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PROLOG

Eine Statue

an der Petersbasilika

Hat es einmal einen weiblichen Papst gegeben? Seit Jahrhunderten ist die Geschichte von einer Frau, die im 9. Jahrhundert Papst geworden sein soll, so präsent wie umstritten. Viele Wissenschaftler und Kirchenvertreter sind überzeugt, dass es die »Päpstin Johanna«, die in Erzählungen, Theaterstücken, Romanen und Filmen seit langem populär ist, nie gegeben hat. Aber es gibt auch Stimmen, die an die Existenz der Päpstin glauben und davon ausgehen, dass ihre Spuren bewusst und systematisch getilgt worden sind.

Tatsächlich gibt es nahezu keine Spuren der möglichen Existenz der Päpstin. Dabei ist die persönliche Anschauung für uns alle oft entscheidend bei der Frage, ob wir etwas glauben oder nicht. Wenn wir sagen; »Das habe ich mit eigenen Augen gesehen!« betonen wir, dass wir von der Richtigkeit einer Sache überzeugt sind. Interesse, Neugier, Wissensdurst stehen am Anfang aller Entdeckungen. Was wir mit eigenen Augen gesehen haben, das bleibt uns besser in Erinnerung. Wir vertrauen unserer eigenen Wahrnehmung, sie erweitert unseren Horizont im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Persönliche Eindrücke gewinnen, das ist auch ein wesentlicher Impuls fürs Reisen.


Ich lade Sie ein zu einer imaginären Reise nach Rom. Zuerst begeben wir uns zu einer der bedeutendsten Kirchen der Christenheit. Sie ist dem Apostel Petrus geweiht, ihr Altar soll über seinem Grab stehen. In der deutschen Sprache wird sie meist «Petersdom» genannt, doch korrekt wäre »Petersbasilika«.

Im nördlichen Vestibül, am Ende des Atriums, fällt uns die nebenstehende Statue auf. Betrachten wir sie zunächst mit den Augen des interessierten Touristen: Die Gestalt ist in wallende Gewänder gehüllt. Das Unterkleid wird hoch über der Taille von einer Kordel zusammengehalten. Die Kordel ist unter der Brust mit einer Schlaufe verschlossen. Der Mantel ist sehr lang und weit. Eine breite, reichgeschmückte Borte schmückt ihn an den Vorderkanten. Er wird über der Brust zusammengehalten. Zwischen Unterkleid und Mantel erkennen wir auf der linken Seite der Gestalt eine ebenfalls geschmückte Stola mit Fransen. Auf dem Kopf trägt die Figur eine eigenartige Haube, die sich über einem verzierten Kranz oder Reif erhebt. Von der Rückseite dieser Kopfbedeckung fallen zwei breite Bänder über die Schultern. Das Gesicht ist jung und wird von langen Haaren umrahmt. Die linke Hand der Figur ist gegen die Betrachter ausgestreckt. In ihrer Rechten hält sie ein Buch und einen doppelten Schlüssel. Diese Gestalt trägt keine Schuhe, sie steht baren Fußes auf einem unebenen Untergrund.

Die Kunstgeschichte gibt uns zusätzliche Informationen: Die leicht abgedrehte und S-förmige Haltung ist typisch für die Entstehungszeit Anfang des 18. Jahrhunderts. Den Dokumenten der Bauhütte von St. Peter ist zu entnehmen, dass die Figur vom römischen Bildhauer Giuseppe Frascari in den Jahren 1729 bis 1732 geschaffen wurde.

Wie in Kunstwerken aus früheren Zeiten üblich, ist auch in dieser Statue eine ganze Reihe von Hinweisen und Botschaften enthalten:


Die feinen Gesichtszüge und die langen Haare zeigen, dass hier eine weibliche Gestalt dargestellt ist.

Die seltsame Kopfbedeckung ist einer phrygischen Mütze nachgebildet, die von einem verzierten Stirnreif gehalten wird. Zwei Bänder, die sogenannten Infuln, hängen auf die Schultern herab.

So sah im frühen Mittelalter die Papstkrone aus, eines der päpstlichen Insignien.


Das stoffreiche Unterkleid ist hoch gegürtet, wie dies bei Frauen üblich war. Der Mantel darüber ist ein Pluviale, ein liturgisches Gewand, das zu feierlichen Anlässen getragen wird. Es wird über der Brust zusammengehalten.


