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Kapitel 2 – Feind in den eigenen Reihen

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„Welch wichtige Nachricht vermag es zu sein, die mich den Schlaf des Gerechten kostet?“, schrie ein zorniger Ork. Es war Zorshrek, Fürst der Orks und Trolle jenseits der Mentfruberge. Ein zitternder Ork stand zum Eingang der Höhle, in welcher Zorshrek eine kleine Fürstenresidenz errichtet hatte.

„Euer Gnaden“, sagte er. „Soeben kam ein Reiter aus Alplanden mit wichtigen Neuigkeiten, bezüglich der Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals. Und dass seine Botschaft ausschließlich für Euch bestimmt sei, Euer Grausamkeit.“

Schwerfällig erhob sich Zorshrek und warf sich einen Umhang über, der aus Knochen und Tierfellen bestand. „Schickt den Reiter in die große Halle, Bordrak und dann werde ich entscheiden, ob die Nachricht seine Freiheit wert ist oder ob ich ihn verspeise.“

„Wie Ihr wünscht, Euer Grausigkeit.“ Bordrak verbeugte sich und verließ den Eingang zur Höhle. Zorshrek ging zu einem steinernen Tisch, wo eine aus Tierknochen gemachte Krone lag. Er lächelte kalt. „Schon bald werde ich dich gegen die Kronjuwelen und Edelsteine der Königin der Alplande eintauschen“, flüsterte er grinsend.

Siegesgewiss betrat der Ork die große Halle. Dort saß eine Gestalt, in schwarz gekleidet und die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen. Zorshrek setzte sich auf den steinernen Thron gegenüber, blickte dem Wesen unter die Kapuze. Er erkannte ihn. „Ich grüße dich, mein kriecherischer Spion Unwyn. Was führt dich aus dem Schutz der Alplande zu mir?“

„Woher wisst Ihr, dass ich es bin?“, fragte Unwyn erstaunt.

„Weil keiner meiner anderen Spione um diese späte Stunde bei mir reinschneit. Und weil ich unter deiner Kapuze dein vernarbtes Gesicht erkannt habe“, entgegnete Zorshrek. „Nun denn, mein schleimiger Verräterverbündeter, was führt Euch zu mir?“

„Die Prophezeiung ist eingetreten, Euer Gnaden.“

„WAS?“ Die Augen des Orks leuchteten rot im Dunklen der Höhle auf. „Und dafür spannst du mich so auf die Folter?“

„Ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden“, antwortete Unwyn unterwürfig. „Heute Nachmittag ist ein Mensch aus anderer Zeit in unsere Welt gestürzt und unserer Königin vorgestellt worden.“

„NENNT SIE NICHT KÖNIGIN, DU VERRÄTERISCHES SCHEUSAL! ICH WILL FAKTEN!“

„Sehr wohl, Eure Grausamkeit. Er wurde der Usurpatorin vorgestellt und vor die Wahl gestellt, die Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals zu erfüllen oder in seine Zeit zurückzukehren.“

Zorshrek funkelte seinen Spion zornig an. „Und wie hat er entschieden?“

Verlegen blickte Unwyn zu Boden. „Er hat sich eine Nacht Bedenkzeit erbeten, Euer Gnaden.“

„UND MIT DIESEM MIESEN WISSEN WAGT IHR ES MIR UNTER DIE AUGEN ZU TRETEN? MICH ZU AUS DER ENTWICKLUNG NEUER STRATEGIEN ZU EROBERUNG VON ALPLANDEN ZU HOLEN!“ Zorshrek war fuchsteufelswild. Noch nicht einmal er bemerkte es, wie er sich von seinem Thron erhoben hatte. „BEI DEN GNOMEN VON ASTRAPOR, WARUM SEID IHR NICHT ERST NACH SEINER ENTSCHEIDUNG GEKOMMEN?“

„Ich …, ich… wollte Eure Gn… aden nicht … zu lange … warten lassen“, entgegnete Unwyn.

Zorshrek war zornig. Er stürmte auf Unwyn zu, packte ihn mit spielerischer Leichtigkeit am Kragen und schüttelte ihn kräftig durch. Dann ließ er ihn unsanft auf seinen Platz zurücksinken und setzte sich selbst auf seinen Thron. „Du widerst mich einfach nur an, Unwyn. Als du nach der Schlacht am Wieselsquell zu mir gekrochen kamst, wollte ich dich töten. Hätte ich meine Klauen nur tiefer in deine Visage reingeschlagen, dann bräuchte ich mich nicht über deine Inkompetenz zu ärgern.“

„Aber Eure Grausigkeit. Ich kann doch wieder zurückreiten und erfahren, wie sich der Auserwählte entschieden hat. Wenn er sich gegen sein Schicksal wendet, habt Ihr leichtes Spiel.“

„Versuchst du mich zu beruhigen, Unwyn?“, fragte Zorshrek mit einer Singsang Stimme.

Unwyn nickte kaum merklich.

„Du widerlicher kleiner Wurm! Ich brauche keine Beruhigung von jemandem, der die Loyalität zu seinem Volk untergräbt, um der wahren Macht zu dienen. Reite zurück auf die Burg Karamurg und hefte dich an die Fersen des „Auserwählten“. Und ich wünsche erst wieder deine vernarbte Visage zu sehen, wenn uns ein Angriff kurz bevorstehen sollte, hast du das verstanden?“

„Ja, Euer Grausamkeit.“

Mit einer gelangweilten Geste gab Zorshrek Unwyn zu verstehen, dass die Unterhaltung beendet war. Der dunkelgekleidete Elf stand auf und wandte sich zum Gehen um. Der Fürst der Orks und Trolle blickte dem Elfen grimmig hinterher. Bordrak, der aus sicherer Entfernung das Gespräch verfolgte trat in den dunklen Saal der Berghöhle.

„Was willst du denn jetzt hier?“, fragte Zorshrek zornig.

„Ich kam nicht umher Euer Gespräch zu belauschen, Euer Grausamkeit. Unwyn ist unsere wertvollste Figur in diesem Spiel, Euer Gnaden. Wir wissen, dass die Alpländer wahrscheinlich ihre wichtigste Waffe haben. Das ist gut. Nun bereiten wir uns langsam vor, um falls der Auserwählte sein Schicksal antritt, gewappnet zu sein. Sollte er es nicht tun, wird unser Sieg in der Schlacht noch einfacher ausfallen.“

„Du meinst, ich soll Unwyn einfach seine Aufgabe erledigen lassen ohne großen Druck?“, fragte Zorshrek argwöhnisch.

