Читать книгу Kinderstation - Marie Louise Fischer - Страница 7
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ОглавлениеMarina tat ihre Arbeit wie bisher. Niemand sprach mit ihr über das, was vor ein paar Wochen geschehen war.
Auch Dr. Kurt Eichner, der Oberarzt, sagte nichts. Nur seinem Chefarzt Dr. Vogel gegenüber leistete er sich hin und wieder ein mokantes Lächeln …
Arno Vogel übersah es.
Drei Wochen nach der Verurteilung Marinas erschien eine aufgeregte Mutter in der Klinik. Sie hatte ihren kleinen kranken Jungen Hans mitgebracht. Nach einem flüchtigen Blick auf den Patienten rief der diensthabende Arzt Dr. Schmittchen den Chefarzt herbei. Dr. Vogel kam sofort in das Aufnahmezimmer.
Das Bild, das sich ihm bot, war erschreckend. Der kleine Junge, der auf dem Bett lag, rang nach Luft. Sein Brustkorb war unnatürlich erweitert, seine Haut blau verfärbt.
Seine angsterfüllten Blicke wanderten zwischen den beiden Ärzten hin und her. Die Mutter, Frau Heiberg, stand Arno Vogel gegenüber. »Muß er sterben?« fragte sie schluchzend. »Muß er sterben? Bitte, Herr Doktor, sagen Sie mir die Wahrheit. Muß er sterben?«
Dr. Vogel lächelte ihr beruhigend zu. »Aber, Frau Heiberg, nun lassen Sie mich doch erst mal Ihren Jungen untersuchen. Wir werden dann schon sehen, wie wir ihm helfen können.«
Die Aufnahmeschwester reichte dem Chefarzt die Karteikarte des neuen Patienten. Dr. Vogel warf einen Blick darauf und wandte sich dann wieder an die Mutter: »Er ist vier Jahre alt, nicht wahr?«
»Ja, im Juni ist er vier geworden.«
»Was für Krankheiten hat er gehabt?«
»Gar keine, das ist es ja, Herr Doktor. Er ist immer gesund gewesen, und jetzt dieses Unglück …«
Dr. Vogel begann, das kranke Kind behutsam zu untersuchen. Dabei sprach er mit der Mutter weiter. »Hat er denn noch gar keine Kinderkrankheiten gehabt?«
Frau Heiberg hob das tränenüberströmte Gesicht. »Kinderkrankheiten?« fragte sie erstaunt. »Ja, natürlich hat er Kinderkrankheiten gehabt. Masern und Windpocken und so was. Und dann ist er wegen eines Leistenbruchs operiert worden. Aber das hat doch mit diesem Anfall nichts zu tun, Herr Doktor.«
Arno Vogel antwortete nicht.
Nachdem er die Untersuchung beendet hatte, richtete er sich auf und wandte sich an die Schwester. »Bitte, Schwester, schreiben Sie mal: Der Klopfschall der Lunge ist hypersonor. Man hört über beide Lungen im verlängerten Exspirium Pfeifen. Die Herzaktion ist stark beschleunigt. Puls gut gefüllt. Status asthmaticum.«
Die Schwester machte routiniert ihre Notizen. Dabei sagte sie: »Fieber habe ich schon gemessen, Herr Doktor.«
»Na und?«
»Die Temperatur ist nicht erhöht.«
Dr. Arno Vogel wandte sich wieder an die Mutter: »Sagen Sie, Frau Heiberg, seit wann ist Hans denn eigentlich krank? Ich meine, wann haben Sie zuerst etwas gemerkt?«
»Heute früh. Ich war ja so entsetzt. Gestern abend war er noch ganz in Ordnung, gesund und munter, aber dann plötzlich, heute früh …«
»Um wieviel Uhr war es?«
»Ja, als ich zu ihm ins Zimmer kam, da atmete er schon so komisch. Wie spät es da war, ja, das muß sieben Uhr gewesen sein. Aber so schlimm wie jetzt war es nicht. Ich dachte bestimmt, es würde von selbst vorbeigehen, sonst hätte ich doch sofort den Arzt geholt.«
»Und wann haben Sie also einen Arzt gerufen?«
»Kurz vor zwölf. Und Doktor Meier, das ist unser Hausarzt, kam sofort, obwohl er eigentlich Sprechstunde hatte, und dann hat er gleich die Einweisung in Ihre Klinik angeordnet, und da habe ich richtig gemerkt … Bitte, Herr Doktor, er muß sterben, nicht wahr? Mein armes Hänschen muß sterben …«
Sie wollte sich über das Kind werfen.
