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Fieber

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Sie rannten nebeneinander her.

Ihre Körper stießen zusammen und sich wieder ab.

ES: >>Was ist los mit mir?<<

Frau B: >>Fieber. Du hast wieder zu viel getrunken.<<

ES: >>Aber ich habe Durst. - Mir ist schwindelig.<<

Frau B: >>Selber Schuld! Wenn du nicht so viel trinken würdest, dann ginge es dir besser.<<

ES sah das nicht zu übersehende Zucken der Mundwinkel. Frau B schien in einem Zustand der Freude zu sein. Zumindest ging es ihr gerade nicht schlecht. Ihre Augen wirkten lebhafter als sonst.

Eifrig zupfte Frau B an der Bettdecke.

ES hatte das Gefühl, in einem Backofen zu liegen.

Die Zunge klebte im Ruhezustand am Gaumen. Die Augäpfel brannten und fühlten sich schmerzhaft trocken an.

Frau B: >>Ich hole jetzt heißes Fett. Das tupfen wir dir auf deine Stirn. Sonst bekommst du noch eine Nebenhöhlenentzündung. Davon würdest du dich nicht erholen. Und dann haben wir den Schlamassel.<<

ES sah, wie Frau B das Zimmer verließ.

Käfer in allen Sorten, Farben und Varianten bevölkerten die Luft.

ES stieß ein Seufzer aus und zog hastig die heiße Decke über den Kopf. ES konnte sie spüren – die Krabbeltiere. Aber sie waren nicht da. Eben waren sie noch nicht da. Alles Einbildung!

Ein Scheppern. Schüssel auf Holztisch. Ein Blubbern von heißem, gerade erhitztem Fett. Geruch: Butter. Leicht angebrannt.

Ein langer, gedrehter, zusammen gedrückter Wattestreifen platschte in sich bewegendes Gelb. Frau B bewaffnet mit rosa Putzhandschuhen über ihren Händen.

Schnelles, festes, zur sehr gedrücktes Tupfen auf ES Stirn. Heiß. Heißer als das Fieber. Unangenehmer als das Fieber.

Seufzen von ES.

Keine Reaktion von Frau B. Weiter tupfen, tunken des Wattestreifens in heiße, flüssige Butter. Weiter. Immer weiter. Ordentlich, korrekt, ohne Tadel diese Handlung.

Warten.

ES mit geschlossenen Augen. Alles dreht sich und bewegt sich rauf und runter. Ob die Käfer noch da sind?

Vorsichtiges Blinzeln. Fünf Finger, rosa Plastikhaut, keine Käfer.

Frau B: >>So, das muss genügen! Und du trinkst heute nichts mehr! Die Decke bleibt da, wo sie ist!<<

Tür. Knallen, Schritte, die sich entfernen. Ruhe.

Keine Krabbeltiere mehr. Erstaunlich.

Übelkeit. Hitze ignorieren. Zunge völlig ausgetrocknet. Durst. Kein Wasser mehr im Glas, schon seit Stunden nicht mehr. Lippen wie sprödes Land. Schlucken. Schweres Schlucken.

ES zieht leicht die Bettdecke vorsichtig zur Seite. Ein Bein bekommt frische Luft und Kühle. Besser, viel besser.

ES ertastet die eigene Stirn. Fühlt sich an wie eine Herdplatte, die vergessen wurde aus gemacht zu werden. ES tupft mit dem Bettdeckenzipfel über ihre Augenlider. Fühlt sich kühl an. Wasser! Durst!

ES schiebt die Decke ganz weg. Alles dreht sich. Ihre Finger krallen sich in die Matratze. Es sind nur wenige Schritte. Doch das könnte zu viel sein. Knie zittern wie Pudding, der wabert.

Lauschen. Nichts. Ist sie an der Tür und lauscht ebenfalls? Besser konzentrieren. Kein Geräusch, auch nicht an der Kinderzimmertür. Aufatmen. Sie scheint weit genug weg zu sein. ES kann es wagen. Meint es zumindest.

Vorsichtig setzt es einen Schritt vor den anderen. Das geht alles viel zu langsam!

Vater hat gesagt, man darf nicht aus dem Wasserhahn trinken. Das Wasser ist nicht gut. Was heißt nicht gut? Giftig? Verseucht? Untrinkbar? Ekelig schmeckend?

ES ist alles egal. Es geht seinen Weg weiter.

RUMS!

Frau B scheint in der Küche zu sein. Sie wirft Töpfe in den Hängeschrank. So macht sie sich bemerkbar.

