland», zeigte ich meine ehrliche Begeisterung für diese Reise. «Kaum mehr als einen Steinwurf über die Grenze ab und zu, aber das war es dann auch schon», lächelte ich ihr zu und zeigte ihr deutlich, wie aufregend dies alles war.

«Du hast mir eigentlich noch nicht gesagt, wieso du dich so schnell dazu entschlossen hattest», nahm sie fleißig die Gelegenheit beim Schopf.

Ich merkte, wie meine Augen zu strahlen begannen. Kurz senkte ich mein Haupt und lachte hörbar verlegen, bevor ich tief Luft holte. Als mein Gesicht sich dem ihren zuwandte, sah ich, wie sie ihren Atem angehalten hatte.

«Eigentlich», begann ich und ließ mir reichlich Zeit, während ich nun die Decke der Limousine nachdenklich anstarrte. «Eigentlich hab ich es mir nicht überlegt», tat ich als würde ich nun erst begreifen, was ich getan hatte. Doch um ehrlich zu sein, ich hatte es immer noch nicht begriffen. Wie sonst könnte mir alles wie ein Traum vorkommen. Ich wusste, dass es echt war, dass es wirk­lich passierte. Aber nur mein Verstand wusste es. Nicht mein Emp­finden, und dieses war es dem ich meinen Glauben schenkte. «Es war spontan. Es war so», ich musste wieder die Decke anstarren, um das passende Wort zu finden «verwegen», endete ich und lächelte sie mit einer hochgehobenen Braue an.

Ich spürte, dass ich mir zu viel erlaubte. Ich spielte mich auf, als säße ich mit ihr auf gleicher Höhe, welch leichtsinniger Fehler. Sie durfte mir nicht an­merk­en, dass ich mit ihr spielte. Sie spielte mit mir, wie konnte ich das nur vergessen.

Verlegen senkte ich meinen Blick und kratzte mich am Hinterkopf und fuhr dann mit der Hand in den Nacken, als wäre ich noch ganz verspannt. Und während ich mich leicht dehnte, spürte ich, dass es angenehm war.

Sabrina hatte sich selbst aus dem Gespräch gebracht und sah nun nachdenklich aus dem Fenster.

Konrad dagegen war durch die gefallenen Worten aus seinen Gedanken aufge­schreckt. Ihm war entgangen, was sich zwischen Sabrina und mir abgespielt hatte, nur dass ich ein Greenhorn war, was das Reisen betraf, hatte er aufgeschnappt und ließ es sich nicht nehmen mich nun zu belehren. Wie ein Vater erzählte er mir von seinen Abenteuern. Es war völlig unmöglich ihm zu folgen. Er wech­selte schneller die Länder als Sabrina einen Satz beenden konnte. Und darin war sie gut. Ich lachte innerlich, als ich merkte, dass meine Gedanken abschweiften.

Ich bemühte mich Konrads Worten zu lauschen. Wenn ich mir Eines ver­inner­lichte, so war es, dass er viel, schon sehr viel gesehen hatte. Trotzdem hörte ich bei seiner Redeweise deutlich seine Ungeduld heraus.

«Und als ich in Singapur war, hab ich Peter getroffen. Den hatte ich eigentlich in Venezuela kennengelernt.» Und schon war er in einem anderen Land. «Aber das ist eine andere Geschichte, interessant war eigentlich die in …», wechselte er von Land zu Land, wie ein Kind zwischen Sendern, wenn es das erste Mal dabei war, die Funktionsweise einer Fernbedienung zu studieren.

Von den Worten angelockt, tauchte Sabrina auch bald wieder im Gespräch auf. Beide übertrumpften sich mit ihren Abenteuern, als wollten sie mich mit ihren Erfahrungen begeistern. Doch mir war klar, dass ich in diesem Moment nur zum Spielball zwischen den beiden Rivalen ausartete. Ärgern tat es mich aber nicht. Es berauschte mich eher, wie sie sich abmühten mich immer höher zu werfen, und während ich mich dem Himmel näherte, erweiterte sich mein Horizont. Von Mal zu Mal holten sie weiter aus, um mit ihren Schlägen mich staunend um meinen gleichmäßigen Atem zu bringen.

Bald wurde mir schwindlig von dem Ganzen hin und her und ich ließ mich auf den Wogen ihrer Worte treiben. Als ich mir sicher sein konnte, dass ich nicht in dieses Gespräch mit einbezogen wurde, gab ich mich erneut daran zu lesen. Wieso sollte ich ihren Abenteuern nun lauschen, wenn mein eigenes doch bereits auf mich wartete. Einzig zur Steigerung meiner Vorfreude nahm ich ihre ausschweifenden Erzählungen entgegen. Dass vieles davon im Eifer des Ge­fechts wohl mehr der Fantasie als der Realität entsprang, störte mich herzlich wenig. So was gehörte dazu, wenn man sich müde von der Reise gemütlich an einem knisternden Lagerfeuer einrichtete und den Geschichten lauschte. Nur leider hatten wir hier nur eine Klimaanlage, das störte mich dann schon eher. Zu großen Geschichten gehörte nun mal die Stimmung von Abenteuer. Eine stern­en­klare Nacht, ein aufbegehrendes Lagerfeuer und unzählige wild flack­ernde Schatten. Vielleicht war es gerade dieser Mangel, der mir einen Teil der Be­geis­terung vorenthielt, aber ich konnte es nicht ändern. Alles, was sie erzählten wurde von der Größe des Wagens und der geregelten Atmosphäre zu­nichte­ gemacht.

Sie störten sich daran aber nur wenig. Vielleicht lag es ja auch an mir. Vielleicht verlangte ich zu viel, aber Reden an sich genügten mir nicht. Sie waren falsch, gelogen, wie die Illusion in der mich dieser Luxus ertrank.

«Aber was rede ich, du wirst das alles bald selbst erleben!» Konrad klopfte mir freund­schaftlich auf die Schulter. Ich fragte mich, ob er bemerkt hatte, dass ich ihm nicht die Ehrerbietung geschenkt hatte, die er sich vielleicht erhofft hatte. Doch als ich ihn mir ansah und sein Gesicht voll von einer gehetzt wirkenden Vor­freude entstellt war, merkte ich, dass seine Flut an Worten, mit denen er den größten Teil der Fahrt nun wohl ausgefüllt hatte, ihn mehr Kraft gekostet hatte, als ich es für möglich gehalten hatte. Vielleicht wollte er sich bloß zurück­halten, um nicht alles an einem Tag ins Feuer zu werfen. Die Reise würde lang werden, und ich glaubte zu ahnen, dass ihm das langsam bewusst wurde. Was für ihn noch schlimmer war, das Tempo gab nur ich vor. Ich, der Schul­knabe den der Millionär in die Wüste schickte. Mir gefiel der Gedanke, auch wenn es Konrad unbehaglich wurde. Ich hatte nicht vor ihn hängen zu lassen.

Flucht aus dem Morgengrauen

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