Читать книгу Interviews Aus Dem Kurzen Jahrhundert - Marco Lupis - Страница 14
ОглавлениеGong Li
Mondsüchtig
Anfang 1996, ich arbeitete erst kurz als Korrespondent für den Fernen Osten, besuchte ich häufig zusammen mit einigen befreundeten Journalisten John Colmey, den Kollegen von Time in Hong Kong. John vermittelte den Kontakt zum Manager der wunderschönen chinesischen Schauspielerin Gong Li und es gelang mir, mit ihr am Set des Films, den sie gerade in der Nähe von Shanghai drehte ein Exklusivinterview für die Zeitschrift Panorama zu arrangieren.
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Chen Kaige drehte gerade eine der letzten Szenen seines sehn-lichst erwarteten Films Verführerischer Monde ( Temptress Moon ) in Suzhou, am Ufer des Tai-Sees, hundert Kilometer westlich von Shanghai, drei Jahre nach dem Welterfolg von Lebewohl meine Konkubine . Die Assistenten bewegen sich im Laufschritt zwischen den über zweihundert Komparsen, gekleidet im Stil der Zwanziger Jahre, die den Hafenkai bevölkern. Die Frauen tragen den typischen cheongsam aus Seide, einige Gentlemen sitzen lesend in einer Sänfte und im Hintergrund siehe man Hafenarbeiter, die ein Dampfschiff beladen. Gedreht wird eine groÃe Abschiedsszene: Gong Li, die im Film Ruyi heiÃt und die schöne und verwöhnte Erbin einer superreichen Familie aus Shanghai spielt, in der Inzest und Opium-Rituale praktiziert werden und jeder jeden mit dem jeweils anderen Partner betrügt, ist kurz davor, mit ihrem Verlobten, Zhongliang, nach Peking aufzubrechen, gespielt von Leslie Cheung, dem Schauspieler aus Hong Kong, der schon in Lebewohl meine Konkubine an ihrer Seite spielte.
Am Kai steht ihr Jugendfreund Duanwu (interpretiert von dem künftigen Stern am Kinohimmel, Taiwan Lin Chìen-hwa), der schon immer heimlich in Ruyi verliebt war: «Denk dran: du siehst sie jetzt hier zum letzten Mal! Das muss man auf deinem Gesicht ablesen können, und das will ich von dir sehen!» ermahnt ihn Chen Kaige, sechsundvierzig, Lederjacke, schwarze Jeans. «Gut... Yu-bei ... (Anm . also los, ) ... Action !». Als Lin Chien-hwa sich umschaut und dem ablegenden Dampfschiff nachsieht, kann man den Abschiedsschmerz in seinen Augen lesen. « Okay! » ruft ein zufriedener Kaige. Und die letzte Klappe fällt an diesem Tag.
Ãber zwei Jahre sind vergangen, in denen er das Drehbuch umgeschrieben hat. Jetzt arbeitet Kaige wie ein Besessener, damit sein Streifen bis zum Filmfestival von Cannes im Mai im Kasten ist. Er ist die Nummer Eins des chinesischen Kinos der Neunziger und trat in die FuÃstapfen seines Vaters (sein Vater, Chen Huaiâai, war ein Monument des Kinofilms der Nachkriegszeit). Chen Kaige ist dafür bekannt, dass er das Maximum aus seinen Darstellern herausholt und ihre Geduld zuweilen auf eine harte Probe stellt. Das gilt gleichermaÃen für die chinesische Regierung, die seine Filme jahrelang auf den Index gesetzt-, geschnitten und zensiert hat, bis sie am Ende seine Qualitäten als Meister des zeitgenössischen Kinos anerkennen musste.
Der neue Film Temptress Moon, der bislang bereits sechs Millionen Dollar gekostet hatte, repräsentiert in gewisser Hinsicht symbolisch die aktuelle Realität des chinesischen Kinos, eine Gratwanderung zwischen Liberalismus und Repression, projiziert auf die Weltmärkte, die FüÃe fest verwurzelt am Boden des Vaterlandes; Kosmopolit und engstirniger Patriot zugleich. Der Filmset erscheint einem wie ein Mikrokosmos des modernen China.