Dr. Vogel riß sie zurück. »Nun hören Sie aber auf«, sagte er unfreundlich. »Was soll denn das? Seien Sie nicht so egoistisch. Sie schaden ja Ihrem Kind durch Ihre Hysterie.«
»Hysterie!« Frau Heibergs Stimme wurde hoch und schrill. »Hysterie! Na hören Sie. Das hat mir noch niemand gesagt.«
Dr. Vogel sah sich nach dem diensthabenden Arzt um. »Wo ist denn Doktor Schmittchen?« fragte er die Schwester.
»Er ist im Nebenraum, Herr Chefarzt. Ein kleines Mädchen ist eingeliefert worden.«
»Na schön, dann mach’ ich das hier selbst. Also, liebe Frau Heiberg, gehen Sie jetzt nach Hause, kümmern Sie sich um Ihre Familie. Rufen Sie mich ruhig heute abend an, lassen Sie mich ans Telefon holen, und dann erzähle ich Ihnen genau, wie es Ihrem Jungen geht. Morgen nachmittag ist Besuchszeit, dann wird er hoffentlich das Schlimmste überstanden haben, und Sie können ihn sehen.« Er gab ihr die Hand.
»Zimmer 212 ist frei«, sagte die Schwester.
Dr. Vogel schob die zögernde Mutter sanft aus dem Raum.
Im Zimmer 212 hatte Schwester Marina schon alle Vorbereitungen getroffen. Als eine junge Schwester den Wagen mit dem Kind ins Zimmer schob, sprach Marina tröstend auf ihn ein, obwohl sie nicht sicher war, daß er sie überhaupt hörte.
Der Atem des kranken Jungen ging pfeifend.
Dr. Vogel kam ins Zimmer.
Marina legte dem Kind die Sauerstoffmaske an. Der Chefarzt stellte den Apparat ein. »Bitte, jetzt Prednison«, sagte er.
Marina reichte ihm die aufgezogene Spritze.
Die Vene in der Ellbogenbeuge war gut sichtbar. Schwester Marina hielt den Arm des Kindes fest, während der Chefarzt die Spritze mit leichtem Druck ansetzte.
Der Junge zuckte zusammen, als die Injektionsnadel die Haut berührte.
Nach der Injektion sägte Vogel den Hals einer Ampulle, die er bereitgelegt hatte, ab und zog eine zweite Spritze mit dem Inhalt auf. Es war Supracillin. Marina hatte den Oberschenkel des Jungen frei gemacht und desinfizierte.
Diesmal merkte das Kind überhaupt nicht den Einstich.
»So, das wär’s«, sagte Dr. Vogel. »Und jetzt müssen wir abwarten. Eventuell geben Sie ihm später ein Beruhigungsmittel.«
»Jawohl, Herr Chefarzt.«
»Schwester Marina, bleiben Sie vorläufig bei dem kranken Jungen. Wenn etwas Unvorhergesehenes eintritt, ich bin in meiner Sprechstunde. Und später komme ich noch mal ’rein.«
Im Hinausgehen sagte er befriedigt: »Geht ihm schon ein bißchen besser, was?«
Marina nickte. »Ja, Herr Chefarzt, die Färbung scheint zurückzugehen.«
Nachdem die Tür hinter Dr. Vogel ins Schloß gefallen war, zog sich Marina einen Stuhl dicht an das Bett und betrachtete das kranke Kind.