„So ist es, Euer Gnaden. Ihr seid ehrfurchtsvoll genug, ohne Drohgebärden. Spart Euch die Energie lieber für den großen Kampf. Ihr wollt Euch doch für die Schmach an Harbor rächen?“

Fürst Zorshrek dachte nach. Er erinnerte sich an die Schlacht am Brauntor nach dem Attentat auf Königin Aluandas Eltern. Lord Harbors Streitkräfte schnitten Zorshrek den Weg zu seiner Armee und zum Grenzübergang ab. Der Führer der Orks und Trolle saß in der Falle. In seiner schwarzen Rüstung mit dem Banner des goldenen Drachen ritt Harbor auf ihn zu, richtete sein Schwert auf ihn und stach mehrere Male auf ihn ein. Bevor Harbor ihm den Todesstoß versetzen konnte, griff ein Verbündeter von Zorshrek, Grindelmort Voldewald ein. Mit seinen Streitkräften, die auf Luftschlangen reitend Pfeile auf die Truppen von Lord Harbor feuerten, lenkte er die Elfen ab und rettete Zorshrek das Leben. Der schwer verwundete Ork wurde von seinen Streitkräften über die Mentfruberge gebracht und versorgt. Der dunklen Magie und den Kenntnissen der Heilkunst des Magiers Voldewald war es zu verdanken, dass er überlebte. Noch geschwächt von der Schlacht am Brauntor, führte er seine Armee in die Schlacht von Wieselsquell wo diese abermals eine bittere Niederlage schlucken mussten. Er erinnerte sich an diesen Tag zurück. Seinen Soldaten war es gelungen den Elf Unwyn in einen Hinterhalt zu locken und schwer zu verwunden. Durch schwarze Magie gaukelte man Unwyn vor, dass die eigenen Soldaten ihn verletzt hatten und man bat ihm an, für Fürst Zorshrek am Hofe von Königin Aluanda zu spionieren. Der in seiner Ehre und seinem Stolz verletzte Unwyn willigte ein. Er teilte Zorshrek sämtliche Angriffspläne und Truppenbewegungen der Alpländer mit und so konnte Zorshrek selbst taktisch geschickt agieren. Die Gefahr der Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals, die jeder auch jenseits der Mentfruberge kannte bestand darin, dass der Auserwählte das Bündnis der Drachen auf dem Sarangebirge weckt und damit ein schier unbesiegbares Hindernis für Zorshreks Soldaten beschwört.

„Du hast Recht, Bordrak. In der Tat war ich ein bisschen hart zu diesem kleinen Kriecher. Wir müssen an den Auserwählten herankommen, ehe er das Bündnis der goldenen Drachen erweckt und wir gänzlich ohne Chance sind. Er muss sterben. Genauso wie Königin Aluanda und diesen Fatzke von Harbor werde ich schön langsam und quälend ausbluten lassen!“ Zorshrek blickte triumphierend seinen Berater an und lachte schallend auf. „Ich werde schon bald über dieses Land herrschen.“

Südwestlich der Grenze zu den Mentfruberge befand sich eine einfache Kate, an deren östlicher Seite ein Stall gebaut war. Eine alte Frau mit grauen Haaren, die von grünen Strähnen durchzogen waren blickte in die Nacht. Es war die weißmagische Hexe Elea Grünkralle. Einst hatte sie unter Aluandas Eltern am Hof als Magierin und Heilerin gewirkt. Sie konnte gut in die Zukunft blicken und war eine Musterschülerin vom großen Octurian, doch als Fürst Zorshrek das Attentat auf die Königsfamilie Ottward und Kalea verübten, war sie zutiefst betrübt die Gefahr nicht erkannt zu haben. In einer Nacht- und Nebelaktion packte sie ihre Sachen und ritt an diesen einsamen Ort an der Berggrenze. Aus dem Nichts schaffte sie sich diese spartanische Welt und obwohl Octurian alles unternahm sie an den Hof zurückzuholen, blieb sie hier, aber mit magischen Kräften im Kontakt mit dem weisen Zauberer in der Burg der Königin. Eigentlich war sie hundemüde, doch etwas raubte ihr den Schlaf. Es war ein Gefühl der Beklemmung, der ihr beim Versuch zu schlafen die Luft abschnürte. Plötzlich sah sie eine dunkle Gestalt vorbeireiten. Hatte ihr Gefühl sie doch nicht getäuscht, dachte sie bei sich. Ihr Blick veränderte sich. Von den Augen war nur noch das Weiße zu sehen. Reglos stand sie in ihrer Hexenküche, während aus einem benachbarten Baum eine Eule sich in die Lüfte schwang. Lautlos schwebte sie durch die Luft und heftete sich an die Fersen des dunklen Reiters. Der Vogel verfolgte den Unbekannten über mehrere Kilometer. An einer Weggablung gönnte der Reiter seinem Pferd eine Pause. Die Eule landete geräuschlos in einem Baum in ein paar Metern Entfernung. Sie beobachtete den Reiter, als plötzlich der Mond durch die Wolkendecke brach und den Fremden in ein fahles silbriges Licht hüllte. Die Eule fixierte ihn, blickte unter die Kapuze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Fast hätte sie einen erschrockenen Laut ausgestoßen, doch sie hielt sich zurück. Der Reiter setzte seine Reise fort, während die Eule in die entgegengesetzte Richtung flog. Sie hatte genug gesehen und wusste, wie sie zu handeln hatte. Nach wenigen Minuten hatte sie den Ausgangspunkt erreicht. Der Greifvogel ließ sich auf einem großen Ast nieder und verfiel in den ruhigen Zustand vor dem Spionageflug. In der Hütte ein paar Meter weiter, erwachte Elea aus ihrer Trance. Es gab einen Verräter am königlichen Hof und sie hatte ihn erkannt. Auf einem einfachen Holztisch lagen verschiedene magische Utensilien, Bücher mit Zaubersprüchen und Rezepten für Zaubertränke, diverse Pergamentrollen, ein Tintenfass mit der Feder eines Adlers und eine grünlich schimmernde Glaskugel stand in der Mitte des Tisches. Elea zog die Kugel näher an sich heran und sprach eine Beschwörungsformel. Der Rauch in der Kugel fing an zu wabern. „Bitte, Octurian“, flüsterte sie. „Sei da.“ Sie wartete einige Minuten. Nichts geschah. Ist ja ganz toll, dachte Elea bei sich, wenn man den alten Meister braucht, dann ist er nicht da. Rasch nahm sie ein Blatt Pergament, tauchte die Feder in das Tintenfass und begann eilig eine Botschaft zu verfassen.

Mächtiger Octurian, ich grüße Euch. Ein Verräter befindet sich am Hofe von Königin Aluanda. Er steht in Kontakt mit dem Fürsten der Orks und Trolle. Es handelt sich um den Soldaten Unwyn, aus Lord Harbors Heer. Bitte nehmt Euch der Sache an. In der Hoffnung, dass Ihr wohlauf seid. Elea Grünkralle

Die Hexe las sich die Zeilen durch. Alles drin, dachte sie. Sie rollte das Pergament zusammen, zog sich einen Mantel über und ging nach draußen in ihren Stall. Im Stall schlief ihr Einhorn Gwynfor. Sie schlich leise vorbei, bis sie an einer Voliere mit weißen Raben stand. Elea öffnete die Tür, trat ein und weckte einen der Raben, der sofort loskrächzte.

„Sei leise Kriemhild“, flüsterte sie der Rabendame zu. „Bitte überbringe diese Botschaft dem Magier Octurian am Hofe von Königin Aluanda auf Burg Karamurg. Du weißt, wo du den findest.“

Freundlich krächzte der Vogel zurück, ließ sich geduldig die Botschaft ans Bein binden und erhob sich dann in die Lüfte. Elea blickte dem Raben eine Weile hinterher, bis er vom Dunkel der Nacht verschluckt wurde.

Mittlerweile hatte der dunkle Reiter Burg Karamurg erreicht. Der leichtgläubige Grimphone hatte Tordienst und ließ seinen Kameraden passieren.

„Warst wieder in den Wirtshäusern von Himsonia, alter Freund“, begrüßte er ihn, als Unwyn durch das Tor ritt.

