Читать книгу Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner - Страница 7

– 4 – Der Start

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Es dauerte eine Weile bis der Pilot die Triebwerke aufgeheizt hatte, doch dann schloss sich die Tür, und Augenblicke später spürte ich, wie wir uns fort­be­weg­ten. Langsam, sehr langsam und doch war es ein aufregendes Gefühl.

Dieses schwerfällige Manövrieren zur Startbahn und dieses leichte, scheinbar kraft­lose Vorankommen irritierten und faszinierten mich gleichermaßen.

Hätte ich zugehört, so hätte ich hören können, was Konrad mir alles zu berichten wusste, doch ich konnte es nicht. Das, was draußen, hinter den kleinen Fenstern geschah, war weitaus aufregender. Auch kannte ich den Mil­lion­är inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er es mir nicht übel nehmen würde, wenn ich mich erst später an seine Lippen hängen würde. Es war zwar nicht seine Art, und ein Anderer hätte sich dies bei ihm niemals erlauben dürfen, aber dies hier war unser Spiel, und nun musste er sich in Geduld üben. Wir hatten die Welt noch vor uns, also noch reichlich Zeit.

Sabrina hatte die ungeschriebenen Regeln noch nicht begriffen, und sie war nicht die Frau, die sich an solche halten würde, und so griff sie das Gespräch auf, das ich ungeachtet fallen gelassen hatte.

«Blockier kurz deinen Sessel Junge», hörte ich es wie aus den Wolken rufen.

Als ich dann verständnislos zu Konrad blickte, zeigte dieser mir, was er meinte. Es waren alles Drehsessel, auf denen wir saßen, und ich stellte mir nun leb­haft vor, wie wir beim Start hin und her schaukeln würden. Doch mit einem ein­fachen Griff unter den Sessel war dieses Vergnügen nicht mehr zu erwarten.

Jetzt konnte ich mich, aufgrund des lästigen Sicherheitsgurtes, der mich in das weiche Leder zerrte, nicht mehr so nah zum Fenster lehnen, und die Freiheit, die mir dieser Luxus bringen sollte, wurde zu meinem Gefängnis.

Als wir immer noch gemächlich rollten, und ein Start in Kürze noch nicht zu erwarten war, nahm ich mir die einzige Lektüre, die ich zur Hand hatte. Ich fand sie in keinem geringeren als Konrad selbst. Sein breites Gesicht erzählte mir mehr, als in seinen Augen zu lesen war.

Als Kind hatte ich immer viele Bücher gelesen, vor allem Fantasy, bevor die zahllosen Formeln mich ausgetrocknet hatten und ich keine Zeit mehr dazu fand. Doch damit sollte jetzt Schluss sein, ab jetzt wollte ich für alles Zeit haben, vor allem für mich, ich würde keine Rennen mehr laufen die mich nicht weiter bringen würden. Auch wenn ich nun das größte Rennen meines Lebens be­streiten, und doch nur im Kreis laufen würde. Aber daran störte ich mich nicht, ich wusste ich würde nicht wieder am gleichen Ort ankommen. An der gleichen Stelle vielleicht, aber nicht am gleichen Ort.

Ich wendete mich wieder dem Gesicht des Millionärs zu, den ich neben mir sitzen hatte. Er sah aus wie einer dieser Könige, die mir in meinen Büchern begegnet waren. Alt und müde, sitzend in ihrem Thron, der sie umschlang. Er hatte sie, die Macht, das König­reich, das er selbst errichtet hatte. Wie ein Hirte, der es geschafft hatte sich einen Wolf zu züchten. Er wurde dafür bewundert, doch begann er an ihm zu fressen, ihn bis auf die Knochen abzunagen.

Konrad sah immer noch wohl genährt aus, sogar mehr als das, aber ich sah die Narben. Tief waren sie, sehr tief, gefangen in dem Stolz, der wie ein aufbe­gehr­endes Feuer in seinen Augen glühte. Doch als ich weiter las, merkte ich, dass es keines war zum Wärmen, sondern dafür gedacht, die Menschen zu blen­den, genau wie dieses Leder, auf dem ich so bequem saß. Ich musste mir einge­stehen, dass es angenehmer war, als das, was ich lesen konnte, doch ich suchte das Abenteuer, und las weiter.

Als er meine Blicke spürte, sah er davon ab Sabrina mit den seinen zu fixieren, und lächelte mir mit einem freundlichen Gesichtsausdruck zu, als wolle er mir Mut machen und versichern, dass ich das Richtige getan hatte. Er wollte dieses Abenteuer, die letzte Chance und mit dieser Geste machte er mir deut­lich, dass er mich bis zum Ende begleiten würde.

Er konnte dieses Spiel nicht mehr aufhalten, die schließende Tür war der letzte Trailer gewesen, ab jetzt war es ein Jump- and Runspiel, und bei denen konnte man sich nicht mehr umdrehen.

Auch sein Lächeln war der Versuch zu fliehen, weder vor mir, noch vor dem Spiel, doch er fürchtete meinen Blick, dass ich bemerken würde, dass er noch einen Krieg gegen Sabrina austragen müsste. Doch dazu war es zu spät, ich war einige Kapitel weiter, und wusste, dass ich ihn das nie merken lassen dürfte, das war alles Teil des Spieles.

Sabrina war genauso ein Buch, wenn auch schwerere Kost, zu viele Frage­zeichen, und zu viele ausschweifend lange Sätze. Und zudem stand bei ihr allzu viel nur zwischen den Zeilen, das wollte ich mir vor der Reise nicht mehr zu­muten. Aufgeregt war ich genug, und ich wusste nicht wie viel mein Magen vertragen würde.

Leicht vibrierte dieser, während das Flugzeug immer weiter auf die Startbahn zuhielt. Wieder wirkte es für mich unwirklich, ich verband die Bilder, die mir aus dem Fernsehen vertraut waren, mit dem was ich durch die dicken Gläser erken­nen konnte. Doch es wollte nicht recht übereinstimmen, wie so oft. Diese Lügen hatte ich satt. Ich wollte die Welt sehen, nicht nur aus der Ferne, und bei dieser Rollbahn fing es an.

Sabrina konnte das nicht, dieses Anfangen, sie fuhr einfach weiter.

«Und hast du es dir so vorgestellt?», wandte sie sich vom Sitz vor mir an mich.

Sie hatte den Sicherheitsgurt noch nicht zugeschnallt, um sich noch zu mir um­drehen zu können. Sie kannte keine Hindernisse, nur Kompromisse, und die ging sie nicht ein.

«Nein», antwortete ich in Gedanken versunken und fast nur hauchend. Ihr Gesicht starrte, an die Lehne ihres Sessels gepresst, mich mit forschenden Blicken an.

«Hast du Angst?», fragte sie. Als ich ihren beinahe mütterlichen Blick sah, musste ich innerlich lachen.

Sie war wirklich mit allen Wassern gewaschen, doch ich ließ mich nicht nach Belieben auftauen. Schon gar nicht bei dem Ausschnitt, mit dem sie ihre ver­trau­en­erweckende Rolle zu spielen versuchte.

Sie war nicht an Gefühlen interessiert, nur an Sensationen und so sah mein Dreh­buch nicht aus. Wie dieses letztendlich aussehen würde, wusste ich nicht, nur so viel war mir klar, dass es nicht ihren Vorstellungen entsprechen würde.

So leid es mir für sie tat, aber sie lief mit mir in eine Sackgasse, und diese war nicht lang genug, um einmal um die Welt zu reichen.

«Nein, es ist nur ein komisches Gefühl», lächelte ich ihr zurück.

