Читать книгу Jeder Schritt ein Auftritt (E-Book) - Marcel Felder - Страница 6
ОглавлениеWarum ist Auftrittskompetenz wichtig?
Die Fähigkeit zur Kommunikation und die damit einhergehende Auseinandersetzung mit der eigenen Person und der persönlichen Wirkungsgestaltung sind sowohl im Privat- als auch im Berufsleben von Bedeutung. Da das inhaltliche «Was» nicht vom körperlich rückgebundenen «Wie» zu trennen ist, erweist sich die Bewusstmachung und Reflexion der eigenen Körperlichkeit hinsichtlich der spezifischen Auftrittssituation als durchaus sinnvoll (vgl. Klepacki & Zirfas 2013, S.181f.). Durch die Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Anderen in Bezug auf die Wahrnehmung, Körperlichkeit, Wirkung und deren Gestaltung können die Grundlagen für eine gelingende Kommunikation geschaffen werden.
Ziel des Auftrittskompetenztrainings ist nicht in erster Linie die Beherrschung von Präsentationstechniken, sondern der bewusste und gleichzeitig spontane Einsatz aller körperlichen und stimmlichen Wirkungs- und Ausdrucksweisen zur erfolgreichen und verantwortungsvollen Bewältigung von Auftrittssituationen.
Im Auftrittskompetenztraining werden nicht nur Situationen untersucht, in denen eine Person vor einer Gruppe von Menschen «auftritt», denn unter «Auftritt» verstehen wir jegliche Art der Beziehungsgestaltung, sei dies eine kurze Begegnung auf dem Flur, ein Smalltalk oder Bewerbungsgespräch, eine Beratung unter vier Augen, eine Besprechung im Team, Unterrichtssituationen oder die Leitung einer Sitzung – jede Begegnung mit einem anderen Menschen, jeder Schritt ist ein Auftritt.
Für unsere Übungen zum Training von Auftrittskompetenz definieren wir «Auftrittskompetenz» wie folgt: Auftrittskompetenz meint den bewussten Umgang mit der eigenen Wirkung und die bewusste Wahrnehmung der Ausdrucksweisen von anderen in Interaktionssituationen. Zudem beinhaltet Auftrittskompetenz die gezielte Anwendung dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine gelingende Beziehungsgestaltung. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung und der eigenen Wirkungsgestaltung können im Auftrittskompetenztraining personale und soziale Kompetenzen aufgebaut und gefördert werden.
Das erste Kapitel beinhaltet grundlegende Gedanken und Modelle zum Verständnis von Auftrittskompetenz, zur Rolle der Trainerin oder des Trainers und begründet warum sich theatrale Lern- und Lehrmethoden für die Vermittlung von Auftrittskompetenz besonders eignen.
Im zweiten Kapitel finden sich zahlreiche Übungen zur Vermittlung und zum Training von Auftrittskompetenz. Die Übungen sind thematisch geordnet, können jedoch in beliebiger Reihenfolge durchgeführt werden und lassen sich vielfältig kombinieren. Die ersten beiden Kategorien – «Zum Starten der Einheit» und «Zum Beenden der Einheit» – sind dem Einstieg in die Workshoparbeit und dem Abschluss von Lernprozessen gewidmet.
Nicht immer ist jede Übung eindeutig einem Themenschwerpunkt zuzuordnen, die inhaltlichen Übergänge sind fließend, es können mehrere Fokusthemen anhand ein und derselben Übung beleuchtet werden. Zur besseren Orientierung sind die Fokusthemen jeweils am Ende der Übung in blauer Schrift hervorgehoben. Sie zeigen auf, welche Aspekte mit der betreffenden Übung jeweils trainiert werden können. Zudem sind unsere Lieblingsübungen mit einem gekennzeichnet. Falls Ihnen also nur eine begrenzte Zeit für ein bestimmtes Thema zur Verfügung steht, starten Sie am besten mit den Sternübungen.
Der Fokus dieses Buches liegt zwar auf der Vermittlung von Auftrittskompetenz in Gruppen, es finden sich aber auch zahlreiche Übungen, die für das Einzeltraining geeignet sind. Diese sind mit einem gekennzeichnet. Für das Selbststudium bieten sich auch alle Reflexionsaufgaben und Wahrnehmungs- und Beobachtungsaufträge im dritten Kapitel an.
Bei einigen Übungen bieten wir das wichtigste theoretische Grundlagenwissen als Basis für die Übungen an, um bestmögliche Voraussetzungen für ein effizientes Training von Techniken rund um die Auftrittskompetenz zu schaffen. Damit diese informativen Übungen gezielt gewählt werden können, sind sie mit einem gekennzeichnet.
