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Wie mache ich mich für Arbeitgeber uninteressant?

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Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, was unsere Hartzer so von sich geben, wenn sie sich für einen Job vorstellen müssen, obwohl sie gar nicht interessiert sind? Zum einen gibt es die Gattung zu krank zum Arbeiten. Zum anderen die Gattung zu gut gebildet und dann haben wir noch eine dritte, die unbedingt von den sozialen Leistungen weg möchte. Jedenfalls wird dies in den Vorstellungsgesprächen gesagt. Nur ist auch hier meist das Gegenteil gegeben.


1. Gattung: Zu krank zum Arbeiten

Ich bewerbe mich als Zusteller, betone jedoch, dass ich unter Rückenproblemen leide und einen 10-Kilo-Schein habe. Gegenstände dürfen nicht schwerer sein, Auto fahren ist auch so eine Sache wegen der Sitzhaltung.


2. Gattung: Zu gut gebildet

Ich bewerbe mich für eine einfache Sachbearbeiterstelle. Ich hebe natürlich hervor was ich alles gelernt habe, und da schon ein Mindestgehalt von 20,- € die Stunde gegeben sein muss — bin aber Hartz-IV-Empfänger. So gut kann die Bildung dann auch nicht sein.


3. Gattung: Ich möchte unbedingt wieder arbeiten

Ich bewerbe mich auf eine Stelle bzw. muss mich dort vorstellen und erzähle und erzähle, wie gerne ich doch von den sozialen Leistungen weg möchte, unbedingt, und wie sehr ich mich freuen würde, wenn ich die Stelle erhielte. Bekommt man die Zusage, taucht auf einmal die kranke Schwiegermutter auf, das schulpflichtige Kind, das verunglückte Kind oder auch die verschollene Tante aus Amerika und nicht zu vergessen die schwangere Ehefrau. Auch mir war zuvor nicht bekannt, dass eine Schwangerschaft ähnlich einer Krankheit ist, aber es scheint irgendwie so zu sein.


Zur dritten Gattung habe ich ein paar anschauliche Beispiele:


Das schulpflichtige Kind

Den ganzen Vormittag kann Frau M. arbeiten, möchte nur gegen Mittag freihaben, da sie alleinerziehend ist und eine 13-jährige Tochter hat. Abgesehen davon, dass eine 13-Jährige i. d. R. nach dem Mittag lieber mit Freunden zusammen ist, als mit den Eltern, bringe ich ja noch Verständnis dafür auf, Zeit mit seinen Kindern verbringen zu wollen, auch wenn diese bereits 13 Jahre alt sind. Die Arbeit sollte direkt vor der Haustüre sein als Zustellerin. Jedoch hat sich Frau M. nach der Probetour von ca. 2-3 Stunden nie wieder gemeldet. Sie hat den Beruf des Briefzustellers erlernt gehabt und somit wäre diese Art von Arbeit nicht neu für sie. Aber sie war ja ihrer Pflicht nachgekommen sich um Arbeit zu bemühen. Was der ARGE wirklich über sie mitgeteilt wurde, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich der Standardsatz: "Die brauchen im Moment kein Personal", oder: "Ich kann aus gesundheitlichen Gründen diesen Job nicht annehmen", etc.


Das schulpflichtige Kind, Schwiegereltern in spe und die schwangere Lebensgefährtin

Herr Schlau hat sich um eine Aushilfsstelle beworben, da die Tochter noch in den Kindergarten geht und erst in ein paar Monaten eingeschult wird. Sobald die Einschulung erfolgt ist, möchte er auf jeden Fall einer Teilzeitstelle nachgehen. Die ersten drei Wochen verliefen gut, äußerst flexibel und zuverlässig an den Tagen, an denen er zur Arbeit eingeplant war. Dann kamen die Ferien im Kindergarten, während derer eine Arbeit nur in einem noch geringeren Umfang möglich war, da die Schwiegereltern in spe zu Besuch kamen und er diese nicht wecken wollte, indem er morgens durchs Wohnzimmer muss. Nun gut, die Zeit ging dann auch vorbei. Schwiegereltern wieder abgereist, Tochter eingeschult und trotz allem war es nur möglich 1-2 Stunden am Tag zu arbeiten. Der Haushalt musste erledigt, Mittagessen gekocht und die Tochter von der Schule abgeholt werden. Auf Nachfrage, wie es denn in absehbarer Zeit mit einer Teilzeitstelle aussehen würde, kam dann lediglich, dass seine Frau das zweite Kind bekomme und dann bald zu Hause bleiben würde, sodass er sich um eine Vollzeitstelle bemühen müsse. Jedoch absolut keine Nachfrage, ob wir diese Vollzeitstelle anbieten könnten. Wir haben einige Wochen später beim Arbeitsamt ein Stellenangebot für eine Vollzeitstelle aufgegeben und staunten nicht schlecht, als uns Herr Schlau für diesen Job vorgeschlagen wurde. Wir haben ihn angesprochen und er befand sich wohl in einem Auswahlverfahren bei einem großen Unternehmen, wo er dann voraussichtlich in sechs Monaten anfangen könnte. Wir staunten nicht schlecht, dass ein Arbeitgeber eine Zusage für in sechs Monaten gibt.