Eine letzte Drehung, und das Flugzeug blieb stehen. Dieses Warten löste ein leichtes Kribbeln in meinem Magen aus, nicht stark, nur so, dass ich es noch als ange­nehm empfinden konnte. Wie Vorfreude, die ich eben am Genießen war.

Selbst Sabrina, nachdem eine Stewardess, oder wie auch immer ich Konrads Ange­stellte betiteln sollte, sie darauf hingewiesen hatte, gurtete sich nun fest und musste ihren Angriff auf meinen abkapselnden Panzer unterbrechen.

Aufbegehrende Triebwerke brummten einige Male neben uns auf. Als diese lärmenden Störungen ein Ende fanden, ging es nach einer weiteren kurzen Pause endlich los.

Es war nicht mehr zu vergleichen mit dem langsamen Rollen auf der Start­bahn von vorhin.

Viel kräftiger, und trotzdem gleichmäßig, drückte es mich viel tiefer in den Sessel.

Das Kribbeln im Bauch wurde stärker und ich schloss kurz die Augen. Es gefiel mir, nur noch zu spüren und meine Umwelt zu vergessen. Eintauchen, ab­tauchen und weg. Einfach herrlich, dieses Reisen.

Doch mein Körper kam wieder zum Vorschein. Wir waren in der Luft. Noch bevor ich meine Augen geöffnet hatte, konnte ich vor mir ein Klicken hören, gefolgt von einem kurzen dumpfen Schlag.

Als ich dann langsam die Augen öffnen wollte, riss ein kurzer Schreck sie mir gleich auf und Sabrinas Gesicht presste sich abermals an die Seitenlehne ihres Sessels.

Wie sie das so schnell geschafft hatte, blieb mir ein Rätsel, und ich ordnete es gleich zu den anderen ungelösten Fragen, die ich mit ihr in Verbindung brachte, ohne in diesem Moment noch einen Gedanken darauf zu verwenden.

«Und wie fühlst du dich?», schoss sie wieder mit ihrer Journalistenfrage um sich.

«Gleich noch mal», lachte ich sie begeistert an.

Wo die Kamera sich diesmal versteckte wusste ich nicht, es war mir egal, man konnte eh nicht das ganze, noch ungeschriebene Drehbuch veröffentlichen.

Sie funkelte mir zurück als nehme sie mir diese Reaktion nicht ab. Wohl, weil meine schauspielerischen Künste noch recht ungeschliffen und meine Reak­tionen zu aufgesetzt wirkten.

Ich nahm ihre Kritik dankbar entgegen und freute mich, dass sie doch nicht so oberflächlich war, wie ihr Auftreten es befürchten ließ.

Um mich ihrem bohrenden Blick zu entwinden, tauchte ich ab, löste die Sperre vom Sessel und wandte mich dem Fenster zu.

Wieder eines dieser verwirrenden Bilder, die ich so oft im Fernsehen gesehen hatte. Merkwürdig daran war, wie bedeutungslos sie mir erschienen, es war ein ein­zig­artiger Ausblick, und doch behielt ich meinen Atem. Es war wie eine kalte Bewund­erung, als betrachte ich die Welt durch eine dicke Glasscheibe. Bei diesem Gedanken musste ich lachen, denn schließlich war es nichts anderes.

«Man muss die Welt im Ganzen sehen, bevor man sie Stück für Stück erkund­en kann», dröhnte Konrad, da ich mich abgewandt hatte hinter meinem Rücken feierlich hervor.

Verwundert über diesen philosophischen Anmut seines Ausrufes schlug ich ein neues Kapitel in seinem Roman auf, ohne diesmal gelesen zu haben und ohne zu wissen, was mich noch erwarten würde.

«Willst du die Welt bereisen, musst du erst dich finden, die Vorstellungen der Menschen in den Schrank stecken, und deine Neugier in deinen Koffer», sagte ich wie zu mir selbst, während ich immer noch zum Fenster raus schaute und die Wolken, die an uns herab fielen, meine Blicke kitzelten.

«Es spricht sich leicht, wenn man von allem so weit weg ist», kommentierte Sabrina unseren Geistesausflug.

Ohne mich umzudrehen, hörte ich wie der Kameramann verzweifelt seinen Platz aufgab. Die Anspannung, diese Szene nicht in Frontperspektive zu haben, war greifbar. Doch auch daran störte ich mich nicht. Mit einem lächeln­den Blick nach hinten hieß ich ihn herzlich in unserem Spiel will­kommen, und damit, dass ich mich gleich wieder abwandte, hatte ich ihm das Regelwerk mitgeliefert.

Jetzt würde er lernen was es heißt eine Livesendung – und nicht bloß eine so genannte, die nach Drehbuch verlief – einzufangen.

Als sich immer mehr Wolken über die Welt stülpten und sie in weiß gehüllt unter mir lag, und sich jedem meiner Blicke entzog, drehte ich mich endlich um und wusste, dass der erste Schritt meiner Flucht, meiner Reise, getan war.

Als meine Gedanken wieder drinnen angelangt waren, hielt ich es für ange­messen, dass ich unseren vierten Spieler kennenlernte.

«Wie heißt du, wenn ich fragen darf?», stellte ich ihm unvermittelt die Frage.

Er sah erst mich, dann Sabrina verwundert an.

Ich wollte, dass wir uns duzen, bei Konrad war das natürlich etwas anderes, aber ansonsten nahm ich keinen mit auf eine Reise, zumal bei einer solchen, da ging es um Vertrauen und Wohlfühlen, da dürfte keine förmliche Distanz mehr sein.

«Tobias», antwortete er mir und das erste Mal nahm er ohne einen enttäu­schten Gesichtsausdruck seine Kamera von der Schulter.

Nachdem ich sah, dass er aufstand, löste ich meinen Sicherheits­gurt und trat ihm meine Hand darbietend entgegen.

Nun sah ich, dass die beiden anderen Kastenträger hinten Platz gefunden hatten und einer eben dabei gewesen war, nach seinem Gerät zu greifen.

Doch noch bevor dieser seinen Plan ausführen konnte, war ich auf ihn zuge­gangen und hielt beiden entwaffnend meine Hand entgegen.

Durchaus erfreut nahmen sie diese entgegen.

«Max», «Sam», stellten sie sich mit einem feierlichen und auffälligen Lächeln vor, während sie mir Mut zusprachen und mich aufbauend auf die Schulter klopften.

Als ich mich von ihnen löste, merkte ich, dass der Erste im Bunde seine Bewaf­f­nung bereits auf mich richtete.

Die waren wirklich auf Draht, die Drei, das würde ein spannendes Spiel werden.

Doch jetzt gönnte ich mir eine Pause und nahm im gemüt­lichen Sessel Platz, um mich wieder im weichen Leder versinken zu lassen.

Der Flug konnte nicht die Erwartungen erfüllen, die ich in ihn gelegt hatte und doch brachte er mich zum Schwelgen, wie bei einer Massage, wo man jegliche Berührung vergaß, träumte und abschaltete. Und so fühlte es sich an, un­glaublich leicht, und ich glaubte gar, meinen Körper zu vergessen.

Diesmal wäre die Journalistenfrage durchaus angebracht gewesen, doch ich wusste ich hätte meine Gefühle nicht mit Worten gerecht werden können. Zu leicht und zu flüchtig waren sie, als dass ich sie in Worte hatte zwängen können. Es hätte ihnen eine Gewalt angetan, die sie nicht überlebt hätten, wie Nebel, den man in ein Glas stopfte. Er wäre immer noch da, aber ein Anderer würde ihn nicht mehr sehen können.

