Читать книгу Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts - Marco Mansdörfer - Страница 121
bb) Auswirkungen einer liberalen Eigentumsordnung im Einzelnen
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Eine Weiterentwicklung der Gedanken Euckens wird in den modernen Wirtschaftswissenschaften teilweise in der von Coase begründeten Theorie der Verfügungsrechte (property rights) gesehen[613]. Coase hat gezeigt, dass die Allokation und Nutzung der Wirtschaftsgüter entgegen der Auffassung der klassischen Nationalökonomie maßgeblich von der Ausgestaltung der sog. Verfügungsrechte abhängt. Verfügungsrechte sind diejenigen Rechte, die die Art der Nutzung eines Gutes, die formale und materielle Veränderung eines Gutes, die Aneignung von Gewinnen und Verlusten, die durch die Nutzung eines Gutes entstehen, sowie Veräußerung des Gutes betreffen[614]. Der wirtschaftliche Wert eines Gutes hängt also maßgeblich von dem Bündel der Verfügungsrechte ab, das bei einer Transaktion übertragen wird[615].
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Juristisch werden mithilfe der Verfügungsrechte die innerhalb einer Gesellschaft im Umgang mit einem Gegenstand erlaubten Handlungen von unerlaubten abgegrenzt. Mit der Ausgrenzung der unerlaubten Handlungen beschreibt der Begriff der Verfügungsrechte ganz grundlegend den potentiellen Bereich der strafrechtlich relevanten Nutzung eines Gutes.
Der Begriff des Verfügungsrechts weist weiter darauf hin, dass das wirtschaftlich entscheidende Moment nicht die Eigentümerstellung, sondern die faktische Wahrnehmung und Verfügungsmacht der entsprechenden Rechte ist. Im Normalfall treffen die juristische Zuordnung des Eigentums und die faktische Wahrnehmung dieser Rechte in einer Person zusammen, zwingend ist dies allerdings nicht. Gerade im Bereich der Wirtschaft werden häufig Rechte, die einem Subjekt A zugeordnet werden, von einem Subjekt B ausgeübt. Die Verteilung dieser Rechte auf verschiedene Personen hat Konsequenzen: Da die die Rechte ausübenden Personen von den ökonomischen Folgen ihres Handelns nicht in vollem Umfang betroffen werden, treffen sie möglicherweise Entscheidungen, die zwar für sie selbst günstig sind, aus der Sicht des Rechteinhabers und möglicherweise auch aus der Sicht der Allgemeinheit aber zu einem ineffizienten Einsatz der Verfügungsrechte führen. Wenn solches Verhalten seinerseits durch einen Tatbestand der Untreue hoheitlich sanktioniert wird, werden Anreize zum Missbrauch fremder Verfügungsmacht genommen.
Der Anwendungsbereich der Theorie der Verfügungsrechte ist freilich noch sehr viel weiter[616]: Die zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte (sog. Coase-Theorem) sind unter der Voraussetzung vollkommener Märkte erstens, dass die ex-ante Verteilung (Allokation) von Verfügungsrechten für deren spätere faktische Verteilung belanglos ist, da letztere stets effizient ist, und zweitens, dass sich durch eine geeignete Umverteilung von Verfügungsrechten externe Effekte stets internalisieren lassen[617]. Praktisch bedeutsam ist diese Aussage insofern, als sie nachweist, dass die ex-ante Allokation von Verfügungsrechten dann von Bedeutung ist, wenn eine effiziente faktische Allokation über den Markt zu scheitern droht, wenn der Markt also in erheblichem Maß unvollkommen ist. Als Analyseinstrument für eine angemessene Verantwortungszuschreibung ist die Theorie der Verfügungsrechte insofern von Bedeutung, als sie konsequent die Perspektive des methodologischen Individualismus aufnimmt[618]. Gerade komplexe Organisationen können daher bis auf die Funktion ihrer einzelnen Mitglieder analysiert werden[619]. Das Entstehen und der Fortbestand von Unternehmen sind dabei das Ergebnis des individuellen Nutzenstrebens der einzelnen Beteiligten.
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Aus den zentralen Aussagen der Theorie der Verfügungsrechte lassen sich wiederum verschiedene Prinzipien ableiten, die der Staat bei der Aufgabenwahrnehmung zu beachten hat: Als erstes wichtiges Prinzip wird zunächst die Durchsetzbarkeit der Verfügungsrechte betont. Dazu gehören etwa im Prozess eine angemessene Ausgestaltung des Beweisrechts[620], die Verfügbarkeit staatlicher Hilfe[621] oder der Schutz von Verfügungsrechten durch die Androhung von Strafen[622]. Als zweites wesentliches Prinzip für eine effiziente Verteilung von Verfügungsrechten ist sodann die Zurechnung der Handlungsfolgen zum Verfügenden, um so einen Gleichlauf von Verfügung und Haftung herzustellen[623]. Strafrechtstheoretisch lässt sich so allgemein und systemimmanent nochmals die grundlegende Bedeutung der Zurechnungslehre im Wirtschaftsstrafrecht begründen[624]. Wirtschaftsstrafrechtliche Haftung gründet demnach nicht im zurechenbaren Herbeiführen eines Erfolges, sondern ganz elementar in einer von der Rechtsordnung so nicht für zulässig erklärten Nutzung eines Gutes bzw. im Missbrauch von Verfügungsrechten.