Читать книгу Radfahren im Triathlon und Einzelzeitfahren - Marcus Baranski - Страница 29
ОглавлениеSPORT IST VIEL, ABER NICHT ALLES
Egal, auf welchem Niveau du Sport treibst, du hast vermutlich Familie und Freunde auch abseits vom Sport und musst deshalb gewisse Prioritäten setzen, wann du welchem Bereich wie viel Platz einräumst. Als Folge bist du auch immer auf der Suche nach so etwas wie Effektivität, was dein Training angeht. Das wird besonders interessant, wenn du in irgendeiner Weise zielgerichtet Richtung Wettkampf trainierst. Dabei hat man nämlich schnell den Eindruck, man tue permanent zu wenig. Bei einigen wird das umso schlimmer, je näher der Wettkampftag kommt, und im schlimmsten Fall vermasseln sie es dann in den Tagen vor dem Wettkampf durch ein Zuviel. Hierbei hilft neben einer klaren Zielsetzung auch immer Feedback von außen, und ich empfehle hierzu auf jeden Fall die Arbeit mit einem Trainer. Auch wenn du meinst, du weißt schon alles über Trainingslehre, manchmal ist es echt hilfreich, wenn man von außen motiviert oder auch mal gebremst wird. Mein Coach etwa legt mir regelmäßig mal die Zügel an, also im übertragenen Sinne und am Telefon.
An dieser Stelle auch noch ein bisschen Ernüchterung für dein Ego. Erstens gibt es immer irgendwo wen, der schneller ist als du. Finde dich damit ab, und mach deine Ziele nicht daran fest, Konkurrent X schlagen zu wollen oder partout Rennen Y gewinnen zu müssen. Als Motivation mag das bis zu einem gewissen Punkt funktionieren, aber mit der Brechstange kommst du nicht weiter, und letztendlich kannst du ja nur deine eigene Leistung selbst beeinflussen. Beim Sieg muss halt plus Faktor Glück alles stimmen, und irgendwie ist auch was dran, dass nur wahre Gewinner auch mal verlieren können – denn sie bleiben am Ball und probieren es wieder und wieder.
Und dann behalte immer im Hinterkopf, dass es ganz viele Menschen auch in deinem näheren Umfeld gibt, für die dein Sport und die damit verbundenen Ergebnisse gar nicht so relevant sind wie für dich. Das ist wichtig zu berücksichtigen, sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Dazu zwei Beispiele aus der Praxis. Im Trainingslager auf den Kanaren stellt sich ein Triathlet mit den Worten vor: »Ich habe Roth auch schon mal unter zehn Stunden gefinisht.« Mich hätte viel mehr interessiert, wie er heißt, wo er herkommt und was er sonst so macht. Und ob du am Wochenende nun ein Rennen gewonnen hast oder unter ferner liefen gelandet bist, wird montags nicht für alle deine Kollegen im Büro den Stellenwert haben, den du vielleicht annimmst. Interessant in diesem Zusammenhang: Gerade die Sportler – auch Profis –, die es so richtig draufhaben, sind die normalsten und umgänglichsten Typen, wenn man sie privat erlebt, denn sie haben es nicht nötig, auf die Tonne zu hauen. Sie ruhen in sich, weil sie wissen, was sie können.
Tipp
Kleiner Tipp am Rande: Auch ein Hawaii-Sieger bringt dem Hörensagen nach ab und zu mal den Müll runter.
Womit wir bei dem wesentlichen Bringer sind, wenn es ums Schnellfahren in Training und Wettkampf geht: deiner Psyche.