Aber genau deshalb glaubte Sabrina, dass ich leer war, und aus diesem Grund versuchte sie mir einzuheizen, ohne zu wissen, dass umso mehr sie sich bemühte, der Nebel sich immer weiter auflösen würde.

Zu fremd war ich ihr, als dass sie das gar merken konnte. Ich war einfach nur schüchtern, lebte versteckt, und so wollte sie sich auf die Suche begeben. Ihr schnelles Leben hatte sie blind gemacht für die Gefahren, die in dem Unbe­kannten stecken. Sie sah sie nicht, vermutete das Vertraute im Verborgenen und wollte es für sich und für ihre Zuschauer bergen. Wie ein Wrack, musste ich lachen, dem man eine Kur verschrieben hatte.

War ich wirklich so schwach? Hatte sie vielleicht Recht? Hatten sie alle Recht? War ich es, der sie einfach nicht verstehen konnte? War ich es, der wie ein kranker Stummer durch die Welt lief? Dabei fühlte ich mich doch wohl, mehr noch, richtig frei fühlte ich mich seit den letzten zwei Tagen. Trotzdem behandelte mich Sabrina wie einen Kranken, den sie wieder in die Welt holen musste.

Auch wenn sie nun schwieg, ihre Blicke blieben bei mir, und wohl auch ihre Ge­danken. Sie studierte mich, so krank war ich wohl. Sie wusste nicht, nach welcher Krankheit sie suchen musste. Sie glaubte mich zu kennen, nur nicht das Virus, das mich angesteckt hatte. Sie isolierte mich mit ihrem Schweigen und wusste nicht, wie ich es genoss, wie ich die Jagd genoss, die Sabrina auf meine Krank­heit machte. Wie ein Zuschauer sah ich ihr dabei zu und wusste, dass sie eigentlich mich jagte. Auf den Moment, in welchem sie dies herausfinden würde, war ich gespannt. Wenn sie dann vor mir stand, mit dem Messer in der Hand, und bemerkte, dass sie nach mir stach. Ich zuckte kurz zusammen. Konnte für einen Augen­blick den Schmerz fühlen. Was würde ich tun, wenn sie es nicht merkte? Wenn sie einfach nur zustach? Ich wusste es nicht, hoffte aber, dass ich dieses Spiel ausreichend beherrschen würde. Es gab keine Regeln, keine Grenzen. Ich musste ihr Zeit lassen. Wir spielten gegeneinander, miteinander. Wenn sie verlieren würde, würde ich es auch, würde zugrunde gehen, wie ein krankes Wrack, das für kurze Zeit an die Oberfläche gehievt worden war.

Den Blick ließ ich durch das Flugzeug gleiten, um mich zu vergewissern, dass sie noch alle da waren. Die Erde, die so weit unten lag, die Wolken, die sich wie dichter Nebel oder gar als dicke Decke darüber legte, ließen mich alles wie in einem Traum wahrnehmen. So unendlich weit weg, so leicht und langsam war alles, dass ich nicht glauben konnte, dass dies die Wirklichkeit sein sollte. Wo war der Lärm, die Regeln, das hin und her Eilen? Alles war weg, doch ich fühlte mich nicht leer, nicht einmal fremd. Und das, obwohl ich nichts und keinen hier kannte und keiner etwas sagte. Es war aber ein angenehmes, kein ange­spanntes Schweigen. Abermals waren sie da, diese Rätsel. Oder nein, diesmal nicht, es waren Geheimnisse, jene die allem erst einen Sinn, ein Empfinden, eine Tiefe verliehen.

Im Gesicht des Dicken hinterließen zahllose Gedanken ihre Spuren, auch er war von allem weit weg.

Nicht einmal Sabrina schien etwas gegen das allgemeine Schweigen einzu­wenden zu haben. Sie ging gelegentlich auf meine Blicke ein, doch lag in ihren Zuwend­ungen keine Schärfe mehr, die einen hätte verletzen können. Ihr Körper war immer entspannter und tiefer in den Sessel gerutscht, während sie ihren Kopf nach hinten sinken gelassen hatte. Ihre Bewegungen waren ruhiger geworden. Als sehnte ihr Körper sich danach, sich von ihrem Kopf abzu­klinken und nicht mehr durch die Gegend gehetzt zu werden.

Ich hatte noch nie jemanden so verletzlich liegen gesehen wie eben diese Frau. Dabei bezweifelte ich, dass es daran lag, dass ich ihren langen dünnen Hals erblickte. Ständig musste sie schlucken, als wollte sie die vielen Wörter verdauen, die ihre Zunge ständig belasteten. Dazu noch ihr nicht hörbares, aber kräftiges Atmen. Ihre Brüste hoben sich, sie hielt ihren Atem an, bevor sie ihre Lungen erleichtert entleerte.

Ich kannte das von mir. Oft nach diesen Rennen, den Klausuren, die meinen Weg förmlich zu pflastern schienen, sehnte sich mein Körper auch nach Schlaf, aber mein Kopf ließ ihn nicht. In diesem Atem lag der Wunsch, sich sinken zu lassen und in einen traumlosen Schlaf zu gleiten.

Was auch immer die junge Frau beschäftigte, es war ein unerbittliches Rennen, denn sie fand keine Ruhe. Ihre sich blähenden Lungen flehten sie an, doch sie war zu gefangen, um sich ihrer Erschöpfung zu ergeben.

Auch das kannte ich allzu gut. Nur noch dieses eine Rennen, und dann noch eins. Immer weiter. Es würde kein Ende geben. Man kam da nicht wieder raus. Opfer des eigenen Erfolges. Und es gibt immer einen hinter dir, du kannst nicht stehen bleiben, nicht einmal Luft holen.

Und du siehst sie immer vor dir, die Zielgerade, wie eine Fata Morgana, und du kommst nie an.

Deshalb hatte ich ein neues Leben gewollt, und der Zufall war mir behilflich gewesen, allein kommt man da nicht raus. Nur noch dieses Rennen, ich musste lachen, ja, das letzte Rennen. Vielleicht hatte ich es diesmal geschafft.