„Was?“, entgegnete Unwyn erstaunt. Er brauchte einen Moment, ehe die Frage Grimphones bei ihm ankam. „Oh ja, ich habe den Dirnen ein paar Geschichten aus dem Armeedienst erzählt und im Gegenzug waren sie dann ganz freundlich zu mir.“

Grimphone schüttelte den Kopf. „Du verdienst wohl zu viel. Hier gibt’s doch auch nette Mädchen, die für einen Teil unseres Soldes mit uns alles anstellen, was wir von ihnen verlangen.“

„Vielleicht möchte ich einfach nicht deine vorgerittenen Huren abgreifen“, giftete Unwyn. „Entschuldige mich, ich begebe mich nun zu Bett.“

Unwyn stieg von seinem Pferd und führte es am Zügel in die Stallungen. Die Kapuze hatte er längst abgenommen. Das Mondlicht fiel auf den Hof der Burg, während Unwyn in seine Unterkunft ging und erschöpft auf sein Lager fiel. Mein Leben habe ich für diese Usurpatorin riskiert und mit so einem weiteren Leben wird es von ihr gedankt, dachte er bei sich und der Zorn steigerte sich ins Unermessliche. „Wenn nur die Königin nicht mehr wäre“, flüsterte er und strich über seinen Dolch, der an seinem Gürtel hing. Der Mond leuchtete strahlend weiß durch sein Fenster und blendete ihn leicht, sodass er sich zur anderen Seite drehte, um endlich die Augen schließen zu können. Dadurch entging ihm der weiße Rabe, der an seinem Fenster vorbei in Richtung des großen rotgoldenen Turmes flog.

Das Hufgetrampel machte ihn stutzig. Mit müdem Blick trat Marcel an das Fenster seines Gemaches und blickte hinaus. Er sah, dass der Elf mit der dunklen Kapuze wieder zurückgekehrt war. Sein Gesicht war von Narben gezeichnet, das gab das schwache Mondlicht wieder. Seltsam, dass die Krieger von Königin Aluanda zu solch später Stunde zurückkehrten, dachte er. Er beobachtete die Szenerie, bis der Reiter mit seinem Pferd in den Stallungen verschwunden war, dann schenkte sich Marcel noch einen Schluck des Bieres ein und legte sich wieder schlafen. Er wollte fit sein, wenn er der Königin seine Treue schwor.

Der Morgen war angebrochen und die ersten Strahlen der Sonne fielen in Marcels Schlafgemach. Müde rieb er sich die Augen, machte sich frisch und zog sich an. Da er nicht wusste, wo auf der Burg das Frühstück stattfand, aß er ein wenig von den Trauben und dem Apfel, die von gestern noch übrig geblieben waren und spülte das Ganze mit einem letzten Schluck des Bieres herunter. Er musste Harbor unbedingt nach dem Namen für dieses Getränk fragen. Sein Schwert nahm er in die rechte Hand. Er fand es merkwürdig, dass man ihm keinen Gürtel mit einer Schwertscheide dazugelegt hatte. Andererseits wäre ihm vielleicht dann auch nicht diese prächtige Waffe aufgefallen. Langsam schritt er zu seiner Tür, öffnete sie und trat auf den Gang. Marcel versuchte sich zu orientieren und zu erinnern, welchen Weg er gestern mit Harbor gegangen war. Er ging ein paar Schritte als er einem Höfling über den Weg lief. Dieser entschuldigte sich hektisch, dass er fast in den Auserwählten reingerannt war und Marcel hatte alle Mühe ihn zu beruhigen.

„Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Genau genommen bin ich froh, dass wir uns über den Weg gelaufen sind. Ich möchte wissen, wie ich in den Thronsaal gelange, da ich der Königin etwas mitteilen möchte.“

Der Höfling lächelte entschuldigend, ehe er antwortete: „Das tut mir leid. Die Königin ist aktuell noch beim Frühstück in ihren Gemächern. Wenn es Euch nichts ausmacht, dann würde ich Euch holen, sobald die Königin im Thronsaal ist. Es sollte nicht mehr so lange dauern.“

„In Ordnung, Jüngling, dann warte ich auf meinem Zimmer und Ihr holt mich, sobald Ihre Majestät da ist.“

Der Elf verbeugte sich tief und ließ Marcel zurück. Er befolgte den Rat und kehrte in sein Gemach zurück. Ein wenig Gesellschaft, jemanden zum Reden wäre nicht schlecht war sein Gedanke. Die Warterei weckte Unruhe in ihm. Das miese Gefühl sollte ihn nicht täuschen.

Im rotgoldenen Turm der Burg war Magier Octurian so sehr in seine Wissenschaften und Magie vertieft, dass er über seinen Büchern eingeschlafen war und nichts bemerkte. Noch nicht einmal das ständige Klopfen am Fenster hatte ihn erwachen lassen. Die zarten Strahlen der Sonne weckten ihn aus seinen Träumen. Hektisch griff er seinen umgefallenen Spitzhut und setzte ihn sich auf sein kahles Haupt, welches von einem weißen Haarkranz umrahmt wurde. Octurian rückte seine Brille gerade und blickte sich um. Auf der Fensterbank saß ein weißer Rabe, der ihm bekannt vorkam. Er eilte zum Fenster öffnete es vorsichtig. Der Vogel wachte aus seinem Schlaf und flatterte zornig in den Raum. Octurian hatte alle Mühe den Botenvogel zu beruhigen. Nachdem er sich ausgetobt hatte, setzte sich der weiße Rabe auf den Schreibtisch und hielt den Fuß mit der Botschaft in die Höhe. Der Magier verstand und band vorsichtig die Rolle vom Bein des Raben und streichelte ihm sanft über den Kopf.

„Tut mir leid, dass ich dich heute Nacht nicht bemerkt habe. Irgendwie muss ich über meinen Büchern eingenickt sein“, entschuldigte er sich bei dem Tier, das ein sanftes Krächzen von sich gab. Um sich zu entschuldigen kramte der Magier in den Taschen seines Mantels und wurde schließlich fündig.

„Hier“, sagte er und fütterte den Vogel mit ein paar Keksen. Der Kuriervogel war zufrieden.

„Dann wollen wir doch mal sehen, was du mir bringst“, murmelte Octurian und rollte das Pergament auseinander und überflog den Inhalt.

„Das sind ja ganz schreckliche Botschaften, die du mir da bringst“, meinte er, als er geendet hatte. „Das sieht nicht gut aus für die Königin.“

In der Eile kritzelte er eine Antwort auf Pergament und befestigte diese am Bein des Raben. Dann gab er ihm noch einen kleinen Keks und ließ ihn durch sein Fenster starten. Hastig packte Octurian seinen magischen Stab und eilte so schnell es sein Alter zu ließ die Treppen hinunter. Er musste Königin Aluanda dringend warnen.

Die Königin von Alplanden hatte ihr Frühstück eingenommen und wurde von zwei Pagen in den Thronsaal gebracht. Ihre Kammerzofe, die Elfe Ezechia, die Marcel vergangenen Abend kennenlernte, räumte mit zwei weiteren Dienerinnen Geschirr und Besteck zusammen.

„Ezechia“, rief Aluanda und winkte die angesprochene Elfe zu sich.

„Ja, Eure Majestät“, antwortete Ezechia.