Im dritten Kapitel finden Sie zu den verschiedenen Aspekten der Auftrittskompetenz Beobachtungsaufträge und Reflexionsaufgaben, die sich für den Transfer in den Alltag anbieten.
Im letzten Kapitel finden Sie schließlich das gesamte Arbeitsmaterial, das Sie zur Durchführung der einzelnen Übungen benötigen. Das Material kann über http://mehr.hep-verlag.com/jeder-schritt-ein-auftritt heruntergeladen werden.
In unseren Workshops verwenden wir in der Regel die Du-Form, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen – dies schien uns auch für die Übungen im Buch die angemessene Form.
Die Idee zu dieser Übungs- und Reflexionssammlung entstand nach vielen gemeinsam durchgeführten Trainings an verschiedenen Hochschulen, Volksschulen, Firmen der Privatwirtschaft und sozialen Einrichtungen und aufgrund wiederholter Anfragen nach Grundlagenmaterial von Teilnehmenden unserer Workshops, Kurse und Module. Deshalb haben wir bekannte Übungen zusammengetragen und sie über mehrere Jahre hinweg modifiziert und weiterentwickelt. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für den inhaltlichen und fachlichen Austausch an unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Theaterbereich, die ebenfalls Auftrittskompetenztrainings leiten.
Diese Übungs- und Reflexionssammlung will nicht in erster Linie theoretisches Wissen vermitteln, wie es in großer Vielfalt in Publikationen zu den Themen «Körpersprache», «Stimme» und «Rhetorik» zur Verfügung steht. Solches Wissen sollte jedoch selbstverständlich als Bezugsgröße und theoretischer Unterbau bei der Vermittlung von Auftrittskompetenz herangezogen werden. Mit diesem Band halten Sie vor allem ein Trainingsbuch in den Händen, das insbesondere zum Erkunden und Anwenden verschiedener Aspekte des Auftretens anregen möchte.
Im Auftrittskompetenztraining geht es darum, den Teilnehmenden in einem konsequenzentlasteten Raum persönliche Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Kommunikationsaspekten zu ermöglichen. Diese Auseinandersetzung geschieht über Sensibilisierungs- und Wahrnehmungsübungen sowie über Simulationsübungen.
Im geschützten Trainingssetting ergibt sich die Möglichkeit, blinden Flecken auf die Spur zu kommen und Bestätigung für bereits gefundene Stärken zu erhalten. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung können abgeglichen, erweiterte Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten gefunden sowie Handlungs- und Gestaltungsstrategien entdeckt und ausprobiert werden.
Abb. 1 – Der Prozess des Auftrittskompetenztrainings (Felder 2016, S.105)
Sensibilisierungs- und Wahrnehmungsübungen
Die Teilnehmenden werden über Sensibilisierungs- und Wahrnehmungsübungen an Teilaspekte des Auftretens herangeführt. Die Körpererfahrung steht dabei im Mittelpunkt. Das Fundament bilden spezifische Beobachtungen, der Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung, Reflexionsaufträge und die Kultivierung einer Feedbackkultur (vgl. Felder 2016, S.99).
Simulationsübungen
In Simulationsübungen (zum Beispiel berufsrelevante Auftritts- und Gesprächssituationen) werden die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Wahrnehmungs- und Sensibilisierungsübungen angewandt und weiter trainiert. Dabei kann überprüft werden, ob das Wissen und Können in spezifischen Situationen abrufbar ist. Durch die im Unterrichtssetting natürlich gegebene Komplexitätsreduktion wird deutlich, dass nicht die Wirklichkeit, sondern für die Wirklichkeit trainiert wird (vgl. Felder 2016, S.99f.).
Transfer
Idealerweise ist eine Parallelstruktur zum Training gegeben, die es ermöglicht, dass Neues in realen Anwendungssituationen erprobt und etabliert werden kann.
Das Training ist idealerweise so aufgebaut, dass Wahrnehmungs- und Beobachtungsaufträge den Lernprozess begleiten und die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Übungen und Transferanwendungen wieder in die Trainingssituation einfließen und somit die Grundlage für neue Lernfelder bilden.
Ein Trainer oder eine Trainerin unterstützt die Teilnehmenden bei ihren individuellen Lernprozessen. Er oder sie gestaltet das Training so, dass ein Individuum neue Kompetenzen erwerben und neues Verhalten erlernen kann. Dies setzt ein klares Trainingskonzept voraus. Selbstverständlich konzipiert er oder sie das Training dem Lerngegenstand entsprechend, behält den berufsspezifischen oder situativen Fokus im Auge, setzt an subjektiven Theorien an, kontextualisiert das Theoriewissen und strukturiert Transfermöglichkeiten (vgl. Vanier 2013, S.38). Dies alles bildet die Basis für das selbstgesteuerte Lernen und verantwortliche Handeln im geschützten Trainingssetting.
