Читать книгу Der kunstfertige Fälscher - Maria Attanasio - Страница 9
ОглавлениеSchlurfend, doch geschickt Gegenständen und Mobiliar ausweichend, bewegte sich der Mann voller Unruhe zwischen Bett und Fenster hin und her. Er öffnete das Fenster. Die Nacht tauchte die Lavafelder in ein noch tieferes Schwarz.
Zurück im Bett versuchte er, wieder in den Schlaf zu finden, aber vergebens. Vielleicht in dunkler Vorahnung dessen, was ein paar Stunden später mit ihm geschehen und ihn aus der Anonymität jener ruhigen Stadtrandlage auf die Titelseite der Zeitungen katapultieren sollte.
Auch die große Geschichte vollzog sich in jener Nacht. In Mailand arbeitete Mussolini — zusammen mit Balbo, Bianchi, De Bono und De Vecchi — Punkt für Punkt den Marsch auf Rom aus, infolge dessen wenige Wochen später seine Regierung gebildet wurde und zwanzig Jahre lang Regime blieb.
All das war in jenen Stunden vor dem Morgengrauen des 17. Oktobers 1922 noch bloße Virtualität von Ereignissen, die auch gar nicht hätten geschehen müssen, beispielsweise wenn der schlaflose Mann in jenem Haus inmitten der Lavafelder Papiere und Apparate zerstört hätte und nach Caltanisetta abgereist wäre, wie es einige Monate zuvor noch seine Absicht war, die er dann plötzlich aufgegeben hatte. Oder wenn am darauffolgenden 27. Oktober der König die Empfehlung des Ministerpräsidenten Luigi Facta aufgegriffen hätte, nämlich den Belagerungszustand auszurufen und mit militärischen Mitteln auf den Marsch der Faschisten auf Rom zu reagieren.
Auf der Grundlage des Wenn/Falls der jeweiligen Wahlmöglichkeiten sind die individuellen wie die kollektiven Ereignisse zu beurteilen: Was geschehen ist, hätte genauso gut auch nicht geschehen können.
Aber der König verwarf Factas Vorschlag. Und der Mann in dem Haus bei den Lavafeldern brach nicht nach Caltanisetta auf, sondern tappte in jener Nacht weiter schlaflos zwischen Bett und Fenster hin und her.