Читать книгу Wer braucht schon Zauberfarben? - Marie Lu Pera - Страница 4

Lila

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Beim Frühstück sagt mir Junus, dass Beliar zurückbeordert wurde. Der Zirkel braucht ihn angeblich dringend.

Wir sind also schon so weit, dass er sich nicht mal mehr verabschiedet. Stattdessen soll mir Junus ausrichten, er wäre in ein paar Tagen zurück. Dementsprechend deprimiert bin ich. Die Tatsache, dass mir Junus vorhin Blut für die DNS-Analyse abgezapft hat, trägt absolut nicht zur Besserung meiner Laune bei.

Beliar und ich sind im Streit auseinandergegangen. Okay, vielleicht habe ich etwas überreagiert. Es liegt auch durchaus im Bereich des Möglichen, dass ich in diese Prüfungssache mehr reininterpretiert habe, als sie tatsächlich zu bedeuten hat.

Als Junus zur Uni aufbricht, beschließe ich kurzerhand, Beliar in seiner Burg zu besuchen. Nur fürs Protokoll: Ich laufe ihm nicht hinterher – naja, ein bisschen vielleicht, aber dass ihn der Zirkel unter Druck setzt, wusste ich nicht. So gesehen, war ich minimal im Unrecht, so streng zu ihm zu sein. Ich muss das wiedergutmachen, sonst zerbreche ich mir nur noch den Schädel, bis er wieder zurück ist.

Ein Taxi bringt mich zum Waldstück, in dem sich der Steinkreis befindet. Meinem Bruder habe ich eine Nachricht am Kühlschrank hinterlassen.

Die Rune, die ich in die Luft zeichne, und der Song „We found love in a hopeless place“ von Rihanna bringen mich direkt ins Mittelalter.

Ich will hübsch für ihn aussehen, also hexe ich mir ein dunkelblaues Kleid. Das Pferd ist schnell gezaubert. Es bringt mich durch den Wald direkt zu Beliars Burg.

Von Weitem erspähe ich den Seher mit seinen Begleitern. Er scheint angeregt mit Tiberius zu diskutieren. Mich würde ja mal brennend interessieren, was sie sich zu sagen haben.

Turn the music up a little bit louder“ von Christina Aguileras Song „Just a fool“ lässt ihre Stimmen dann in meinem Kopf erklingen.

„Wo habt Ihr sie gefunden?“ Tiberius.

„Das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass die richtige Ador-Hexe nun hier ist.“ Der Seher. Was?

„Wie könnt Ihr so sicher sein, dass sie es wirklich ist?“ Tiberius.

„Sie ist die Frau aus meiner Vision.“ Der Seher.

„Was, wenn Eure Visionen lügen?“ Tiberius.

Der Seher lacht laut auf. „Alle meine Visionen werden Wirklichkeit. Das Oberhaupt des Zirkels weiß das auch. Das ist auch der Grund, weshalb er sie gerade selbst prüft.“ Mein Atem geht stoßweise. Das ist jetzt nicht wahr.

Ich unterbreche den Zauber. Schnell singe ich „How can you see into my eyes like open doors“ von Evanescences „Bring me to life“ und hoffe, dass ich unsichtbar werde.

Sicherheitshalber schleiche ich mich an den Ställen vorbei und gelange so zu dem Seiteneingang, der ins Innere der Burg führt.

Niemand scheint mich zu bemerken. Seien wir uns mal ehrlich, eine Frau mit kurzen Haaren würde hier auffallen wie ein bunter Hund.

In der großen Halle, in der ich sie vermutet hatte, ist niemand, aber ich vernehme Beliars Stimme aus dem Nebenraum. Schnell schlüpfe ich durchs Fenster, das durch einen schmalen Vorsprung mit dem nebenliegenden Raum verbunden ist und trete hinaus.

Den kurzen Weg an der Fassade entlang überwinde ich in null Komma nichts – Scheiße ist das hoch. Kuck bloß nicht runter, sage ich mir immer wieder.

Beliar sitzt am Schreibtisch – hat mir den Rücken zugewandt. Vor ihm kniet eine Frau mit rabenschwarzem Haar und gesenktem Haupt auf dem Boden. Mein Herz macht einen Satz. Ist das die Frau, die der Seher in seiner Vision gesehen hat? Er will Beliar doch nicht allen Ernstes weißmachen, das sei die Ador-Hexe?

