Читать книгу Die Dirigentin - Maria Peters - Страница 12
Оглавление~ Frank ~
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Wie ein erschrecktes Reh schaut sie mich an. In den Händen hält sie zwei Kaffeetassen. Sie kann weder vor noch zurück. Als ich sie eben beim Mahlen des Kaffees gesehen habe, wurde mir ganz merkwürdig zumute. Sie tut mir jetzt doch irgendwie leid. Mark hatte gerade erst erzählt, dass noch jemand zum Vorspielen kommt – ich habe das zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter kommentiert. Und auch jetzt zucke ich nicht mit der Wimper.
Ich trete zur Seite und lasse sie herein. Sie geht auf Mark zu. Er sitzt hinter seinem riesigen Schreibtisch, der ganz unter Papierstapeln begraben ist. Ich lasse mich wieder auf dem Lehnstuhl nieder, auf dem ich schon den ganzen Mittag verbringe. Die Tassen klappern auf den Untertassen. Ich bin erleichtert, als Mark die Stille unterbricht.
»Dieser Haushalt ist ein einziges Chaos, darum lade ich eigentlich niemanden nach Hause ein, abgesehen von dem da«, er deutet auf mich, »aber der gehört sowieso zum Mobiliar.«
Das trifft es durchaus. Er gehört schon seit Jahren zu meinen engeren Freunden, und ich besuche ihn ziemlich häufig. Wir hatten heute Mittag einiges zu besprechen, da er mich gebeten hat, mich um einige berühmte Solisten zu kümmern, die als Gastdozenten am Konservatorium unterrichten sollen.
»Frank, das ist …«
Er weiß ihren Namen nicht.
»Willy Wolters«, sagt sie und stellt die zweite Kaffeetasse vor mir ab. Augenkontakt vermeidet sie. Damit sie mir nicht die Hand geben muss, wischt sie sich umständlich die Finger am Rock ab.
»Verschwenden wir keine Zeit.« Mark zeigt auf den großen Flügel mitten im Arbeitszimmer. Willy setzt sich auf den Hocker. Zögernd berührt sie einige Tasten, ohne jedoch zu spielen. Als würde sie mit dem Instrument erst Kontakt aufnehmen wollen.
»Spiel etwas.« Mark lehnt sich zurück und rührt in seinem Kaffee.
Sie beginnt mit einem Stück von Bach, BWV 731: Liebster Jesu, wir sind hier. Sie schlägt die Tasten ziemlich kräftig an und setzt das rechte Pedal zu häufig ein. Wir warten, denn eigentlich sollte sich jetzt beim Zuhören unser Herz öffnen. Mark unterbricht sie schon bald.
»Hör mal auf.«
Sie hört auf. Langsam gleiten ihre Finger von den Tasten.
»Schön«, sagt sie.
»Meinst du?«, fragt Mark.
»Der Flügel«, führt sie aus. »Ich übe auf einem Klavier mit Lappen auf den Saiten.«
»Wie um Himmels willen kommt man denn auf so eine Idee?«
»Weil die Nachbarn sich sonst beschweren. Aber es ist ein altes Ding. Mein Vater hat es auf dem Müll gefunden.«
Quasi gleichzeitig heben wir fragend die Augenbrauen.
»Im Müll?«, fragt Mark entsetzt.
»Mein Vater ist Müllmann.«
»Und wer hat dich unterrichtet?«, möchte Mark wissen.
»Eine Bekannte meiner Mutter.«
Ich hatte mir zwar vorgenommen, den Mund zu halten, aber jetzt beteilige ich mich doch am Gespräch.
»Und was weißt du über Bach?«
Es bringt sie kurz aus dem Konzept, dass ich etwas frage, sie schaut mich dann aber zum ersten Mal mit ihren großen braunen Augen an.
