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Frühe Elternarbeit: Werbung für die Berufsbildung
ОглавлениеEs ist eigenartig: Obwohl die Schweizer Berufsbildung einen ausgesprochen guten Ruf geniesst, gehen ihr langsam die leistungsstarken Auszubildenden aus. Bereits aufgezeigt worden ist, dass die Wertschätzung der Berufslehre im Gegensatz zu individuellen Vorlieben steht, die sich in Richtung schulisch-akademischer Laufbahnen verschieben. Die Forderung des Gewerbes nach einem Umdenken in der Bildungspolitik ist deshalb gerechtfertigt. Allerdings darf dies nicht damit einhergehen, dass das Gymnasium als Prügelknabe dienen soll und es gegen die Berufsbildung ausgespielt wird. Die guten Auszubildenden fehlen nicht, weil sie sich fürs Gymnasium entscheiden. Die Hauptursache liegt in den sinkenden Schülerzahlen, welche die Berufsbildung besonders spürt. Weil nach wie vor gleich oder gar mehr Jugendliche den gymnasialen Weg oder andere Vollzeitschulen wählen, stehen ihr deutlich weniger an sich leistungsstarke Jugendliche zur Verfügung. Dazu kommt, dass der kontinuierliche Anstieg der Mädchen-Quote in den Gymnasien dazu geführt hat, dass das weibliche Geschlecht in den technischen Berufen verstärkt fehlt. Der Trend zum Gymnasium muss deshalb differenziert betrachtet werden. Obwohl es auch in Zukunft eine sehr hohe Anziehungskraft behalten dürfte, bedeutet dies nicht automatisch, dass die Berufsbildung die Verliererin sein muss. Dies wird zwar allgemein so formuliert, denn sie hat sich in den letzten Jahren stark auf ihre Binnenentwicklung konzentriert und zu wenig um ihr Renommee mit Taten gekümmert. Erst seit wenigen Jahren hat sie begonnen, ihre Attraktivität besser aufzuzeigen und zu verkaufen. Aber gerade gegenüber bildungsambitionierten Elternhäusern steht dies aus.
Jugendliche aus Akademikerfamilien fehlen in der beruflichen Grundbildung
Jenseits der leidigen Pro-und-kontra-Debatte «Berufsbildung-Gymnasium» gilt es somit, bei objektiven Daten und der Suche nach Ursachen anzusetzen. So ist die empirische Tatsache, dass die Berufsbildung vor allem von Jugendlichen aus nicht-akademischen Elternhäusern in Anspruch genommen wird, kein zukunftsträchtiger Zustand. Umgekehrt gilt Gleiches für die Gymnasien, die durchschnittlich zu mehr als 80 Prozent von Jugendlichen aus bildungsnahen Familien besucht werden. Eigentlich sollten Neigungen und Fähigkeiten den Ausschlag zur Bildungs- und Berufswahl geben. Wenn dem so wäre, dann wären in der Berufsbildung mehr leistungsstarke Jugendliche aus gut situierten Familien vertreten, in den Gymnasien jedoch mehr intellektuell begabte Kinder aus Arbeiter- und benachteiligten Migrantenfamilien.
Um die Attraktivität der Berufsbildung zu steigern, tun Bund und Kantone mit gezielten Kampagnen ausgesprochen viel. Auch Betriebe haben langsam entdeckt, dass sie sich stärker um potenzielle Auszubildende bemühen müssen. Der Erfolg ist trotzdem relativ bescheiden geblieben. Einer der Hauptgründe liegt darin, dass man sich stark auf die Öffentlichkeit, die Betriebe und Berufsfachschulen sowie die OdAs konzentriert hat. Die Familie als wichtigste Meinungsmacherin und Orientierungsinstanz ist bei der Berufswahl des Nachwuchses ausgeblendet worden.
Eltern sind die heimlichen Meinungsmacher
Eltern ins Boot zu holen, ist deshalb eine wichtige und herausfordernde Aufgabe. Väter, vor allem aber Mütter, haben nicht nur einen grossen emotionalen Einfluss, sondern sind auch die wichtigsten Bezugspersonen ihrer Söhne und Töchter. Die Gleichaltrigen sind in diesem Prozess zwar auch bedeutsam, aber deutlich weniger wichtig als die Eltern.
Wo liegt das Problem? Wie bereits erwähnt, gilt die Berufslehre bei vielen Eltern als zweite Wahl, vor allem jedoch als Sackgassenausbildung. Dies dürfte in erster Linie deshalb sein, weil sie nicht genug informiert sind oder weil Informationen zu kompliziert daher kommen. Deshalb kennen viele Eltern (und oft auch Lehrkräfte!) die im internationalen Vergleich einmalige Durchlässigkeit unseres Bildungssystems nicht oder nur sehr rudimentär. Diese Unkenntnis ist in allen Sozialschichten festzustellen, insbesondere auch in ausländischen Familien. Dass Berufslehre und Berufsmaturität den Zugang zu einer Fachhochschule erlauben und mittels einer Passerelle sogar ein Universitätsstudium möglich wird, ist vielfach relativ unbekannt. Es braucht somit umfassende Aufklärungsarbeit. Zwar fehlt es nicht an Information und Ratgebern zur Berufswahl, wohl jedoch an solchen relevanter Art. Sie thematisieren zu wenig die Vor- und auch Nachteile der verschiedenen Bildungswege sowie die Fähigkeiten und Talente, über welche der Nachwuchs im Hinblick auf Gymnasium und Berufslehre verfügen müsste.
Gesamthaft besehen hat sich die Diskussion um die schwindende Attraktivität der Berufsbildung bisher zu einseitig auf Schulen, Betriebe und Verbände konzentriert. Die Familie ist vergessen gegangen. Wenn die Berufsbildung als gleichwertige Alternative zum akademischen Bildungsweg wahrgenommen und von den Eltern und ihrem Nachwuchs tatsächlich auch gewählt werden soll, dann müssen sie zum zentralen Element in der aktuellen Diskussion um den Lehrlingsmangel werden.