Читать книгу Wenn nicht heute, vielleicht irgendwann - Maria Honoratus S. - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеElla
Als ich in der Stadt ankam, war ich ein Kind. Heute weiß ich das. Auch mit gerade mal 19 Jahren war noch viel Kindliches in mir, was ich mir damals natürlich niemals eingestanden hätte.
Es war wirklich der sogenannte Sprung ist kalte Wasser. Dieses Wasser nicht unbedingt besonders kalt. Aber tief und weit. Ich schwamm mich frei.
Meine erste eigene Wohnung, weit weg von zu Hause. Genau genommen nicht nur meine Wohnung. Jede tragische Geschichte beginnt ja irgendwie auch mit einem Mann. Und den gab es damals auch. Zu zweit in einer 32qm großen Wohnung. Es dauerte nicht lange - eine kurze und wenig romantische Geschichte. Mein Partner und später Gegner- damals 10 Jahre älter als ich- und im Dienst des Staates. Was ich heute denke? Mit meinen 19 Jahren habe ich mich gut behaupten können. Als du mir unter Anwesenheit eines doch sehr fragwürdigen Zeugen erklärtest, dass ich die gemeinsame Wohnung innerhalb von zwei Wochen zu verlassen hätte, bin ich damals natürlich hoch gegangen. Was hast du gedacht, dass DU MICH damit halten oder aufhalten kannst. Für mich war das eine Kriegserklärung und deinen Krieg hast du bekommen.
Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich ein Lächeln auf den Lippen. Ein Lächeln darüber, was mich damals hat aus der Fassung bringen können. Und auch ein Lächeln darüber, dass Menschen so dumm sind, in entscheidenden Situationen immer genau das Falsche zu tun. Genau das, was dann das Gegenteil von dem, was sie eigentlich beabsichtigt haben, zur Folge hat.
Und dennoch taten sich nach unserer Trennung Abgründe auf, aber keine Angst, nicht wegen dir. Ich hatte noch oft Heimweh und keinen Halt. Mit 17 Jahren findet man nicht unbedingt Sicherheit in sich selbst. Die nächste katastrophale Beziehung hatte begonnen, ich musste auch nicht groß umziehen, lediglich ein Stockwerk höher, im selben Haus. Sehr praktisch. Immerhin diesmal kein charakterschwaches Arschloch aber doch auch ein Mann, der nicht ganz unkompliziert war.
Damals habe ich alle zwischenmenschlichen und zwischengegenständlichen Sorgen einfach mit Betäubungsmitteln betäubt, so gut es eben ging. Und es ging verdammt gut. Ich war entspannter, konnte schlafen. Oder halbschlafen. Irgendwo dazwischen, zwischen Schlaf und Halbschlaf eine ganze Nacht lang mit der U-Bahn durch die ganze Stadt fahren, weil ich in meinem dämmrigen Zustand immer wieder die falsche Bahn genommen habe. Im Supermarkt meinen Einkaufswagen nicht mehr gefunden und gefühlte zehn mal einen neuen besorgt. Das kann einen schon beunruhigen, wenn einem immer wieder der Einkaufswagen gestohlen wird. Man fragt sich, was dahinter steckt. Versteckte Kamera? Irgendein psychologischer Trick von Sektenmitgliedern, die dich wahnsinnig machen wollen um dich anschließend bei sich eingliedern zu können? Im Praktikum in einem Wohnheim für mehrfach schwerstbehinderte Menschen von einem in ganz Deutschland vertretenen und bekannten Träger während der Dienstzeit konsumieren. Gemeinsam mit der diensthabenden Mitarbeiterin. Das war die Realität und ist es wahrscheinlich immer noch.
Was mir bis dahin nicht egal war, wurde es. Bis es mir nicht mehr gut tat. Wer an diesem Punkt weiter macht, ist wahrscheinlich verloren. Ich hatte in dieser Zeit, in der ich im wahrsten Sinne des Wortes, betäubt, war, eine gewisse Hemmschwelle über-oder unterschritten. Mir war einfach alles egal. Und so habe ich mich benommen. Ich ließ mich auf Konfrontationen ein, denen ich nicht gewachsen war. Mehr als einmal habe ich mehr als Glück gehabt.
Und dann habe ich mich entschieden. Entschieden, meinem Leben eine andere Richtung zu geben. Entschieden, zu leben. Mit allen Ängsten und Hindernissen. Vor allem den mit den Ängsten. Ohne Betäubung. Das hatte ich ja auch zuvor getan.
Ein Abschnitt endete und einige Freunde und Bekannte verabschiedeten sich gleich mit, es war nicht mehr das Selbe. Dies traf mich nicht, denn mir war immer bewusst, dass wir nicht mehr waren als eine Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Interesse. Heute frage ich mich manchmal, was aus einigen von euch geworden ist. Für mich ist alles gut ausgegangen. Ich bin in der Stadt erwachsen geworden. Das habe ich schon so oft gesagt, dass ich es selbst es schon nicht mehr hören kann. Hier bin ich zu Hause. Werde es immer sein. Immer sage ich mir: Nein, nicht die Stadt- die Menschen, die ich hier traf. Aber es ist beides. Ich habe dort die besten Freunde der Welt gefunden aber auch ein Lebensgefühl, dass ich nirgendwo anders mehr finden kann. Immer und überall Menschen, Autos, Geräusche. Mittendrin und doch draußen, beobachten, es gibt immer was zu sehen. Sich-in-der-Masse-verlieren. Es gibt Menschen, die trauern einer verlorenen Liebe hinterher. Meine große Liebe ist diese große, schmutzige, laute, hektische Stadt-- in der Alles möglich ist.