»Ich spiele nach seinen Noten, das mache ich.«
Die Antwort reicht mir nicht. »Man kann keine Noten interpretieren, wenn man den Mann dahinter nicht gründlich studiert hat«, sage ich ihr. »Weißt du denn, wer der größte Bach-Experte auf der Welt ist?«
»Woher soll sie das wissen?«, unterstützt mich Mark.
Ihre Antwort überrascht uns dann beide. »Albert Schweitzer. Er hat sich so tiefgehend mit Bach beschäftigt wie niemand zuvor«, antwortet sie, während sie aufsteht und sich vor uns stellt. Jetzt muss ich zu ihr hochschauen.
»Leider gab er eine einzigartige Karriere auf und wurde Arzt im afrikanischen Urwald«, sage ich. »Was meiner These, dass Genialität allzu häufig mit einer Geistesstörung einhergeht, neue Nahrung gibt.«
»Sie halten ihn also für gestört?«
»Nun, er versündigt sich an seiner Begabung, wenn er keinen Gebrauch davon macht.«
»Vielleicht hat er mehr Begabung als Arzt.«
Sie blickt mich herausfordernd an, und ich weiß kurz nicht, was ich sagen soll. Sie hat einen wunden Punkt getroffen. Habe ich nicht ebenfalls meine Begabung aufgegeben? Auch wenn die Gründe dafür niemand kennt? Und einem anderen Talent dafür den Vorzug gegeben? Ich entschließe mich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
»Warum spielst du so?«
»Wie, so?«
»So ohne Gefühl.«
Sie kneift ihre Augen zusammen.
»Weil ich lernen musste, dass niemand meine Gefühle braucht«, sagt sie nach einer kurzen Pause.
Mark wirft mir einen warnenden Blick zu. Hat er gemerkt, dass ihre Augen diesen wässrigen Glanz bekommen haben? Sie steht unter Druck, das ist deutlich. Sie will heute und hier etwas erreichen. Aber sie darf dann nicht gleich im ersten Gespräch über Musik kapitulieren.
»Du musst doch interpretieren, was sich hinter der Musik verbirgt, oder?«, frage ich sie.
»Interpretationen können falsch sein. Sich auf die Noten zu konzentrieren ist immer richtig«, antwortet sie.
»Das ist keine Kunst, das ist bloße Wissenschaft.«
»Bach war ein mathematischer Komponist«, kontert sie.
»Allerdings einer der wenigen, die die Sprache Gottes beherrschen«, entgegne ich.
»Nun, was Gott vorhat, das weiß niemand so genau, oder?«
Zum zweiten Mal bin ich sprachlos. Der Gedanke schießt mir durch den Kopf, dass das nicht so oft passiert. Ich blicke sie direkt an, aber sie sieht nicht weg. Ich wende als Erster den Blick ab und schaue zu Mark, der mich rettet.
»Deine Technik ist schrecklich. Da hilft es auch nicht, so häufig das Fortepedal zu benutzen. Schlag dir das Konservatorium aus dem Kopf. Du hast keine Chance.«
Eine Falte bildet sich auf ihrer Stirn. Dann macht sie einen Schritt auf Mark zu und nimmt all ihren Mut zusammen:
»Können Sie mich unterrichten? Ich werde hart arbeiten. Ich werde alles tun, damit ich besser werde.«
Mark steht auf. »Wenn ich dir einen Rat geben darf: Heirate und schau, dass du ein paar Kinder bekommst.«
»Wie Ihre Frau.«
»Genau.«
Sie schaut von Mark zu mir und dann wieder zu ihm. Schließlich macht sie einen angedeuteten Knicks, voller beißender Ironie.
»Ich hoffe, der Kaffee war zumindest recht.«
Erhobenen Hauptes geht sie zur Tür hinaus.
Mark blickt mich kopfschüttelnd an. »Merkwürdige Person.«
»So schlecht war sie gar nicht«, sage ich.
»Aber sie ist eine Frau«, entgegnet er mir.
Ich nicke. »Sogar eine sehr hübsche Frau.«