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Das Wochenende verlief ruhig. Marie hatte keinen Dienst. Trotzdem traf sie Georg nur kurz, denn er hatte auf dem Hof viel zu tun. Zwei Kühe waren krank, und die Apfelbäume mussten beschnitten werden.

Marie wusste, wie schwer es für Georg war, den Hof ohne seinen Vater weiterzuführen. Max hatte die Arbeit nach seinen Vorstellungen aufgeteilt und den Hof so entwickelt, wie er es sinnvoll fand. Seine Familie kam aus der Gegend, und sein Großvater war einer der ersten Bauern gewesen, die sich hier oben in den Bergen sesshaft machten. In Max’ Kindheit war der Hof ein gut laufender Betrieb gewesen. Aber dann waren immer mehr Familien nach unten ins Tal gezogen. Viele der landwirtschaftlichen Maschinen konnten hier oben nicht eingesetzt werden, sodass der Betrieb im Tal leichter war und sich mehr lohnte. Der Hof von Georgs Familie war einer der wenigen, die noch bewirtschaftet wurden.

Die Zukunft des Hofes war oft Thema zwischen Marie und ihrem Freund. Georg hatte nach der Schule, ohne nachzudenken, immer mehr Aufgaben auf dem Hof übernommen. Marie wusste, dass er insgeheim davon träumte, das Anwesen biologisch zu bewirtschaften. Doch er hatte sich immer gescheut, seine Pläne mit den Eltern zu besprechen, weil er wusste, dass sie von der biologischen Landwirtschaft nicht überzeugt waren. Und so hatte er Jahr um Jahr einfach weitergemacht. Marie fand das schade, aber sie hatte sich daran gewöhnt, dass ihr Freund für wichtige Entscheidungen etwas länger brauchte.

Am Samstagnachmittag war Marie auf dem Hof, um Boris zu versorgen. Da Georg beschäftigt war, verabredete sie sich mit ihm zum Abendessen am Sonntag.

Am nächsten Nachmittag stand Marie in der Küche. Sie hatte fast den ganzen Tag damit verbracht, ihr Haus zu putzen und möglichst wenig an das bevorstehende Gespräch mit Georg zu denken. Jetzt bereitete sie das Essen vor. Es machte ihr Spaß, immer mal wieder mit neuen Rezepten zu experimentieren. Heute hatte sie sich allerdings für ein klassisches Gericht entschieden: Nudelauflauf und überbackenes Gemüse.

Gegen sechs Uhr war alles fertig. Das Essen schmorte im Ofen, und Marie stellte sich vor den Badezimmerspiegel. Seit letztem Herbst hatte sie etwas zugenommen, ihr Gesicht sah weiblicher aus. Die hellen Strähnen in den Haaren und der kleine Pony gefielen ihr ziemlich gut. Sie wusch sich die Hände, kämmte die Haare und zog die Lippen rosa nach. Kurz überlegte sie, sich mit dem neuen Parfum einzusprühen, entschied sich aber dagegen. Manchmal wunderte sie sich über sich selbst. Immerhin kannte sie Georg, seit sie denken konnte. Und jetzt benahm sie sich albern wie ein verliebter Teenager. Sie schüttelte den Kopf und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Dann setzte sie sich mit ihrem Buch aufs Sofa.

Während sie versuchte, der Geschichte zu folgen, schweifte ihr Blick durchs Fenster nach draußen. Die Tage wurden länger. Trotzdem stieg schon der Nebel aus dem Tal, und die Sonne verabschiedete sich hinter den Bergen, nicht ohne die Landschaft noch einmal in ein warmes gelbes Licht zu tauchen.

Marie seufzte. Sie liebte es hier oben. Es war einsam, die Natur machte es einem nicht immer leicht. Im Winter lag oft so viel Schnee, dass sie nicht aus dem Haus treten konnte und sich den Weg nach unten mühsam mit der Schneeschaufel freiräumen musste. Im Herbst kam die Sonne manchmal gar nicht hinter den Gipfeln zum Vorschein, und die Stimmung war tagelang düster und verhangen. Dafür war es an vielen Sommertagen so heiß, dass Marie sich nach dem Tal sehnte, wo die Bäume Schatten warfen und man zur Abkühlung in einen See springen konnte. Aber trotz dieser Widrigkeiten wollte sie hierbleiben. Sie spürte mit jeder Faser ihres Körpers, dass sie hier zu Hause war, dass sie hierhergehörte.