Es ist gut, dass sie so einen Radau macht. ES weiß jetzt wo sie ist und was sie macht. Eine Strafe ist unwahrscheinlich.

ES zuckt leicht unter der Kälte des Zimmertürgriffs zusammen. Ich glühe!, denkt es.

Der Boden in der Diele schwankt und bewegt sich nach oben und dann wieder nach unten. ES findet kaum festen Tritt. Die Teppichmuster scheinen sich zu bewegen wie Filmausschnitte im Fernsehen. Komische Unterhaltung.

>>Alles in Ordnung?!<< Herr B steht unten neben der Küche und fragt seine Frau. Frau B antwortet in einem fröhlichen Singsang: >>Jaaaaa, alles in Ordnung! Die hat nur wieder zu viel getrunken!<<

Hört ES ein Grunzen? Ein zustimmendes Grunzen von Herrn B?

Vorsichtig öffnet es die Badezimmertür. Die hat manchmal die Angewohnheit zu knarren. ES hält den Atem an und schiebt die Tür in Zeitlupe ein Stück weiter auf. So weit, bis es sich hinein schieben kann. Der Raum fühlt sich viel kühler an als die Diele. ES hat Glück. Die Katze sitzt nicht fauchend auf dem Toilettendeckel. Kein Geräusch kommt aus dem Badezimmer. ES kann es wagen.

Der Wasserhahn spendet einen dünnen Strahl feuchten Nass. Es reicht aus. ES will keine Geräusche machen. ES dreht den Wasserhahn nur soweit auf, dass niemand hören kann, dass der Wasserhahn Wasser von sich gibt. Feuchtigkeit fließt über die trockenen Lippen. Hinein in den Mund, der entzündet ist. Runter in die ausgetrocknete Kehle, hinab in den Magen. Ein Knurren. Erschrocken hält ES erneut den Atem an. Nur ein leichte Ziehen, was sich knurrend anhört. Nicht zu hören außerhalb des Badezimmers.

Erleichtert schließt ES den Wasserhahn und macht sich auf auf den Rückweg.

>>Was machst du hier?!<<

Es hört sich an, als würde ES gerade dabei ertappt, wie es in den geheimen Unterlagen ihres Vaters im Keller herumstöbert. Eine Tätigkeit, die ES niemals machen würde.

>>Ich dachte, ich müsse meinen Darm leeren. Fehlanzeige.<<

Frau B stürmt in das Bad, als würde dort ein Feuer brennen, was unverzüglich gelöscht werden muss. Frau B streicht mit dem Zeigefinger über das Innere des Waschbeckens Trocken.

ES ist nicht dumm. Auch wenn das Frau B und Herr B ihr weiß machen wollen. ES hat das Waschbecken eben fein säuberlich mit einem Taschentuch von Feuchtigkeit befreit. ES grinst in sich hinein. Aber so, dass es äußerlich nicht zu sehen ist. Eins zu Null für ES!

ES hat es geahnt. Das Spiel - wer am schlausten ist-, haben sie gemeinsam schon so oft gespielt. ES ist nicht dumm!

ES wusste nicht, das es möglich ist, sich zu freuen, wenn man hohes Fieber hat. Aber es ging. ES fühlte sich für einige Momente richtig gut. Mit gesenktem Kopf, um Frau B nicht zu provozieren, schlich es in sein Zimmer zurück. Am liebsten hätte es laut gelacht und seinen Sieg gefeiert. Triumphierend legte es sich zurück auf die Matratze und gönnte sich einige Momente ohne heiße Decke. Frau B würde gleich wieder rein kommen und nach sehen, ob alles seine Ordnung hat. Und eine dicke Decke auf einem fiebrigen Körper liegen haben, gehörte zu Frau Bs Sinn für Ordnung.

Doch Frau B kam nicht. Zu schlimm und ärgerlich war die Niederlage von eben. Frau B hatte genug von dem Ding in dem Zimmer. Sollte es doch an Fieber verrecken! Niemand würde das wirklich stören! Herr B würde nur sagen: Da kann man nichts machen.

Die restlichen Verwandten würden die Achseln zucken und sich wieder ihren Problemen zu wenden.

Herr B saß im Wohnzimmer an seinem Schreibtisch. Er ordnete akribisch die heute erhaltenen Briefe auf der Schreibtischunterlage. Rechnungen. Er sah kurz hoch, als Frau B ins Wohnzimmer kam und wieder verschwand. Er hatte eine komische Frau. Aber es störte ihn nicht wirklich. Er hatte nichts mit ihr persönlich zu tun. Also durfte sie so komisch sein wie sie wollte. Hauptsache, sein Leben wurde so wenig wie möglich davon berührt.