Sie hält den Kopf so tief gesenkt, dass ich ihr Gesicht nicht erkennen kann. Ihre Mähne ist lang und kunstvoll hochgesteckt. Ich starte erneut einen Lauschangriff.

„Steh auf“, fordert Beliar. Sogleich erhebt sie sich, hält den Blick aber gen Fußboden gerichtet. Mir stockt der Atem, denn sie ist wunderschön. Das Gesicht der Frau ist blass, weist aber erstaunlich feine Züge auf. Ihr Körper ist sehr schlank und wohlproportioniert. Ich würde sagen, sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Natürlich setzt ihm der Seher diese Schönheit vor. Was für ein Schlitzohr. Ich frage mich, wo er die Hexe herhat, mit der er Beliar hier offensichtlich täuschen will.

„Wie ist dein Name?“, fragt sie Beliar.

„Hailey Olivia Prudence Enya Dewitt beau Ador, Herr.“ Was? Nein. Warte mal. Das bin ich. Das kauft ihr Beliar nie im Leben ab.

„Was ist deine früheste Erinnerung?“, will er von ihr wissen. Moment mal. Er testet sie, obwohl er weiß, dass er gerade getäuscht wird? Ich halts nicht aus.

„Das Feuer, Herr“, haucht sie ängstlich. Ihre Stimme ist sehr weiblich, sie ist kaum älter als ich. Ihren Blick lässt sie immer noch die ganze Zeit über zu Boden gesenkt.

„Was siehst du darauf?“ Jetzt hält er ihr sogar die blöde Karte hin. Ich fass es nicht.

„Einen Raben, Herr“, flüstert sie.

„Setz dich“, verlangt Beliar. Hey, wieso bietet er ihr denn jetzt einen Sitzplatz an? Jetzt wäre doch der richtige Zeitpunkt, um sie aus der Burg zu jagen.

Natürlich kommt sie seiner Bitte ruckzuck nach, sprintet förmlich auf den Stuhl zu. Keine Sekunde später sitzt sie ihm gegenüber – immer noch mit gesenktem Blick. Wieso schrillen in meinem Kopf andauernd die Worte „devotes Weibchen“ auf?

„Zeig mir dein Handgelenk“, fordert er.

Ihre Hand schnellt vor. Ich kann das Symbol nicht erkennen, nehme aber an, es ist der Lebensbaum, passend zur Vision des Sehers. Natürlich würde er für seinen Plan nur solch eine Hexe auswählen.

„Welches Tierzeichen trägst du am Körper?“, will Beliar wissen.

„Einen Hirsch, Herr.“ Was auch immer das zu bedeuten hat.

„Nimm die Haare zurück“, befiehlt Beliar. Sie tut sofort, wonach er verlangt. Hey, was zum Teufel soll das? Oh, ich weiß. Sie hat leicht abstehende Ohren – ebenfalls Volltreffer. Was für ein Zufall – spotte ich in Gedanken.

„Zeig mir die Innenseite deines Schenkels“, verlangt er. Moment mal, Freundchen. Hast du sie noch alle?

Das Püppchen reißt sich förmlich den Rock hoch und stellt ein Bein auf den Stuhl. Er will prüfen, ob sie die Narbe hat. Beliar steht sogar auf und beugt sich vor, um es aus nächster Nähe zu betrachten.

Jetzt geht er zu weit. Bleib ruhig Hope. Atme. Du sprengst jetzt nicht diese verdammte Burg vor Zorn. Er hat genug gesehen und zeigt wieder auf den Stuhl. Sie lässt sich förmlich darauf fallen.

„Wie alt bist du?“, will er nun wissen.

„Sechzehn, Herr.“ Toll, genauso wie ich.

„Wo hast du die letzten Jahre über gelebt?“, fährt er seine Befragung fort.

„Man hat mich in einer Familie aufgenommen, Herr. An der nördlichen Küste. Ein kleines Cottage. Jemand hat mich meinem Bruder Junus aus den Armen entrissen und mich dorthin gebracht. In der Nacht als …“ Sie ist den Tränen nahe, hält sich theatralisch an die Brust. Sie ist echt gut. Ich glaube ihr aufs Wort. Würde ich nicht wissen, dass dies meine Erinnerung ist, die sie nur gestohlen hat, wär die Vorstellung echt oscarreif.