Lange flogen wir und es machte mir nichts aus. Ruhig blieb ich im Sessel sitzen, ohne das Bedürfnis nach Abwechslung zu haben. Es war nicht einmal ein Warten darauf, dass wir landen würden. Mein Blick lief verspielt zwischen den Wolken hindurch. Da die Welt so weit entfernt schien, erlaubten sich meine Gedanken sich zu empfehlen und ich fühlte mich unendlich leicht. Nichts mehr was mich festhielt, kein Wiegen mehr, denn der Versuch wäre daran gescheitert, dass eine Waage nichts hätte anzeigen können, ich entzog mich allem, jedem Denken, jedem Urteilen. Es war wie ein tiefer Traum, eine Trance, aus der ich nicht aufwachen konnte, weil ich nicht schlief. Als wollte mein Verstand sortieren, was ihn überreizt hatte. Da ich kein Bett, keine Decke hatte, hüllte ich meinen Blick in die unter mir schwebenden Wolken. Die irr­sinnige Geschwindigkeit mit der wir, laut den schwärmerischen Schilderungen Konrads, den Himmel durchpflügten, konnte ich nicht spüren. Nichts ließ mich dieses Rennen wahrnehmen. Keine Zielgerade, keine jubelnde Menge. Nur unendliche Weite um mich und das unwirkliche Gefühl zu fliegen. Nicht einmal ein fassungsloses Staunen beschwerte mein Gemüt. Obwohl ich mich so darauf gefreut hatte, es fast nicht hatte erwarten können, war es nun keine fiebrige Faszination, die mich zwang es gierig aufzusaugen. Ich tauchte einfach nur ein in dieses schwerelose Gefühl und genoss es, so wie man nur Träume genieß­en kann. Immer wieder denselben Moment und doch jedes Mal schöner und reicher an Empfindungen, die sich immer weiter aufbauten, wie ein Bildnis der Gefühle, welches man Tropfen für Tropfen in sich aufnehmen musste. Jede Eile, jedes Gefühl für Zeit würde es zunichtemachen und so verabschiedete ich mich von dem Denken, welches mich nur im Kreis laufen lassen könnte. Ich befreite mich von der Zwangsjacke, die die Formeln um mich gelegt hatten, und wurde gar Teil der Wolken, und ich freute mich darauf die Welt zu umrunden, auch wenn ich in den Stunden und doch nur Augenblicken mich nicht damit abgab mir auszumalen was mich erwarten würde. Es war als würde ich, noch müde von der Nacht, die Haustür verlassen und in die letzte Wärme des Bettes gehüllt, mich auf die Straße begeben und einfach zu laufen anfangen. Ziellos und ohne das Gefühl aufzubrechen. Ohne Erwartung mich auf eine Suche begeb­en, ohne zu wissen, was ich suchen sollte. Wie die Ritter früher, die sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral begeben hatten, mit dem einzigen Unter­schied, dass ich nicht mit etwas in Händen zurückkehren wollte. Es war nichts was die Menschen hätten sehen können und nichts wofür ich Bewunderung oder gar Ruhm ernten konnte und doch war es mir weitaus mehr wert. Diesen Reich­tum, sollte ich ihn finden, könnte man nicht aufwiegen. Und wieder‚ war es für einen Moment da, dieses Gefühl gemessen zu werden. Doch als ich mich unter den mitleidigen Blicken der Anderen sah, musste ich nur kurz schmun­zeln, bevor ich mich leicht im Sessel bewegte, um meinen Blick gleich wieder in die Wolken zu hüllen. Unangenehm war mir der kalte Schauer nicht, den mir die Gesellschaft den Rücken runter laufen ließ. Es war wie eine kühle Brise am Morgen, die es nicht schaffte, einen ganz aufzuwecken und man sich wieder umdreht und einschläft.

Dennoch war ich auf einmal hellwach. Als sich die Wolken zusammenzogen und ein undurchdringliches Grau sich mir aufdrängen wollte, kehrten meine Ge­danken zurück und rieten mir davon ab noch weiter draußen zu träumen. Als ich dann noch merken musste, dass meine Beine eingeschlafen waren und sich mein Körper unangenehm verspannt anfühlte, nahm ich mir die Freiheit diesen zu bewegen. Mit einem herzhaften Gähnen stand ich mit einem befrei­enden Ruck auf und streckte mich, soweit es die etwas niedrige Decke zuließ.

Kaum hatte mein Kopf sich bis auf meine Körperlänge erhoben, als eine Glut denselben durchfuhr. Konrads Gesicht verschwamm vor meinen Augen und alles begann sich seltsam zu drehen. Das weiße Licht zog sich zu einem win­zigen Punkt zusammen. Das Letzte was ich noch hörte war ein dumpfer Aufschlag.

Das Nächste, was ich wieder hören konnte waren Schritte und eine Frau, die auf­ge­regt meinen Namen rief. Ich wollte antworten, doch ich konnte nicht. Ich war unendlich müde und mir fehlte die Kraft für die geringste Bewegung. Als ich sanfte Schläge gegen meine Wangen wahrnahm, vermochte ich nicht einmal die Augen zu öffnen. Nur schlafen wollte ich, alles andere war mir egal. Zu schwer fühlte ich mich, und mein Verstand ließ mich alles wie durch einen dicken Vorhang wahrnehmen. Ich hörte es irgendwie und doch schaffte nichts es, bis zu mir vorzudringen.

«Was ist mit ihm los, macht doch was!» Eine besorgte Stimme dröhnte durch den Vorhang und ein Röcheln verriet mir, dass Konrad zu schnell aufge­sprung­en war.

«Wach auf», hörte ich Sabrina erregt mich anschreien, während sie meine Wange weiter mit ihren Händen bearbeitete.

Sie taten mir leid. All meine Kraft zusammen nehmend, öffnete ich langsam ein Augenlid.

«Ich bin müde», hauchte ich, während das Licht mich blendete. Ich schaffte es nicht länger etwas zu sehen und schloss mein Auge.

«Wie fühlst du dich?», wollte Sabrina wissen. Ihre Stimme gab mir Kraft und ihre Frage entlockte mir ein gestöhntes leises und brüchiges Lachen.

«Gut», antwortete ich schweratmig. «Lasst mich einfach liegen», stöhnte ich. «Ich muss nur ein wenig schlafen», stotterte ich weiter, während mein immer schwerer werdende Atem mich ständig unterbrach.

Die Stimmen, die mir antwortenden, entfernten sich so weit, dass ich sie nur mehr als Rauschen wahrnahm. Mein Kopf wurde schwer und fiel zur Seite weg.

Als Nächstes spürte ich Schläge gegen mein Gesicht und bemerkte, wie eine leicht zittrige Hand versuchte, meinen Kopf aufrecht zu halten. Wieder konnte ich Sabrina besorgt meinen Namen rufen hören, was die Anderen sprachen, konnte ich nicht verstehen. Als ich dann langsam und immer noch mit dem Be­dürf­nis zu schlafen meine Augen öffnete, sah ich nur ihr besorgtes Gesicht, das tief über mich gebeugt war und mir die Sicht auf alles andere versperrte. Ich spürte und ich sah ihre Aufregung, konnte sie aber selbst nicht empfinden. Im Gegen­satz zu meinem Körper fühlte sich mein Geist ganz leicht und teilnahms­los an, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts an. Ich lag einfach nur da und wollte schlafen, einfach nur schlafen und ich wusste nicht wieso.

Kaum hatte ich die Augen geöffnet, da richtete Sabrina meinen Oberkörper auf. Es machte ihr wohl Angst mich so daliegen zu sehen. Sie hob mich an und versuchte den Anschein zu geben, ich käme wieder zu mir. Doch dem war nicht so. Als mein Kopf wieder an Höhe gewann, machte sich ein schwind­eliges Gefühl in diesem breit und die Welt verfinstere sich von neuem. Wie lange der Ohnmachtsanfall gedauert hatte, konnte ich nicht sagen. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mein Gesicht weich an ihr anliegend wieder. Ange­nehme Wärme umhüllte mich und machte mich von neuem schläfrig. Unkon­trolliert war ich in Sabrinas Arme gefallen und nun schlang sie dieselben um mich und wiegte mich leicht hin und her. Ich spürte ihre Angst und eigen­artiger­weise eine liebevolle Wärme, die mir genau so fremd, wie angenehm war. In dieses geborgene Gefühl eingetaucht fühlte ich mich sicher und versuchte mich nicht länger dem Schlaf zu widersetzten.

In diesem trunkenen Zustand hob sie mich an und zerrte mich mit all ihrer Kraft in den Sessel zurück. Ohne die Augen zu öffnen, ließ ich alles willenlos mit mir geschehen.

Kaum hatte sie es geschafft mich in den Sessel zu hieven, da drohte mein Kopf sich wieder dem Fußboden anzunähern. Der zittrige Versuch der jungen Frau meinen Kopf hochzuhalten, konnte mein schwindliges Gefühl nicht im Gering­sten mindern.

In ihrer Unruhe konnte sie sich nicht entschließen, wie sie sich hinstellen sollte und so tanzte sie ständig um mich herum. Fortwährend besorgt mich aufrecht zu halten. Sie war redlich bemüht den Schein zu wahren. Es bereit­ete ihr Angst zu sehen, wie ich meine Rolle nicht mehr ausfüllen konnte. Und so kämpfte ich für sie mit, aus Angst dieses trunkene Gefühl, das sie mit ihrem Benehmen bei mir auslöste, nicht mehr loszuwerden.