SCHNELLMACHER PSYCHE
Wie schon erwähnt, findet beim Kampf gegen die Uhr ganz viel im Kopf statt. Weil man sich idealerweise nicht um seine Konkurrenten kümmern muss – taktische Spielchen im Triathlon mal außen vor – und man ganz auf sich allein gestellt ist, kann gerade hier dann ganz viel schiefgehen – oder man eben das Quäntchen mehr aus sich selbst herausholen. Ein Paradebeispiel für Letzteres ist der Sieg des US-Amerikaners Greg LeMond bei der Tour de France 1989, als er Laurent Fignons 50-sekündigen Vorsprung in der Gesamtwertung bei einem 24,5 Kilometer langen Abschlusszeitfahren in Paris gekippt hat, um die Tour mit ganzen acht Sekunden Vorsprung zu gewinnen. Interessanterweise sah es bis auf die letzten zwei bis drei Kilometer nicht danach aus, als würde ihm das gelingen können. Clou hieran und ein Paradebeispiel dafür, was der Kopf zu leisten vermag: Hätte er nicht gewusst, was genau an Zeit nötig war, um es zu schaffen, wäre das wohl nicht gelungen. LeMonds Schnitt lag bei 55 Stundenkilometern, ein Rekord bei der Tour, der bis ins Jahr 2005 bestehen sollte. Der geschlagene Fignon war 58 Sekunden langsamer. Dass der Amerikaner zwei Jahre zuvor bei einem Jagdunfall beinahe gestorben wäre und sich aus dem Tief überhaupt wieder an die Weltspitze gekämpft hat, beweist umso mehr, wie wichtig das richtige Mindset ist!
Dieser Ritt war übrigens auch so etwas wie die Initialzündung für alles Richtung Materialtuning im Zeitfahren. LeMond war nämlich als Erster mit einem bisher nur bei den exotischen Triathleten verbreiteten Aero-Lenker unterwegs, die erst danach Einzug in den Radsport hielten. Bis dahin wurden die Lenker nur verlacht und als Unfug abgetan.
Tipp
Der Blick über den Tellerrand in andere Sportarten ergibt auch für dich immer mal Sinn, ganz sicher!
WIE SCHAFFT MAN ES JETZT, SICH ZU MOTIVIEREN?
Korrigiere mich gern, wenn ich falschliege, aber der Sport ist dein Hobby und bei dir nicht zum Geldverdienen gedacht. Dazu gehst du einem regulären Job nach, und wenn du auf das Rad steigst, dann ist das so etwas wie ein Ausgleich und dient zum Abschalten. Auch wenn ich mir bewusst bin, dass der Begriff Hobby hier oft untertrieben ist und das Training auch was von Stress und Arbeit haben kann; aber idealerweise kommt das freiwillig über die intrinsische Motivation, also wird der Einsatz gern in Kauf genommen. Mit anderen Worten und so simpel es klingen mag: Du musst es wollen, das Training samt all seinen Schmerzen und manchmal auch Entbehrungen. Und den Wettkampf, in dem es immer irgendwann wehtut.
Im Training bei der Stange zu bleiben ist allerdings immer noch etwas anderes als dann im Wettkampf. Egal, wie sehr ich es im Training auch will, im Wettkampf geht immer mehr. Deshalb habe ich mir für das Training ein paar Techniken angeeignet, die du auch recht einfach anwenden kannst. Du bist schon eine Weile dabei und kennst gewisse Parameter von dir, die dein Fitnesslevel abbilden, etwa welche Leistung du über welche Dauer aufbringen oder welche Zeiten du auf welchen Strecken beziehungsweise auf welcher Distanz abliefern kannst. Vielleicht misst du dich zumindest heimlich auch mit anderen. Oder, und jetzt rede ich von mir, du weißt, was du in der Hochsaison wiegst und wie groß der Unterschied zum Winter ist. Für all das brauchst du kein Zahlenfreak zu sein, aber wenn du versuchst, entweder frühere Leistungen mindestens zu toppen oder bei schon mal sehr gut gelaufenen Schlüsseleinheiten wieder die Werte zu erreichen, dann hilft das ungemein.