Ganz allmählich wurde die Atmung freier und ruhiger. Die bläuliche Gesichtsfarbe verschwand immer mehr. Bald war die Haut wieder rosig.
Ein Glücksgefühl überkam Schwester Marina. Sie empfand wieder einmal, was für einen schönen Beruf sie hatte und wieviel er ihr bedeutete.
Zwei Stunden vergingen. Marina saß immer noch auf ihrem Stuhl und hing ihren Gedanken nach. Der kleine Junge schlief. Da klopfte es an die Tür.
Marina stand auf.
Die Tür wurde geöffnet, eine kleine rundliche Frau mit verweintem Gesicht kam herein: Frau Heiberg.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie. »Ich wollte nur Hänschen etwas bringen.« Sie hatte ein Köfferchen in der Hand.
Schwester Marina begriff sofort, daß sie die Mutter des Kindes vor sich hatte. Sie legte mahnend die Finger auf die Lippen und flüsterte: »Es geht ihm schon viel besser.«
Aber Frau Heiberg kümmerte sich plötzlich nicht mehr um ihr Kind. Sie starrte fassungslos Schwester Marina an.
»Sie?« stieß sie hervor. »Was machen Sie denn hier?«
Marina sah sie fragend an: »Wie meinen Sie das?«
»Ich hab’ Sie sofort erkannt. Ihr Bild war ja in allen Zeitungen. Ich laß mir das nicht bieten! Mein armes Kind …«
Und ehe Marina es verhindern konnte, drückte die Frau ihren Daumen auf den roten Alarmknopf neben der Tür. Die andere Hand hielt sie abwehrend der Schwester entgegen, als wollte sie ein Gespenst verscheuchen.
»Aber, Frau Heiberg, was soll denn das heißen? Lassen Sie doch die Klingelei sein. Sie alarmieren ja die ganze Klinik.«
Marina versuchte, die rasende Frau an den Handgelenken zu fassen. Es gelang ihr nicht.
Die Tür wurde aufgerissen. Dr. Schmittchen stand da, an seiner Seite Oberschwester Aline. Hinter ihnen tauchten die Gesichter einiger Krankenschwestern auf.
»Was geht hier vor?« fragte die Oberschwester scharf. »Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich bin die Mutter dieses unglücklichen Kindes«, keifte Frau Heiberg. »Er ist mein einziger Junge, und er darf nicht mit dieser Person zusammen sein. Sie hat schon mal ein Kind getötet …«
Arno Vogel saß mit seinem Schwiegervater, Professor Böhninger, zusammen. Die Unterredung fand im Arbeitszimmer des Professors statt. Sie hatten schon eine Stunde miteinander gerungen und waren einander um keinen Schritt näher gekommen.
»Halsstarrig …«, sagte Böhning zu seinem Schwiegersohn.
»Verständnislos«, sagte Vogel zu seinem Schwiegervater. »Schwester Marina darf nicht entlassen werden. Es wäre ein schreiendes Unrecht. Sieh es doch endlich ein, Papa!«
Professor Böhninger hob bedauernd beide Hände. »Tut mir leid, alter Junge. Aber mir scheint, daß du nicht mehr imstande bist, die Angelegenheit ohne Vorurteil zu betrachten.«
»Ohne Vorurteil.« Arno Vogel lachte bitter. »Das wirfst du ausgerechnet mir vor. In Wirklichkeit bin ich wohl im Bereich der Universitätsklinik der einzige Mensch, der gegen Schwester Marina nicht voreingenommen ist.«
Professor Böhninger seufzte: »Mein lieber Arno, du weißt sehr gut, daß ich mich für das Verbleiben der Schwester eingesetzt hatte, obwohl die Lage … ich will mal sagen: ein bißchen delikat war. Aber jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, wo die Schwester nicht mehr tragbar ist. Die Mutter eines kranken Kindes hat beim Anblick der Schwester einen Nervenzusammenbruch bekommen. Ob Marina schuldig oder nicht schuldig ist … jedenfalls ist sie nicht mehr tragbar für die Klinik. Der Verwaltungsdirektor hat die Kündigung ausgesprochen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nichts mehr erreichen. Lauf nicht mit dem Kopf gegen die Wand, Arno. Finde dich mit den Gegebenheiten ab!«
Arno Vogel stand langsam auf und sah seinen Schwiegervater ernst an.