Ich hatte meinen Kopf nach hinten in den Sessel fallen lassen und musste meine Augen nun nur halb öffnen, um sie in ihrer Gänze zu erblicken. Sie hielt für eine Weile inne und betrachtete mich, während sie sich unablässig auf ihre blut­roten Lippen biss. Auch Konrad konnte ich neben ihr sehen, der so sehr außer Atem war, dass er nicht einmal mehr brüllen konnte. Nur seine Arme ruder­ten hilflos umher, in dem Versuch mir Beistand zu beschaffen. Doch es war keiner da, der Rat wusste und keiner, der mir hätte helfen können.

Ich zwang mich zu einem schwachen Lächeln um meinen trocken geword­enen Mund. Doch die Beiden wollten mir nicht glauben.

«Konrad was hat er nur?», wollte Sabrina wissen, ohne es aber zu wagen sich von mir abzuwenden. «Er war doch eben erst beim Arzt», wollte sie sich selbst beruh­igen. «Es ist doch alles in Ordnung mit ihm?», verlangte sie Aufklärung.

«Dieser Kurpfuscher, wenn ich den in die Finger bekomme», presste Konrad zwischen seinen Zähnen hindurch.

«Was meinst du damit?», wollte die Journalistin nun wissen und ich spürte, wie ihre Neugier sie ruhiger werden ließ. Immer offen für Sensationen und Ent­hüllungen.

«Ich hab die Impfung wohl nicht ganz vertragen», hustete ich ihr entgegen, bevor Konrad die Gelegenheit hatte zu antworten. Ich hatte bewusst nur den Singular für meinen Zwischenruf bemüht, weil ich Konrad nicht in den Rücken fallen wollte. Konrad reagierte äußerst verlegen auf meine Äußerung und trat von einem Fuß auf den anderen. Ich spürte, dass er wirklich um mich besorgt war, eine Ehre, die ich mir noch nicht zugeschrieben hätte und Konrad brachte mich ohne sein Wissen dazu, ein weiteres Kapitel in seiner Geschichte aufzu­schlagen. Trunken, wie ich war, verschwammen die Beiden und ich bereute es, mich ihnen nicht hingeben zu können und so wurde die Figur, die ich in meinem schwindeligen Übermut gleich anfertigen wollte, zu einer lücken­haften Skizze, die ich vorerst zur Seite legen musste.

«Kann ich dir helfen», wirkte der Dicke hilflos und suchte nach einer Aufgabe, die ihm dieses Gefühl nehmen würde.

«Ein Glas Wasser, bitte», schickte ich ihn stöhnend weg, damit er meinen Anblick nicht länger ertragen musste. Auch wenn es mir schwerfiel, so gönnte mir das Spiel keine Pause. Auch dieser Gedanke verlieh mir die nötige Kraft und brachte mich innerlich zum Lachen, weil mir die Schwäche meines Körpers und dieses dennoch scharfe Wahrnehmen meines Verstandes und das fast unausstehliche Verlangen mich wieder frei bewegen zu können, in grotes­kem Widerspruch zueinanderstanden. Wie ein Besoffener, der darüber lacht, dass er nicht mehr gerade gehen kann, so fühlte ich mich, nur, dass mein Kopf – bis auf dieses Schwindelgefühl – klar denken konnte und mehr mitbekam, als mein Körper ertragen konnte. Mir blieb nichts anderes übrig als tatenlos zuzu­sehen und alles mit mir geschehen zu lassen. Wie ein Fisch der inmitten seines Schwarmes gefangen war, mit dem einzigen Unterschied, dass dieser Schwarm bei mir nun mein regloser Körper war.

«Du bist ganz blass», sprach Sabrina in dem verzweifelten Bemühen mich wach zu halten. Immer noch ermattet, konnte ich nicht antworten, nur meine Augen versuchte ich offen zu halten, nur fielen sie mir unweigerlich zu.

Wohl müde von ihrem ständigen hin und her, setzte sich Sabrina zu mir auf die Lehne und fuhr mir besorgt mit der Hand über die Stirn.

«Er hat Fieber, seine Stirn ist klitschnass und sie glüht», wandte sie sich an Konrad, der in eben diesem Moment antanzte und nicht wusste, wie er mir mein Glas geben sollte. Er stand, wie ich zwischen zwei Lidschlägen erkennen konnte, wie bestellt und nicht abgeholt mit eben diesem Glas in der Hand neben Sabrina.

«Mir ist kalt», hielt ich Konrad auf Trab und merkte jetzt erst, dass meine Zähne bereits klapperten. Sabrina nahm das Glas aus Konrads regloser Hand, führte es vorsichtig zu meinem Mund und flößte mir behutsam das kühle Wasser in meinen verklebten Mund. Es erfrischte meine brennende Kehle, wenn ich auch nun noch mehr fror, so war ich doch dankbar für jeden Tropfen.

Mein Körper war mir völlig fremd, eine solche Schwäche war ich nicht von ihm gewohnt. Ich wusste selbst nicht, wie ich reagieren sollte, und entschied mich es herunter zu spielen. Nicht nur für Konrad, sondern vor allem für mich, denn ich hatte genauso viel Angst davor mir eingestehen zu müssen, dass es ernst war. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen sollte und so überspielte ich das mit der Leichtfertigkeit der Jugend.

Als Konrad mit einer angenehm weichen Decke zurückkehrte und Sabrina sie mit festem Griff um mich hüllte, wurde mir gleich warm. Während sie noch den kalten Schweiß von meiner Stirn wischte, schlief ich ein. Es war ein lang­sames Einschlafen, nicht so schlagartig wie zuvor, als ich in Ohnmacht gefallen war. Auch Sabrina musste das aufgefallen sein, denn ich spürte keine Schläge gegen meine Wange und sie ließ mich schlafen.

Als ein traumloser Schlaf mich aus seiner Umarmung entließ, saß Sabrina im Sessel mir gegenüber und ihr Blick war fest auf mich gerichtet. Ein Zucken durch­fuhr meinen Körper. Reichlich Zeit war ihr geblieben mich zu studieren und ich wusste, dass die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen war. Dafür war sie zu sehr Profi. Etwas war in ihrem Blick zu erkennen, etwas was ich zuvor leichtfertig als besorgt abgetan hatte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde leuchtete es auf, doch das reichte mir. Es war Angst um mich gewesen, das gestand ich mir ein, sie fürchtete, dass mich das Fieber verzehren würde und deshalb auch die umsorgende Behandlung. Aber nur weil sie es sein wollte, die mir einheizen würde, sie wollte mich zum Auftauen bringen und mir die Sensationen, die Gefühlsausbrüche abringen, nach denen sie sich sehnte, die sie für sich, für ihre Karriere so sehr brauchte. Ich war ihr Versuchsobjekt, nichts weiter als ein Spielball. Wie ein verirrtes Kind musste ich ihr vorkommen und sie wollte mich in ihre Welt zurückführen. Dabei ahnte sie nicht, dass ich von dort kam und nicht zurück wollte. Mein in ihren Augen seltsames Verhalten machte mich für sie nur noch interessanter.

Ich ließ mir nichts anmerken und lächelte sie an, um ihr verstehen zu geben, dass es mir wieder besser ging. Dabei fühlte ich mich wirklich besser, doch sie war Journalistin und somit verpflichtet, sich selbst zu überzeugen. Und gewis­sen­haft war sie, machten meine Gedanken ihr ein Kompliment.

