Читать книгу Der Alchimist kommt zurück - Maria Antonie Hutter - Страница 7
3. Kapitel
ОглавлениеDie junge Frau konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Zum vierten Mal innerhalb von einem Monat hatte sie von einem Schatz geträumt, der am Fuße der Tempel von Luxor lag. Ein Hirte hatte ihr den Weg nach Ägypten gezeigt. Doch jedes Mal, wenn sie wissen wollte, wo genau bei den Tempeln sich der Schatz befand, war sie aufgewacht. Alle vier Male. Vielleicht hatte ihr ihr Gedächtnis einen Streich gespielt.
Im Monat zuvor hatte sie zum zweiten Mal die Geschichte des Alchimisten gelesen. Vielleicht war das Buch irgendwie verhext. Schließlich war es schuld daran, dass sie einen wiederkehrenden Traum zu viel Bedeutung beigemessen hatte. So dass sie, von einem Tag auf den anderen, ihren Job gekündigt hatte.
Eine Stunde vor Sonnenaufgang weckte sie ihren Nachbarn, den sie gut kannte. Sie bat ihn, ihr zu zeigen, wo der einzige Priester von Pedregalejo, einem Stadtteil von Málaga wohnte. Jener lebte in einem versteckten Trakt des Klosters, den nur wenige kannten. Die junge Frau wollte dem Geistlichen von ihrem Traum erzählen und seinen Rat einholen. Sie hatte gehört, jener habe selbst einmal einen wiederkehrenden Traum gehabt, woraufhin er Priester dieses Ortes geworden war. Er musste sich also mit Träumen auskennen. Außerdem hieß es, er könne, sie deuten.
Gemeinsam gingen sie zum Kloster, in dem der Priester wohnte. Zur Belohnung gab die junge Frau dem Nachbarn ein Taschengeld.
Die Frau sprach mit dem Wächter vor dem Kloster. Jener ging in das Gebäude hinein und blieb lange fort. Dann erschien er mit einem Mann der ganz in weiße Gewänder gekleidet war. Es war der Prälat.
„Der Priester ist verreist. Kann ich Ihnen weiterhelfen?"
Die junge Frau zögerte einen Augenblick. Dann beschloss sie, sich dem Prälat anzuvertrauen. Schließlich war er der Vertreter des Priesters. Vielleicht kannte auch er sich mit Träumen aus. Sie erzählte ihm von ihrem Traum. Sie sprach besonders laut, damit der Mann sie auch ja verstand. „Ich hatte einen seltsamen Traum. Ich habe geträumt, dass ich am Fuße der Pyramiden von Gizeh stand, als ein Hirte erschien. Jener nahm er mich an den Händen und führte mich zu den Tempeln von Luxor.“ Die junge Frau machte eine Pause, um die Wirkung ihrer Worte abzuwarten. Aber der Prälat blieb stumm. Da fuhr sie etwas verlegen fort: „Dann, bei den Tempeln angekommen, sagte der Mann: ‚Wenn Du hierherkommst, wirst Du einen Schatz vorfinden. Aber als er mir den genauen Ort zeigen wollte, bin ich aufgewacht. Alle vier Male.“ Sie machte eine Pause, ehe sie fortfuhr. „Dann war da noch eine Zigeunerin in meinem Traum, die mit dem Tod drohte, sollte ich mich nicht aufmachen, nach Luxor zu reisen. Ich weiß, es ist nur ein Traum. Aber ich habe gehört, der Priester kennt sich mit Träumen aus.“
Der Prälat betrachtete sie eine Weile stumm. Dann bat er sie zu warten. Er verschwand hinter den Klostermauern.
Die junge Frau war sich inzwischen nicht mehr sicher, ob es richtig gewesen war, hierher zu kommen. Sie bereute schon, sich dem Prälat anvertraut zu haben, als ein Bediensteter erschien. „Der Prälat bittet Sie noch einen Moment auf ihn zu warten.“
Inzwischen war es früher Morgen geworden. Die Sonne ging hinter den Häusern auf. Händler kamen und gingen. Zahlreiche Einheimische gingen in das Klostergebäude hinein und verließen es wieder. Nach einer halben Stunde kam der Prälat wieder und überreichte der jungen Frau einen Rosenkranz. „Er soll Dich auf deinem Weg beschützen. Den Zeichen Gottes zu folgen, ist nicht immer einfach. Aber Gott beschützt diejenigen, die sich aufmachen, ihren Lebensweg zu gehen. Folge den Zeichen. Das ist der einzige Rat, den ich Dir mitgeben kann.“
Danach ging er fort.