»Mich abfinden … gerade das werde ich nicht tun. Ich habe es nie getan.«
»Was soll das heißen?«
»Es soll heißen, daß ich die Klinik verlasse, wenn Schwester Marina hinausgedrängt wird.«
»Arno, was sagst du da? Willst du mich erpressen?« Die Augen des alten Herrn blitzten kampflustig.
»Aber, Papa, du solltest mich besser kennen. Ich danke dir herzlich und aufrichtig, daß du dich in dieser Sache so lange mit mir herumgequält hast. Die Standpunkte sind jetzt klar, und ich weiß, was ich zu tun habe.«
»Willst du tatsächlich kündigen?«
»Ja.«
»Weiß Regine schon davon?«
»Noch nicht.«
»Was soll denn aus euch werden?«
»Ich werde eine Privatpraxis aufmachen.«
Professor Böhninger trommelte mit seinen Fingern auf dem Schreibtisch, »Glaub nicht, daß das so einfach ist.«
»Nein, das glaube ich auch nicht. Aber ich werde es schaffen.«
»Vielleicht mit Schwester Marina als Sprechstundenhilfe?«
»Ja«, sagte Dr. Vogel einfach.
Böhninger sah ihn überrascht an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Ja, warum denn nicht? Papa, versteh mich doch richtig. Marina ist einem Fehlurteil zum Opfer gefallen. Ich weiß jetzt, daß Dr. Eichner und Schwester Hilde einen Meineid geschworen haben.«
»Aber, Arno, das ist ja ungeheuerlich!«
»Ja, Papa, das ist es. Ich habe mich beherrscht, solange Marina hierbleiben konnte. Aber wenn sie jetzt hinausfliegt und die Schuldigen bleiben … das geht über meine Kraft. Eichner ist auf meinen Posten scharf. Soll er ihn bekommen.«
Als Arno Vogel abends nach Hause kam, prasselte im Kamin ein gemütliches Feuer. Er bückte sich, packte mit der Feuerzange eines der Buchenscheite, das zur Seite gerutscht war, und legte es wieder in die Flammen.
Er richtete sich auf, und da sah er seine Frau Regine. Sie kam aus der Küche, ein Tablett mit Gläsern in den Händen. Die Flammen des Kamins warfen zuckende Schatten in das Zimmer.
Zärtlich betrachtete Arno Vogel ihr gebräuntes Gesicht. Sie nickte ihm zu und stellte das Tablett auf einen niedrigen Tisch in der Nähe des Kamins.
»Da bist du ja«, sagte sie. »Ich hab’ dich gar nicht kommen hören.« Sie legte ihre Hände auf seine Schultern, die weiten Ärmel ihres Hausanzuges aus stahlblauer Seide gaben ihre schlanken Arme frei. Er umfaßte ihre Hüften und wollte sie an sich ziehen.
Sie entwand sich geschmeidig seinem Griff.
»Wo ist Isa?« fragte er.