Die Protagonisten sind vom Feinsten was aktuell von den «drei Chinas» geboten wird: Hong Kong (Leslie Cheung), Taiwan (Lìn Chien) und die Volksrepublik China (Gong Li). Der Regisseur ist ein Intellektueller aus Peking und die Produzentin, Hsu Feng, ein ehemaliger Kinostar aus Taiwan, verheiratet mit einem Ge-schäftsmann aus Hong Kong, wo sie in den Siebziger Jahren die Tomson Film gründete (und sie war es auch, die Kaige vor acht Jahren davon überzeugte, die Novelle von Lilian Lee, Lebewohl meine Konkubine auf die Leinwand zu bringen).
Selbst wenn die Erwartungen an die neue Regiearbeit von Kaige hoch sind, die des Publikums und der Kritik, was die schauspielerische Leistung des unbestrittenen Kinostars Gong Li anbelangt, sind ungleich höher. Die einunddreiÃigjährige Schauspielerin ist zweifellos in diesem Moment die bekannteste Chinesin der Welt. In ihrer Kinovergangenheit finden wir Filme wie Roter Mohn (1987), rote Laterne (1991) und Lebewohl meine Konkubine (1993). Und eine lange, soeben zu Ende gegangene Love Story mit Zhang Yimou, ihrem Begleiter über acht Jahre, dem Regisseur, der sie zu einem Weltstar gemacht hat und mit dem sie im vergangenen Jahr den letzten Film gedreht hat, Shanghai Serenade .
Trotz des Erfolges, den sie beim westlichen Publikum genossen hat ist Gong Li zu hundert Prozent Chinesin geblieben.
Am Ende dieses Tages am Set hat sie eingewilligt, für Panorama dieses Exklusivinterview zu geben.
Wieder ein groÃer Film, aber wieder eine antike Geschichte, die im China der Zwanziger Jahre spielt und nicht Fakten der jüngsten Geschichte beleuchtet ..
Ich denke der Grund liegt darin, dass China sich dem Rest der Welt erst vor wenigen Jahren geöffnet hat. Als das geschah, hat in unserem Land auch das Kino stilistisch und kulturell eine Ãffnung erfahren. Sicherlich hat die Zensur über Jahre eine wesentliche Rolle gespielt, wenn es um die Themenwahl ging und um die Zukunft des Kinos. Es gibt aber auch einen eher künstlerischen Grund, wenn man das so sagen kann: viele chinesische Regisseure sind der Ansicht, es sei gut, Filme aus einer Epoche vor der Kulturrevolution zu machen. Dies dient einer Art Rehabilitation jener Fakten und der Vergangenheit. Vermutlich glauben sie auch, es sei noch zu früh, für ein internationales Publikum Episoden zu verfilmen, Bilder, die noch zu frisch sind, die noch zu weh tun und die allen noch im Gedächtnis sind.
Sie sind weltweit die populärste chinesische Frau. Empfinden Sie ein Gefühl der Verantwortung in dieser Rolle als Botschafterin?
Das Wort Botschafterin macht mir ein wenig Angst... dieser Titel ist meiner Ansicht nach eine Nummer zu groà für mich. Sagen wir mal, ich fühle mich auf dem Umweg über meine Filme eher wie eine Brücke zwischen unserer Kultur und unserer Geschichte und der des Westens. Das ja: da ich glaube, dass man bei Ihnen nicht viel von der Realität des heutigen China weiÃ. Wenn also einer meiner Filme helfen kann, dem Westen unser Leben, unser Volk, uns selbst etwas näher zu bringen, dann ist das etwas, worauf ich in der Tat stolz bin.
In letzter Zeit ist das Image Chinas in der Welt allerdings nicht eines der besten: Massenexekutionen, Waisenhäuser des Todes ⦠Entspricht das alles der Wahrheit?
China hat viele Probleme, das ist sicher. Insbesondere, wenn man nur die negativen Dinge betrachtet und die positiven Seiten vergisst. Wenn man von einem Land nur die Missstände kennt, dann muss man klar sagen, dass das Image, das man sieht, unvollständig ist. Mein Land ist ein groÃes Land, hier leben über eine Milliarde Menschen und daher gibt es im Inneren von China enorme Unterschiede. Es ist alles andere als einfach, hier ein Urteil abzugeben.
Wann haben Sie sich entschlossen, die Rolle der Ruyi in Temptress Moon zu spielen?
Es war mehr oder weniger ein Zufall. Oder eine Fügung des Schicksals, denn es war auch für mich eine «Versuchung». Man hat mir die Rolle im letzten Moment angeboten, als die Dreharbeiten bereits begonnen hatten und nachdem die taiwanesische Darstellerin nicht weiter machen wollte. Wissen Sie, dass chinesische Kritiker Temptress Moon mit Vom Winde verweht verglichen haben?