„Was denkt Ihr? Wie wird Marcel sich entscheiden? Ist er entschlossen sich seinem Schicksal zu stellen oder lässt er uns mit wehenden Bannern untergehen?“

Ezechia neigte den Kopf. „Ich weiß es nicht, jedoch spüre ich bei ihm ein gutes Herz und viel Großmut. Er wird sich richtig entscheiden, da bin ich mir sicher.“

Aluanda zwang sich ein Lächeln ab. „Dann bin ich guter Dinge und traue Eurem Optimismus, Ezechia. Ihr dürft nun gehen.“

Mit einem tiefen Hofknicks drehte sich die Zofe um und half weiter beim Abräumen. Königin Aluanda ließ sich von ihren Pagen in den Thronsaal führen, der zwei Räume weiter lag und durch zwei Hintertüren von ihrem Gemach zu erreichen war. Sie hatte den Thronsaal kaum betreten, als ihre beiden Pagen von Schmerzen gepeinigt zusammenbrachen. Eine blutverschmierte Klinge wurde Aluanda an den Hals gehalten.

„Kein Mucks, Majestät oder ich schlitze Euch die Kehle auf!“, zischte die Stimme.

„Wer seid Ihr und was wollt Ihr?“, fragte Aluanda und sie klang mutiger als sie war.

„Das tut nichts zur Sache! Ihr werdet brav das tun, was ich von Euch verlange!“

Der Unbekannte zerrte sie unter der Bedrohung eines Dolches in Richtung an den Thronen vorbei zu einem großen Tisch, auf welchem Pergamentrollen lagen, sowie ein Tintenfass mit Schreibfeder und königliche Siegel.

„Soll ich jetzt etwa malen?“, fragte Aluanda zynisch.

Der Druck des Dolches auf der Kehle nahm zu. Ein kleiner Schnitt bildete sich am Hals aus dem blaues Elfenblut tropfte. „Wir sind wohl zu Scherzen aufgelegt, Majestät!“, entgegnete der Geiselnehmer. „Mein Wille ist es, dass Ihr Eure Abdankungserklärung schreibt und mich als Nachfolger einsetzt. Damit zahlt Ihr endlich den Preis, den ich für meinen teuren Einsatz bei der Schlacht am Wieselsquell bezahlt habe.“

„Und wenn ich mich weigere?“

„Tretet Ihr automatisch ab. So wie sich Eure beiden Pagen verabschiedet haben!“

Aluanda erstarrte. Sie hatte keine Wahl. Wie immer war sie unbewaffnet vom Frühstück in den Thronsaal gegangen. Gewalt lehnte sie ab, nur wenn es nötig war sich zu verteidigen. Dass nun ein Elf, einer aus dem eigenen Volk sich an ihr verging und die Abdankung verlangte, war ein Schock. Das Auffliegen der Vordertür riss Aluanda aus ihren Gedanken. Octurian stand erschrocken im Saal. Der alte Magier betrachtete das Szenario und wollte seinen Stab auf den Angreifer richten. Doch der Geiselnehmer hatte ebenfalls den Aufruhr bemerkt. Unsanft stieß er Aluanda nach vorne, sodass diese fast stürzte. Mit der dolchfreien Hand, hielt er ihren Arm noch immer umklammert. Aluandas Blick war von Todesangst geprägt.

„Ein Spruch von dir, alter Mann und ich werde die Königin als Schutzschild verwenden!“, drohte der Angreifer.

Octurian überlegte. Wie konnte er die Königin retten, ohne sie in Gefahr zu bringen. Einen Moment lang hielt er seinen Stab zum Angriff bereit, doch dann ließ er ihn sinken.

„Braver Mann“, spöttelte der Angreifer, der sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske und Kapuze verbarg. „Und nun legt den Stab ganz langsam auf den Boden und kommt zu mir.“

Octurian tat wie ihm geheißen wurde. Er legte den Stab auf den Boden und trat vor. Als er auf einer Höhe mit dem Unbekannten war, stieß dieser ihm mit der Faust in die Magengrube, sodass der alte Magier zu Boden stürzte und sich nicht mehr rührte.

„NEIN!“, schrie Aluanda entsetzt auf. „DU MIESER KLEINER MÖRDER! WAS HAST DU GETAN?“

„Ich habe ihn ins Reich der Träume geschickt. Er ist alt. Seine Weisheit könnte mir nach deinem Rücktritt noch von Nutze sein, Euer Majestät. Und nun schreib!“

Er drückte Königin Aluanda zum Tisch. Widerwillig setzte sich die Königin. Noch immer spürte sie das Messer an ihrer Kehle. Sie nahm sich eine Rolle Pergament und breitete sie vor sich aus. Es widerte sie an, das Opfer zu sein, doch sie hatte keine Chance. Widerstrebend griff sie nach der Feder, tauchte sie in das Tintenfass und begann nach Diktat des Unbekannten zu schreiben.

Durch den Schrei aufgeschreckt, warf ein Höfling einen flüchtigen Blick in den großen Saal. Der Angreifer und die Königin waren zu sehr miteinander beschäftigt, sodass sie ihn nicht wahrnahmen. Er ahnte, dass es hier um Leben und Tod ging. Lord Harbor schoss es ihm durch den Kopf, doch der war dabei die Truppen für ihre Dienste einzuteilen. Es blieb nur noch eine Wahl. Hastig eilte er den großen Korridor entlang, in der Hoffnung sein Plan würde funktionieren.

Marcel lag ausgestreckt auf seinem Bett und wartete, dass seine Bekanntschaft ihn bald zur Königin bringen würde. Von dem Trubel, der im Thronsaal herrschte hatte er nichts mitbekommen, da die Wände sehr dicht waren und jeglichen Lärm schluckten. Plötzlich flog die Tür zu seinem Gemach auf. „Königin … ist … in … Ge… fahr …! Oc… tu… rian … am Boden … im Thronsaal. Alles so … schrecklich! Brauche Hilfe!“

Marcel wandte sich um. Der Höfling mit dem er in der Frühe zusammengestoßen war, stand hektisch nach Luft schnappend im Türrahmen und blickte flehend in Marcels Richtung. Der Panik in seinen Augen ahnte Marcel, dass es um Leben und Tod ging.

„Die Königin ist in Gefahr, sagst du?“, fragte er. Der Elf nickte. Marcel griff das Schwert auf dem Tisch. „Im Thronsaal?“ Wieder nickte der Elf.

„Ihr müsst Euch beeilen. Ich bringe Euch hin.“

Ohne eine Sekunde zu verlieren stürmten die beiden los. Für den Austausch von Förmlichkeiten war keine Zeit. Jede Sekunde war kostbar, genauso wie jeder Atemzug. Als sie den Thronsaal mit der großen Halle fast erreicht hatten, schlichen sie sich langsam herein. Der Angreifer schien zu sehr mit der Durchsetzung seines Willens beschäftigt zu sein.

„Ich werde mich heranschleichen und versuchen ihn von hinten zu überwältigen“, flüsterte Marcel. „Drückt mir die Daumen, dass er Ihre Majestät nicht verletzt.“

Mit panischem Blick nickte der Elf und beobachtete, wie der Kämpfer seinen Plan in die Tat umsetzte. Marcel schlich an die gegenüberliegende Wand, presste sich mit dem Rücken an diese und schob sich langsam entlang. Er ahnte nicht, was Aluanda tun musste. Das Schleichen schien schier endlos zu sein. Es ist eigentlich wie Geocachen, dachte er bei sich. Dann stieß er sich von der Wand ab und näherte sich dem Unbekannten. Nach den Erfahrungen der Nacht hatte er schon eine vage Vermutung, wer sich hinter der Maske verbarg. Plötzlich wurde die Hintertür geöffnet und Ezechia betrat den Raum. Der Angreifer verlor den Fokus auf Königin Aluanda.