Ebenso ist die Beziehungsgestaltung zwischen den Teilnehmenden und den Trainerinnen und Trainern – aber auch zwischen den Teilnehmenden selbst – von Bedeutung und muss bewusst kultiviert werden. Das Auftrittskompetenztraining setzt Vertrauen voraus, denn es gehört zum Wesen des Trainings, dass bisher Bewährtes infrage gestellt wird. Dies kann verunsichern, fordert die emotionale Beteiligung und berührt das Selbstkonzept (vgl. Vanier 2013, S.41). Die Trainerinnen und Trainer müssen sich deshalb der hohen Anforderung an ihre Professionalität bewusst sein.
Die Fähigkeit der Trainerinnen und Trainer, kompetent, wertschätzend und fokussiert Feedback zu geben, ist unabdingbar. Die Trainerinnen und Trainer verzichten auf Kategorien wie «richtig» und «falsch» und lassen Bewertungen wie «gut» oder «schlecht» weg. Sie bleiben stets spezifisch in der Rückmeldung zur erzeugten Wirkung und trennen in ihren Feedbacks klar zwischen Beobachtung und Interpretation. Vielleicht entscheiden sich die Trainerinnen und Trainer auch, den Auftritt der Teilnehmenden zu spiegeln, oder sie führen selbst Simulationsübungen vor. Die Empathiefähigkeit und Präsenz der Trainerinnen und Trainer sind wichtige Voraussetzungen für das Gelingen des Trainings. Auch eine gute Portion Humor, Gelassenheit und Geduld sind im Wahrnehmungs-, Findungs- und Optimierungsprozess förderlich. Die Trainerinnen und Trainer sind sich ihrer Modellfunktion bewusst.
Die einzelnen Trainingseinheiten sind so zu gestalten, dass die Teilnehmenden regelmäßig neue Erfahrungen und Erkenntnisse gewinnen und dabei Erfolgserlebnisse verbuchen können. Dadurch bleibt das Training für die Teilnehmenden bedeutsam, macht Freude und motiviert die Teilnehmenden, am Thema dranzubleiben und die nächsten Schritte mitzugehen.
Warum Übungen aus der Theaterpädagogik?
Die Idee, dass gewisse Übungsformen und Methoden aus dem Theaterbereich sich für die Entwicklung spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Bewältigung eines (professionellen) Auftritts besonders eignen, ist nicht neu. Tatsächlich haben schon Philosophen des antiken Griechenlands die Möglichkeiten des darstellenden Spiels als Lernmethode für Gebiete wie die Rhetorik und die persönliche Präsentation erkannt (vgl. Göhmann 2004, S.88).
Nach Liebau, Klepacki und Zirfas (2009) gehören theatrale Lehr- und Lernformen zu den produktiven Lernformen und sind handlungs- und erfahrungsorientiert. Im Wesentlichen bestehen theatrale Lehr- und Lernprozesse aus Wahrnehmungs-, Darstellungs-, Gestaltungs-, Präsentations- und Reflexionsprozessen. Die vier zentralen Effekte theatraler Lernprozesse: Kompetenz, Reflexivität, Erfahrung und Präsentation sind nach Klepacki und Zirfas (2013) den theatralen Lehr- und Lernprozessen immanent. Da im Fokus der theatralen Auseinandersetzung die körperliche Ausdrucksweise und deren Konzeption stehen, eignen sich Wahrnehmungsübungen, Methoden und Settings aus der Schauspiel- und Theaterarbeit folglich besonders für die Vermittlung von Auftrittskompetenzen.