Beliar steht auf. Verdammt, hoffentlich bemerkt er meinen Zauber nicht, sonst braucht er nur den Kopf zu heben und sieht mich. Vorsichtshalber trete ich etwas beiseite, verstecke meinen Körper hinter der Steinfassade und spähe nur mit dem Kopf zum Fenster rein.

Beinahe gemächlich tritt er an sie heran. Hey, genießt er das etwa?

Nun steht er direkt hinter ihr und fragt: „Weißt du, wer ich bin?“ Sie ist so verängstigt, dass sie sogar vor seinen Worten zusammenzuckt.

„Ja, Herr. Ihr seid das Oberhaupt des Weißen Zirkels. Mein Körper wird Euch als Gefäß dienen, um starke Nachkommen hervorzubringen. Mit jeder Faser meines Körpers werde ich Euch zu Diensten sein. Jeden Wunsch, den ihr verspürt, versuche ich, Euch von den Augen abzulesen. Ich bin mir meinem Schicksal bewusst und werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Euch die Gefährtin zu sein, die Ihr wünscht, Herr.“ Kotz. Würg.

Mädchen, das ist echt unter deiner Würde. Du gibst ihm gerade einen Freibrief, damit er alles mit dir machen kann, was er will. Hast du denn kein Selbstbewusstsein?

Wohl eher nicht, denn sie zittert am ganzen Leib, als Beliar näherkommt. Sie scheint ihn zu fürchten. Zu meiner absoluten Verblüffung, greift er mit seiner Pranke nach ihrem Haar.

Die Geste verpasst mir einen solchen Stich ins Herz, dass ich keuche. Eifersucht brodelt in mir wie ein Vulkan, der jeden Moment auszubrechen droht und Tränen fluten meine Augen. Wie kann er sie nur so berühren, wie er mich berührt hat?

„Tiberius“, ruft Beliar. Der Gerufene taucht sogleich im Raum auf. „Bring sie in mein Gemach.“ Ich balle die Fäuste vor Zorn.

Mit aller Kraft halte ich mir den Mund zu, um nicht meine Aggressionen in die Welt hinauszubrüllen. Mein Herz bricht gerade entzwei. Ich gleite an der Fassade entlang und kauere mich auf dem Mauervorsprung zusammen.

Daraufhin höre ich Beliar nach dem Seher rufen. Ich versuche, nicht durchzudrehen, reiße mich zusammen, sehe erneut durchs Fenster und spitze die Ohren.

„Ist die Frau, die du mir gebracht hast, die Hexe aus deiner Vision oder ist es die Frau passend zu deiner Vision, mit der du mich täuschen willst. Wenn du mich belügst, stirbst du durch meine Hand“, raunt Beliar. Er hat Zweifel. Das ist ein gutes Zeichen.

Der Seher geht vor ihm auf die Knie. „Herr, bei meinem Leben. Das ist die wahre Ador-Hexe. Ihr wurdet getäuscht. Wer immer auch die Frau aus dem 21. Jahrhundert ist, sie ist nicht die, für die Ihr sie haltet.“ Was für ein hinterlistiger Schleimer.

„Wieso behauptet sie dann, die Ador-Hexe zu sein? Und dies recht glaubwürdig, würde ich meinen. Davon konntest du dich ja bereits bei deiner Prüfung überzeugen. Außerdem ist ihr Bruder derselben Überzeugung. Wie erklärst du dir das?“, wendet Beliar ein.

„Herr, ich glaube, Junus‘ Erinnerung wurde manipuliert“, mutmaßt Nadar.

„Erinnerungen vermag man zu manipulieren. Gefühle nicht. Junus liebt Hope. Ich spüre es selbst. Erkenne es an der Art, wie er sie ansieht. Die Liebe, die er als Bruder für sie empfindet, ist keineswegs gespielt“, meint Beliar.

