Читать книгу Der kunstfertige Fälscher - Maria Attanasio - Страница 8
ОглавлениеAls die aufwendige Verkleidung dann recht und schlecht saß, bat der Ermittler Petralia einen Kollegen um seine Meinung. »Hässlich und ordinär«, lautete das entmutigende Urteil. Sich im Spiegel betrachtend, wie er sich ein leichtes Wolltuch über die Schultern drapierte, musste er ihm Recht geben. Er hängte sich noch ein Kästchen um, aus dem Bänder, Nadeln, Scheren und Garnröllchen hervorschauten, und verließ, über die Angemessenheit seiner Ausstaffierung unschlüssiger denn je, das örtliche Kommissariat durch einen Nebeneingang.
»Was ich mir alles antun muss, bloß um über die Runden zu kommen«, dachte der Polizist, während er sich langsam zu seinem Einsatzgebiet auf den Weg machte. Das war aber nur sein übliches Gemurre bei der Arbeit; in Wirklichkeit hielt er sich für privilegiert gegenüber seinen Kollegen, die ständig wegen der Angriffe der politischen Schlägertrupps, welche sich in den letzten Monaten immer dreister aufführten, gerufen wurden — und zwar weniger um einzugreifen, als um die Faschisten zu decken, indem sie Arbeiter und Gewerkschafter mit Überfällen in deren Häusern und Schießereien in Schach hielten.
»Befehl ist Befehl, und Brot ist Brot«, sagte sich der Hüter der öffentlichen Sicherheit schließlich resigniert. Aber aus dem hintersten Winkel seines Gedächtnisses, wohin er sie abgedrängt hatte, erschallten ohrenbetäubend die Schreie der Männer und Frauen an den blockierten Türen des Teatro Sangiorgi. Die Pistolenschüsse, die Gewehrsalven auf die im Theater versammelte Menschenmenge, die wegen des Massakers an neun Arbeitern aufbegehrte, das sich zwei Tage zuvor, am 28. Juli 1920 in Randazzo ereignet hatte.
In den Haufen schießen, den Protest unterbinden, so lautete der Befehl.
Und geschossen hatten sie, und ob! Blutspritzer auf dem weißen Stuck, auf den Jugendstilblumen des Eisengitters: Tote und Verletzte überall, und ein Kind mit weit aufgerissenen Augen, sich die Ohren zuhaltend, das sie gewaltsam unter einem Sessel hervorgezerrt hatten.
Einen Monat später war er endgültig in die Fahndungsabteilung gewechselt und hatte fortan — von einer wahren Last befreit — ausschließlich gegen Geldfälscher, Diebe, Betrüger aller Art zu ermitteln; das war nun zwei Jahre her.
Das Leuchten eines Kakibaums, der sich sonnenbeschienen und in vollem Fruchtstand vor der unbeschwerten Klarheit des Oktobermittags abhob, verwischte diese Bilder. Er konnte wieder tief durchatmen, während er das Stimmengewirr der Innenstadt hinter sich ließ, auf dem Weg in den abgelegenen Teil der Allee, dorthin, wo sich die Häuser umringt von der riesigen schwarzen Wüste der Lavaschlacken lichteten.
Um seine Verkleidung zu erproben, blieb er vor jeder Tür stehen, seine Waren im Falsett den Frauen des Hauses feilbietend, von denen ihm gar eine in weiblicher Vertraulichkeit innerhalb einer Viertelstunde ihr ganzes Leben erzählte — der schwächliche Ehemann, die prügelnde Schwiegermutter, der undankbare Sohn — und ihn am Ende um seiner Unversehrtheit willen beschwor, einen großen Bogen um das Haus des »Mavaro« zu machen.
»Gott steh uns bei«, sagte sie und wies auf das Haus, »er liest das Libro del Cinquecento4 und nachts ruft er die Geister an.« Die Verkleidung tat ihren Dienst.
Entschlossen legte er die rund hundert Meter zurück, die ihn noch von der Hausnummer 431 trennten. Zu dieser Zeit musste der Mann daheim sein, wahrscheinlich im Bett fürs Nachmittagsschläfchen. Lange klopfte er an die Tür. Vergebens. Er klopfte lauter, heftiger. Endlich öffnete sich das Fenster, ein verschlafener Mann im Unterhemd zeigte sich voller Zorn. »Was ist das denn für eine Art, mich zu stören! Hau ab, ich habe geschlafen«, und als er die Silhouette einer Frau erblickte, setzte er hinzu, »Weiber gibt es hier im Haus keine!« Und damit schloss er das Fenster mit solcher Wucht, dass es fast aus den Angeln fiel.
Alles in allem kaum eine Minute, vielleicht weniger. Dennoch hatte der Ermittlungsbeamte Petralia sofort die Bügelbrille und den Spitzbart des mysteriösen Don Paolo wiedererkannt. Im Oktober vor zwei Jahren hatten er und sein Kollege Alparone ihn vom Haus des Falschgeldhändlers Chiarenza bis zur Hälfte der Via Etnea beschattet, wo der Mann, sich verfolgt fühlend, eine Kutsche genommen hatte, mit der er auf Nimmerwiedersehen inmitten der zweihunderttausend Einwohner der Stadt untergetaucht war.
Don Paolo war Chiarenzas Lieferant, daran gab es für die beiden Polizisten keinen Zweifel. Sie hatten, als Bettler verkleidet, beobachtet, wie er jeden Donnerstagnachmittag immer zur selben Stunde das Haus des Händlers betrat, wo sich bereits ein paar Leute eingefunden hatten. Nach einer Viertelstunde ging er wieder weg, und nach ihm alle anderen, einzeln, so wie sie gekommen waren. Den Namen jenes Mannes hatten sie von einem Vertrauensmann erfahren, der in derselben Straße lebte. Um das Kommen und Gehen der Leute zu rechtfertigen, hatte Chiarenzas Frau gegenüber den Nachbarn behauptet, dass Don Paolo ihnen jede Woche die Zahlen für das Lottospiel überbrachte.
Doch der Zahlenlieferant wurde nicht mehr bei diesem Haus gesehen, und zwei Monate Ermittlungen und Nachstellungen lösten sich in Rauch auf.
Und da, plötzlich hatte er ihn wiedergefunden, diesen Bastard.
Petralia vergaß, seine Gangart der Verkleidung anzupassen, und traf mit Riesenschritten und strahlendem Gesicht im Kommissariat ein.