Berühren. Das gab es nicht mehr. War auch besser so. Jeder hatte seine Welt. Frau Bs Welt war nicht seine Welt und in Herrn Bs Welt hatte Frau B nichts zu suchen.

Frau B war wieder unbemerkt ins Wohnzimmer zurück gekehrt.

Frau B: >>Ich habe dem Kind heiße Butterumschläge gemacht. Das wird helfen. Hoffentlich. Das arme Ding hat immer noch Fieber.<<

Herr B: >>Hast du mal den Arzt angerufen?<<

Frau B: >>Nein, das ist doch nichts, das geht vorüber. Wenn sie schön im Bett bleibt, wird sie bald wieder gesund sein.<<

Herr B hatte schon nicht mehr zugehört. Frau B kümmerte sich ja darum. Wie immer. Kein Grund, sich damit zu belasten. Er nickte, als er merkte, dass Frau B aufgehört hatte, etwas zu sagen.

Frau B war zufrieden, denn ihr Mann war offensichtlich mit dem einverstanden, was sie machte. Zumindest hatte er keine Einwände geäußert. Sie wusste, dass ihre Methode, bei Fieber, diesem mit heißer Butter beizukommen, die richtige war. Schließlich hatte sie das auch bei dem anderen Kind gemacht. Und das war auch nicht gestorben.

Frau B war stolz auf ihre Leistung! Zwei Kinder, beide lebten. Was wollte man mehr?!

Frau B verfing sich kurz an der Türklinke zur Küche. Wütend rüttelte sie daran und riss sich dabei ein Loch in den Arbeitskittel. Sie war stets arbeitsam gekleidet, denn sie wollte jedem zeigen, wie fleißig sie war. Zu jeder Tageszeit. Ja, sie ging sogar mit Arbeitskittel nachmittags schlafen, damit, sollte jemand an der Haustür klingeln, sie nicht im Nachthemd erwischt wurde. Diese Taktik war schon mehrmals aufgegangen. Frau B war ja nicht dumm! Die Nachbarn legten wert auf kompetente Nachbarn, die nicht arbeitsscheu waren.

Nein, sie war nicht arbeitsscheu. Sie tat ihr Bestes. Was auch sonst? Ihr Lieblingssatz war, sollte jemand an ihrem Eifer zweifeln: Aber, ich tue doch alles!

Ja, sie tat wirklich alles. Einiges. Einiges zu viel. Ein Kind hoch ziehen, was man nicht als etwas sieht, was zu einem gehört, war Schwerstarbeit. Und dieses Kind, mit dem Fieber, war besonders Schwerstarbeit. Frau B hatte nämlich den Eindruck, dass dieses Kind, trotz Erziehungsmaßnahmen, sie immer wieder hinter das Licht führte. Sie konnte es nicht beweisen. Aber, es war so ein Gefühl. Dieses Kind arbeitete nicht mit ihr zusammen, sondern heimlich gegen sie. Ja, ES ging sogar soweit, bei Arbeitsversäumnissen von Frau B, Frau B bei ihrem Mann anzuschwärzen. Verrat! Das war wohl die liebste Methode von dem Kind: Sie schlecht machen!

Sie hatte dem Kind auch schon mal auf den Kopf zugesagt, dass es wohl wolle, dass sie – Frau B – bald tot sei. Das Kind hatte nicht reagiert. Also, hatte Frau B ihm mitgeteilt, dass sie wohl in zehn Jahren nicht mehr leben würde, weil ES nicht das tat, was richtig war. Auch das schien keine Wirkung auf das Kind gehabt zu haben. Dann hatte Frau B die Methode gewechselt und dem Kind gesagt, dass es ins Kinderheim käme, wenn es nicht das tat, was Frau B anordnete. Auch das hatte keine Wirkung gehabt.

ES war so frech wie immer.

Frau B hatte sich den Kopf zermartert. Was musste sie sagen oder tun, damit das Kind Ruhe gab?

Ruhe, das war das, was Frau B wollte. Kein lärmendes Kind. Kein spielendes Kind. Kein lachendes Kind. Kein fragendes Kind. Das schon mal gar nicht!

Hatte das Kind sich doch heraus genommen, sie noch vor dem Mittagessen in der Küche aufzusuchen und nach etwas zum trinken zu fragen! So eine Unverschämtheit! Als hätte sie nicht gerade vor der Mittagszeit genügend zu tun mit der Essenszubereitung. Was denkt sich so ein Kind eigentlich? Frau B schüttelte den Kopf.

