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2. Integration der Wirtschaft in die Europäische Union und die Folgen für die Wirtschaftsverfassung
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Konkretere Vorgaben für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung folgen aus der supranationalen Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union. Für das Wirtschaftsstrafrecht sind diese Vorgaben indessen nicht von prinzipieller Bedeutung.
Die Unionsverträge erfüllen auf supranationaler Ebene zwar die Funktionen, die national einer Verfassung zukommen[571], und sie verpflichten die Union und ihre Mitgliedstaaten in den Art. 3 Abs. 3 EUV, 101 ff., 106 ff., 120 AEUV auf die Grundsätze einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb[572]. Ebenso stellt die Europäische Union eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ als wirtschaftspolitisches Leitprinzip in den Vordergrund[573]. Die Europäische Gemeinschaft garantiert damit eine wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung[574], sodass es strukturell unmöglich ist, etwa eine Zentralverwaltungswirtschaft einzuführen[575].
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Noch wenig geklärt ist aber, in welchem Umfang sich aus diesem Verständnis der Gemeinschaftsverträge Kompetenzen und Rechte der Einzelnen ergeben. Bis zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden derartige Überlegungen kategorisch abgelehnt[576]. Mit der Grundrechtscharta der Europäischen Union wurden dann erstmals die Rechte des Einzelnen urkundlich betont[577]. Dogmatisch wurden in der Rechtsprechung spätestens im Jahr 2003 Tendenzen deutlich, Individualgrundrechte zunehmend als Schranken-Schranken wirtschaftlich determinierten Gemeinschafts- und Unionsrechts zu verstehen und beide Sachmaterien als gleichgewichtige Begründungsansätze des Rechts zu einer praktischen Konkordanz zu führen[578].
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Für das Wirtschaftsstrafrecht führen diese supranationalen Vorgaben jedenfalls zu keinen grundlegenden konzeptionellen Änderungen. Da nationales und supranationales Grundsystem in weiten Teilen identisch sind, beschränken sich die Einwirkungen auf Einzelfälle. Das führt insbesondere zu erweiterten individuellen Handlungsspielräumen bei einer grenzüberschreitenden Freiheitsausübung, da im Rahmen der Europäischen Union dem Ziel der Marktintegration eine überragende Bedeutung zukommt und die Gemeinschaftsorgane bei der Verwirklichung dieser Ziele ein weit gespanntes, nicht aber uneingeschränktes Ermessen haben. Diese Integration darf indessen nicht beliebig zu Lasten eines hinreichenden Gesundheits-, Umwelt- oder Verbraucherschutzes verfolgt werden[579], sodass die Union gehalten ist, bei der Verfolgung der Ziele jenen Ausgleich sicherzustellen, den Widersprüche zwischen den verschiedenen Zielen erforderlich machen können[580]. Insgesamt kann dieser Aspekt damit bei der hier unternommenen funktionalen Analyse des Wirtschaftsstrafrechts außer Betracht bleiben.