Читать книгу Der kunstfertige Fälscher - Maria Attanasio - Страница 10
ОглавлениеEin ansehnlicher Trupp Sicherheitsbeamter unter dem Kommando von Kommissar Gulizia bezog Stunden vor Morgengrauen rings um das Haus des »Mavaro« Stellung. Eine im nahegelegenen Zollhaus versteckte Gruppe postierte sich auf der Seite zur Allee hin mit Blick auf die kleine Eingangstür; eine andere verteilte sich zwischen dem Lavageröll hinter dem Haus, um ja keinen Moment die tiefgelegenen Fenster aus den Augen zu verlieren, durch die selbst ein Halbblinder wie der professore ganz einfach hätte entwischen können.
Schwaches Licht einer Öllampe sickerte durch die Fensterläden, die nicht wie sonst ganz zugezogen waren. Das Haus war also nicht im Tiefschlaf versunken, und der Kommissar befürchtete eine undichte Stelle unter den Kollegen und eine Falle des Mannes, der, um Verwirrung zu stiften, womöglich am Abend zuvor ungestört das Haus verlassen und die Lampe hatte brennen lassen. Doch er beruhigte sich, als er einen Schatten im Zimmer gewahrte und sah, wie dieser stehen blieb und das Fenster öffnete.
Der Ermittler Petralia und der Königliche Gardist Gervasi, die an den Seiten des Fensters postiert waren, um im Fall der Fälle rechtzeitig eingreifen zu können, spürten in allernächster Nähe seinen schweren Atem und seine nervös das Fensterbrett umklammernden Hände. Sie atmeten auf, als der Mann ins andere Zimmer ging, doch sogleich kam er mit einer Mappe voller Zeichnungen zurück. Auf dem Bett sitzend, nahm er sich eine Zeichnung nach der anderen vor, zog dann zwei heraus und befestigte sie mit Reißzwecken an der Wand. Dann setzte er die Brille ab, trat ganz nah an sie heran, wie um sie zu küssen. Stattdessen tat er je drei Mal so, als wollte er sie anspucken — zuerst die eine, dann die andere.
»Wie ein Hexer«, sagte Gervasi verschreckt zu Petralia, der ihn beruhigte. »Das ist ganz bestimmt unser Mann. In ein paar Stunden wirst du schon sehen.« Der Mann verschloss das Fenster ganz fest. »Endlich geht er schlafen«, sagte der Kommissar erleichtert und begab sich zu dem an der Allee postierten Trupp. Sie warteten, dass der Mann wie immer pünktlich um acht Uhr das Haus verließ; doch als die Kirchturmuhr von Sant’Agostino sechs Mal schlug, trat der Mann durch die kleine Haustür und machte sich langsamen Schrittes, misstrauisch um sich blickend, auf den Weg.
Ein Polizist stellte sich ihm entgegen.
»Entschuldigen Sie, auf ein Wort, professore …«
»Bitte, sprecht doch …«
»Nicht hier, in Ihrem Haus. Wir sind von der Königlichen Garde. Eine Durchsuchung … Waffen …«
»Wenn’s nur das ist. Hier, der Revolver. Ein Mauser. Vor ein paar Monaten hatte ich Besuch von Räubern … bloß zur Abschreckung … Sehen Sie nur, er ist nicht geladen. Ich bin nicht einmal fähig, ihn zu bedienen.«
Inzwischen waren weitere Beamte hinzugekommen, und schon war der Mann umstellt. Er begriff. Ohne weitere Ausflüchte ging er ins Haus zurück und setzte sich neben dem Fenster nieder. Stumm in sich versunken, während die Beamten unter Ausrufen der Verwunderung und einigen Flüchen die kleine Wohnung auf den Kopf stellten. Gervasi betrachtete prüfend die beiden Zeichnungen, die mit Reißzwecken an der Wand befestigt waren; sie zeigten die gleiche Person: einmal auf leicht vergilbter Pappe als jungen Mann mit verschlagenem Blick, einen Pinsel in der Hand, auf der zweiten Zeichnung in fortgeschrittenem Alter und mit hochmütiger Miene. »Wer ist das?