Читать книгу London. Eine Stadt in Biographien - Marina Bohlmann-Modersohn - Страница 10

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OLIVER CROMWELL

1599–1658

Ein kompromissloser Landedelmann ruft die Revolution aus. Er lässt einen König köpfen und stürzt das Land in einen Bürgerkrieg. England erlebt ein puritanisches Regime – und ein gewaltiges Blutbad.

Die Szene auf dem Gemälde von Paul Delaroche, das er im Louvre gesehen hatte, war dem Paris-Reisenden Heinrich Heine nicht aus dem Kopf gegangen. Er beschrieb sie anschließend so: »In einem von den dämmernden Sälen Whitehalls, auf dunkelroten Sammetstühlen, steht der Sarg des enthaupteten Königs, und davor steht ein Mann, der mit ruhiger Hand den Deckel aufhebt und den Leichnam betrachtet. Jener Mann steht dort ganz allein, seine Figur ist breit untersetzt, seine Haltung nachlässig, sein Gesicht bäurisch ehrenfest.«

Heine schildert den Verantwortlichen en détail: »Seine Tracht ist die eines gewöhnlichen Kriegers, puritanisch schmucklos: eine lang herabhängende dunkelbraune Sammetweste; darunter eine gelbe Lederjacke; Reiterstiefel, die so hoch heraufgehen, dass die schwarze Hose kaum zum Vorschein kommt; quer über die Brust ein schmutziggelbes Degengehänge, woran ein Degen mit Glockengriff; auf den kurzgeschnittenen, dunklen Haaren des Hauptes ein schwarzer, aufgekrempelter Hut mit einer roten Feder; am Halse ein überschlagenes weißes Kräglein, worunter noch ein Stück Harnisch sichtbar wird; schmutzig gelblederne Handschuhe; in der einen Hand, die nahe am Degengriffe liegt, ein kurzer, stützender Stock, in der andern Hand der gehobene Deckel des Sarges, worin der König liegt.«

Der da als Leiche auf grünseidenen Kissen ruht, ist Charles I (1625–1649), der Krieger neben ihm Oliver Cromwell, republikanischer Sieger über die Monarchie und bis heute umstrittener Held der Stunde.

Die von Cromwell befohlene öffentliche Hinrichtung des Stuart-Königs vor dem Banqueting House 6 ( ▶ F 4) in Whitehall an einem Januartag des Jahres 1649 hatte Entsetzen erregt. Kein Zweifel, die Majorität des Volkes dachte royalistisch, diese Enthauptung entsprach nicht ihrem Willen. Dennoch waren zahlreiche Londoner dabei, als das Beil den Kopf vom Rumpf des Monarchen trennte, der wegen Verrats, Mordes und Hochverrats angeklagt war.

Bis zu diesem Tag hatten die Stuart-Könige versucht, ihre Rechte kontinuierlich zu erweitern und die des Parlaments einzuschränken, kurz, aus England eine absolutistisch regiertes, vom Parlament unabhängiges Königtum zu machen. Außerdem wollten sie die anglikanische Kirche der römischen angleichen. Eine Provokation für den überwiegenden Teil der Bevölkerung! Vor allem packte die Puritaner in England und die Presbyterianer in Schottland der Zorn angesichts dieser königlichen Impertinenz.

Dann taucht plötzlich dieser Oliver Cromwell auf. Als Abgeordneter für seinen Geburtsort Huntington sitzt er im Unterhaus in London. Der Landedelmann ist bekennender Puritaner, ausgebildet an der Universität von Cambridge. Ein Staat ohne Parlament, so wie es König Charles I während der Jahre von 1629 bis 1640 in »elfjähriger Tyrannei« durchzusetzen versucht hat – für Cromwell unerträglich. So verschärft sich der Konflikt zwischen Krone und Abgeordnetenhaus, zwischen Anhängern der Monarchie und Anhängern des Parlaments zunehmend. 1642 bricht schließlich der Bürgerkrieg aus, die Puritanische Revolution.

Der Sieger ist Oliver Cromwell. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte, der Französischen Revolution um 140 Jahre voraus, fiel ein königlicher Kopf aufgrund eines revolutionären Programms mit dem radikalen Ziel: »Dass alle Könige, Königinnen, Prinzen, Herzöge und Grafen gleich vor dem Gesetz gemacht werden.« Monarchie und Oberhaus sind abgeschafft, das Land 1649 zur Republik erklärt. Jetzt regiert Oliver Cromwell, gestützt auf ein stehendes Heer, als »Lord Protector« das Commonwealth of England.