Leider war das Kind schon zu alt, um es wie früher in das Zimmer einzuschließen. Das Kind würde sich bemerkbar machen. Lautstark. So lautstark, dass es die Nachbarn hören könnten. Das war früher ganz anders gewesen. Das kleine Kind konnte sie in das Zimmer einschließen. Eine Schlüsselumdrehung und es war geschehen. Überall das Licht aus und raus aus der Wohnung, raus aus dem Haus, raus aus diesem Leben.

Sie war immer gerannt. Hintenrum. An der Rückseite der Häuseranlage entlang. Stets darauf bedacht, dass sie niemand sah. Und wenn jemand sie ansprach, gab sie vor, sehr in Eile zu sein. Sie gab niemandem die Chance ihr zu nahe zu treten. Sie brauchte schließlich ihren Freiraum.

Das Kind war eingeschlossen und zu klein, um ein Fenster öffnen zu können. Und dass es öfters weinte, dieses sentimentale, empfindliche kleine Ding, dass wussten die Nachbarn nur zu gut und hatten sich daran gewöhnt.

Doch jetzt war das Kind groß und es konnte problemlos aus dem Fenster steigen. Und seine Stimme formten verständliche Worte. Es könnte um Hilfe rufen. Sie wäre blamiert! Nein, sie konnte dieses Kind nicht mehr wie früher wegsperren.

Oder, was waren das für rosige Zeiten, als sie das Kind im Kinderwagen auf den Balkon stellen konnte! Ein Außenraum, weit weg von ihrer Küche. Genaugenommen am anderen Ende und auf der anderen Seite der Wohnung. Die Architekten hatten die richtige Wahl getroffen bei der Zimmeranordnung. Ja, das waren Zeiten!

Und wenn sie dann ihren Mittagsschlaf hielt, war das Kind weit weg. Nicht zu hören am anderen Ende und auf der anderen Seite der Wohnung. Sie liebte die Ruhe! Dann musste sie sich keine Gedanken mehr machen. Das Kind war weg. Wenn auch nur für ein paar Stunden.

>>Wann gibt es Essen?!<<

Herr B ließ nie einen Zweifel daran, wann er ihr einen unmissverständlichen Befehl erteilt hatte. Dieser hier besagte: Das Essen muss jetzt auf dem Tisch stehen. Sofort!

Frau B kannte diesen Unterton, der ihr klar machte, dass es keinen Sinn hatte zu sagen, dass sie noch zuerst dies und jenes erledigen musste, bevor sie seinen Befehl umsetzen würde. Das war so sinnlos, wie zu behaupten, sie hätte keine zwei Kinder.

Sie seufzte. Wieder das Gleiche. Essen machen. Essen essen. Essen wegräumen. Essen verdauen. Essen wegbringen.

ES lauschte an der Kinderzimmertür. Die Beiden unterhielten sich auf der Höhe der Küche. Also, war der Weg nicht frei. ES musste warten, bis ihre Ohren ihr sagten, dass Frau B weit entfernt von Herrn B steht. Das konnte eigentlich nur dann sein, wenn Frau B in den Keller ging. Manchmal ging sie in den Keller, um der Essenszubereitung und um Herrn B, wenn er Zuhause war, aus dem Weg zu gehen.

Die andere Möglichkeit war, sie kam nach oben. Aber das nützte ES nichts. Frau B musste viele Meter Abstand zu ihrem Mann und zu ihrem Kind haben. Dann war für ES der Weg frei. Und das konnte dauern.

Die Knie von ES zitterten vor Anstrengung. ES war gespannt darauf, ob es die Treppe nach unten überhaupt schaffen würde. Die Aussichten waren nicht gut. Denn die Käfer kamen wieder. Dicke, schwarze mit ekeligen Beinen. Sie krabbelten an der Tapete vor ES hoch. Die ganze Tapete schien zu leben. ES schluckte laut. Doch der Laut war nicht ein Stock tiefer zu hören.

Frau B war in der Küche und knallte Teller auf die Arbeitsfläche. Essen machen. Essen essen. Essen schlucken.

ES wollte schon für heute aufgeben und sich wieder in das schützende Bett zurück ziehen. Da hörte ES, wie Frau B aus der Küche trat und im Eilschritt nach rechts abbog. Rechts lagen nur die Tür zum Gästezimmer, wo jetzt das Telefon stand, die Tür zum Wohnzimmer, wo Herr B saß und die Treppe ganz nach unten. Zum Keller.

Ja! Ja!, dachte ES. Ich habe Glück!