Die junge Frau war erst überrascht, dann enttäuscht. Dafür hätte sie das Kloster nicht aufsuchen müssen. Wie sollte ihr ein Rosenkranz weiterhelfen? Sie hatte den Priester sprechen wollen, und auf seinen Rat gehofft.
Enttäuscht wandte sie sich ab. Schließlich bat Stephanie, ihren Nachbarn, der im Schatten eines Baumes auf sie gewartet hatte, sie zum Haus des Bürgermeisters zu führen. Der Bürgermeister hatte früher als Astrologe gearbeitet, wie sie dem Gerede im Dorf entnommen hatte. Da jener umgezogen war und sie nicht wusste, in welchem Haus er wohnte, musste der Nachbar sie dort hinführen. Als sie vor dem Gebäude ankamen, gab sie ihm Geld für ein Frühstück. „Jetzt geh und lass mich allein“, sprach die junge Frau an den Jüngling gewandt. Der Nachbar verschwand. Er war froh, sich etwas Geld zu seiner Arbeit als Supermarktverkäufer dazu verdient zu haben.
Sie klingelte am Haus des Bürgermeisters. Aber der Bürgermeister war nicht da. Ein Nachbar teilte ihr mit, dass jener nach Madrid gereist war.
Enttäuscht wandte sich die junge Frau ab. Vielleicht war Málaga verflucht. Mit einem Mal überfiel sie der dringende Wunsch Spanien zu verlassen.
Am Nachmittag ging die junge Frau noch ein letztes Mal in die Bank, um ihre persönlichen Sachen abzuholen. Danach machte sie einen Umweg durch die Stadt. Sie setzte sich in ein Café und beobachtete die Leute, die nach Dienstschluss durch die Stadt eilten. Zum ersten Mal seit langen hatte sie die Zeit dafür.
Abends setzte sie sich ans Meer, um in dem Buch über Traumdeutung zu lesen, das sie gekauft hatte. Aber sie konnte sich nicht mehr konzentrieren. Immerzu musste sie an ihren Traum denken.
Sie sah gen Westen und schätzte, dass es bald achtzehn Uhr war. Ihre Kollegen würden in zwei Stunden zum Essen kommen. Wie an jedem Freitag. Trotz der Kündigung.
Die junge Frau ging nach Hause und begann, die Paella vorzubereiten. Sie blickte durch das Küchenfenster auf den Fluss, der vor ihr lag. Plötzlich musste sie an eine Unterhaltung mit ihrem Vater aus ihrer Kindheit denken. Jener hatte ihr einmal erklärt, dass das Glück immer in der Gegenwart zu finden sei: „Du kannst nur den Augenblick verändern, sonst nichts.“ Dann hatte er ihr seinen Segen für die Banklehre gegeben.
In seinen Augen hatte sie den Wunsch lesen können, selbst noch einmal jung zu sein und einen Beruf zu erlernen. Er war Hafenarbeiter gewesen. Doch es hatte ihm wenig Freude bereitet. Wenige Tage später war er gestorben.
Danach hatte sie ihre Banklehre gemacht und drei Jahre für die größte Bank in Pedregalejo gearbeitet. In der Zeit bei der Bank, war sie nie glücklich geworden. Es war immer schon ihr Traum gewesen, einmal ins Ausland zu gehen. Doch sie hatte sich nicht getraut, ihn zu verwirklichen.
Später hatte sie versucht, den Traum vom Reisen über die Arbeit und einen festen Wohnort zu vergessen. Doch es war ihr nie gelungen.
Sie sah aus dem Fenster.
Ein großer Vogel flog über das Meer. Er sah aus wie ein Adler. Dabei gab es in Málaga keine Adler. Als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass es ein Falke war. Wie seltsam, sie hatte noch nie einen Falken in Málaga gesehen.