Ein Tool, auf das ich in den folgenden Kapiteln immer wieder eingehen werde, ist das Powermeter, also das Wattmessgerät am Rad, das deine Leistung unabhängig von äußeren Faktoren wie Wind und so weiter abbildet. Dadurch, dass du in Intervallen bestimmte Werte erreichen, über eine gewisse Dauer halten oder wieder treffen willst, kannst du auf dem Rad immer noch ein bisschen mehr aus dir herausholen, als das nach Gefühl möglich wäre.
Tipp
Ein Powermeter ist mehr als nur ein Messgerät. Gerade im Training kann es unheimlich motivieren!
Eine Nummer härter wird es dann im Wettkampf, auf den man sich aber im Vorfeld einstellen kann. Aus meiner Erfahrung wird es nämlich unterwegs irgendwann immer eklig, egal, wie lang die Distanz und wie die Bedingungen sein mögen. Im schlimmsten Fall geht das so weit, dass man ans Aufhören denkt. Das ist quasi Teil des Spiels. Also rechne immer mit diesem Moment, und dann blende die Versuchung ganz schnell wieder aus, wenn es so weit ist. Du wirst dich sonst schon beim Umziehen ärgern, dass du es nicht zu Ende gebracht hast. Hilfreich als Motivation: Bei den anderen ist es mindestens genauso schlimm. Das macht es dann etwas erträglicher, und man wird nicht immer wieder aufs Neue im Wettkampf kalt erwischt.
Wenn du unterwegs im Wettkampf Konkurrenten begegnest, dann versuch am besten nicht, aus deren Grimassen irgendwas herauszulesen. Bleib bei dir selbst und konzentriere dich auf deine Belastung. Aus meiner Sicht ist es auch keine gute Idee, sich unterwegs anhand von vermeintlichen Abständen irgendwelche Platzierungen oder Zwischenstände herzuleiten, das geht meist in die Hose und lenkt wieder vom Wesentlichen ab: dich von dir. Was hingegen hilfreich sein kann, ist nicht die gesamte Distanz, die noch vor dir liegt, im Kopf zu haben, sondern sie sich in kleine Abschnitte mit markanten Stellen einzuteilen, etwa Bäume, Kurven oder Steigungen. Oder du peilst den Fahrer an, der 100 Meter vor dir fährt, und versuchst ihn ein- und dann schnell zu überholen.
Tipp
Wenn du merkst, dass es hart wird, nimm dir vor, erst mal die nächsten zwei Minuten durchzuhalten. Und dann wieder zwei und so weiter. Das macht es deutlich erträglicher als die Vorstellung, man müsse jetzt noch 15 von 25 Kilometern so weiterbügeln.
Was neben der Psyche dazugehört, sind die körperlichen Voraussetzungen, und die kann man hierbei recht gut selbst beeinflussen.
SO SIEHT EIN ZEITFAHRER AUS
Von der Physis her wird beim Zeitfahren und den allermeisten Radsplits im Duathlon und Triathlon primär Ausdauer und eher weniger nach Schnellkraft verlangt. Muskulär unterscheidet man hier zwischen den langsam kontrahierenden (slow twitch) und den schnell kontrahierenden (fast twitch) Muskelfasern, auf die zurückgegriffen wird. Der Typ »Diesel«, auf den du Wert legen solltest, wird hier durch die langsamen und mitochondrienreichen roten Muskelfasern ausgemacht, die über eine eher schmale Bauart verfügen und auf eine lang anhaltende mäßige Belastung spezialisiert sind. Vom Erscheinungsbild her sind es deshalb auch die Rouleure, die man beim Kampf gegen die Uhr vorn finden wird, und nicht die massigen Sprinter oder kleinen Bergfahrer. Interessante Ausnahme, und davon habe ich ein paar erlebt, sind ehemalige Kraftsportler, die einen Großteil ihrer Muskelmasse abtrainiert haben und in Topform nur noch aus Haut, Muskeln und Knochen zu bestehen scheinen. Mehr zur physischen Komponente findest du weiter hinten im Kapitel »Training«.