Читать книгу Zwei Minuten vor der Zeit - Margret Datz - Страница 7
Vom Mäuschen, das auszog, die Liebe zu suchen
ОглавлениеEs war einmal ein kleines Mäuschen, das machte sich auf den Weg, die Liebe zu suchen. Es war nicht besonders schön, sondern recht grau von Gestalt wie tausend andere Mäuse auch. Aber es hatte ein kluges Köpfchen und vor allem, was jedoch niemand wusste, ein großes Herz. Das Mäuschen lief und lief, bis es endlich in einen tiefen, dunklen Wald geriet. Dort begegnete ihm der Wolf, der war groß und schwarz und auf seinem Fell brannten rote Flecken.
"Ach Mäuschen", flehte der Wolf, "bleibe bei mir. Alle Tiere des Waldes verachten mich, weil ich anders bin als die anderen Wölfe. Niemand spricht mit mir, und ich bin sehr einsam. Komm mit in meine Höhle. Du sollst es gut haben, und ich werde dich auf Händen tragen, solange ich lebe."
Da wurde das Mäuschen von großem Mitleid erfüllt. Es vergaß, dass es auf dem Weg war, die Liebe zu suchen, und ging mit dem Wolf Anfangs lief alles so, wie der Wolf versprochen hatte. Er holte den feinsten Käse und den fettesten Speck, damit es sich an den Speisen laben könne. Aber bald vergaß er sein Versprechen, verkroch sich in die hinterste Ecke seiner Höhle und schlief den ganzen Tag. Wenn es nicht verhungern wollte, musste es nun selbst Nahrung für beide beschaffen. Jeden Morgen stand es noch vor Tagesanbruch auf, begab sich in den Wald und schleppte die dicksten Fleischbrocken für den Wolf heran, fütterte ihn, machte sein Bett und fegte die Höhle. Da es freundlich und gesellig war, lachte und scherzte es mit den Tieren, an denen es vorbeikam, und bald war es bei allen beliebt und wohlgelitten. Obwohl niemand seinen Herren mochte, trug man dem Mäuschen die besten Bissen entgegen, um ihm das Leben zu erleichtern.
Eines Tages jedoch wachte der Wolf früher als gewöhnlich auf und gewahrte, wie das Mäuschen mit den Nachbarn sprach und mit ihnen scherzte.
,,Was lachst du über mich", schrie er, als das Mäuschen eintrat. ,,Du tust dich mit meinen Feinden zusammen und willst mich töten. Von nun an wirst du schweigen und niemanden mehr anschauen!"
Dabei brüllte er so laut, dass die Baumwipfel zitterten und das Mäuschen von Todesangst erfüllt wurde. Es tat, wie sein Gebieter ihm geheißen und mied die Tiere des Waldes, die seine Freunde geworden waren. Mit gesenktem Kopf ging es an ihnen vorbei und schaute nicht nach rechts und nicht nach links, denn der Wolf lauerte ihm auf und kontrollierte, ob es seinen Befehl befolgte. So diente es ihm hundert Jahre und wurde immer trauriger, denn da es nicht mehr mit den Freunden sprach, kamen sie auch nicht mehr an der Höhle vorbei, um es aufzuheitern. Jede Nacht weinte es sich in den Schlaf und sann auf Abhilfe.
Eines Tages, der Wolf hatte sich gerade satt gefressen und lag schnarchend auf seinem Lager, hatte es eine Idee. Ich habe doch scharfe Zähne,dachte es, und die Fenster der Höhle sind mit Brettern verriegelt. Ich nage ein Loch hinein und verschaffe mir meine Freiheit wieder.
Jedes Mal, wenn der Wolf schlief, machte es sich am hintersten Fenster an die Arbeit. Die Späne, die dabei abfielen, stopfte es in unbeobachteten Augenblicken in das Kissen des Wolfes, der sich wunderte, dass er von Tag zu Tag weicher und länger schlief.
Eines Tages war das Loch groß genug, das Mäuschen schlüpfte des Nachts hindurch und nahm nur das mit, was es auf dem Leibe trug. Es lief und lief die ganze Nacht hindurch, und tagsüber versteckte es sich bei seinen Freunden, den Tieren des Waldes, damit der Wolf es nicht fände. Ein Schwan trug es schließlich über den großen See, und endlich war es in Sicherheit, denn der Wolf konnte nicht schwimmen. Arm, aber frohen Herzens setzte es nun seinen Weg fort.
Da es ein kluges Köpfchen hatte, gelang es ihm, den Tieren, denen es auf seiner Wanderung begegnete, durch allerlei Ratschläge zu helfen. Dafür wurde es jedes Mal fürstlich belohnt, so dass es bald nicht mehr arm war.
Nun besann es sich wieder darauf, dass es ja ausgezogen war, die Liebe zu suchen, und es machte sich erneut auf den Weg. Der Wald war sehr groß, und es hatte noch eine lange Strecke vor sich. Es lief Tag und Nacht, bis es endlich auf eine Lichtung gelangte.