Sie flößte mir abermals langsam Wasser ein und fuhr mir, als wäre sie in Gedanken woanders, über die Stirn. Während sie dies tat, spürte ich, dass diese nun trocken war, das Glühen hatte nachgelassen und ich fror nicht mehr.

Nur mein Körper fühlte sich noch leicht taub an, von all den Anstrengungen, die ich ihm nicht hätte zumuten dürfen. In der geborgenen Wärme der weichen Decke und unter den fürsorglichen Blicken der Frau war ich gerne bereit ihr die Ab­hängig­keit zu bieten, die sie sich von mir wünschte, und genoss es von ihr umsorgt zu werden.

Doch auch wenn ich sie mit meinen noch schwerfälligen Blicken abtastete, wollte es mir nicht gelingen, schlau aus ihr zu werden. Ihr Gesicht war immer noch makellos bepinselt und die Fragezeichen und die übereilt zusammen­gefassten und zusammengefügten Romanfetzen wollten nicht zusammen­passen. Ich sah sie und doch war es, als würde ich tausend andere sehen, nicht aber sie. Nicht die Frau, die hinter dieser Maske aus Schminke die Fäden zog und mich mit ihrer Mimik einzulullen versuchte.

«Und wie geht es unserem Patient?», trat Konrad an mich heran und trotz seiner selbstsicheren Haltung konnte ich die Unsicherheit in seiner Stimme her­aus­hören. Er wollte mir genau wie Sabrina etwas vorspielen, doch mit ihren schau­spielerischen Fähigkeiten konnte er bei Weitem nicht mithalten.

Mit meinem hellsten Lächeln, das ich hervor kramen konnte, betrat ich nun ebenfalls die Bühne, auf der die Beiden bereits standen.

«Ich glaube es ist besser, wenn wir den Aufbruch noch ein paar Tage ver­schieben», erbat sich Konrad Sabrinas Meinung, da er meiner Vorführung keinen Glauben schenken wollte.

Gekränkt, da ich nicht richtig spielen konnte, sprang ich gleich auf, um ihm meine neu erlangte Belastbarkeit vorzuführen. Ich wollte nicht mehr warten. Endlich weg wollte ich, das Abenteuer, die Einsamkeit und mein Gral warteten auf mich. Was die Menschheit mit mir anrichtete, hatte ich eben erst wieder an meinem eigenen Körper erleiden müssen. Die machten mich krank, mit all ihren Regeln. Schützen wollten sie mich, behaupteten mich vor Übeln zu bewahren, doch mir wurde schlecht bei ihrem Versuch, der mich doch nur ein­engte. Gefangen war ich in der einen Welt, die sich selbst davon lief, mit all ihren Rennen, der Eile, die mich stolpern ließ. Und nun roch ich die Freiheit und wollte der Welt entfliehen. Nun durfte ich nicht zulassen, dass mich Konrads Fürsorge davon abhalten würde. Es war keine Zeit mehr für Rück­sicht. Ich nahm sie nicht einmal auf mich selbst, denn ich wusste die Welt noch in meinem Rücken, noch war sie zu nah, als dass ich es mir erlauben konnte, stehen zu bleiben. Und damit hatte ich, nun da ich so schnell aufgestanden war, auch meine Probleme. Mein Kopf wollte wieder versagen und meinen Körper un­kontrolliert fallen lassen. Doch ein unerbittlich, gegen mich geführter Kampf hielt mich gerade und ich ging, scheinbar leichten Schrittes auf die nahe Theke zu, schüttete mir einen Orangensaft aus und trank ihn mit sichtbarem Genuss, während ich meine Augen geschlossen hielt und mich krampfhaft mit einer Hand an der Theke festhielt, da ich ansonsten fallen würde. Doch es gelang mir diese Geste so zu verbergen, dass als ich mich wieder zu meinem Sessel begab, sie mich mit erleichterten Gesichtern empfingen.

Begeistert von meinem Erfolg, schaute ich aus dem Fenster. Soweit das Auge reichte war nichts weiter als eine riesige blaue Fläche zwischen den Wolken zu erkennen. Dennoch ließ ich meinen leicht trunkenen Blick draußen, während ich darauf wartete, dass die Welt sich nicht länger um mich zu drehen schien, sondern sich damit begnügen würde, um sich selbst zu drehen.

Die diversen Unterhaltungsprogramme, die mir Konrad mit einer unnach­ahm­lichen Begeisterung anbot, lehnte ich dankend ab. So blieb der große schwarze Kasten hinter dem Cockpit und die kleineren in den Rückenlehnen der Sessel schwarz. Meine Augen waren noch nicht so weit, dass sie dem ständigen Flimmern Folge leisten konnten.

Obwohl sich Konrad fortwährend neue Unterhaltungs­möglich­keiten einfallen ließ, konnte ich mich zu kaum mehr als einigen wortkargen Gesprächen verleiten lassen.

Sabrina indes verhielt sich für den Rest des Fluges auf ihre Art recht schweig­sam. Ob sie sich wirklich nur mit ihren Kameraleuten auszusprechen gedachte, oder ihr doch nicht entgangen war, dass ich noch Ruhe bedurfte, wusste ich nicht. Auf jeden Fall hielt sie sich größtenteils im hinteren Teil des Flugzeuges auf. Dort hockte sie umringt von mehreren Laptops mit ihrer Mannschaft, während unablässig Geflüster und unterbrochene Musikfetzen bis zu mir vor­drangen.

Neben Konrads zahlreichen Schilderungen und Anekdoten waren die Ge­räusch­häppchen das reinste Vergnügen. Ohne, dass ich die Bilder sehen konnte, zu denen sie geschnitten werden sollten, konnte ich es erahnen. Den Schnitt, den ich mir ausmalte, erfüllte meine Befürchtungen erschreckend genau.

Sie ließen keinen Trumpf aus, den ihnen ihre Ton und Musikbibliothek darbot. Zu langweilig war wohl meine Darstellung gewesen, als dass man allein daraus eine annehmbare Sendung hätte machen können.

Die Zeit zerrann, ohne dass ich es bemerkte, und nicht einmal von dem Wechsel der Außenkulisse bekam ich etwas mit. Obwohl mein Blick immer noch lange Zeit draußen weilte, fiel mir erst auf, dass wir uns wieder über festen Boden befanden, als sich das Flugzeug bereits im Sinkflug befand.

Die Landung selbst fand von mir nur wenig Beachtung. Für den Moment genoss ich das unwirkliche Gefühl, das mich überkam, als die Räder den Asphalt berührten und der Rückschub der Turbinen uns kraftvoll abzubremsen begann. Wieder war es die absolute Gleichmäßigkeit in der nun umgekehrt gerich­teten Beschleunigung, die meine Bewunderung verlangte.

Übertroffen aber wurden diese starken und doch flüchtigen Empfindungen von dem Glück, das mich ergriff, als ich mit zögerlichen Schritten feststellen durfte, dass ich mein Schwindelgefühl über den Wolken zurückgelassen hatte. Mein Körper war wieder bereit mir zu Diensten zu stehen und ließ sich gleich von einer für mich ungewöhnlichen Unruhe anstecken, dass wir, dass ich auf­brechen sollte.

Vorsichtshalber am Geländer festhaltend betrat ich die Treppe und nicht einmal der heiße, trockene Wind, der mich empfing, konnte mich auf­halten. Schon der erste atemberaubende Luftschwall trug meine Gedanken hinfort, weit in die mir noch unbekannte Wüste hinein. Es Brise zu benennen, hätte zu sehr an Wind erinnert, als dass ich es mit der erdrückenden Hitze in Ver­bind­ung hätte setzen dürfen. Es verwunderte mich keineswegs, denn noch waren zu viele Menschen um mich. Noch hatte meine Reise nicht wirklich begonnen. Erst noch müsste sich meine Begleitung empfehlen.

