Читать книгу HypnoBirthing. Der natürliche Weg zu einer sicheren, sanften und leichten Geburt - Marie F Mongan - Страница 11
ОглавлениеDie Geburt der natürlichen Geburt
Wir wollen nicht nur einen angenehmen Geburtsverlauf erreichen, ohne Risiken für Mutter und Kind; wir müssen noch weiter gehen. Wir müssen begreifen, dass die Geburt eines Kindes nicht nur eine körperliche, sondern ganz grundlegend eine ebenso spirituelle Leistung ist…. Die Geburt eines Kindes ist die unübertreffbare Vollendung menschlicher Liebe.
Dr. Grantly Dick-Read, 1953
Die Philosophie hinter HypnoBirthing hängt eng mit der Art zusammen, wie die Menschen des Altertums die Geburt sahen: als ein Fest des Lebens. Seine praktischen Ursprünge hingegen basieren auf dem Werk moderner Wissenschaftler, vor allem auf den Theorien des englischen Frauenarztes Dr. Grantly Dick-Read, der am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in der Geburtshilfe tätig war.
Des eigentlichen Wesens einer Geburt wurde sich Dr. Dick-Read zum ersten Mal 1913 in einer armseligen und heruntergekommenen Gegend Londons bewusst. Damals arbeitete er als junger Assistenzarzt in White Chapel, mitten in den Elendsvierteln des Londoner East Ends, und wurde gerufen, um einer Frau Geburtshilfe zu leisten. Nachdem er sich mit seinem Fahrrad durch Matsch und Regen gekämpft hatte, erreichte er gegen drei Uhr morgens eine niedrige, armselige Behausung an den Mauerbögen einer Eisenbahnüberführung. Er gelangte in eine kleine Wohnung, wo seine Patientin in einer halbdunklen Kammer lag, nass vom Regen, der unablässig durch das undichte Dach drang. Die Frau war nur mit Säcken und einem alten schwarzen Rock zugedeckt. Als er sie bat, ihr die Maske aufsetzen und Chloroform verabreichen zu dürfen, erhielt Dick-Read zum ersten Mal eine klare Ablehnung. Er packte Chloroform und Maske wieder ein, zog sich zurück und beobachtete, wie die Frau mit kaum mehr als sanftem Atmen ihr Kind zur Welt brachte. Das Kind wurde ohne großes Aufheben oder einen Laut von der Mutter geboren. Als er sich wieder auf den Weg machte, fragte Dick-Read die Frau, warum sie es abgelehnt habe, ihre Schmerzen lindern zu lassen. Ihre Antwort sollte ihm für immer im Gedächtnis bleiben: „Es tat nicht weh. Das sollte es doch auch gar nicht, nicht wahr, Herr Doktor?“ Diese ehrliche Antwort in tiefstem Cockney-Akzent sollte jahrzehntelang entscheidenden Einfluss auf Geburten bekommen.
Als Dick-Read am Morgen zum Krankenhaus zurückkehrte, teilte ihm die Schwester mit, es sei so weit eine langweilige Nacht gewesen, aber vielleicht würde es ja bald interessanter, da die Frau in Zimmer 308 vielleicht Probleme bekäme. Er hatte so etwas schon öfter gehört, doch jetzt konnte er es nicht mehr einfach übergehen. Eine Geburt war langweilig, wenn keine Probleme auftraten?
Die folgenden Monate verbrachte er Nacht für Nacht in seinem Londoner Krankenhaus an den Betten gebildeter und wohlhabender Frauen. Er erlebte ihr unerträgliches Leiden und das Entsetzen, das sie durchlitten. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu der Frau in ihrer armseligen Behausung unter der Eisenbahnüberführung. Im Geiste verglich er seine gegenwärtigen Patientinnen mit dieser ruhigen und entspannten Frau, die ihr Kind ohne Schwierigkeiten gebären konnte, und er fragte sich „Warum nur?“
Als Dick-Read später im Ersten Weltkrieg diente, erlebte er ähnliche Dinge wie damals in White Chapel. Auf einem Schlachtfeld kam eine Frau kurz vor der Niederkunft zu einem der Schützengräben und verlangte nach dem Militärarzt. Man verwies sie an Grantly Dick-Read und half ihr in den Graben hinunter. Sie schien Dick-Read weitgehend zu ignorieren und brachte ihr Kind ganz leicht und offensichtlich ohne Beschwerden zur Welt, genau wie die Frau an jenem Abend in London. Die Frau im Schützengraben schien den Krieg, der um sie herum wütete, überhaupt nicht wahrzunehmen. Als sie ihr Baby zur Welt gebracht hatte, wickelte sie es ein, kletterte mit etwas Hilfe aus dem Schützengraben und machte sich über das Schlachtfeld auf den Rückweg.