„Das behaupte ich auch nicht, Herr. Ich bin der festen Überzeugung, die Liebe zu seiner Schwester ist aufrichtig. Man hat ihm nur die falschen Bilder ihres Körpers eingepflanzt. Wer immer es getan hat, will erreichen, dass Ihr Euch mit diesem Kuckuckskind vermehrt“, erklärt der Seher. Kuckuckskind? Vermehren? Der hat sie nicht mehr alle.

Unmöglich. Hope ist aufrichtig. Sie lässt sich nicht wie eine Marionette behandeln. Selbst als Lord McConnor das von ihr, unter Androhung, ihren eigenen Bruder zu töten, verlangt hat, hat sie keine Sekunde in Erwägung gezogen, den Zirkel zu verraten. Sie hat mehr als einmal klargemacht, dass sie sich nicht für die Zwecke anderer missbrauchen lässt“, verteidigt mich Beliar. Danke, Mann.

„Das mag ja alles sein, aber bedenkt die Möglichkeit, dass sie ebenfalls gar nichts von ihrem Zweck weiß, Herr. Was, wenn man ihr, wie dem Ador-Hexer, eine falsche Erinnerung eingepflanzt hat. Man lässt sie durch die Manipulation ihrer Erinnerungen im Glauben, die Ador-Hexe zu sein. Sie weiß womöglich gar nicht, für welche Machenschaften sie die Marionette ist. Oder man hat es sie vergessen lassen. Das wäre doch die perfekte Tarnung für einen Plan, der weit größer ist, als man ihr zutrauen würde. Noch dazu bräuchte sie nicht einmal so zu tun, als sei sie eine andere Frau. Sie ist absolut davon überzeugt, weil sie es nicht besser weiß“, wirft der Seher ein.

„Was willst du damit andeuten?“, hakt Beliar nach.

„Herr, ich kann nicht länger schweigen. Mir ist nicht entgangen, dass Ihr eine gewisse Zuneigung für sie hegt, aber ich bin Euer Berater, also ist es meine Pflicht, auch unangenehme Botschaften zu überbringen. Als ich die Frau berührt habe, habe ich nichts gesehen. Absolut nichts“, informiert ihn Nadar.

„Was schließt du daraus?“, will Beliar wissen.

„Herr, ich sehe bei jeder meiner Berührungen etwas. Ich bin alle Möglichkeiten gedanklich durchgegangen und komme immer wieder zum selben Schluss. Sie muss eine schwarze Hexe sein.“ ?

Beliar schnaubt laut auf. „Bist du verrückt geworden? Immerhin sprechen wir hier von Hope. Ich kenne diese Frau, sie ist keine Besessene der dunklen Künste.“ Besessene? Dunkle Künste? Jetzt geht aber ihre Phantasie mit ihnen durch.

„Kennt Ihr sie wirklich, Herr? So gut, dass Ihr mit absoluter Sicherheit sagen könnt, sie sei keine schwarze Hexe? Vor allem, wenn man eins und eins zusammenzählt. Ihre Täuschungsmanöver gegen Euch. Verrückte Pläne. Manipulierte Erinnerungen. Die Tatsache, dass sie immun gegen Eure Zauber ist. Der Drache, der Rabe … beides dunkle Symbole“, zählt Nadar auf.

„Mich haben diese Symbole auch erwählt. Sie prangen an meiner Brust und machen mich nicht zu einem schwarzen Hexer“, erklärt Beliar forsch.

„Ja Herr, aber Eure Brust zieren noch viele andere, ausgleichende Symbole weißer Magie. Ihr Körper trägt keine balancierenden Zeichen. Die schwarzen Hexen tragen ausschließlich dunkle Symbole auf ihrem Körper“, informiert er ihn.

„Nein, das kann und will ich nicht glauben. Hope ist nicht böse. Sie hatte die Chance, Lord McConnor zu enthaupten. Der Mann, der ihre leiblichen Eltern verbrennen und ihre Zieheltern ermorden ließ. Sie hat es nicht getan. Hat ihn stattdessen in ihre Welt mitgenommen, damit er vor ein Gericht gestellt wird. Sag mir Nadar, welche schwarze Hexe würde keine Rache am Mörder ihresgleichen üben wollen?“, verlangt Beliar.