»Schon zu Bett.«
»Dann will ich noch schnell einmal zu ihr gehen.«
»Bitte nicht. Wir haben einen Stadtbummel gemacht, sie ist todmüde.«
»Na schön.« Arno Vogel ließ sich in einen Sessel sinken, streckte die Beine aus und sagte: »Eine blendende Idee von dir, den Kamin anzuzünden. Ich spüre den Herbst in allen Knochen.«
Regine stellte eine kleine Platte mit belegten Broten und Sektgläser auf den Tisch. »Einen Augenblick«, sagte sie, »ich komm’ gleich zurück.« Und dann erschien sie mit einer Sektflasche, die sie in eine Serviette gehüllt hatte. »Bitte, mach du die Flasche auf. Das fällt in dein Ressort.«
Er sah sie fragend an. »Nanu, Sekt an einem Donnerstag? Hast du einen besondern Anlaß?«
»Überhaupt nicht«, sagte sie rasch. »Warum soll man nicht einmal feiern, ohne einen Anlaß zu haben?«
Er loste den Draht vom Pfropfen. »Mach mir nichts vor. Du führst etwas im Schilde. Immer, wenn du so unschuldige Augen machst …«
Sie lachte, aber es war ein Lachen, das ihm nicht gefiel.
»Du hast ganz recht, mein Frauenkenner«, antwortete sie dann. »Tatsächlich, ich möchte, daß du heute besonders galant bist.«
Er schenkte den Sekt ein. »Bin ich das nicht immer?« fragte er.
Sie setzte sich auf einen niedrigen Hocker am Kamin, zog ihre langen, schlanken Beine an sich und rührte nachdenklich mit einem roten Quirl in ihrem Glas. Nach einer langen Pause sagte sie, schräg zu ihm aufblickend: »In der letzten Zeit habe ich mich oft gefragt, warum ich dich überhaupt geheiratet habe.«
Er setzte sein Glas hart auf den Tisch. »Regine!« sagte er betroffen.
»Ja, Arno, du bist seit einigen Wochen sehr verändert.«
»Ich hatte Sorgen …«
»Ich weiß. Aber auf die Dauer …«
»Regine, hör mich einmal an. Es wird sich verschiedenes bei uns ändern. Ich habe das Nötige in die Wege geleitet. Warte noch ein paar Tage. Dann wirst du sehen.«
»Verschiedenes ändern?« fragte sie beunruhigt. »Was heißt das?«
»Mach dir keine Sorgen. Ich erzähle es dir, sobald es soweit ist. Du wirst sehr einverstanden sein.«
»Gut.« Sie beugte sich vor, legte ihre Hand auf sein Knie und lächelte ihn an. »Ich brauche deine gute Laune, vielleicht nur für kurze Zeit, aber jetzt gleich. Es ist sehr wichtig für mich.«
Er streichelte ihre Hand. »Was hast du denn auf dem Herzen?«
Sie nahm ihr Sektglas, nippte daran und sah ihn über den Kelch hinweg an. »Du kennst doch meine Freundin Elisabeth, die den Schauspieler geheiratet hat. Nun ist das so: der Schauspieler hat einen Freund und dessen Freundin … Aber das ist ja ganz egal. Beim Zoll liegt eine Ladung wunderbarer Perserteppiche, die der Importeur nicht auslösen kann, weil er nicht flüssig ist. Und darum versucht er, sie loszuschlagen. Für ein Spottgeld. Arno, glaub mir, es ist kein Schwindel dabei. Wir kriegen ihn für weniger als die Hälfte vom Ladenpreis. Du weißt doch, wie gern ich für dieses Zimmer einen richtigen, echten Perser hätte. Und sieh dir doch unseren Teppich hier an, wie schäbig der ist, und echt war er nie. Bitte, sag nicht nein, Arno.«
Arno Vogel wischte sich mit der Hand über die Stirn und zwang sich zu einem Lächeln. »Alles in Ordnung, Liebling.«
Sie sprang auf. »Kaufen wir den Teppich?«