Es war ein herrlicher Sommertag, und auf der Wiese blühten die schönsten Waldblumen. Die Sonnenstrahlen brachen in dieser Farbenpracht und warfen ihr Licht auf die braunen Baumstämme, so dass alles vor Helligkeit nur so blitzte. Mitten im gleißenden Licht aber stand ein Pfau, der sein Rad schlug. Die Herrlichkeit seiner Federn übertraf sogar die Farbenpracht der
Waldblumen: Rot, Blau, Gelb, Grün, Gold, Orange und Violett in allen Schattierungen schimmerte um ihn herum, der sein Haupt stolz erhob und mit jedem Radschlag erneut seine Schönheit zur Schau stellte. Seine Bewegungen waren langsam und eitel durchdacht, so dass ihn immer das richtige Maß an
Licht traf, dessen Widerschein die umstehenden Tiere blendete. So stand er da, umgeben von seiner eigenen Schönheit, aufrecht, leicht ungeduldig herabblickend auf die weniger klugen und weniger schönen Geschöpfe, die ihm huldigten und einen weiten Kreis um ihn bildeten, denn allen verschlug diese Pracht der Atem, und niemand traute sich in seine Nähe.
Das Mäuschen sah den Pfau, und es war ihm, als ob sein Herz aussetzte. War das die Liebe? Es erbleichte und alles Blut wich aus seinen Adern. Das musste sie sein. War es endlich am Ziel seiner Wünsche?
Es huschte an den Tieren vorbei, kroch unbemerkt durchs Gras, bis es direkt vor dem Pfau stand und zu ihm aufblickte. Der Pfau entdeckte das Mäuschen, sah die leuchtenden Augen und war erstaunt, dass jemand es gewagt hatte, in seine Nähe zu treten.
"Mäuschen, willst du nicht bei mir bleiben? Ich brauche jemanden, der mir die Federn kämmt und mich auf meine Auftritte vorbereitet. Du scheinst klug und verständig zu sein und beherzt und außerdem grau genug, um mir nichts von meinem Glanz zu stehlen. Ich werde dich dafür mit dem Feuer meiner Liebe überschütten."
Sprachlos vor Glück nickte das Mäuschen und wähnte sich im Himmel. Von nun an diente es dem Pfau, kämmte ihm täglich die Federn und erledigte alle Arbeiten, für die der vornehme Pfau nicht geeignet war. Dafür überschüttete er es mit seinem Feuer, so dass es glühte und zitterte, wenn es nur an ihn dachte.
Der Pfau aber nahm weiterhin die Huldigungen der Tiere entgegen, gab täglich seine Vorstellung auf der Lichtung und war nur dann zufrieden, wenn die Schar seiner Bewunderer möglichst groß und wechselnd war. Das Mäuschen jedoch nahm er zu diesen Auftritten nie mit.
,,Wie könnten die Tierinnen mich bewundern, wenn sie wüssten, dass es dich gibt, sprach er. Da es ihn liebte, begnügte es sich damit, ihn im Mondlicht zu sehen und die Funken seines Feuers auf der Haut zu spüren. Bald aber merkte es, dass selbst dieses Feuer nicht ihm selbst galt, sondern nur der Befriedigung des Pfaus diente. Er nahm es, wenn er es brauchte und erstarrte anschließend zum Eisblock. So sehr das Mäuschen auch versuchte, ihm statt Feuer und Eis Wärme zu entlocken, es gelang ihm nicht.
Eines Tages gab sich der Pfau mit den bewundernden Blicken der Tierinnen nicht mehr zufrieden. Aus der Schar seiner Verehrerinnen suchte er sich ein Rehlein aus, das über dem großen Teich in einem Urwald zu Hause war.
,,Mäuschen", sprach er, ,,ich mache eine lange Reise. Bestelle du inzwischen Haus und Hof. Wenn ich zurückkomme, werde ich sehen, ob noch Platz für dich darin ist, und zog mit dem Rehlein von dannen.
Das Mäuschen blieb traurig zurück, hob den Garten aus, strich Türen und Fenster, füllte Kisten und Kasten, kehrte, putzte und als der Tag seiner Rückkehr kam, verschwand es in seinem Mauseloch und weinte bitterlich.
Der Pfau jedoch merkte, dass er ohne das Mäuschen nicht mehr sein konnte. Er ging zum Mauseloch, schlug sein Rad und bat es, wieder zu ihm zu kommen. Die Tränen registrierte er mit stolzgeschwellter Brust, denn er glaubte, es weine vor Freude über seine Rückkehr.
Da das Mäuschen ihn liebte, wischte es sich die Augen, ging mit ihm und dient ihm seither ohne Klagen. Ab und zu macht er auch heute noch eine weite Reise, während das Mäuschen Haus und Hof bestellt. Es wartet auf den Tag, an dem ihm die Federn ausfallen und die anderen Tierinnen ihn nicht mehr beachten. Und wenn dem Pfau die Federn noch nicht ausgefallen sind, dann wartet es noch heute. Wer weiß, vielleicht fällt ihm eines Tages ein Glück zu, das es gar nicht erwartet hat.