„Ich habe nicht gesagt, dass sie bereits durch und durch böse ist, Herr. Sagen wir einmal so, sie trägt ein Potenzial in sich. Ihre schwarzen Kräfte wurden nicht erweckt. Ihre weißen Kräfte schon. Sie ist sozusagen ein schwarzer Körper, der weiße Magie in sich trägt. Was überaus seltsam ist.“ Ich zeig dir gleich, wer hier seltsam ist, Quatschkopf.

„Überlegt doch Herr“, fährt er fort. „Sie ist außergewöhnlich stark. Sogar gegen Eure Zauber ist sie immun und Ihr seid der stärkste weiße Hexer. Es ist die falsche Magie im falschen Körper. Ich kenne keine schwarze Hexe, die mit weißer Magie geweckt wurde. Jetzt ist sie Euch bereits ebenbürtig. Kaum auszudenken, wenn sie schwarze Kräfte in sich tragen würde. Nun stellt Euch vor, Ihr nehmt sie zur Frau und derjenige, der die Fäden in der Hand hält, weckt ihre Kräfte. Sie könnte den Zirkel übernehmen oder Euch fremde Nachkommen unterjubeln. Ebenfalls Kuckuckskinder. Ich sage Euch, es ist der Angriff der Schwarzen Gilde. Jahrelang vorbereitet. Ein genialer Plan. Sie waren zur rechten Zeit, am rechten Ort. Genau in dem Moment, in dem die Ador angegriffen wurden, haben sie das Mädchen ausgetauscht – durch eine von ihnen. Im Hinterkopf habend, dass Ihr nach ihr suchen werdet. Bei dem Angriff wurde doch der Junge überwältigt. Man hat ihm das Mädchen vorher entrissen. In dieser Zeit könnte man seine Erinnerungen gestohlen und manipuliert haben. Man gab sie der falschen Ador-Hexe und ließ sie glauben, es wären ihre Kindheitserinnerungen. Dem Jungen hat man einfach nur das wahre Gesicht seiner Schwester genommen und stattdessen das Antlitz der schwarzen Hexe eingepflanzt. Darum liebt er sie auch, wie eine Schwester, weil es seine Erinnerungen sind. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ihr die falsche Ador-Hexe finden würdet. Natürlich haben sie nicht irgendeine Hexe genommen. Nein, sie nahmen eine Schönheit, damit sie sicher sein konnten, dass Ihr ihr nicht widerstehen könnt.“ Was für eine abartig zusammengereimte Story.

„Wenn das wahr wäre, aus welchem Grund haben sie dann die richtige Ador-Hexe nicht umgebracht?“, hinterfragt Beliar die Worte des Sehers. Glaubt er den Scheiß etwa?

„Ich weiß es nicht, Herr.“

„Ich glaube das einfach nicht, Nadar.“ Beliar rauft sich die Haare.

„Glaubt es lieber, Herr. Es passt alles zusammen“, stößt der Seher rechthaberisch aus.

„Was, wenn die Hexe in meinem Gemach das Kuckuckskind ist?“, mutmaßt Beliar.

„Herr, Ihr habt doch den Arzt selbst verhört, der die wahre Ador-Hexe vom Säuglingsalter an behandelt hat. Wenn Ihr meinen Visionen schon keinen Glauben schenkt, dann ruft Euch seine Aussage in Erinnerung. Schwarze Augen, abstehende Ohren, die sichelförmige Narbe. Ihr habt sicher die Merkmale der Frau kontrolliert. Trägt sie sie?“, will Nadar wissen.

„Ja“, gibt Beliar zu.

„Meiner Einschätzung nach spricht mehr für die Hexe in Eurem Gemach als für die, die im 21. Jahrhundert lebt, Herr. Außerdem passen auch ihre Tätowierungen, einschließlich der bezeugten optischen Merkmale zu denen der Ador. Herr, ich habe die Wut in der Frau, die Ihr für die richtige Hexe haltet, förmlich auf meiner Haut gespürt. Wahrscheinlich wehrt sich ihr Körper bereits gegen die weiße Magie, die sie schon viel zu lange durchströmt. Ich sage Euch, sie wird bald zu einer Besessenen.“ Na dann warts mal ab, bis dir die „Besessene“ zeigt, was ein rechter Kinnhaken ist, du Pissnelke.

„Ich kann das nicht glauben. Ich …“ Beliar ist wohl sprachlos.