Bei einer anderen Gelegenheit traf Dick-Read auf eine Frau, die gegen eine Böschung gelehnt ihr Kind bekam. Das Baby kam ganz leicht. Er beobachtete, wie sie ein wenig abwartete und das Baby in den Armen hielt. Er konnte erkennen, wie die Nabelschnur immer dünner wurde. Als sie ihre Aufgabe erledigt hatte, machte die Frau sich mit dem Neugeborenen im Arm auf den Weg zurück in ihr Dorf. Wieder war Grantly Dick-Read Zeuge einer ganz normalen Geburt geworden, deren Verlauf völlig in Ordnung gewesen war.
Aufgrund dieser Erlebnisse begann Dick-Read seinen Glauben an das, was man ihm über Geburten beigebracht hatte, in Frage zu stellen. Er zerbrach sich den Kopf darüber, was es diesen einfachen Frauen ermöglichte, ihre Kinder ohne die Dramen zur Welt zu bringen, die er gewöhnlich bei Frauen aus höheren Schichten erlebte. Mit der Zeit wurde ihm klar, dass es nicht so sehr etwas war, was sie hatten, als vielmehr etwas, was sie nicht hatten, nämlich Angst.
Nach diesen Erfahrungen begann er jahrelange Studien, aufgrund deren er seine Theorie aufstellte, dass, wo keine Angst ist, auch kein Schmerz sei. Angst verursacht das Zusammenziehen und Verkrampfen der Arterien, die zur Gebärmutter führen. Diese Verkrampfung erzeugt Schmerz. Wird keine Angst empfunden, entspannen sich die Muskeln und geben nach. Der Gebärmutterhals kann sich ganz natürlich verkürzen, der Muttermund öffnet sich und der Körper pulsiert rhythmisch, um das Baby mit Leichtigkeit hinauszuschieben.
In den 20er Jahren legte Dick-Read einen Artikel vor, der eine Antwort auf die Frage „Was stimmt mit den Geburten nicht?“ gab. Er nannte seine Theorie das „Angst-Verkrampfungs-Schmerz-Syndrom“. Seine Grundannahme war, dass Angst die Verkrampfung im Körper und insbesondere in der Gebärmutter verursacht und dass diese Verkrampfung den natürlichen Geburtsvorgang behindert, die Geburt verlangsamt und Schmerzen verursacht. Seine Kollegen hielten seinen Ansatz, eine Geburt könne durchaus schmerzfrei verlaufen, für verrückt und niemand hörte ihm zu. Erst als 1933 sein Buch Natural Childbirth veröffentlicht wurde, erfuhr seine Theorie mehr Aufmerksamkeit. In diesem Buch führte er seine Gedanken weiter aus und legte dar, dass der Körper perfekt ausgestattet ist, um Beschwerden während einer Geburt zu minimieren. Seine Kollegen, gewohnt, ihre „Entbindungen“ mit Hilfe von Betäubungsmitteln und Zange „durchzuführen“, stellten sich jedoch nach wie vor taub. Die Theorie, dass unser Körper im angstfreien und unverkrampften Zustand ein natürliches Mittel zur Entspannung freisetzt und so eine leichte und angenehme Geburt möglich wird, war einfach zu radikal für die damalige Zeit.