HEUTE STEHT CROMWELL AUF EINEM SOCKEL

In Gedanken immer wieder bei der Gestalt Cromwells auf dem Gemälde, das Heinrich Heine so eindrücklich beschreibt, geht man, die Glocke des Uhrenturms Big Ben ( ▶ F 5) schlägt gerade die volle Stunde, zur Westminster Hall 29 ( ▶ F 5). Sie wurde im späten 11. Jh. errichtet und ist heute der älteste erhaltene Teil des mittelalterlichen Königspalastes. Und da steht er! Auf einem hohen Sockel, weit überlebensgroß, gekleidet wie ein gewöhnlicher Krieger, und man blickt hoch in das entschlossene Gesicht des wohl gewaltigsten Parlamentariers, der jemals das britische Unterhaus beherrscht hat.

Gut vorstellbar, dass Oliver Cromwell, der, jedenfalls anfänglich noch, einen puritanisch schlichten Kleiderstil bevorzugte, auch im Parlament nicht anders erschien als in seinem Leinenhemd, der Weste und den Stulpenstiefeln.

Der Weg ins Parlamentsgebäude, in die Houses of Parliament 29 ( ▶ F 5), führt durch das St Stephan’s Portal. Wer eine Debatte der Abgeordneten im House of Commons (Unterhaus) oder dem House of Lords (Oberhaus) von der Strangers’ Gallery verfolgen oder gar den britischen Premierminister live erleben möchte, der jeden Mittwoch zur »Question Time« im Parlament erscheint, stelle sich hier in die Schlange. Die Geduld lohnt sich.

Gleich zu Beginn seiner neunjährigen Regentschaft wandelt sich Oliver Cromwell zum Alleinherrscher. In einem ersten Schritt schickt er 1649 englische Truppen nach Irland und lässt das katholische Königreich besetzen. Das gewaltige Blutbad hat Tausende von Toten zur Folge. Aber nicht nur Irland verleibt sich der »Lord Protector of England, Scotland and Ireland« ein, 1650 besetzt er auch das Königreich Schottland.

ER LEBT HÖFISCH, DOCH ER LEHNT DIE KRONE AB

Mit der Navigationsakte von 1651 sichert Cromwell den Kaufleuten und Reedern einen erweiterten Handel mit den englischen Kolonien, kämpft zur See gegen Spanien und die Niederlande und lässt mit der Macht der Armee zweimal das Parlament von Kompromisslern säubern: »Ihr habt hier lange genug gesessen und nichts zu Wege gebracht. So mache ich Eurem Geschwätz ein Ende.«

Eigentlich fehlt zu Cromwells Machtanspruch nur noch die Krone. Das Parlament bietet sie ihm 1657 an – aber er lehnt ab. Dennoch umgibt er sich gern mit viel Samt und Seide wie bei Hof, seine Staatsakte haben königliches Gepräge, und wenn er sich mit Pferd und Wagen auf dem sogenannten Ring im ländlichen Hyde Park ( ▶ B-D 4–5) zwischen den Kutschen der eleganten Gesellschaft tummelt, scheint sich der Puritaner gar nicht mehr so sehr an den langen Rockschößen und gepuderten Perücken zu stören, mit denen die Köpfe der vornehmen Welt um ihn herum dekoriert sind.

Beinahe hätte der schwere Sturz vom 1. Mai 1654 auf dem Ring, bei dem er von den Pferden mitgeschleift wurde und in seiner Tasche eine Pistole losging, dem schnellen Fahrer das Leben gekostet. Aber Cromwell hatte Glück.

Durch die Puritanische Revolution hatte das englische Volk erhebliche Freiheitsrechte gewonnen. Aber es gab auch vieles, was für immer verloren schien. Wie ein Sturmwind war Cromwell über das Land gefegt, hatte Kirchen verwüstet und Theater, auch Shakespeare’s Globe 36 ( ▶ H 4) in London, geschlossen und seinen Landsleuten ein Alltagsleben verordnet, das keine weltlichen Ablenkungen zuließ und lustfeindlich war. Es heißt, der »Lord Protector« solle sogar den Plan gehabt haben, das Weihnachtsfest abzuschaffen.