Heute wollte sie den Kollegen erzählen, dass sie Spanien verlassen würde.
„Erst die Möglichkeit, sich seine Träume zu verwirklichen, macht das Leben lebenswert“, dachte sie. Obwohl das nicht immer einfach war. Ihr Nachbar wollte schon immer Pianist werden. Doch er hatte nie die Ausdauer gehabt, viele Jahre das Klavierspiel zu studieren und sein Können auf höchstem Niveau zu verfeinern. Er hatte nicht an sich geglaubt und schon nach wenigen Monaten aufgegeben.
Aber wenn man sich erst einmal dazu entschied, sich seinen Traum zu erfüllen, dann unterstützt einen Gott immer dabei. Das stand beim Alchimist geschrieben. Und dasselbe hatte der Prälat gesagt.
‚Das Problem der meisten Menschen ist, dass sie nicht wissen, wie sie ihr Leben gestalten sollen. Sie bemerken gar nicht, wie die Jahre vergehen und die Jahreszeiten wechseln, weil sie so sehr damit beschäftig sind, Geld zu verdienen und ihre Karriere voranzutreiben. So das sie alles, was um sie herum geschieht, vergessen“, dachte die Bankkauffrau. „Im Prinzip ergeht es mir genauso. Auch ich denke an nichts anderes mehr, als an meinen Traum.“
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Plötzlich hörte sie ein Geräusch hinter sich. Jemand packte sie und schlug ihr mit einem harten Gegenstand auf den Kopf. Bevor sie sich umdrehen konnte, spürte sie ein Messer an ihrer Kehle.
„Halts Maul oder ich töte dich“, rief die Gestalt mit ausländischem Akzent. Der jungen Frau hatte es vor Schreck die Sprache verschlagen.
„Geld her“, brüllte der Fremde. „Ich bin auf der Flucht. Ich brauche Schmuck, Geld. Alles!“
„Ich halte nichts versteckt.“
Die junge Frau fürchtete um ihr Leben. Das Gesicht des Mannes war von einer Maske verhüllt. So dass sie nur seine Augen erkennen konnte.
Der Mann hielt sie fest und durchsuchte ihre Taschen. Er fand einen zweihundert Euro Schein in ihrer Tasche.
„Wozu das viele Geld?“ Die Küchen Lampe beleuchtete das Gesicht des Mannes. In dessen Augen las sie den Tod. „Sicher hast Du im Haus noch mehr versteckt.“
Es klingelte an der Tür. Das mussten ihre Kollegen sein.
„Sei still oder ich steche dich ab“, zischte der Mann und hielt das Messer an ihre Kehle.
Er zwang die junge Frau das Haus zu durchsuchen. Aber es kam nichts zum Vorschein. Dann verprügelte er sie so lange, bis sie beinahe ohnmächtig wurde. Ihre Kleidung war zerfetzt und sie fühlte sich dem Tod nahe.
„Was nützt mir der Familienschmuck, wenn ich sowieso sterbe?“, dachte sie. Und sie gab dem Mann den Schmuck ihrer Mutter, den sie in einer Kommode im Hausflur versteckt hatte.
„Was hältst Du sonst noch versteckt?“
„Nichts“, rief die junge Frau.
Der Mann packte und schlug ihr ins Gesicht.
„Ich habe mein ganzes Geld auf der Bank. Ich plane zu verreisen“, gestand sie endlich. Und mit zerschundenen und geschwollenen Lippen erzählte sie dem Mann, dass sie vorhatte, nach Afrika zu reisen. Und dass sie ihr ganzes Bargeld erst heute Morgen auf ihr Konto gebracht hatte.
Der Mann ließ sie los. Die junge Frau fiel mit dem Gesicht auf den Küchenboden. An die junge Frau gewandt, sagte er: „Du wirst nicht sterben, um zu erkennen, dass man nicht so blöd sein darf. Auch ich wollte einst nach Afrika. Ich träumte, dass ich dort die Frau meines Lebens finden würde. Aber ich bin doch nicht so dumm, nur wegen eines Traumes, das Mittelmeer zu überqueren.“
Dann zog er ab.
Die junge Frau erhob sich mit Mühe. Nun wusste sie, dass sie nach Ägypten musste.