Dabei konnte ich es bereits schmecken, dieses sandige, trockene Erlebnis, das mich jenseits der Stadtmauern, die nur im übertragenen Sinne existierten, erwarten würde.

«Jetzt ist es so weit», empfing mich Sabrina feierlich unten an der Treppe, als würde ich abermals einen jener für die Menschheit so wichtigen Schritte machen.

Erstaunlicherweise fühlte es sich für mich auch so an, als ich den festen Boden betrat. Das erste Mal in Ägypten, das erste Mal überhaupt in Afrika, konnte man das verstehen. Und doch war ich mir sicher, dass es das nicht war. Es war der erste Schritt um die Welt, hier sollte der Kreis beginnen, in dem ich meine Flucht, mein Rennen zu mir selbst starten sollte. Reisefieber ergriff mich und löste die Trunkenheit fast nahtlos ab.

«Ja», antwortete ich und blieb bereits nach dem ersten Schritt stehen. Irgendwie von dem Moment ergriffen ließ ich meinen Blick über die eigenartige Kulisse schweifen. Ich hatte noch nicht viele Flughäfen gesehen, in natura eigent­lich nur einen, und doch kam es mir vor, als wäre dieser einfach anders.

Welche Besonderheit er haben sollte, konnte ich nicht ausmachen. Vielleicht war es einfach das Gefühl, das er mir vermittelte, welches völlig anders war von dem, was mir vertraut war. Dieser Versuch zum Staunen zu bringen fehlte gänzlich. Keine hohen Fensterfronten, nicht einmal viele Gebäude über­wuch­erten mein Blickfeld. Nur eine, grob gesagt, hölzerne Baracke erwartete uns und ein weitläufig gespannter Zaun grenzte den Flughafen von einer unbe­baut­en Fläche ab.

Dies konnte unmöglich der Hauptflughafen einer Großstadt, oder gar einer Haupt­stadt sein, so viel war selbst mir wenig gereistem Mensch klar.

Es war mir recht, denn ich wollte mich nicht noch durch eine Menschen­menge drücken. Ich war nicht mehr bereit mich einfach treiben zu lassen. Zu weit war ich gereist, um einen solchen Rückschlag noch verkraften zu können. Noch zu stark hatte ich die Klammer, die die Menschen meinem Körper aufer­legt hatten, in Erinnerung. Ich wusste ich tat ihnen unrecht, aber allein der Gedanke an den Geruch dieser schwimmenden Fische reichte aus, damit es mir übel zu werden drohte. Deshalb floh ich mit meinem Blick jenseits des Gitters in die sandige, trockene Fläche, die mir die neue Welt endlich zu eröffnen ver­sprach. Eine völlig frei von Rennen, von jubelnden Mengen, die mich messen, aber nicht kennen wollten.

«Konrad, wo steht deine Limousine?», wollte Sabrina ernsthaft wissen und durch­pflügte die Umgebung mit ihren suchenden Blicken.

Ich sah Konrad völlig entgeistert an. Auf einen solchen Tiefschlag war ich nicht vorbereitet gewesen. Doch zu meiner Erleichterung wirkte selbst Konrad überrascht. Seltsamerweise sah er zu mir herüber, als wollte er meine Meinung dazu wissen. Schulterzuckend gab ich ihm diese gleich kund und sah zu Sabrina, um eine weitere Aktion von ihr abzuwarten.

«Ich hatte eigentlich gedacht wir würden den Hubschrauber nehmen und gleich in die Wüste fliegen», war es jedoch Konrad, der seine Fassung wieder gewonnen hatte und antwortete.

Mein Mund klappte ungläubig auf, ohne dass ich einer Regung fähig war. Zu meinem Glück waren sie zu sehr mit sich beschäftigt, um mein erneutes Scheitern in unserem Spiel bemerken zu können. Auf jeden Fall war ich nicht bereit gewesen, solch derbe Schläge einzustecken.

Beide von ihnen verstanden es wohl sich fortzubewegen, aber von Reisen hatten sie nicht die geringste Ahnung.

«Er muss doch noch seine Ausrüstung beschaffen», meinte Sabrina, die meinem Rucksack keinerlei Bedeutung anmessen wollte.

«Aber das könnt ihr mir nachbringen. Etappe für Etappe.» Ich versuchte dem Lärm der Stadt zu entgehen. «Ich kann eh nicht alles was ich für die zwei Jahre brauche mitschleppen.» Noch wollte ich meinen Traum nicht aufgeben und versuchte mit sachlichen Argumenten meine subjektiven Empfindungen zu kaschieren.

«Der Junge hat recht.» Unbewusst unterstützte mich Konrad in meinem Bemühen zu fliehen.

«Der Bursche kommt mit, und basta», zeigte Sabrina ihre Zähne und wir gaben klein bei.

Was Konrad betraf, konnte ich seine Reaktion nicht begreifen. Wo war der Kämpfer, den ich am Flughafen kennengelernt hatte? Wo war die Lawine, die sich von keiner Menschenmenge aufhalten ließ?

Aber irgendetwas brütete er noch aus, ein flüchtiges Zucken um seine Mund­winkel verriet es mir. Es war sein Spiel und er wusste, was er wollte, sonst wäre er wohl nicht dorthin gekommen, wo er jetzt stand. Und sein Blick zeigte mir, dass er uns nicht als seine Lakaien betrachtete, sondern als seine Widersacher, nicht wirklich ernst zu nehmen, aber doch so stark, dass er sich ein Spielchen mit uns erlauben durfte und uns nicht einfach aus dem Weg brüllte.

So viele Figuren schenkte mir der dicke Mann, dass ich mit Anfertigen kaum noch hinterher kam. Denn ich musste immer weiter lesen, es gab kein Ende, keine Pausen. Der Roman schrieb sich von selbst, ohne sich zu speichern, es gab die Kapitel nur für den einzelnen Moment, einen Augenblick später waren sie Geschichte. Und ich wollte nicht riskieren, sie zu verlieren.

Mit einem enttäuschten, aber gefassten Gesichtsausdruck, tat er was er am liebsten tat und konnte – regeln. Er brauchte nicht lange und neben uns stand ein Taxi. Der Fahrer wurde nur kurz instruiert und fuhr uns zur Halle.

Als ich dann, immer noch geschockt von Sabrinas Forderung, ihr zum Wagen folgte, führte mich der Weg an der Nase des Flugzeuges vorbei.

Entmutigt, da meine Reise unterbrochen werden sollte, hob ich nur langsam meinen Blick. Ich suchte in der Wüste, in der ich mich glaubte, eine Abwechs­lung, die mich erfüllen und von meinen enttäuschten Gedanken würde ablenken können.

Doch wieder traf mich ein Schlag. Während der an sich ungefährlichen Kopf­be­weg­ung, wurde ich in eine andere Welt gerissen. Es enthob sich jeder Vor­stell­ungs­kraft, was meine Augen mich zu erleben zwangen. Es brauchte nur einen Lidschlag und die Wüste war verschwunden und mit ihr all diese Ver­sprech­ung­en nach Ruhe, die ich mir selbst gegeben hatte.

Ich glaubte mich leicht überwältigt von dem Flughafen, von dem meine Reise be­gonnen hatte, als ich ihn noch im selben Atemzug vergaß. Glas und Stahl und was sich sonst noch an glänzendem Gestein auffinden ließ, vereinte sich zu einem gewaltigen Mahnmal gegen die Leere der Wüste. Als wollte dieses eine Gebäude alleine sich gegen alles auflehnen, was die endlosen Sandflächen dar­stellt­en. Tiefe Ruhe ergriff meinen Körper. Staunen verführte meine Kinnlade, meine Brust zu besuchen. Bewunderung brachte gar meine ansonsten recht leb­haften Gedanken zum Schweigen.

