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Essigwein

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„Eigentlich ist er ein armes Schwein, der Essigwein“, sagte mein Sohn, schob die Gummibänder über die Hosenbeine, fuhr in die frisch geputzten Stiefel und zupfte am Stoff der Feldhose, damit sie sich vorschriftsmäßig stulpe. Die Taschen an den Oberschenkeln waren prall gefüllt mit allem, was „am Mann“ zu sein hat: Taschenmesser, Dreiecktuch, Hörschutz, Papiere, Taschentuch, Handschuhe, Schlüssel! Ich hatte inzwischen gelernt, die Taschen vor dem Waschen der Uniform zu entleeren und den Inhalt in die dafür vorgesehene Schale auf seinem Schreibtisch zu legen, nachdem ich am ersten Wochenende seine Schießkarte sauber gewaschen und gebügelt hatte.

„Es gibt rein gar nichts, was der nicht falsch macht, und jedes Mal ist er auch noch erstaunt, wenn er angeschrieen wird! Wenn der Ausbilder ‘Rechts um!’ kommandiert, dreht er sich nach links, wenn es heißt ‘Die Augen - links’, guckt er garantiert nach rechts. Dabei weiß man schon beim ‘Die’, wo’s lang geht. Wenn er mal gut zuhört, macht er’s ganz bestimmt besonders falsch. Letzte Woche war ein General zu Besuch bei der Truppe, den wir begrüßen mussten. Er sollte von links kommen, deshalb hieß das Kommando ‘Augen - rechts!’ Weißt du, das ist eine militärische Höflichkeitsform, weil wir nämlich dem kommandierenden Offizier den Befehl verweigern und uns trotz des Kommandos nach links richten müssen, um den ranghöheren General zu ehren. Und was meinst du, macht Essigwein? Der ehrt den Offizier und guckt nach rechts!“

Jetzt schob er die „Hundemarke“ über den Kopf, die zweigeteilte Erkennungsmarke mit Namen und Personenkennzahl, bei deren Anblick mir nicht sehr wohl zumute war, denn nach der Grundausbildung und einem Spezialtraining sollte er nach Bosnien gehen. „Der eine Teil kommt an meinen Zeh, der andere wird zu dir geschickt!“ hatte mein Sohn lapidar erklärt.

„Essigwein kommt aus dem tiefsten Bayern“, fuhr er fort, „und wir verstehen kaum, was er sagt. Der kann überhaupt kein Hochdeutsch! Aber das ist vielleicht ganz gut so, denn wenn die Vorgesetzten alles verstehen würden, was er sagt, käme er in Teufels Küche, so oft widerspricht der, wenn ihm irgendwas nicht passt. Er merkt einfach nicht, dass er nicht in einem Sanatorium ist und manchmal was tun muss, wozu er keine Lust hat.“

„Essigwein“, der Name allein ließ einen das Gesicht verziehen und schmeckte verdächtig nach Dummheit! T-Shirt und Feldjacke hatten inzwischen die Uniform komplettiert, er schnallte das Koppel um und stellte sich vor den Spiegel, um das Schiffchen zu richten, dessen Spitze genau auf die Nase zeigen muss. Die nächste Geschichte, die er von Essigwein erzählte, klang so unglaublich, dass ich unwillkürlich lachen musste.

„Da gibt es nichts zu lachen“, wies mich mein Sohn zurecht, der gerade erst vor zwei Wochen von der Schulbank weg seinen Wehrdienst angetreten hatte, „er ist ein armes Schwein und kann nichts dafür. Aber er ist unser Kamerad, und über Kameraden lacht man nicht, man hilft ihnen!“

Trotz der Kameradenhilfe wurde der Flieger Essigwein nach vier Wochen wegen erwiesener Wehrundtauglichkeit ausgemustert.

Zwei Minuten vor der Zeit

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