Endorphine – die natürlichen Schmerzmittel des Körpers
Dick-Read war seiner Zeit um mehr als ein halbes Jahrhundert voraus. Er konnte zwar seiner Entdeckung noch keinen Namen geben, aber er wusste aus Erfahrung, dass bei Müttern, die nicht durch Angst blockiert werden, etwas Wunderbares geschieht: Der Körper füllt sich mit seinem eigenen natürlichen Entspannungsmittel und die Geburt wird deutlich erleichtert.
Schon seit Langem suchten Wissenschaftler nach Alternativen zu schmerzstillenden Medikamenten, aber erst Mitte der 70er Jahre fand man heraus, dass der Körper selbst über schmerzstillende Mittel verfügt. Amerikanische Forscher entdeckten während ihrer Studien zur Wirkung von Opiaten auf den Körper, dass die Feuerungsrate der Neuronen sinkt, wenn sich Opiatmoleküle an bestimmte Rezeptorflächen der Neuronen im zentralen Nervensystem anschließen. Wurde die Feuerungsrate der Neuronen reduziert, sank auch gleichzeitig das Schmerzempfinden. Diese Senkung konnte bereits durch einen Ruhezustand bewirkt werden.
Vor diesem Hintergrund dauerte es nicht mehr lange, bis es Wissenschaftlern gelang, Endorphine zu isolieren. Endorphine sind Neuropeptide im Gehirn und in der Hirnanhangsdrüse, deren Wirkung 200-mal stärker als die von Morphium ist und die einen ruhigen, erinnerungslosen Zustand hervorrufen. Diese Entdeckung bestätigte Dick-Reads Vermutungen.
Während einer Geburt stellt sich bei allen Säugetieren zum Ende der Eröffnungsphase dieser amnestische Zustand von selbst ein. Die gefürchtete Phase des so genannten „Übergangs“ verschwindet automatisch, sobald die Mutter in einen entspannten Zustand gleitet und sich ganz nach innen zu ihrem Kind und in ihren gebärenden Körper zurückzieht. In diesem Moment lässt sie die ganze äußere Welt hinter sich, verbindet sich mit ihrem Kind und gemeinsam vollbringen sie die Geburt.
Mitte der 50er Jahre erschien in den USA die zweite Auflage von Dick-Reads Buch Revelations on Childbirth unter dem Titel Childbirth Without Fear3 Für diejenigen unter uns, die nicht an die allgemein verbreitete Ansicht glaubten, dass eine Geburt grundsätzlich etwas Schreckliches sein musste, wurde er unser Held. Wir hörten ihm zu, und viele Frauen in meiner Generation erlebten ganz wundervolle Geburten.
Was Dick-Read lehrte, wurde zur Grundlage zweier wichtiger Geburtsmethoden des 20. Jahrhunderts: die Lamaze-Methode und die Partnerbetreute Geburt, heute eher unter dem Namen Bradley-Methode bekannt. Die Lamaze-Methode ermöglichte es Frauen mehr als ein Jahrzehnt lang, ihre Kinder schmerzfrei auf die Welt zu bringen. Leider wurden die Kursinhalte von medizinischen Institutionen vereinnahmt und Lamazes Philosophie wurde untergraben. Viele Kursleiter vermengten die ursprünglichen Inhalte mit ihren eigenen Vorstellungen oder mit den Ideen der Einrichtung, für die sie arbeiteten, und irgendwann wurde der Name Lamaze durch „Vorbereitete Geburt“ ersetzt. In den letzten Jahren ist das Programm jedoch von einer Rückbesinnung auf die ursprünglichen Absichten seines Begründers Ferdinand Lamaze gekennzeichnet.
1989 wurde HypnoBirthing erstmals als Geburtsmethode vorgestellt. Es bedeutet eine Rückkehr zu der Vorstellung, dass es jeder Frau möglich ist, mit Hilfe ihres Mutterinstinkts ihre Kinder angenehm und mit Freude zur Welt zu bringen, so wie es der Natur am meisten entspricht.
Meine Theorien beruhen auf Beobachtungen, die ich nicht im Labor, sondern an den Betten von gebärenden Müttern gemacht habe.
Dr. Grantly Dick-Read
3Die deutsche Ausgabe des Buches erschien unter dem Titel Mutterwerden ohne Schmerz bei Hoffmann und Campe. [Anm. d. Ü.]