Ihre Eltern hatten vor Jahren den Berg verlassen und waren ins Tal gezogen. Mehrmals hatten sie Marie angeboten, mitzukommen oder eine Wohnung für sie in der Nähe anzumieten. Aber Marie dachte nicht daran, wegzugehen.

Zumindest hatte sie bisher nicht ernsthaft daran gedacht. Bis zu der Besprechung am Freitag und bis zu dem Gespräch mit Dr. Schröder.

Sie drehte sich im Kreis. Das ganze Wochenende hatte sie gegrübelt. Sie wollte mit ihren Eltern sprechen. Doch dann hatte sie beschlossen, dass Georg der Erste sein sollte, der es erfuhr. Vielleicht wussten ihre Eltern auch schon, dass die Klinik geschlossen werden sollte. Immerhin stammten einige der Schwestern aus dem Tal, und die Familien kannten sich.

Maries Gedankenkarussell hielt an, als sie Georgs Schritte vernahm. Hier oben am Berg war es so ruhig, dass sie die Leute hören konnte, lange bevor sie sie sah. Marie hatte es sich angewöhnt, auf die Schritte zu lauschen und zu erraten, wer auf ihr Haus zukam. Es waren nicht viele: die Eltern, ab und zu eine Schulfreundin aus dem Dorf, Georg und alle paar Tage der Briefträger.

Georgs Schritte waren die besten. Hatten genau die richtige Länge. Nicht zu kurz, sodass sie trippelig klangen. Nicht zu lang, sodass sie angeberisch wirkten. Nein, Georgs Schritte bildeten eine perfekte Melodie, die Maries Herz zum Schwingen brachte.

Sie legte ihr Buch zur Seite und lief zur Tür. Gerade als sie sie aufriss, erreichte Georg die Hütte. Er schlang die Arme um Marie und zog sie ein Stück vom Boden hoch. Einen Moment blieben sie so stehen, und Georg drückte seine Freundin stürmisch an sich. Dann ließ er sie wieder auf den Boden und nahm ihr Gesicht zärtlich in seine Hände. Sie sagten kein Wort, strahlten sich nur an. Dem ersten Kuss folgte ein zweiter, und kurz darauf waren sie in Maries Schlafzimmer.

Ein kühler Windzug wehte von der Haustür durch die Schlafzimmertür bis zu ihnen. Marie war es egal. Hier oben war niemand, der durch die offene Tür kommen würde, um sie zu stören. Sie lag auf dem Rücken, die Hände hatte sie wie ein Kissen unter den Kopf gelegt. Georg ruhte neben ihr und stützte seinen Kopf seitlich auf dem Unterarm. Mit der anderen Hand strich er forschend Maries Oberkörper entlang. Wie ein kleines Kind, das sich über die Gänseblümchen auf der Wiese freut, ertastete er jeden Zentimeter ihrer Haut. Seine rauen Finger auf ihrer Brust ließen Marie erschaudern. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Sie wollte dieses Gefühl festhalten, sich nicht bewegen und jeden Moment genießen. Durch die geschlossenen Augen spürte sie Georgs Blick auf ihrem Körper. Und seine Hände. Diese wunderschönen Hände, die im Alltag kräftig zupackten und die sich jetzt so vorsichtig bewegten, als wäre Marie etwas Zerbrechliches.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tastete er nach Maries Hose und ließ die Hand dort liegen. Warm und erregend ruhte sie auf Maries Bauch. Als Nächstes spürte sie sein Gesicht. Ganz nah. Sein Atem streifte ihre Haut. Er öffnete den Knopf. Marie hielt es nicht mehr aus. Sie schlug die Augen auf und zog ihn auf sich. Was für ein Mann, war das Einzige, was sie denken konnte. Im nächsten Moment konnte sie gar nichts mehr denken. Nur fühlen.

Wie weit reicht dein Herz?

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