Die reiche Verzierung an den Mantelborten zeichnet die Figur als Papst aus.

Zudem trägt sie eine Stola mit geknüpften Fransen – ein weiteres päpstliches Kennzeichen.


Eine Schließe in Vogelgestalt hält das stoffreiche und prächtige Pluviale über der Brust zusammen. Es ist eine Taube, ein uraltes Symbol. Im christlichen Kontext repräsentiert die Taube Inspiration, sie ist – vor allem, wenn sie weiß ist – Friedensbringerin und zudem Sinnbild für den Heiligen Geist.


Die vom Bildhauer über dem Herzen angebrachte Taube blickt von der Trägerin weg und scheint uns mit den Augen zu fixieren.

Die Linke der Figur nimmt diese Geste auf, bietet uns Betrachtenden die Hand zur Kontaktaufnahme.


In der rechten Hand hält sie zwei Gegenstände: Wir erkennen ein Buch; im Kontext kann auf die Bibel geschlossen werden.

Unübersehbar ist ein doppelter Schlüssel. Ein Schlüssel zum Himmel und einer für die Erde.

Dieser Doppelschlüssel gilt als Attribut des Apostels Petrus. Er soll der erste Papst gewesen sein.


Auf Petrus verweist auch die Tatsache, dass die Figur auf einem Felsen steht, wobei ein Fuß leicht erhöht ist.

Diese Statue ist Teil eines Ensembles von insgesamt acht Skulpturen, die an der Hauptfront südlich und nördlich der Vorhalle in Nischen angebracht sind. Sie stellen sogenannte Allegorien dar, Veranschaulichungen von abstrakten Begriffen. Im südlichen Atrium stehen die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Im nördlichen Atrium können wir die drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung erkennen. In der vierten Nische blickt diese Figur auf uns. Sie soll die Ecclesia (Kirche) darstellen. Halten wir uns vor Augen: Gut 200 Jahre nach der Reformation wird die Kirche (Ecclesia) als eine weibliche Figur in mit den Attributen eines Papstes dargestellt. Was mögen die Gründe dafür gewesen sein?

Mit dieser Frage begann für mich eine faszinierende Spurensuche, die mich vom Frühmittelalter bis ins 21. Jahrhundert führte. Begleiten Sie mich dabei, lassen Sie sich erzählen von Lebensumständen, Sitten und Gebräuchen jener Zeit. Natürlich spielt die Geschichte der Mächtigen eine wichtige Rolle, ihre Leistungen, ihre Ansprüche, ihre Politik und ihre Einflüsse auf die Kultur – wir sind Erben von all dem, auch wenn es uns kaum bewusst ist. Ach ja, Rivalitäten und Intrigen gab’s natürlich auch, das wird Sie wenig überraschen. Dass zum Erreichen der angestrebten Ziele auch Dokumente gefälscht wurden, und zwar im ganz großen Stil, damit haben Sie vermutlich eher nicht gerechnet. Aber Fake-News und alternative Wahrheiten sind nichts Neues. Und manche dieser Fakes wirken bis ins 21. Jahrhundert.

Entdeckt habe ich auch vieles, das sich mit dem allgemein verbreiteten Wissen nur bedingt vereinbaren lässt. Rolle und Stellung der Frauen, beispielsweise. Ob in Religion, Politik oder Gesellschaft, die Behauptung, dass das weibliche Geschlecht »schon von Alters her« und durchgehend benachteiligt worden sei, die trifft nicht zu. Dafür wurde ersichtlich, woher diese Zuschreibung stammt, welche Geisteshaltung dahintersteckte und weshalb gewisse Kreise sich noch immer daran festkrallen.

Dieses Buch kann nur einen kleinen Überblick geben, immer auf diese eine Frage fokussiert: Hat es einmal einen weiblichen Papst gegeben? Drei Thesen habe ich formuliert und schließlich die Antwort gefunden. Viele Versuche gab und gibt es, die historische Tatsache zu leugnen. Manche Einwände sind erkennbar fadenscheinig, manche hilflos, manche auch einfach plump, nur ganz wenige wirklich raffiniert, wenigstens im ersten Moment. Nachdem ich viele – noch längst nicht alle – Elemente zusammengetragen hatte, war für mich klar: In der Mitte des neunten Jahrhunderts gab es einen Papst mit Namen Johannes; er war der Achte mit diesem Namen; und er war eine Frau.

Ein Papst zu viel

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