Theatrale Lehr- und Lernformen können nach Hentschel (2010) für verschiedene Zielebestimmungen eingesetzt werden: als Erziehung durch Theater, als Erziehung zum Theater oder als eine allgemeine Wahrnehmungserziehung mit «theateraffinen» Mitteln (vgl. Hentschel 2010, S.238). In Anlehnung an Hentschel umschreibt Kramer-Länger (2013) die Erziehung zum Theater, mit dem Ziel, Wissen und Können über Theater aufzubauen und die Erziehung durch Theater als ein Feld, in dem über Theater an sozialen und personalen Kompetenzen gearbeitet wird und eher bildungs- und kulturpädagogische Ziele verfolgt werden. Ferner hat Erziehung mit theateraffinen Mitteln neben dem Aufbau sozialer oder personaler Kompetenzen die Ausbildung fachlicher Kompetenzen zum Ziel. Übungen, Methoden und Settings aus der Schauspiel- und Theaterarbeit werden eingesetzt, um fachfremde Inhalte zu vermitteln (vgl. Kramer-Länger 2013, S.46f.). Für das Grundverständnis des in diesem Buch angestrebten Trainings ist die Verortung des Auftrittskompetenztrainings in der Erziehung mit theateraffinen Mitteln wesentlich. Bei der Festigung der Auftrittskompetenz geht es nicht primär darum, fremde, fiktive Rollen zu ergründen oder spielerisch darzustellen. Dies würde einerseits ein Verständnis der dramatischen und theatralen Kunst voraussetzen und andererseits intensive Recherchearbeit in den spezifischen sozialen Bezügen erfordern (vgl. Felder 2016, S.88). Vielmehr stehen die Auseinandersetzung mit der eigenen sozialen Rolle (beziehungsweise Berufsrolle) und die persönliche Wirkungsgestaltung im Mittelpunkt des Trainings.
Welche Aspekte gehören zur Auftrittskompetenz?
Inhalte | Aspekte |
Nonverbale, nonvokale Kommunikation [Nonverbalität] | Mimik, Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung, Raumverhalten, Stand, Körperbewegung, Gang, Energie/Dynamik, Spannung, Atmung, Artefakte (wie Kleidung, Schmuck, Frisur, Gegenstände/Requisiten, symbolische Zeichen) |
Nonverbale vokale Kommunikation (Paraverbalität) | Intonation, Stimmmodulation, Sprachrhythmus, Dynamik (wie Lautstärke), Pausen, Rahmensignale (wie Gähnen, Husten, Räuspern, Sprechunarten wie «ähm» und so weiter), Sprechtempo, Atmung, Betonungen, Stimmlage, Artikulation, Sprechhaltung |
Verbale Kommunikation (Verbalität) | Dialektik, Wortwahl, Satzbau, Aufbau und Dramaturgie, Inhalt, Sprachstil, Aussprache, Schlagfertigkeit, Rhetorik (wie Frage- und Argumentationstechniken, Redefiguren und so weiter) rhetorische Improvisation, Schlagfertigkeit |
Effekte | Primacy-Effekt, Recency-Effekt |
Status | gesellschaftlicher, natürlicher und gespielter Status, Führen und Leiten, das Verhältnis zur eigenen Autorität, das Spannungsfeld zwischen Dominanz und Unterordnung |
Kontaktverhalten | kontaktbejahendes und kontaktverneinendes Begegnungsverhalten, Beziehungsgestaltung, Kontakt aufnehmen, halten, abbrechen |
Interaktionsstrategien | Lob und Zustimmung, Ignorieren, Schweigen, Beharrlichkeit und so weiter, Raum geben und nehmen, mit Grenzen umgehen |
Proxemik | Raumverhalten, Inszenierung im Raum, emotionale, verbale und räumliche Nähe und Distanz, Abgrenzungsverhalten |
(Berufs-)Rolle | Rollenverständnis, Rollenwechsel, professionelles Selbst, persönliche Identität, privates, situatives und professionelles Verhalten |
Selbstregulation | Selbstwert, Selbstkonzepte, Selbstinterpretation, Selbstansprache, Umgang mit Redeängsten und Nervosität, Wirkungslenkung |
Authentizität | selektive Authentizität, Glaubwürdigkeit, Kongruenz und Inkongruenz, Double-bind |
Wahrnehmung | Selbst- und Fremdwahrnehmung, Eigen-, Partner-, Gruppen- und Raumwahrnehmung |
Präsenz | räumliches und zeitliches Zugegensein, Anwesenheit in der Gegenwart, Verfügbarkeit, Geistesgegenwart |
Mehrfachaufmerksamkeit | Wahrnehmungslenkung, Gleichzeitigkeit mehrerer Aspekte und Dimensionen, Selbstlenkung |
Feedback | Selbst- und Fremdbeobachtung, Reflexion der Beobachtungen, Feedback geben und bekommen, Umgang mit Feedbacktechniken |
Resilienz | Widerstandsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Umgang mit Fehlern und Anforderungen, Selbstansprache, Ambiguitätstoleranz |
Improvisation | sich auf Unvorhergesehenes einlassen, Spontaneität, Ungewissheitstoleranz |
Dramaturgie | anfangen, aufhören, Spannung erzeugen, Gestaltungsabläufe |
Tab. 1 – Aspekte des Auftretens (Felder 2016, S.97ff.)