Am 3. September 1658 endet die neunjährige Regentschaft, Cromwell stirbt mit 51 Jahren. Für kurze Zeit betritt sein Sohn Richard die politische Bühne, scheitert aber bei dem Versuch, das Werk des Vaters weiterzuführen. Er verlässt London 1659, und mit ihm hört die »königlose Zeit« des Protektorats auf.

Jetzt ist der Weg frei für die Wiederherstellung der Monarchie. Unter König Charles II (1660–1685) lebt das Theater wieder auf, es kommen die Schauspieler, Dichter und Komödienschreiber und lassen sich in Covent Garden ( ▶ F 4) nieder. Hier stand einmal ein Konvent, umgeben von einem Garten, daher der Name. In den 1630er-Jahren ließ Inigo Jones einen vornehmen neoklassizistischen Platz anlegen, das Royal Opera House ( ▶ F 4) wurde gebaut.

NACH SEINEM TOD WIRD CROMWELL GEHENKT

Der Chronist Samuel Pepys (1633–1703), der am 1. Mai 1667 auf dem Weg nach Westminster durch die Straße Drury Lane fuhr, schrieb in sein Tagebuch: »Traf unterwegs Milchmädchen mit Girlanden um ihre Milcheimer geschlungen, die die Straße herab tanzten, mit einem Fiedler vorneweg; und sah die hübsche Nelly in ihrer Haustür in Drury Lane in Mieder in kurzen, gerafften Ärmeln stehen und zuschauen; sie kam mir wie ein mächtig hübsches Wesen vor.« Nelly war die Schauspielerin Nell Gwynn, in die sich Charles II verliebte und die er zur Mutter zweier Herzöge machte.

Am Eingang zur quirligen Oxford Street, dort, wo auch Park Lane und Bayswater Road sich treffen, steht das marmorne Tor Marble Arch 22 ( ▶ D 3/4). Hier befand sich die öffentliche Hinrichtungsstätte Tyburn. Hier strömt am 30. Januar 1661 eine gewaltige Menschenmenge zusammen und wartet – endlich ist die Stunde der Rache gekommen – auf das grausige Schauspiel. Nach Cromwells Tod und der Restaurierung der Monarchie hatten Royalisten gefordert, die Leiche des puritanischen Königsmörders nach drei Jahren wieder auszugraben und sie, zusammen mit den Leichen zweier Republikaner, öffentlich zu hängen. Triumphales Gebrüll, als die Schädel der Verurteilten auf Stangen ausgestellt werden.

Szenen wie diese hat der sozialkritische Maler William Hogarth festgehalten. Er prangerte in Gemälden und Kupferstichen die Sitten und Gebräuche seiner Zeit schonungslos an. Die »Hinrichtung des faulen Lehrlings« ist einer seiner bekanntesten Stiche, mit dem er die grausame Prozedur darstellt. Nur dem Adel ist das Privileg vorbehalten, an einem seidenen Strang gehängt zu werden. Über den Unterschied zu einem gewöhnlichen Strick klärt uns Londons unermüdlicher Chronist Samuel Pepys auf; er hat sich bei einem Besuch der anatomischen Abteilung im Gildehaus der Ärzte eingehend informiert:

»Es heißt, ein gewisser Dillon, aus guter Familie, wurde nach vielen Bemühungen, ihn zu retten, während dieser Sitzungsperiode gehängt, und zwar mit einem seidenen Strang (den er selbst beschafft hatte), nicht nur ehrenhalber, so scheint es, sondern da er glatt und weich ist, zieht er sich eng zusammen und tötet, das heißt erwürgt, sofort; wogegen ein steifer nicht so eng zusammengeht, und so kann es passieren, dass der Betreffende länger lebt, bevor er stirbt. Aber alle Doktoren am Tisch meinen, dass Hängen überhaupt nicht wehtut, weil es sofort die Blutzirkulation stoppt und damit jede Sinnesempfindung und Bewegung.«

MARBLE ARCH 22 ▶ D 3/4

▶ U-Bahn: Marble Arch

WESTMINSTER HALL/HOUSES OF PARLIAMENT 29 ▶ F 5

Parliament Square, Westminster, SW1

www.parliament.uk

▶ U-Bahn: Westminster

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