„Eure Majestät“, rief Ezechia. „Die Küche möchte wissen, was Ihr zu Mittag wünscht.“

„Deinen Kopf!“, zischte er der Angreifer und schleuderte den Dolch auf die brünette Elfe.

„DU ELENDES SCHEUSAL!“, schrie Marcel auf und stürzte sich auf den unbewaffneten Angreifer. Dieser war von dem Angriff überrascht und wurde von Marcel festgemacht. Das blitzende Schwert in der Hand, erhoben über den Angreifer kniete der Auserwählte auf ihm.

„B… bitte … tut … mir nichts“, stöhnte er.

„Du verdienst nichts anderes als den Tod, du Verräter!“, knurrte Marcel, der das Schwert an die Kehle drückte.

„Marcel …“ Eine erstickte Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit kurzzeitig vom Angreifer ab. Er blickte nach links. Auf dem Boden lag Ezechia. Der Dolch steckte in ihrer Schulter. Er drehte sich um zum Angreifer, der frech grinste. „Wenigstens drei Elfen werden wohl mit mir sterben“, spottete er. „Sei dir da mal nicht so sicher, du Bastard!“

Mit gezielten Schlägen schlug Marcel den Angreifer K.O. Unter Schock stehend saß Aluanda auf ihrem Stuhl, den Blick auf Ezechia gerichtet. Marcel wandte sich nun der Zofe zu. Der Dolch steckte tief in der Schulter der Elfe und blaues Blut befleckte das weiße Gewand, das sie trug. Vorsichtig zog er den Dolch heraus, riss ein Stück vom Ärmel seiner Tunika und versuchte die Blutung zu stillen.

„Bleib bei mir“, flüsterte er. „Nicht einschlafen.“

Schwach blinzelten die Augen Ezechias. Er musste irgendwie den Druckverband fixieren, dachte Marcel bei sich. Kurz löste er den Druck vom Stoff, den er auf die Wunde drückte und riss einen langen Streifen der Tunika ab. Dann drückte er wieder auf die Wunde und band mit der anderen Hand den Streifen herum und fixierte diesen mit einem Knoten.

„Eure Majestät“, rief er. „Wer kennt sich bei Hofe mit Medizin aus?“

Aluanda erwachte aus ihrer geschockten Trance. „Der Magier. Octurian“, antwortete sie. „Aber der ist ohnmächtig.“

„Versucht ihn aufzuwecken“, sagte er.

„Wie denn?“

„Schlagt ihm auf die Wangen. Schüttelt ihn sanft. Versucht irgendwie eine Regung in seinen Körper zu bekommen.“

Die Königin erhob sich und kniete sich an Octurians Seite. Motiviert versuchte sie die Ratschläge von Marcel umzusetzen.

„Was mache ich, wenn unser Angreifer wieder zu sich kommt?“, fragte sie.

„Daran will ich gar nicht erst denken“, antwortete Marcel, der hoffte dass der Höfling Hilfe geholt hatte.

„Er kommt zu sich“, schrie Aluanda und tatsächlich: Langsam schlug der alte Magier die Augen auf. „Eure Majestät, woher wusstet Ihr, wie man eine Ohnmacht löst?“

„Der Auserwählte war mir behilflich. Er hat den Angreifer niedergerungen und kämpft um das Leben von Ezechia. Sie wurde von dem Dolch, der mich bedrohte schwer getroffen. Helft ihm!“, flehte sie weinerlich. „Bitte.“

Octurian gab sich Mühe auf die Beine zu kommen und stolperte zu Marcel. Er beobachtete die verletzte Elfe und prüfte den Druckverband. „Tragt sie nach nebenan, schnell!“, befahl er.

Behutsam nahm Marcel die Zofe der Königin und hielt sie mit beiden Armen. Octurian nahm das Schwert und nickte ihm aufmunternd zu. „Los jetzt.“

„Aber was ist, wenn der Angreifer wieder zu sich kommt?“, fragte er. „Ich weiß wer er ist. Er hat gestern das Gelände verlassen und …“

Octurian unterbrach ihn. „Das ist jetzt irrelevant. Ich weiß es im Übrigen auch. Und seht.“ Der weise Magier wandte sich um: „Da kommt Lord Harbor mit ein paar Soldaten seiner Garde bis auf die Zähne bewaffnet. Da wird er kaum den Aufstand proben. Und jetzt retten wir das Leben Eurer Freundin.“

Marcel wollte etwas erwidern, doch er konnte nicht. Er folgte dem alten Magier durch die Hintertür und legte die Elfe auf ein Bett. Octurian öffnete vorsichtig den Knoten des Verbands und schaute sich die Wunde an.

„Da hat unser Unwyn gute Arbeit geleistet. Etwas tiefer und er hätte das Herz unserer lieben Ezechia getroffen. Du hast gut und richtig gehandelt, junger Mann", meinte Octurian zu Marcel. Der alte Magier griff in einen ledernen Beutel an seinem Gürtel und fingerte eine Phiole heraus. Vorsichtig öffnete er den Deckel und träufelte ein wenig von einer blauen Flüssigkeit auf die Wunde. „Pass genau auf“, lächelte er sanft.

Die Blutung stoppte und ein Heilungsprozess der Haut trat in Gang. Die Augen der jungen Elfe waren noch immer geschlossen.

„Was ist das?“, wollte Marcel wissen.

„Eine Medizin, hergestellt aus dem Saft der Moosbeere, den Blüten der Eisblumen, die oben im Sarangebirge wachsen, sowie ein paar geheimen Kräutern“, antwortete Octurian leise. „Sie wird jetzt schlafen und heute Abend sollte es ihr besser gehen.“

„Aber …“, wandte Marcel ein, doch es schien als ob der Magier die weiteren Worte kannte.

„Du kommst mit in den Thronsaal und berichtest, was passiert ist. Danach darfst du zu ihr. Lass sie noch ein wenig ruhen.“

Widerwillig nickte Marcel und folgte dem alten Magier. „Eine Frage hätte ich allerdings noch, Octurian.“

„Stell sie mir.“

„Warum legt Ihr die höfische Förmlichkeit mir gegenüber ab?“

Der Elfenzauberer lächelte erneut. „Du hast ein reines Herz und eine gute Entscheidung gefällt. Auch wenn deine Herkunft eine andere, wie die Unsere ist, so gehörst du nun zu uns.“

Mit dieser mysteriösen Antwort gab Marcel sich zufrieden. Sie betraten den Thronsaal. Königin Aluanda saß auf ihrem Thron. Die Schrecken des dramatischen Angriffs steckten ihr noch immer in den Gliedern. Am Tisch, hatte Lord Harbor Platz genommen und hatte Unwyn gefesselt unter seiner Kontrolle. Magier Octurian nahm auf dem Thron neben der Königin Platz. Sie lächelte und das verlieh ihrer Aura ein wenig Farbe. Dann wandte sie den Blick zum Helden des Tages.

„Wir sind Euch zu Dank verpflichtet, Marcel. Ihr habt wahrhaftig Mut und Herz bewiesen und dazu beigetragen, dass es nicht zu einem größeren Blutvergießen gekommen ist. Ich trauere um meine beiden Pagen Illyrio und Leglas, die Opfer eines feigen Attentäters wurden. Doch verspreche ich, dass der Tod der beiden nicht umsonst gewesen ist!“

Eine Mischung aus Zorn und Trauer lag in ihrem Gesicht. Marcel erkannte, dass eine Träne die rechte Wange entlang floss.