„Herr, es steht mir nicht zu, Euch Flausen in den Kopf zu setzen. Ich schlage also vor, Ihr prüft sie selbst, ob sie eine schwarze Hexe ist. Außerdem wird der Bluttest sowieso bald zeigen, ob Junus und die Hexe verwandt sind. Wenn dem nicht so ist, wisst Ihr es zumindest mit Sicherheit, dass schwarze Magie in ihr fließt und könnt die Pläne der Schwarzen Gilde durchkreuzen. Vielleicht nutzt Ihr die Frau auch gleich selbst, um sie gegen Eure Feinde einzusetzen“, schlägt der Quacksalber vor. Hey, was zum Teufel soll das?

„Es liegt mir fern, Hope vorschnell zu verurteilen. Genauso wenig bin ich gewillt, ihr Schmerz zuzufügen. Alle Tests, die mir bekannt sind, um schwarze Hexen zu entlarven, gehen mit Gewalt einher. Wie kann ich sie also testen, ohne sie zu verletzen?“ Er glaubt ihm, sonst würde er den Test nie in Betracht ziehen.

Nadar hat bereits erreicht, was er wollte. Er bringt uns auseinander. Mein Herz zieht sich bei dieser Erkenntnis gerade krampfhaft zusammen.

„Herr, ich fürchte, das wird sich nicht vermeiden lassen. Es gibt ‚sanftere‘ Methoden, die aber nicht ganz so effektiv sind. Da die Frau mit weißer Magie getränkt ist, könnt Ihr es nur an Zeichen ihrer äußeren Hülle erkennen. Eine schwarze Hexe wird bewusstlos, wenn sie das Blut einer weißen Hexe oder eines Hexers trinkt.“ Was? Wie abartig ist das denn?

„Ich soll ihr mein Blut einflößen?“, hinterfragt Beliar die Worte des Sehers verblüfft.

„Nur ein paar Tropfen. Mit Rotwein vermengt, wird sie es nicht bemerken.“ Gut zu wissen.

„Also gut“, bestätigt Beliar. Ich glaubs nicht.

Nadar fährt fort: „Sollte mit dieser Methode nicht der gewünschte Erfolg einhergehen, gibt es noch einen weiteren, etwas heikleren Test.“

„Inwiefern“, will Beliar wissen.

„Das ist das Blatt einer Efeuranke. Es muss in den Körper der schwarzen Hexe gelangen. Daraufhin wird sie das Gefühl haben, ihr Körper würde innerlich zerspringen.“ Nadar präsentiert ihm das Blatt. Das wird ja immer abenteuerlicher. Er hat sie echt nicht mehr alle. Wieso geht Beliar auf so etwas ein? Ich dachte, er vertraut mir endlich. Naja, da lag ich wohl falsch.

„Ich sagte, ich will ihr keine Schmerzen bereiten“, raunt Beliar.

„Es hält nur ein paar Minuten an“, beschwichtigt der Idiot. Wers glaubt.

„Also werde ich ihr das Blatt ins Essen mischen?“, fragt Beliar doch tatsächlich.

„Nein.“ Nein?

„Wie gelangt das Blatt dann in ihren Körper?“, nimmt mir Beliar die Frage, die ich gerade gedanklich stellen wollte, aus dem Mund.

Nadar zögert und Beliar zieht die Augenbrauen hoch. Daraufhin sagt der Seher: „Sie wird es nicht bemerken, wenn Ihr im Liebesspiel …“ „Nein“, unterbricht ihn Beliar forsch. „Du gehst zu weit, Nadar“, tadelt er ihn. Er will mir das Blatt im Liebesspiel unterjubeln? Geht’s eigentlich noch?

„Herr, es ist aber die einzige Möglichkeit, wenn Ihr ihr nicht eine Gliedmaße oder einen Zahn abtrennen wollt.“ Was? Einen Zahn?

„Gibt es noch weitere Tests?“, fordert Beliar ärgerlich.

„Ja. Eine schwarze Hexe hegt einen Gräuel gegen Lavendel. Das Kraut wirkt für sie äußerst übelriechend. Auf die Haut aufgetragen, wird es einen brennenden Schmerz verursachen. Hier, Herr. Ich habe eine Salbe mit den Extrakten bei mir. Ihr könnt sie auf ihren Körper auftragen und sehen, was passiert“, schlägt er vor. Das wird ja immer besser.