Ach ja â und warum?
Nicht wegen des Inhalts. Wegen der Wahl der Akteure. Chen hat sich zig Darsteller für meine Rolle angeschaut, genauso wie bei Vom Winde verweht , als eine Schauspielerin nach der anderen ausgemustert wurde, bevor er sich entschied und die Rolle der Scarlett OâHara mit Vivian Leigh zu besetzen. So kam auch ich dazu, als die Dreharbeiten bereits begonnen hatten. Und das war nicht leicht. Man wollte, dass ich einen völlig anderen Part verkörpere, als ich das für Gewöhnlich tue: hier muss ich ein reiches und verwöhntes Mädchen spielen.
Das chinesische Kino erlebt zurzeit einen magischen Moment. Das ist das Verdienst von Regisseuren wie Kaige und von Darstellern wie Sie. Daneben auch Namen wie John Woo oder Ang Lee, die in Hollywood arbeiten .
Ich glaube, der Grund hierfür liegt darin, dass die chinesischen Regisseure eine optimale Kinotechnik mit jener einzigartigen Kombination von Faszination und Stil verbinden, die Teil unserer Kultur ist.
Wie kamen Sie zur Schauspielerei?
Aus purem Zufall. Als Kind habe ich gerne gesungen. Eines Tages nahm mich mein Gesangslehrer mit in ein Fernsehstudio in Shandong, wo gerade eine TV-Sendung aufgenommen wurde. Ich erinnere mich noch, dass der Regisseur eine Frau war. Als sie mich sah, beschloss sie, mir eine Rolle zu geben, also gab sie mir ein Drehbuch zum Lesen. Es war eine kleine Rolle. Aber in ihren Augen war ich die geborene Schauspielerin. Sie sagte also zu meiner Mutter: «Lassen Sie Ihre Tochter Schauspielerin werden». Es gelang mir, sie zu überzeugen und zwei Monate später ging ich auf die Schauspielschule nach Peking. Ich erinnere mich noch, dass es harte Arbeit war. Begonnen habe ich mich kleinen Rollen und später â¦
Ihr Leben spielt sich zwischen Hongkong und Peking ab und die Zeitungen schreiben von einer neuen Liebesaffäre mit einem Geschäftsmann aus Hong Kong. Werden Sie endgültig dort hinziehen?
Ich glaube nicht. Hong Kong gefällt mir, weil es eine quirlige Stadt ist und man dort gut shoppen kann. Aber ich langweile mich dort. Peking ist anders. Man trifft Menschen auf der StraÃe, spricht mit ihnen, wird angesprochen. In Hongkong dreht sich alles nur ums Geld.
Stört Sie das Interesse der Presse in Ihrem Privatleben?
Man kann es vermutlich nicht verhindern. Insbesondere die asiatische Presse schreibt oft diskriminierende oder erfundene Geschichten. Westliche Zeitungen sind da korrekter.
Ist es auch in China für eine Darstellerin wichtig, schön zu sein?
Finden Sie mich schön?
Im Westen gelten Sie als Sexsymbol .
Ach ja, das freut mich zu hören. Ich fühle mich aber weder sexy noch als Sexsymbol. Vielleicht gelingt es mir, die Persönlichkeit und den Charme der chinesischen Frau zu verkörpern. Die Chinesinnen sind anders, als die Frauen im Westen.
Welches sind Ihre künftigen Projekte?
Ich würde gerne heiraten und Kinder haben, weil ich denke, dass die Familie im Leben einer Frau eine wichtige Rolle spielt. Ohne eine Familie kann man bei der eigenen Arbeit die Realität des täglichen Lebens nicht umsetzen.
Gibt es Leinwandprojekte?
Im Augenblick nicht. Ich lese viele Drehbücher, aber keins kann mich überzeugen. Ich bin nicht eine von der Sorte, die glaubt, eine Rolle annehmen zu müssen, nur um etwas zu tun.
Würden Sie für einen westlichen Regisseur arbeiten?
Wenn er eine passende Rolle für mich hat, eine, die für eine Chinesin geeignet ist, warum nicht?
Gibt es einen Italiener, unter dem Sie gerne arbeiten würden?
Aber sicher, Bernardo Bertolucci!
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