Es war fortgeschrittener Abend und die rötliche Sonne stand noch erstaun­lich hoch im Westen und tauchte die spiegelnden Flächen in ihr rotes Licht. Wieder spürte ich die Hitze und doch glaubte ich, dass sich dazu noch eine Wärme im Innern meines Körpers ausbreitete.

Vergessen waren die Gedanken an die sandige Freiheit der Wüste, wie weggeblasen, nicht von einem erfrischenden Wind, sondern von der überwält­igen­den Schönheit dieser steinernen Königin.

Ich wusste ich hätte in diesem Augenblick einen lächerlichen Anblick abge­geben, aber meine ausschweifenden Gedanken waren auf Reisen. Sie umflogen die Einzelheiten des – es fiel mir schwer es mit solch banalem Wort zu beschimp­fen – Flughafens und tauchten in die rot glühende Harmonie des Ganzen. Es hatte nichts mit Funktionalität zu tun, was mich dort empfing. Wer auch immer das gebaut hatte, der wollte, dass man den Atem bei diesem Anblick verlor. Obwohl mir dieser fremde Bauherr unbekannt war, entsprach ich seinem Wunsch und musste beein­druckt schlucken, bevor ich eines weiteren Schrittes fähig war.

Irgendwie verwunderte es mich nicht, als ich merkte, dass meine beiden Begleiter keinen Blick für eine solche Ansehnlichkeit hatten und bereits unge­duldig meiner warteten, als ich ins Taxi dazu stieg.

Sabrina äußerst zufrieden mit ihrem kleinen Erfolg, brachte es ausnahms­weise über sich zu schweigen. Konrad dagegen nicht. Er hatte wieder Boden gut zu machen in seiner Schlacht, die ich nicht recht begreifen konnte, aber dennoch interessiert verfolgte. Ich hatte schließlich das Fernsehen bei mir, da sollte man sich die Show wohl nicht entgehen lassen.

Aufgeregt sprach er mit seinem Handy und der für mich unverständlichen Stimme. Diese klang, als wäre sie nur wenig erfreut, doch wagte sie es nicht, zu wider­sprechen. Ohne dass diese, mir unbekannte Person, die Chance gewehrt wurde auszusprechen, hatte Konrad aufgelegt und sah mit einem zufriedenen Grinsen zum Fenster hinaus, abermals ohne etwas zu betrachten – wie mir auf­fiel. Diesmal jedoch wirkte er nicht gehetzt oder bedrückt. Und es ließ mir ein kalten Schauer den Rücken runter laufen, als ich mir eingestehen musste, dass ich seine Miene das erste Mal nicht richtig zu deuten vermochte.

Die Fahrt mit dem Taxi dauerte nicht lange, kaum mehr als einen Kilometer maß die Strecke, die wir so zusammengedrückt hinter uns brachten. Recht lächer­lich kam ich mir dabei vor und ich spürte, wie sich mein fiebriger Zustand zurückmelden wollte.

Als ich dann leicht ungeduldig hinter dem Dicken ausgestiegen war – Sabrina stand bereits draußen, doch mir war es, als müsste ich auf Konrads Seite stehen – blickte ich erwartungsvoll an der Halle empor. Doch ich wurde enttäuscht. Außer der immer noch unangenehmen Hitze war nichts mehr da, was mir den Atem stahl.

Nur Glas und Stahl und ein wenig Beton, der nur noch mehr Wärme ab­strahl­te. Die rot glühende Pracht der Sonne konnte mich vor dem Gebäude nicht mehr blenden und ich sah wieder die Leere, die ich in jedem Gebäude wiederfand. Ich betrachtete es dennoch, doch waren es nur die Gedanken, die mich ergriffen. Und eben diese sagten mir, dass ich staunen sollte, wegen solch verwegener Schönheit. Ein Juwel in der Wüste, den sie hier errichtet hatten. Welch Frevel von meinen Gedanken sich darüber so lustig zu machen.

Als Sabrina mich mit ihrem prüfenden Blick röntgte, drehte ich mich leicht nach rechts zu ihr um und tat als würde die Sonne, die hinter ihr stand, mich blenden. Es galt stark zu bleiben, zu viele Regeln hatte sie bestimmt, und es war heiß, da drohte man schnell zu schmelzen, wenn man nicht achtgab.

Und just in dem Moment, da ich mich mit einem nüchternen Blick endgültig von der makellos verarbeiteten Fassade abwenden wollte, begann der Dicke zu schwär­men. Mit angehobener Stimme erzählte er mir von den Finessen dieses Flug­hafens, erklärte mir das Zusammenspiel von Glas und poliertem Gestein, welches er mir drinnen zu finden versprach. Seine Stimme war so kräftig und so stolz, als habe er alles eigenhändig errichtet.

Es beeindruckte mich, über welches Wissen der Dicke verfügte, doch ich hörte nicht wirklich zu, immer diese Zahlen, sie verfolgten mich, selbst hier, am Rande der Wüste, gab es für mich keine Sicherheit.

Ohne meine Erlaubnis abzu­warten, gingen meine Augen auf Wanderschaft, sobald wir eingetreten waren. Mit vielem hatte ich gerechnet, aber nicht mit solch räumlicher Freiheit, wie die Halle sie mir darbot. Und dennoch er­drückte es mich und es kam mir vor als würde ich immer kleiner werden. Der Marmor unter meinen Füßen, die säuberlich glänzenden Flächen überall und die großzügig überdimensionierte Klimaanlage ließen mir ein Frösteln über meinen leicht verschwitzten Rücken laufen.

Ich wusste nicht, ob es nur daran lag, dass mein Körper noch von der langen Reise und der erbarmungslosen Behandlung des Arztes, geschwächt war, aber irgend­wie wurde es mir schwindlig. Mich ergriff nicht die Art von Schwindel­gefühl, die den Körper zum Stürzen bringen konnte, aber dennoch fanden meine Augen keinen Halt. Eigentlich war es mir – allein die Vorstellung belustigte mich – als würden sie überlaufen. Ich konnte nicht erfassen, was mir meine Sinne alles darbieten wollten. Vielleicht war es gerade das, was mir dieses Gebäude so leer vorkommen ließ. Und so schottete sich mein Geist von meinem überreizten Körper ab und ließ diesen orientierungslos hinter Konrad herlaufen.

Selbst Staunen war mir in diesem Moment nicht mehr möglich, alles wirkte wie ein Film und ich war die Kamera, eine schwarze hohle Kiste.

Sabrina, immer noch zufrieden lächelnd, überließ es Konrad nun alles in die Wege zu leiten – in die Wege, die sie ausgewählt hatte. Dennoch ließ sich der Dicke diesen Triumph nicht nehmen und führte uns, ohne zu zögern am Zollamt vorbei, veranlasste, dass uns die für ihn nötigen Annehmlichkeiten bereit stehen würden. Mit einem Wort: Er war der große Manager, den ich in ihm gesehen hatte und nicht mehr eine tobende Lawine. Diese schien er in uns­er­em Heimatland zurückgelassen zu haben. Oder – der Gedanke zwängte sich mir auf – es lag an der Hitze dieses Landes, die ihm diese Art des Energieaufwands verbot. Doch die Vorstellung gefiel mir nicht, und so verbuchte ich ihm das vorbildliche Benehmen als neue Errungenschaft.

Flucht aus dem Morgengrauen

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