Er streckte die Hand aus und zog Regine zu sich heran. »Ja, Liebling, ich verspreche es dir. Nur bitte … nicht morgen. Denn morgen geht es noch nicht. Aber ich verspreche dir, der Teppich wird das erste sein, was du bekommst, sobald unsere Verhältnisse neu geregelt sind.«
Sie schmiegte sich eng an ihn, rieb ihre Wange an seinem Jackett. »Aber, Arno, dann ist vielleicht die gute Gelegenheit vorbei. Dann kriegen wir ihn vielleicht nicht mehr für die Hälfte. Und was heißt das übrigens: Wenn unsere Verhältnisse neu geregelt sind?«
»Regine, ich bitte dich, höre mich in Ruhe an. Ich habe meine Stellung in der Klinik gekündigt.«
»Gekündigt?« fragte sie verständnislos. »Was soll das heißen?«
»Ich habe in der Klinik gekündigt«, wiederholte er. »Daher habe ich Sorgen, deshalb müssen unsere Verhältnisse neu geordnet werden. Daher mußt du auf deinen Teppich ein paar Monate warten.«
Ihr Gesicht wurde blaß. »Das ist doch nicht wahr«, sagte sie leise, »du willst mich nur erschrecken.«
Er antwortete nicht, blickte sie nur an. Sie begriff, daß er die Wahrheit gesagt hatte.
»Aber warum?« fragte Regine langsam. »Warum denn nur?«
»Ich konnte es nicht mehr aushalten. Es kam eins zum anderen. Glaube nicht, daß es mir leichtgefallen ist, aber ich hatte keine Wahl mehr.«
»Und was sollen wir tun?«
»Ich mache eine Privatpraxis auf. Du wirst sehen, bald verdienen wir mehr als in der Klinik.«
Sie stand auf. »Könntest du mir nicht etwas genauer sagen, was der Grund für deinen plötzlichen Entschluß ist?« fragte sie. Ihre Stimme klang herausfordernd.
»Ich habe es dir gesagt. Ich habe die Intrigenwirtschaft satt.«
Regine nahm sich eine Zigarette und zündete sie an. Dann ging sie langsam im Zimmer hin und her. »Soll das heißen, daß du auch Schwester Marina satt hast? Oder ist es vielleicht so, daß du gehst, weil Schwester Marina gehen muß?«
»Regine!« rief er.
»Jawohl. Du bist wohl erstaunt, daß ich so gut informiert bin. Aber ohne Schwester Marina macht dir die Arbeit keinen Spaß mehr. Was wäre das für ein Leben ohne die liebe vorbestrafte Schwester Marina!«
»Regine, nimm doch Vernunft an!«
Sie blieb vor ihm stehen. »Was bedeutet demgegenüber die kleine, langweilige Ehefrau? Was kann ich dir denn sein im Vergleich zu so einem Juwel? Auf mich brauchst du doch nicht Rücksicht zu nehmen. Wir sind ja verheiratet. Aber wenn die Schwester Marina ihre Stellung verlassen muß … ja dann müssen wir natürlich unsere Verhältnisse neu ordnen. Ich muß ja froh und glücklich sein, daß Schwester Marina mir erlaubt, weiter deine Ehefrau zu bleiben.«
Er sprang auf. »Regine, du weißt nicht, was du sprichst!«
»Oder hast du deiner sauberen Schwester Marina etwa schon die Ehe versprochen? Sie ist dir doch unentbehrlich. Du liebst sie doch. Gib es doch zu, sei doch nicht so feige!«
Arno Vogel blickte schweigend seine Frau an. Dann schüttelte er den Kopf. »Soll ich dir wirklich auf diesen Haßausbruch etwas antworten?«
»Nein«, schrie sie unbeherrscht, »das ist nicht mehr nötig.«
Und dann nahm sie mit einer wilden Bewegung ihr Glas und schüttete ihm den Sekt ins Gesicht.
Weinend lief sie aus dem Zimmer.