Читать книгу Und so was nennt ihr Liebe - Marie Louise Fischer - Страница 6
2.
ОглавлениеMartina verließ am Mittwochabend kurz vor acht Uhr das Haus, angeblich, um in den Jugendklub zu gehen, tatsächlich aber hatte sie etwas ganz anderes vor. Sie war mit einem jungen Mann verabredet, den sie in der vorigen Woche kennengelernt hatte. Schon seit Tagen hatte sie dem Wiedersehen mit diesem augenblicklichen Schwarm entgegengezittert.
James Mann verdiente sich sein Geld als Autoverkäufer in einem erstklassigen Salon in der Graf-Adolf-Straße, ein Job, dessen zusätzlicher Reiz darin bestand, daß er Gelegenheit bot, mit den schicksten Wagen, ob nun günstig erstanden oder nur entliehen, durch die Gegend zu brausen. Aber nicht das allein war es, was Martina an ihm faszinierte, sondern sein ganzes Auftreten, seine selbstsichere überlegene Art, ganz abgesehen davon, daß er bereits achtundzwanzig Jahre alt war, ein wirklicher Mann, kein grüner Junge mehr, eine Eroberung, wie sie keine ihrer Freundinnen und Klassenkameradinnen aufweisen konnte.
Senta Heinze hatte sie zwar gewarnt: »Der ist viel zu alt für dich, und außerdem, er wirkt doch irgendwie schmierig, merkst du das denn nicht?«
Aber Martina hatte sich nicht beeinflussen lassen. »Aus dir spricht der blanke Neid«, hatte sie erwidert, »mir gefällt James, und ich werde ihn mir anbändigen, auch wenn du platzest.«
Er hatte sie gleich am ersten Abend, als er sie in seinem amerikanischen Straßenkreuzer nach Oberkassel brachte – nur bis zum Luegplatz, denn sein Aufkreuzen in der Markgrafenstraße hätte verräterisch werden können – geküßt. Aber wie! Von einem Jungen hätte sie sich das nicht so rasch gefallen lassen, aber bei diesem Mann imponierte es ihr. Sein Tempo raubte ihr den Atem, und sie fand es sehr schmeichelhaft, daß sie es war, die ihm solche Leidenschaft entlockte.
Am liebsten hätte sie sich gleich am nächsten Tag wieder mit ihm getroffen, aber als er den Mittwoch vorschlug, hatte sie nicht gewagt, ihre Ungeduld zu verraten.
Und nun stand sie da, vor dem Opernhaus, wohin er sie bestellt hatte, und wartete, eine Palette in Grün und Orange. Sie trug einen grünen Regenmantel, orangefarbene Strümpfe und grüne Schuhe, und ihr honigblondes Haar bildete die Krönung dieser Skala. Sie hatte reichlich Make-up benutzt.
Junge Männer, die vorüberschlenderten, sprachen sie an, warfen ihr anzügliche Worte zu, pfiffen anerkennend. Das kümmerte sie nicht. Immer ungeduldiger blickte sie die Alleestraße hinauf und hinab, aber im Licht der hohen Bogenlampen waren nur noch die Fahrzeuge zu erkennen, die chromblitzend und lackglänzend die Rampe zur Rheinbrücke hinauf fuhren, die Insassen waren nicht mehr zu erkennen.
Martinas freudige Erwartung verebbte, wandelte sich in Unsicherheit und Enttäuschung. Sie war fast schon überzeugt, daß James Mann sie versetzt hatte, wehrte sich aber noch, sich diese Niederlage einzugestehen, als ein Jaguar rechts vom Opernhaus einbog. Die Türe wurde von innen aufgestoßen, und Martina lief hin – schwankend zwischen jäh aufflammender Hoffnung und der Angst, sich einem Fremden gegenüber zu sehen und unsterblich zu blamieren.
Aber es war James, der ihr die Türe aufhielt. »He, Küken!« sagte er und entblößte lächelnd seine weißen, auffallend regelmäßigen Zähne.
»Ich habe gar nicht gewußt … ich meine … voriges Mal hattest du einen anderen Wagen!«
Er wendete schwungvoll, mit großer Routine. »Kann schon sein. Du kennst ja meine Devise: lieber öfter mal was Neues.«
Auch bei Mädchen? hätte sie fast gefragt, aber sie unterdrückte diese Bemerkung, weil sie um keinen Preis kleinlich erscheinen wollte. »Wohin fahren wir?« fragte sie statt dessen.