Möchte unbedingt arbeiten, erhält kein grünes Licht von der ARGE

Dieser Fall ist mir besonders ans Herz gewachsen. Herr L. sollte sich auf eine bei der ARGE aufgegebene Stellenanzeige bei uns bewerben. Das hat er pflichtbewusst per E-Mail getan und darauf hingewiesen, dass er keinen PKW besitze und nur dann einen von der ARGE finanziert bekäme, sofern er einen Arbeitsvertrag vorlegen könne. Er meinte auch, dass er gut für diesen Job geeignet wäre, da er vor 25 Jahren einmal in einem ähnlichen Bereich tätig war — zwar im Innendienst, aber er hätte Vorkenntnisse und könnte sich den Beruf vorstellen. Nachdem wir den Lebenslauf gelesen hatten, stellte sich uns die Frage, warum Herr L. bisher noch nicht vermittelt werden konnte. Auf Nachfrage hin meinte er, er habe seine ganzen Zeugnisse bei einem Wohnungsbrand verloren und wäre eine Zeit lang wohnungslos und selbstständig gewesen und dies könnte manch einen potenziellen Arbeitgeber abschrecken. Nun, die Selbstständigkeit schreckt normalerweise weniger ab. Herr L. ist zu einem persönlichen Termin erschienen und machte einen sehr motivierten Eindruck. Sein nächster Termin beim ARGE-Sachbearbeiter verlief laut seinen Angaben nicht sehr erfolgreich. Er sollte keinen PKW von der ARGE finanziert bekommen, um zur Arbeit zu gelangen — er hätte diesen auch zur Ausübung der Tätigkeit benötigt. Des Weiteren meinte sein Sachbearbeiter, dass er eine Fachkraft wäre und an den Arbeitgeber kein Eingliederungszuschuss gezahlt werden könnte. So ging dann die Kommunikation zweieinhalb Monate hin und her bis es mir zu blöd wurde, denn ich hatte immer mehr das Gefühl, dass sich Herr L. gar nicht vom Hartz-IV lösen wollte. Somit haben wir ihm ein Zustellgebiet von drei Stunden im Mini-Job angeboten, mit einem festen Lohn unter Nutzung eines Firmen-Pkws. Herr L. willigte nach mehrmaligem Hinterfragen ein und hat sich seine erste Tour abgeholt. Am nächsten Tag erhielten wir mittags von ihm eine Nachricht, dass er für die Sortierung fünf Stunden benötigt habe (eine geübte Kraft benötigt hier 20-30 Minuten, Anfänger 40-60 Minuten) und für die Zustellung sechs Stunden unterwegs gewesen wäre (drei Stunden benötigt man). Die Arbeit wäre nichts für ihn und wir könnten den PKW bei ihm zu Hause abholen kommen. Wir haben ihm mitgeteilt, dass er den PKW selbst wieder zur Firma zu bringen habe, denn das sei nicht unsere Aufgabe. Kurze Zeit später haben wir eine E-Mail erhalten, dass er Schmerzen habe und Medikamente und Spritzen bekomme und deshalb keinen PKW fahren dürfe. Letztendlich haben wir den Wagen dann selbst wieder abgeholt und er hatte noch 80 % der Sendungen im Auto stehen. Da fragt man sich, was hat er in den sechs Stunden gemacht? Herr L. hat definitiv Trennungsangst von der ARGE und meine Vermutung war die ganze Zeit richtig. Wir hatten auch taggleich von der ARGE eine Genehmigung zum Eingliederungszuschuss erhalten. Ein Monat und 30 % vom Gehalt, da es sich um so eine gute Kraft handelt. Einen weiteren Kommentar verkneife ich mir an dieser Stelle.


Ein weiterer Fall des Sozialmadentums ist es, sich auf eine Stelle zu bewerben, in der Hoffnung, dass der potenzielle Arbeitgeber sich nicht meldet. Auf eine Stellenanzeige erhalten die meisten Arbeitgeber eine Menge Anrufe und schriftliche Bewerbungen, unabhängig davon, ob es sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt oder einen Mini-Job. Hier mal ein kleiner Auszug davon, was einen erwarten kann, wenn man den Bewerbungen nachgeht:


1. Schriftliche Bewerbung, Bewerber ist jedoch weder telefonisch noch per E-Mail zu erreichen.

2. Bewerber ist auf einer Rufnummer zu erreichen, hat jedoch ein kaputtes Bein, da er Diabetiker ist (hat sich aber als Zusteller beworben, obwohl er die Voraussetzungen für solch einen Job gar nicht mitbringt).

3. Frau freut sich arbeiten zu können und ihr Mann verbietet ihr nach zwei Tagen weiterzuarbeiten. Begründung: Abriss der Motoraufhängung durch Einsatz des Pkws für 2 Tage und 50 km zur Arbeit.


Sie können davon ausgehen, dass bei 20 Bewerbungen auf einen Mini-Job, im Durchschnitt höchstens 1-2 Bewerber wirklich geeignet sind der Arbeit überhaupt nachzugehen. Bei einer Vollzeitanstellung im Dienstleistungsbereich sieht es nicht besser aus. Die meisten Vermittlungsvorschläge, die man von der Arbeitsagentur oder der ARGE erhält, sind nicht zu gebrauchen.

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