«, fragte er den professore, der gereizt zur Antwort gab: »Ein Judas. Der für fünf Centesimi auch die eigene Mutter verkauft.« Groß war die Verblüffung am Ende der Durchsuchung. Keine Spur von der Druckereiwerkstatt für Hundert-Lire-Scheine, die mutmaßlich mit der in Palermo im Verbund stand. Stattdessen fand man Handbücher über Chemie, Vergrößerungsgläser, Fotoapparate und die komplette Apparatur — von der Vorbereitung der Klischees bis zum Druck — eines unerwarteten Labors für die Fälschung von Fünfhundert-Lire-Banknoten, viele davon ordentlich verpackt unter den Kommoden und für den Absatz bereit. Doch weder eine Bank noch irgendeine Privatperson hatten jemals die Existenz ebendieser gefälschten Scheine zur Anzeige gebracht. »Wie ist das möglich?«, fragte sich der Kommissar verdutzt, und an den professore gewandt:
»Mit wem arbeiten Sie zusammen?«
»Das hier habe ich alles allein gemacht. Und aussagen werde ich vor niemand anderem als dem Königlichen Staatsanwalt«, erwiderte der Mann barsch, der, ohne sich im Mindesten um das Treiben um ihn herum zu kümmern, wieder mit stolzer Brust, doch gebrochener Sehkraft in Richtung der Lavafelder starrte.
Der telefonisch benachrichtigte Staatsanwalt traf einige Stunden später ein. Erstaunt blickte er auf den Mann mittleren Alters, der am Fenster saß; in seinem abgetragenen haselnussbraunen Anzug wirkte er wie ein bescheidener, ehrwürdiger Beamter im Ruhestand: In nichts entsprach er dem Klischee eines Geldfälschers oder Schwarzmarkthändlers, die sofort an ihrem Tand und Protz und dem im Vergleich zu ihrer angeblichen Tätigkeit hohen Lebensstandard zu erkennen waren.
Der Staatsanwalt hörte zu, prüfte, analysierte und verweilte vor dem Selbstbildnis, das den Schreiner so sehr in Schrecken versetzt hatte. Er, ein Amateurmaler zarter Veduten von Meer und Küste, blickte nun befremdet auf die beiden Gesichter ohne Schädel, die aus der Schwärze des Hintergrunds hervortraten.
Schließlich schickte er sich an, den Geldfälscher zu befragen, der ihn jedoch gestreng innehalten ließ: »Vor einem Künstler nehmen Sie gefälligst den Hut ab!«
Dieser stolze und empörte Ton brachte ihn aus der Fassung. So legte er nicht nur den Hut, sondern auch Überzieher und Schal ab, griff sich den einzigen Stuhl im Zimmer und setzte sich neben den Mann ans Fenster.
»Reden Sie jetzt«, sagte er. »Sagen Sie mir alles über diese Werkstatt.«
»Keine Eile«, war die Antwort. »Ich komm’ schon noch dazu: Sie werden Namen, Nachnamen und Adressen erfahren. Alles.«
Der Geldfälscher Paolo Ciulla begann also seinen Bericht mit dem Tag seiner Geburt am 19. März 1867 in Caltagirone, in einem Sizilien, das in jenem Jahr beim schwierigen Übergang von der Herrschaft der Bourbonen unter die der Savoyer den Gipfel seiner verzweifelten Lage erreichte: Krieg, Aufstände, Cholera, Dürre. Und beim Erzählen geriet er in Begeisterung, wurde ironisch, war gerührt, entrüstete sich, wurde fuchsteufelswild angesichts der Ereignisse jenes Lebens, als wäre es das eines anderen und nicht sein eigenes. Die fabulierende Verdoppelung, wie sie jeder conteur — zwischen phantasievoller Allwissenheit und sich entziehenden Fakten — vollbringt, indem er die Leerstellen füllt und dem längst Vergessenen, dem Vorstellbaren einer Lebensgeschichte eine Stimme verleiht. Dem tieferen Sinn der Erzählung.