Er stoppte, weil er warten mußte, bevor er einbiegen konnte. »Bedaure, nirgends. Mir ist was dazwischen gekommen, ich wollte dir bloß Bescheid sagen. Aber immerhin, nach Hause kann ich dich bringen.«
Daraufhin konnte sie sich nicht zurückhalten. »Du hast eine … andere Verabredung?« fragte sie und hätte sich im gleichen Augenblick wegen dieser Frage und mehr noch wegen des leichten Zitterns in ihrer Stimme selbst ohrfeigen können.
Er lachte. »Schäfchen«, sagte er gönnerhaft, »glaubst du, ich hätte schon die Nase voll von dir?«
»Das nicht, aber … ich verstehe nicht …«
»Ganz einfach. Eine berufliche Sache. Ich muß nach Hause, weil ich ein Ferngespräch aus London erwarte. Es geht um ein ganz großes Geschäft.«
Sie schluckte, ohne es zu merken, den Köder. »Aber dieses Gespräch«, sagte sie, »kann doch nicht so lange dauern.«
»Stimmt haargenau. Du bist ein kluges Kind. Die Frage ist eben nur, wann es kommt. Unter Umständen …« Er unterbrach sich, fragte, als wenn ihm das gerade erst einfiele: »Wie wäre es, wenn ich dich irgendwo absetzen würde? Vielleicht haben wir Glück, und das Gespräch kommt rasch, dann könnte ich nachher wieder zu dir kommen.«
Sie überlegte, zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Und wenn nicht?«
»Na, dann gehst du eben schön nach Hause!«
Die Autokolonne kam zum Stehen, er wollte nach rechts, in Richtung Oberkassel einbiegen, da legte sie ihm beschwörend die Hand auf den Arm.
»Halt, James, noch nicht! Einen Augenblick! Wäre es nicht viel praktischer, wenn ich mit zu dir käme!?«
Er schaute sie unter seinen langen, dichten Wimpern hervor von der Seite an, der Blick seiner dunkelblauen Augen war ausdruckslos. »Praktischer schon«, sagte er gleichgültig, »ich hätte dir selber schon den Vorschlag gemacht …«
»Warum hast du es dann nicht getan?«
Er zuckte die Achseln, betätigte den linken Blinker. »Ich dachte, du wärst von der altmodischen Art, könntest es falsch auffassen.«
»Ich bin doch nicht blöd.«
»Das merke ich!« Er gab Gas, es gelang ihm gerade noch im letzten Moment die Alleestraße zu überqueren, er bog nach links ein, sie fuhren in Richtung auf die Innenstadt …
James Mann wohnte im siebten Stock eines großen, modernen Appartementhauses am Brehmplatz. Sie fuhren im Lift nach oben, er schloß die Türe auf, während Martina hinter ihm wartete. »Ich darf doch vorgehen«, sagte er, half ihr aus dem Mantel, ging weiter in den sehr großen Hauptraum, knipste die Stehlampe und die Schreibtischlampe an.
Sie blieb beeindruckt auf der Schwelle stehen. »Das ist ja eine Wucht!«
Das Zimmer war äußerst komfortabel eingerichtet. Eine richtige Junggesellenwohnung mit einer riesigen Couch, die mit Bergen von bunten Seidenkissen bedeckt war, mit modernen schwarzen Ledersesseln, einem langen gläsernen Tisch, einem einzigen überdimensionalen, abstrakten und sehr farbenfreudigen Gemälde an der Wand.
»Freut mich, daß es dir gefällt«, sagte er.
»Gefallen ist gar kein Ausdruck.«
»Mach’s dir bequem.« Er stellte den Plattenspieler an, und Sekunden später rieselte aus der Stereoanlage der seidenweiche Sound der Ray Anderson Band auf Martina herab.