„Ihr habt eine Nacht Bedenkzeit von mir verlangt“, fuhr sie fort, die Stimme etwas kräftiger. „Wie habt Ihr Euch entschieden?“

„Euer Majestät“, antwortete Marcel. „Zunächst einmal bin ich genauso erschüttert und traurig über den Verlust der beiden Pagen und fühle mich von Eurem Dank geehrt. Ich habe meine Entscheidung getroffen und werde das Schwert von Konik führen, um die Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals erfüllen.“

Leichter Applaus brandete unter den Anwesenden auf und die Königin nickte stolz. „Wir sind überglücklich von Eurem Entschluss zu hören. Ihr habt ein wahrhaft großes Herz. Es gibt nur noch etwas, worum ich Euch bitten möchte.“

„Worum geht es Eure Hoheit?“

Verächtlich blickte sie in Richtung Unwyn. „Wir werden noch heute Gericht über diesen Dreck in unseren Fingernägeln halten. Wenn er zum Tode verurteilt wird, habt Ihr die Pflicht als Sieger des Duells das Urteil zu vollstrecken!“

Marcel schluckte. Irgendwie hatte er sich den Beginn im Hofstaat von Königin Aluanda ganz anders vorgestellt. Den Gedanken verdrängend nickte er. „Ich bin bereit.“

Octurian stand vorsichtig auf, ging auf Marcel zu und reichte ihm das Schwert. „Einen Waffengürtel mit passender Schwertscheide bekommst du von Lord Harbor. Es war übrigens seine Idee dich mit dem Schwert zu überzeugen.“

Von seinem Platz aus nickte Lord Harbor mit freundlicherer Miene.

„So sei es gesprochen“, verkündete die Königin. „Wir treffen uns umgehend im Gerichtssaal.“

Octurian und Aluanda gingen durch die Hintertür aus dem Thronsaal, während Marcel zu Lord Harbor ging. Er führte den Gefangenen vor sich her. „Ich bin stolz auf Euch“, sagte er unvermittelt. „Ihr seid im Herzen wahrhaft anders, als Ihr von außen wirkt.“

„Wie meint Ihr das?“

„Nun ja. Als ich Euch das erste Mal gesehen habe, dachte ich, dass Ihr schneller den Weg nach Hause antretet als dass ich meinen Krug Bier leere, doch Ihr seid nicht nur geblieben, sondern habt wahren Heldenmut bewiesen. Ich wäre zu spät gekommen und dieser Schuft hätte unser Königreich in den Untergang geschickt.“

„Ich hatte Glück“, entgegnete Marcel. „Hätte er seinen Dolch nicht auf Ezechia geworfen, wäre er bewaffnet gewesen und der Königin hätte schlimmes widerfahren können. Meine Erwägung war, dass ich mich anschleiche und ihm von hinten die Waffenhand abschlage.“

„Ein sehr guter Plan, wenn er gut umgesetzt wird“, urteilte Harbor. „Den Waffengürtel und die Schwertscheide holen wir nach der Verhandlung beim Waffenschmied. Ich musste da noch etwas ändern lassen.“

„Vielen Dank.“

Danach verfielen die beiden ins Schweigen. Das Gerichtsgebäude lag zwischen den beiden mächtigen Burgtürmen. Als Lord Harbor und Marcel mit dem gefangenen Unwyn den Saal betraten, saßen die Königin und Octurian bereits auf ihren Plätzen an einem hohen Tisch.

„Führt den Verräter in die Mitte, Lord Harbor“, befahl Königin Aluanda und Lord Harbor tat, wie ihm befohlen.

„Nun, dann sprecht. Über Euer Motiv, Euren Auftraggeber, Eure Loyalität. Wir möchten hören, was Euch zu dieser Untat verführte!“, sprach Octurian mit mächtiger Stimme.

Schweigend stand Unwyn in der Mitte des Raumes und schüttelte den Kopf.

„Ich verstehe“, meinte Aluanda nach einer Weile. „Ihr seid mir nicht loyal ergeben. Dann bitte ich Octurian das erste Dokument zum Beweis Eurer Schuld zu verlesen.“

Octurian räusperte sich: „Ich erhielt am heutigen Morgen ein Pergament von unserer ehrenwerten Verbündeten Elea Grünkralle. Sie berichtete, dass der Elfensoldat Unwyn heute Nacht von den Mentfrubergen zurückritt und dabei sehr nervös wirkte. Er war schwarzgekleidet und hatte die Kapuze so tief es ging ins Gesicht gezogen. Auch wird ihm nachgesagt, dass er mit diesem Besuch im Bündnis mit dem Fürst der Trolle und Orks steht. Trifft das zu?“

„Ihr habt doch eh das Urteil über mich schon gefällt. Was spielt es noch für eine Rolle, wenn ich mich äußere.“

„Vielleicht um Eure eigene Haut zu retten“, zischte Lord Harbor. „Wenn Ihr uns Gründe vorweisen könnt, die Eure Gräueltat mildern, dann fällt auch das Urteil entsprechend aus.“

Aluanda nickte. „So ist es.“

Marcel räusperte sich. „Wenn ich etwas einbringen dürfte. Als ich gestern Abend in meinem Gemach nachdachte, sah ich wie er im gleichen Aufzug von der Burg ritt. Später in der Nacht hörte ich ihn zurückkommen und sah, wie er zu den Stallungen schlich. So verhält sich keiner, der loyal gegenüber seiner Königin ist. Zum Glück konnte wirklich Schlimmeres verhindert werden.“

Unwyn schluckte, als wäre sein Urteil bereits gefällt worden.

Der weise Magier rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und räusperte sich. „Also ist es wohl klar, welches Spiel Ihr spielt, Unwyn. Ihr spioniert uns aus, für Fürst Zorshrek! Für diesen Frevel an Eurem Volk gehört Euch das Todesurteil.“

„NEIN!“, entfuhr es Unwyn.

„Ihr wollt Euch äußern?“, fragte Aluanda.

Unwyn blickte ins Leere. Er traute sich nicht weder die Königin noch Octurian anzusehen. „Es war doch Euer Heerführer Lord Harbor, der mich verraten hat. Damals in der Schlacht am Wieselsquell. Er befürchtete wohl, dass ich seinen Rang streitig machen könnte, also lockte er mich in einen Hinterhalt und griff mich an. Gefunden wurde ich von Fürst Zorshrek und seinen Schergen. Sie kümmerten sich um mich. Als Gegenleistung sollte ich spionieren. Und für diesen Hinterhalt von Harbor tat ich es gerne.“

Entsetzt blickten die Königin, Octurian und Marcel zu Lord Harbor. Sein Augenlid zuckte unkontrolliert auf und ab. „Ich weiß nicht, was man Euch in den Kopf gesetzt hat, Unwyn, doch seid versichert, dass ich Euch als Führer über Eure Truppen sehr geschätzt habe. Bis zu den Geschehnissen des heutigen Tages hatte ich mir vorstellen können, Euch als meinen Nachfolger auszubilden. Unsere Truppen wurden in der von Euch angesprochenen Schlacht abgeschnitten. Nach unserem Sieg suchten wir nach Euch, doch Ihr wart verschwunden. Wir fanden nur Euer Ross, von Feindeshand erschlagen.“ Lord Harbor ließ die Worte wirken, ehe hinzufügte. „Wir suchten nach Euch, mussten Euch bei der Königin als verschollen melden, ehe Ihr zwei Wochen nach der Schlacht zurückgekehrt seid.“

Octurian blickte zwischen Lord Harbor und Unwyn hin und her. „Unwyn“, sagte er. „Ich kenne Euch von Kindheitstagen an. Euch muss übel mitgespielt worden sein. Teile von Eurer Geschichte sind wahr und das Meiste von Lord Harbors Stand der Dinge. Die Lösung des Falles ist denke ich ganz einfach. Ihr wurdet von Euren Truppen abgeschnitten, seid überfallen worden und durch schwarze Magie in eine andere Realität transferiert worden. Nicht Lord Harbor hat Euch hintergangen, sondern der Feind, den wir alle fürchten: Fürst Zorshrek. Stimmt Ihr mir zu?“

Nachdenklich stand der Elf da und blickte von einem zum anderen. Die Wirkung der schwarzen Magie von Grindelmort Voldewald schien von ihm abzufallen. „Ich muss naiv gewesen sein“, flüsterte er beschämt.

