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Kleine Fische
ОглавлениеErst als Eugen am Abend in seinem Bett lag, übermannten ihn die Tränen, er konnte sie einfach nicht länger zurückhalten.
Den ganzen Tag hatte er sich zusammengenommen, er war froh gewesen, daß sein Vater verreist war, und Fräulein Luise hatte er auf alle ihre vielen Fragen nur mit Ja oder Nein geantwortet. Er hatte sich nicht anmerken lassen, wie elend er sich fühlte. Aber jetzt, als er ganz allein in seinem dunklen Zimmer im Bett lag, fühlte er sich so unglücklich und von aller Welt verstoßen, daß er herzzerreißend schluchzen mußte. Sein Kopfkissen war schon ganz naß von Tränen, als er endlich einschlief.
Er träumte von der Schule, er träumte davon, daß die Jungen nett zu ihm waren, ihn freudig begrüßten und mit ihm spielten, lachten und tobten.
Eugen konnte ja nicht ahnen, daß mancher Junge aus seiner Klasse um dieselbe Zeit davon träumte, von einem Chauffeur in eleganter grauer Livree in einer schnittigen tomatenroten Limousine in die Schule gefahren zu werden.
Eugen glaubte, daß niemand aus seiner Klasse ihn leiden möchte, und seine Klassenkameraden glaubten, daß Eugen hochmütig und verwöhnt wäre und sich gar nicht daraus machte, mit ihnen zu spielen.
So ließen auch in den nächsten Tagen die Jungen Eugen allein auf dem Schulhof stehen, und niemand kümmerte sich um ihn. Nur Fritz, der jede Klasse zweimal mitgemacht hatte und ein großer Faulpelz und Rüpel war, konnte es sich einmal nicht verkneifen, Eugen ein Bein zu stellen.
Eugen schlug der Länge nach hin und schrammte sich sein Knie auf. Es tat mächtig weh, aber er verzog keine Miene. Als er sich wieder hochgerappelt hatte, sah er, daß eine tolle Keilerei im Gange war. Mit einem Indianergeheul hatte sich der sommersprossige Karl auf den langen Fritz gestürzt, und jetzt wälzten sich die beiden auf dem Boden. Eine Menge Schüler standen im Kreis um die Kämpfer herum und feuerten sie mit Zurufen an: „Gib’s ihm, Karl! Feste, Karl! Laß dir nichts gefallen, Fritz!“
Der Kampf endete damit, daß Karl dem Fritz auf der Brust hockte und ihm die Arme auf den Boden drückte. Fritz strampelte zwar noch wild mit den Beinen, aber das half ihm nichts, er war besiegt. Karls Kopf war so rot, daß man seine Sommersprossen fast nicht mehr sah, sein weißblondes Haar leuchtete darüber wie eine Fahne, und seine hellen blauen Augen blitzten in wildem Triumph.
„Du bist besiegt!“ schrie er.
„Laß mich los!“ jammerte Fritz.
„Sag, daß du besiegt bist!“
„Ja… laß mich los!“
„Willst du dich noch mal an ’ne halbe Portion ’ranmachen?“
„Nein!“
„Dann ist es gut“, sagte Karl und ließ Fritz los. Der sprang sofort auf die Beine und spuckte den Sand aus, den er bei der Rauferei in den Mund gekriegt hatte.
Eugen war glücklich. Es gab niemanden in der Klasse, den er so bewunderte wie Karl. Er war ein guter Schüler und der beste Turner, und wenn Karl etwas sagte, dann galt es in der Klasse. Für ihn, Eugen, hatte Karl sich eingesetzt, wenn er auch von ihm gesagt hatte, daß er eine halbe Portion wäre, er hatte doch für ihn gekämpft.
Die Schulglocke klingelte die Pause ab, und alles stürmte nach oben. Eugen drängte sich durch, so daß er neben Karl die Treppe hinauflief.
„Das hast du großartig gemacht, Karl!“ sagte er.
Karl musterte ihn mit einem kurzen Blick von der Seite. „Pah!“ sagte er. „Kleine Fische für mich!“
Wenn Eugen geglaubt hatte, daß sich von jetzt an das Benehmen der Klasse ihm gegenüber ändern würde, so hatte er sich geirrt. Er war und blieb ein Außenseiter, und niemand kümmerte sich um ihn. Langsam begann er, sich mit diesem Zustand abzufinden, was blieb ihm auch anderes übrig?