Sie kuschelte sich in einen der Sessel, zog die Beine an. Sie wirkte sehr süß in dem ärmellosen sonnengelben Tangentenkleid, das unter dem Regenmantel zum Vorschein gekommen war. Aber er schien es nicht zu bemerken. Sein dunkles Gesicht zeigte einen abwesenden und verschlossenen Ausdruck. Er mischte an der Hausbar einen Whisky mit Eis und viel Wasser für sie, einen Whisky pur für sich selber.
»Einen Long Drink für dich«, sagte er, als er das Glas vor sie hinstellte, »du kannst ihn ruhig trinken, ich habe ihn ganz dünn gemacht.«
»Hältst du mich für ein Baby?«
Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an. »Eigentlich nicht.« Er wandte sich ab. »Entschuldige, wenn ich mich einen Augenblick mit meinem Papierkram befasse.« Er nahm einen Aktenhefter vom Schreibtisch, streckte sich auf der Couch aus, viele Kissen im Rücken, die Beine halb angezogen, das Whiskyglas griffbereit neben sich auf dem Tisch.
Er sprach kein einziges Wort mit ihr, ließ die Atmosphäre des Zimmers, den Alkohol, die stimulierende Musik und Martinas eigene Ungeduld wirken. Es dauerte gut zehn Minuten, dann hielt sie es nicht mehr aus.
»James …?«
»Hm …«, murmelte er.
»James, bitte, mußt du denn unbedingt dieses blöde Zeug jetzt lesen?« Sie stand auf, setzte sich, ihr Glas in der Hand, neben ihn auf die Couch.
»Was soll ich denn sonst tun?«
»Mit mir sprechen.«
Er ließ den Hefter sinken, sah sie an. »Fällt dir nichts Besseres ein?«
Sie errötete unter seinem Blick. »Nein, was denn?«
»Nun, zum Beispiel …« Er legte den Hefter neben sich auf den Boden, nahm ihr das Glas aus der Hand, stellte es auf den Tisch. »Du hast mir heute noch gar keinen Kuß gegeben. War das Absicht?«
»Aber nein … ich …«
Er zog sie an sich, so daß sie fast auf ihm lag. Er küßte sie berechnend, beobachtete unter den dichten Wimpern hervor, wie sie die Augen schloß. Seine Hand tastete zu ihrem Rücken, zog an dem langen Reißverschluß ihres sonnengelben Kleides.
Sie stemmte ihre Hände gegen seine Brust, bog ihr Gesicht zur Seite. »Nein … bitte, nein!«
»Also doch altmodisch?«
»James, bitte, ich …«, stammelte sie.
»Nun behaupte bloß, daß ich der erste bin«, sagte er verächtlich.
»Das ist doch schließlich keine Schande!«
»Das nicht gerade, aber reichlich unbequem. Barer Unsinn. Wie alt bist du?«
»Sechzehn«, murmelte sie verwirrt.
»Dann wird’s aber Zeit für dich, das rate ich dir im guten. Wenn du jetzt niemanden findest, der sich deiner annimmt, hast du den Anschluß verpaßt.«
»Das glaube ich nicht!« begehrte sie auf.
»Warum auch. Denk, was du willst. Ich habe es nur gut mit dir gemeint, später einmal wirst du das schon einsehen. Aber wer nicht will, der hat schon gehabt. Aber dann laß mich auch in Ruhe und setz dich schön wieder auf dein Plätzchen. Für Teenagerspielereien bin ich nicht mehr jung genug.«
Sie richtete sich auf, ihre blonden Haare waren zerzaust, ihre Wangen glühten. »Bist du jetzt böse?« fragte sie zaghaft.
»Woher denn. Ich hätte wissen sollen, daß du in der Beziehung etwas zurückgeblieben bist. Ich hätte mich gar nicht erst mit dir einlassen sollen. Aber du gefielst mir eben.«
»Soll das heißen, es ist aus zwischen uns?«
»Was erwartest du denn? Bildest du dir ein, ein Mann wie ich könnte sich mit Händchenhalten und Wange-an-Wange-Tanzen begnügen? Das kann doch nicht dein Ernst sein. Tut mir leid, daß ich dich jetzt nicht nach Hause bringen kann, du weißt doch …«
Sie sah all ihre Felle davonschwimmen, die Knie wurden ihr weich. »Oh, James«, flüsterte sie, »begreifst du denn nicht? Ich … ich will ja. Aber ich habe Angst …«