ES machte sich zum Lauf bereit. Es wusste, es hatte nur wenige Augenblicke. Wenn Frau B im Eilschritt nach unten verschwand, würde sie im Eilschritt auch wieder oben angelangt sein. ES brauchte feste Knie und etwas Mut, um in ihrem Zustand, die Treppe runter zu eilen.

Steintreppe aus hellem Marmor. Ein mal ausrutschen und man hatte sich etwas verstaucht oder schlimmeres.

ES ergriff das Treppengeländer. Ohne Geländer würde ES es nicht schaffen. Ein verräterisches Knacken kam aus dem Schwarz des Plastikgeländers. Zu leise, befand ES und setzte schon mal den Fuß auf die nächste Treppenstufe. Nochmal horchen. Vorsichtshalber.

Frau B hatte die Angewohnheit, nie etwas gezielt zu tun. Ständig vergaß sie etwas oder musste sich auf den Rückweg machen. Chaos in ihren Handlungen. Nur, wenn es darum ging, etwas zu tun, was nicht richtig war, dann war Frau B sehr zielgenau.

ES hatte richtig vermutet. Frau B war nur die Hälfte der Kellertreppe herunter geeilt, dann hatte sie kehrt gemacht und war jetzt wieder an der Küchentür angelangt.

ES fluchte leise. Und setze den Fuß schnell wieder zurück auf den Teppichboden vor der ersten Treppenstufe. Abwarten, ES musste einfach nur abwarten.

Vater! Das dachte ES leise. Vielleicht würde er ES hören. Obwohl, das wäre schon ein unverschämtes Glück, bedachte man, dass Vater an beiden Ohren ein Hörgerät hatte und oftmals mit der Nase vor dem TV saß, um überhaupt etwas mitzubekommen. Oder war es Berechnung? Nichts mehr hören und sehen, um in Ruhe leben zu können?

ES versuchte es erneut. ES schlich die Treppe runter. Frau B war in der Küche. Ziemlich nahe. Vielleicht würde es reichen. Von hier aus konnte ES die Hand von Vater sehen. Er hielt die Fernbedienung fest umklammert.

ES brauchte nur mehr Willen, um es zu schaffen. Da saß die Erlösung und wusste von nichts..

Frau B legte den Kopf schief. Ein Geräusch? Von oben? Leise schlich sie zur Küchentür und spähte um die Ecke. Tatsächlich! Das Kind hatte sich wieder ihr widersetzt. Es hatte das Bett verlassen, das Kinderzimmer verlassen und war auf dem Weg nach unten.

Doch hoffentlich nicht zu Vater!

Frau B schnaubte. Das Kind würde es doch nicht erneut wagen, sie zu blamieren? Aber war die Blamage dann nicht ganz auf der Seite des Kindes? Ein Kind hatte zu gehorchen. Den Eltern zu gehorchen. Und sie war als Mutter ein Elternteil. Also.

Und war es nicht noch viel mehr als das? Sollte ein Kind seine Eltern nicht in Ehren halten? Was immer auch das hieß. Sich widersetzen gehörte nicht dazu! Eindeutig nicht!

>>V A T E R!<< Wie eine Eruption mit Unterbrechung kam das Wort aus ES Mund. Hatte er es gehört? Die Rettung!

Ja, war es die Rettung?! Es dem Vater sagen? Und dann? Was passierte dann? Schlimmeres?

Frau B schob ihren Körper wie eine Dampflok aus der Küche.

ES zuckte zusammen. Klar, Frau B hatte ihren Schrei zuerst gehört. Nicht die Rettung. Hatte Vater es überhaupt gehört?

Wie wild schoben sich zwei Körper in Richtung Wohnzimmer, wo Vater saß und nichts von dem Geschehen mitbekommen hatte. Er war ganz vertieft in die Sportnachrichten, eine Welt, die er verstand.

Verständnislosigkeit machte sich erneut in Frau Bs Kopf breit. Dieses undankbare Kind! Dieses Gör! Dieses Aas! Was immer es vor hatte, sie würde es zu verhindern wissen!

Beide rannten in das Wohnzimmer hinein. Versuchten es. Blieben fast in dem Türrahmen mit ihren Leibern stecken und zogen sich Schrammen zu. Diejenige, die zuerst da sein würde, könnte triumphieren.

ES sog alle Kraft in ihren Mund und schrie wild: >>Vater! Darf ich kalte, nasse Umschläge auf meinen Körper legen? Und darf ich etwas trinken? Ich habe Fieber!<<

Abstellkammer - Makabere Kurzgeschichten

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