Octurian nicke. „Gegen Zorshrek und der Magie von diesem Voldewald ist noch kein Kraut gewachsen. Da ist jeder anfällig. Seid Ihr Euch nun Eurer vollen Schuld bewusst, was Ihr getan habt?“

Tränen rannen über den Wangen von Unwyn. Er blickte zur Königin: „Majestät. Ich habe das nicht gewollt. Drei Elfen habe ich heute getötet. Das kann niemand wieder gutmachen.“

Unwyn wandte sich ab und rannte auf Harbor und Marcel zu, die ihre Schwerter zückten, um ihn aufzuhalten. Er war nur noch ein paar Schritte entfernt, als Marcel sein Schwert wegwarf und ihn mit einem kräftigen Bodycheck zu Boden warf und dort festhielt.

„Lasst es gut sein, Unwyn. Wartet doch auf das Ende des Prozesses“, zischte Marcel.

Nur widerwillig ließ sich Unwyn wieder an seinen Platz in der Mitte des Saales führen. Schmerzverzerrt hielt sich Marcel die rechte Schulter.

„Ihr habt gut reagiert“, flüsterte Harbor Marcel zu. „Der Kerl wollte sich in unsere Schwerter stürzen, sodass wir wie Mörder aussehen, obwohl er den Freitod gewählt hat.“ Marcel nickte kurz zurück und lauschte den Worten von Königin Aluanda.

„Wir haben genug gehört und Beweise vorgelegt bekommen“, sprach sie majestätisch. „Ich werde ein Urteil über Euch fällen, Unwyn das Eurer Tat und den Rahmenbedingungen vollauf angemessen ist. Ihr habt ZWEI Elfen getötet und eine weitere schwerverletzt. Des Weiteren habt Ihr Eure Königin als Geisel genommen und wolltet sie zum Rücktritt nötigen. Die Gesetze von Alplanden sehen hierfür den Tod des Frevlers vor. Doch in Eurem Fall sind uns neue Beweise vorgelegt worden, die Eure Schuld in gewisser Weise einschränkt. Weswegen ich Euch wegen Verrates unter Einfluss schwarzer Magie dazu verurteile Eure Rüstung abzulegen und in den Stallungen als Vorarbeiter für Eure Tat zu büßen.“

Unwyn schluckte und fühlte, als wenn ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. „Ich soll Pferdeknecht spielen?“

„So ist es Unwyn. Kein Verräter in Alplanden soll je wieder eine Waffe in die Hand gedrückt bekommen oder eine Rüstung tragen dürfen. Nicht, wenn er sie gegen die Krone erhoben hat.“

Plötzlich trat Marcel nach vorne. „Eure Majestät. Dürfte ich einen Einwand hervorbringen?“

Die Königin rollte mit den Augen. „Wieso tretet Ihr für den Frevler ein?“

„Unwyn handelt offensichtlich als Spion und wir wissen nun, dass er für Fürst Zorshrek in unserem Reich spioniert. Warum sollten wir unseren Gegner misstrauisch machen, dass er andere Wege findet uns auszuspionieren, die wir nicht kennen. Mit Unwyn wissen wir, wen wir haben und wir können Zorshrek die Nachrichten, die er übermittelt bekommen soll, manipulieren.“

Königin Aluanda und Octurian blickten sich an. Auch Lord Harbor hatte Probleme den Ausführungen des Auserwählten zu folgen. „Ihr meint, wir belassen Unwyn in Amt und Würden und schicken ihn mit falschen Fakten regelmäßig über die Mentfruberge zu Fürst Zorshrek?“, fragte Octurian skeptisch.

Marcel nickte. „Genauso meine ich es, großer Octurian. Wir verpacken die Fakten, das heißt die Nachricht muss einen Funken Wahrheit enthalten, legen aber ein faules Ei um diese Hülle.“

„Ein faules Ei?“, fragte Aluanda.

„Sehr wohl Eure Majestät. So spricht man in meiner Welt von Versprechungen oder Aussagen, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen.“

„Und wie wollen wir sicher gehen, dass Unwyn sich loyal verhält?“, wollte Octurian wissen.

Marcel wandte sich zu dem Angeklagten. „Ich denke nicht, dass Unwyn so dreist sein wird und sein Königreich ein zweites Mal verrät. Insbesondere weil ihm dann wirklich nur der Tod erwarten dürfte, hab ich Recht, Majestät?“

Die Königin nickte. „So soll es sein. Unwyn darf sich weiterhin in unserem Heer als Krieger befinden. Doch verrät er uns, soll das Schwert den Kopf von seinem Hals trennen.“ Aluanda machte mit ihrer Hand eine entsprechende Geste, um ihrer Aussage noch mehr Eindruck zu verleihen. „Aber“, fügte sie, „hier bei Hof werdet Ihr Eure Waffen und Rüstung ablegen.“

Mit diesen Worten verließ sie durch die Hintertür den Saal. Zauberer Octurian folgte ihr und es war ein Lächeln auf den Lippen des Magiers zu sehen. Lord Harbor und Marcel begleiteten Unwyn nach draußen.

„Ich kümmere mich um Unwyn und sammele seine Repressalien ein“, meinte Harbor gelangweilt. „Ihr wisst wo der Waffenschmied ist. Holt meinen Auftrag dort ab. Sagt ihm Harbor hat zu tun.“

Mit einem Klaps auf die Schulter verabschiedete sich Lord Harbor von Marcel und führte Unwyn zu den Räumlichkeiten über den Stallungen. Das Schwert von Konik in der rechten Hand haltend ging Marcel zum besagten Waffenschmied. Der Waffenschmied bewohnte ein zweistöckiges Haus. Im Erdgeschoss befanden sich seine Schmiede und der Verkaufsraum, wo er seine Waren feilbot. Eine Etage darüber wohnte er mit seiner Ehefrau und den vier Kindern auf engem Raum. Vorsichtig näherte sich Marcel der offenen Werkstatt, wo der Schmied gerade dabei war einen Satz Hufeisen für ein Pferd zu fertigen. Mit einem zischenden Laut fiel das glühend heiße Eisen in den Eimer mit kaltem Wasser, ehe es auf den Huf geschlagen wurde. Als er geendet hatte, betrachtete er seinen Gast.

„Entschuldigt, Ihr seid?“, fragte er.