„Ich soll sie mit einer Salbe einreiben und sehen, ob dies ein Brennen ihrer Haut bewirkt?“, hakt Beliar nach.

„Wenn Ihr sie nicht fesseln und ins Wasser werfen wollt, um zu sehen, ob sie es überlebt, schon.“ Sehr witzig.

Nadar fährt hinterlistig fort: „Dabei ist es von äußerster Wichtigkeit, dass Ihr behutsam vorgeht, damit sie keinen Verdacht schöpft. Sollte sie die sein, die ich vermute, wird sie für unsere Zwecke unbrauchbar, sollte sie etwas von Eurem Zweifel, den Ihr über die Farbe ihrer Magie hegt, ahnen. Überlegt doch, Herr. Ihr habt dann zwei Frauen, die Euch zu Diensten sind. Die eine sorgt für starke Nachkommen und die andere horcht die Schwarze Gilde für Euch aus. Das würde Eure Position stärken. Ihr könntet Eure Macht ins Unermessliche steigern.“ Das ist ja ein teuflischer Plan.

„Lass mich allein“, befiehlt Beliar. Ich zittere am ganzen Leib vor Wut. Er zieht das echt durch. Eins ist klar – ohne mich.

Mit übermenschlicher Kraft unterdrücke ich die Tränen auf dem gesamten Weg zurück zum Steinkreis.

Wenn ich jetzt nachgebe, dann kommt der Zusammenbruch. Mein Herz schmerzt förmlich in meiner Brust.

Immer wieder muss ich die Fäuste ballen, um mich dazu zu zwingen, stark zu bleiben. Nein, du heulst jetzt nicht um Beliar, sage ich mir die ganze Zeit über.

Wenn er mich lieben würde, würde er niemals glauben, was ihm dieser Trottel einreden will. Nun weiß ich es hundertprozentig, habe die Antwort schwarz auf weiß, nach der ich verlangt habe: Natürlich will er mich nur wegen dieser Ador-Geschichte. Ich bin ihm scheißegal.

Wenn er zurückkommt, wird er mich prüfen. Bin ich es nicht, zieht er die Frau aus dem Hut, die bereits in seinem Gemach auf ihn wartet. Und schwuppdiwupp, Hope ist vergessen – in die Tonne gekloppt. Der Gedanke, dass er schon eine andere Frau in seinem Bett hat, mit der er mich einfach so ersetzen wird, macht mich grad echt rasend.

Dieser Nadar hat ihm ja eine schöne Story aufgetischt. Ich meine, Halloooo, ich bin doch keine schwarze Hexe, die besessen ist. Hoffentlich.

Zugegebenermaßen, so wie der Seher das darstellt, hatte er schon einige Argumente auf Lager, die dafür sprechen.

Das mit meinen Tattoos, zum Beispiel, ist echt merkwürdig. Junus und Galahad haben auf meine Symbole auch so komisch reagiert.

Meine Immunität gegen die Zauber von Beliar spricht auch dafür. Aber ich bin doch nicht Frankensteins Monster, oder?

Toll, jetzt schafft der Quacksalber es sogar, mich selbst zu verunsichern.

Ach, das ist doch Blödsinn. Ich weiß, dass Junus mein Bruder ist. Solch eine Erinnerung kann mir doch niemand einfach so einpflanzen. Das ist meine Kindheit, verdammt nochmal. Wer ist schon imstande, einen ganzen Lebensabschnitt zu fälschen.

Die böse Stimme in meinem Kopf meldet sich gerade zu Wort: „Was, wenn der DNS-Test negativ ist. Was, wenn du tatsächlich eine Marionette bist, die an Fäden taumelt?

Energisch schüttle ich den Kopf. Ich sage, dieser Nadar will selbst die Macht des Zirkels für sich und setzt alles in Bewegung, um zu verhindern, dass Beliar starke Nachkommen hervorbringt. Und ich werde das auch beweisen.

Ich hab keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll, aber ich krieg das schon irgendwie hin. Auf jeden Fall brauch ich jetzt erst mal einen klaren Kopf und einen meiner Pläne.


Wer braucht schon Zauberfarben?

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