„Ich bin Marcel“, entgegnete Marcel und reichte ihm die Hand. „Ich bin derjenige, von dem in der Prophezeiung aus dem Buch des Schicksals berichtet wird und ich soll von Lord Harbor etwas abholen.“

„Erfreut“, antwortete der Schmied. „Nennt mich Robban. Ihr sollt also etwas für Lord Harbor abholen?“

„So ist es. Er wollte es selber tun, aber er ist leider indisponiert mit einem Malheur in seinem Heer, weswegen er mich bat seine Bestellung bei Euch abzuholen, Robban.“

„Natürlich. Wartet hier.“

Ohne viel Brimborium ging Robban aus der Werkstatt in den Verkaufsraum und wühlte kurz hinter dem Tresen. Zum Vorschein kam ein schwarz-roter lederner Gürtel mit goldener Schwertscheide, auf die ein Drachenschädel geprägt war. Robban lächelte freundlich und reichte es Marcel. „Ich sollte es ein wenig anpassen, da Ihr doch nicht so kräftig wart, wie Harbor es meinte. Probiert ihn ruhig an.“

Vorsichtig schnallte sich Marcel den Gürtel um. Er war schwer, doch das Schwert passte hervorragend in die Scheide. Über das letzte Loch schloss er den Gürtel. Er saß wie angegossen. „Sehr gute Arbeit“, lobte er. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Euer Lob ist mir Dank genug und gezahlt hat Lord Harbor auch schon für meine Dienstleistung. Viel Glück und den Segen der Schicksalsgötter wünsche ich Euch.“

Marcel lächelte zaghaft. „Habt Dank.“

Stolz wie Oscar betrat er die Burg und wollte sich auf den Weg zu seinen Gemächern machen, als er beinahe mit Magier Octurian zusammenstieß.

„Verzeiht, das wollte ich nicht.“

„Nichts passiert“, entgegnete der alte und weise Elf. „Ich wollte dich aufsuchen.“

„Oh mein Gott, ist etwas mit Ezechia?“

Octurian nickte. „Die Tropfen haben ausgesprochen gute Wirkung gezeigt. Wenn du magst, darfst du sie für einen Moment besuchen.“

Erleichtert nickte Marcel. „Sehr gerne.“

Ohne ein weiteres Wort führte der alte Magier Marcel in das Gemach, wo sie Ezechia am Morgen hingebracht hatten. Sie lag in ihrem Bett. Das blutbefleckte Gewand hing über einem Stuhl am anderen Ende des Raumes. Dort wo die Wunde war, war ein kleiner Verband befestigt worden. Ezechia lächelte als sie ihren Helden in den Raum spazieren sah. Vorsichtig nahm Marcel ihre Hand und hielt sie sanft fest.

„Wie geht es Euch, Ezechia?“, flüsterte er.

„Alles wird gut werden“, antwortete sie. „Dank Euch, mein tapferer Held.“

Sie blickte ihm tief in die Augen und wie von Feuerhand wurde ihm ganz heiß. „Das war doch gar nichts. Jeder hätte so gehandelt, um das Königreich vor dem Verderben zu bewahren. Doch es wäre kein schönes Königreich gewesen ohne Euch.“

Ezechia lächelte. „Alles wurde so leicht, so hell auf einmal, ehe Ihr gekommen seid und mich versorgt habt. Ich hätte es auf ewig bedauert diese Welt verlassen zu müssen, ohne …“

Sie hielt inne. „Ohne was?“, fragte Marcel.

„Ohne zu wissen, wie die Lippen eines Helden schmecken.“ Unvermittelt zog sie ihn näher an sich heran und drückte ihm einen langen und intensiven Kuss auf die Lippen, den Marcel zärtlich erwiderte. Das Räuspern von Octurian unterbrach das kleine Glück. „Ein Held schmeckt sehr gut“, flüsterte Ezechia liebevoll. „Und küssen tut er noch besser.“

„Euer Kuss führte mich auf eine Wiese voller wohlduftender Blumen unter strahlend blauem Himmel, wo man nur das Rauschen eines kleinen Baches vernehmen kann“, antwortete Marcel.

„Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen.“

„Das werdet ihr bald haben“, warf Octurian ein. „Ihr zwei Turteltauben, aber du Ezechia brauchst ein wenig Ruhe. Und Marcel dürfte mächtig Hunger nach der ganzen Aufregung haben.“

Octurian hat einen wunden Punkt getroffen. Tatsächlich hatte Marcel seit dem kurzen Imbiss nach dem Aufstehen nichts mehr zu sich genommen und sein Magen gab ihm leise knurrend verstehen, dass er Hunger hatte.

„Ich wünschte, ich könnte Euch zum Essen begleiten“, wisperte Ezechia. „Aber das werde ich bald.“

„Das wirst du, Ezechia. Ruhe dich heute noch ein wenig aus und wir sehen morgen weiter“, meinte Octurian sanft.

„Bis bald, Ezechia“, verabschiedete sich Marcel leise und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Lippen.

„Auf bald, mein starker Held“, murmelte Ezechia und erwiderte den Kuss. „Doch, nennt mich Ezy.“

Sanft lächelnd sank sie zurück in die Kissen und schloss die Augen. Der Tag war kräfteraubend für sie gewesen und ihr zarter Körper forderte nun seinen Tribut. Leise verließen Octurian und Marcel den Raum und traten in die große Halle, wo Königin Aluanda mit Lord Harbor und einigen wichtigen Soldaten am Tisch saßen und die beiden erwarteten.

„Es ist nur ein kleines Festmahl“, sagte die Königin, als sie Marcel bemerkte, „aber ich hoffe wir können damit nur ein klein wenig ausdrücken, wie dankbar wir Euch sind.“

„Ich habe Euch zu danken, Majestät. Das sieht hervorragend aus“, erwiderte Marcel und blickte auf die prächtig gedeckte Tafel. Es gab verschiedene Vorspeisen, Fleisch, Fisch, Pasteten, diverse Soßen, Bier, Wein und einen lecker aussehenden Pudding. An der Seite von Lord Harbor nahm Marcel Platz und tat sich ein wenig auf seinen Teller. Der königliche Mundschenk füllte ihm etwas Bier in seinen Becher.

„Lasst auf alle Fälle ein wenig Platz für den Nachtisch“, meinte Lord Harbor freundlich. „Der Waldbeerenpudding ist ein einziger Genuss. Ein Nachtisch für Götter.“

„Danke, Mylord“, antwortete Marcel. „Das werde ich auf alle Fälle berücksichtigen. Doch vorher muss ich wissen, was ist das für ein überaus schmackhaftes Bier? In meiner Welt kriegt das keine Brauerei so hin.“

Harbor lachte. „Ihr habt eine komische Welt wo Ihr her seid. Eigentlich ist es ganz einfach. Wir nehmen frisches Wasser aus dem Wieselsquell, Hopfen, Gerste und Malz. Dann wird das Ganze gebraut und gegoren und zum Schluss fügen wir noch eine Stange Schwarzwurzel hinzu und das war’s dann auch.“

„Schmeckt sehr intensiv und lecker. Bestimmt durch die Schwarzwurzel. Danke Lord Harbor.“

„Bitte nennt mich nur Harbor, mein Freund“, erwiderte der Hauptmann freundlich. „Lord Harbor bin ich nur für meine Feinde und die Feinde der Krone.“

„Sehr gerne, Harbor.“

Die beiden lächelten sich an und wendeten sich dann dem Essen zu. Es war ein relativ schweigsames Mahl, an dessen Ende die Königin den verstorbenen Pagen gedachte. Das erste Mal seit zwei Tagen richtig gesättigt, ging Marcel in sein Gemach und legte sich schlafen. Er fühlte sich nicht als Fremder, sondern heimisch in dieser mysteriösen Welt.

Der Drachenprinz

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