Читать книгу London. Eine Stadt in Biographien - Marina Bohlmann-Modersohn - Страница 8
ОглавлениеELIZABETH I
1533–1603
Sie war eine kluge Frau und formte England zur Großmacht. Dafür entsagte sie der Liebe: »Ich wäre lieber eine Bettlerin und allein, als eine Königin und verheiratet. Der Ehering wäre für mich ein Joch.«
London wächst, zählt mehr als 200 000 Einwohner. Mit rasantem Tempo nähern sich entlang der Themse das Wirtschafts- und Handelszentrum City of London und der Sitz des Parlaments, die City of Westminster ( ▶ F 4/5). Auch zahllose Dörfer außerhalb des städtischen Kerns, einst im Besitz von Bischöfen und Abteien, wachsen zu Bezirken zusammen. Diese »boroughs« heißen Hampstead und Battersea, Chelsea und Kensington, Islington und St Pancras.
Das gelockte Haar rotblond, die Augen groß und braun, das Gesicht schmal geschnitten und von leuchtender Blässe. Lady Princess Elizabeth, die Tochter Henry VIII aus seiner zweiten Ehe mit Anne Boleyn, ist ein eigenwillig hübsches Mädchen. Weder der Hof noch das Reich hatten auf die Geburt der kleinen Elizabeth am 7. September 1533 in Greenwich mit Freude reagiert.
Schon wieder eine Prinzessin! Geboren von einer ehemaligen Hofdame, die den König nicht nur verführt und Königin Catherine verdrängt, sondern obendrein auch noch Ehebruch begangen hatte. »Ein Hurenbastard«, schimpfen Kirche und ganz England. Als ihre Mutter auf Befehl des Königs am 19. Mai 1536 durch das Henkerbeil starb, war Elizabeth kaum drei Jahre alt. Ein illegitimes Kind, wie der König anschließend offiziell verlauten ließ, um den Thron für den männlichen Erben zu sichern, den er mit seiner dritten Frau, Jane Seymour, ganz gewiss haben würde. 2000 Schüsse wurden vom Tower 43 ( ▶ K 4) abgefeuert, im ganzen Land läuteten minutenlang die Kirchenglocken, als 1537 schließlich Prinz Edward geboren wurde.
Seit dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter hatte Elizabeth in der Obhut einer Gouvernante meist auf Schloss Hatfield vor den Toren Londons gelebt und Französisch und Italienisch sprechen gelernt. Sie musizierte gern, las viel und konnte später die Texte griechischer Philosophen problemlos ins Englische übersetzen.
Mit zehn Jahren durfte das Mädchen wieder an den Hof nach London zurückkehren. An dieser Stelle muss auf einen besonders schönen Stadtpalast hingewiesen werden, das Somerset House 37 ( ▶ G 4) an der Straße Strand. Der im klassischen Stil errichtete Bau wurde 1547 vom Herzog von Somerset begonnen, und kurz bevor sie den Thron bestieg, lebte hier Prinzessin Elizabeth. Im mehrfach erweiterten Prachtgebäude sind heute die sehenswerten Kunstsammlungen der Courtauld Gallery und die Embankment Galleries ( ▶ G 4) zu Hause. Bestechend: der große Innenhof mit 55 tanzenden Wasserfontänen in seiner Mitte und die riesige Terrasse mit Restauration und Blick auf die Themse.
Nach dem Tod Heinrich VIII. geht es am englischen Hof chaotisch zu, es beginnt ein Spiel um Liebe und Macht, Intrigen und Verschwörungen reihen sich aneinander. Wild entschlossen, den Platz an Königin Katharinas Seite als König einzunehmen, umwirbt Großadmiral Thomas Seymour, ein Bruder des Lordprotektors Edward Seymour, die kinderlose Witwe und heiratet sie.
THOMAS SEYMOUR VERLIERT DEN KOPF
Nicht nur das. Es verlangt den attraktiven und ehrgeizigen Mann auch nach Prinzessin Elizabeth. Häufig stiehlt er sich am frühen Morgen in ihr Zimmer und versucht, sie zu verführen. Ohne Erfolg. Dennoch erdreistet sich Seymour unmittelbar nach dem Tod seiner Frau Katharina 1548 im Wochenbett, ganz offiziell um die Hand der Prinzessin anzuhalten. Jetzt reicht es dem Hof. Am 20. März 1549 wird Thomas Seymour hingerichtet: »Dem Herzog von Somerset wurde heute zwischen acht und neun Uhr morgens der Kopf abgeschlagen«, erklärt das Königshaus. Bis heute wird spekuliert, ob Seymours Aufdringlichkeiten dazu geführt haben könnten, dass Elizabeth während ihrer gesamten Regierungszeit alle Heiratsanträge ihrer zahlreichen Liebhaber ablehnte, sich als »jungfräuliche Königin« feiern ließ und am Ende auch noch die Chuzpe besaß, Sir Walter Raleighs erste englische Kolonie Virginia zu nennen.
Am 6. Juli 1553 stürzt eine erschütternde Nachricht ganz England in tiefe Trauer und sorgt erneut für große Probleme in der Thronnachfolge: Mit gerade 16 Jahren ist König Edward VI von der Schwindsucht dahingerafft worden. Wie soll es weitergehen? Der junge Edward war ein radikaler Protestant. Im Falle seines Todes, so hatte er verfügt, wolle er keinesfalls, dass seine katholische Schwester Mary die Nachfolge anträte. Darum hatte er vorsorglich die protestantische Jane Grey, eine Großnichte seines Vaters, zur Thronfolgerin bestimmt. Aber Volk, Heer und Hauptstadt dachten anders. Mary sei die rechtmäßige Nachfolgerin, und in den Straßen jubelte die Menge, als Mary, begleitet von ihrer 20-jährigen Stiefschwester Elizabeth, am 3. August 1553 ihren Krönungszug in London antrat.
Mary war eine sehr strenge Katholikin. Ihr Ziel: England in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Die Stimmung im Volk drohte plötzlich zu kippen, als Mary auch noch ihre bevorstehende Hochzeit mit dem spanischen Thronfolger Philipp II. bekannt gab: Furcht vor einer übermäßigen Bevormundung durch das katholische Spanien breitete sich aus. Eine Verschwörung zielte auf Marys Sturz. Mary verdächtigte ihre jüngere Schwester der Verschwörung und befahl, Elizabeth in den Tower 43 ( ▶ K 4) zu bringen. »Elizabeth’s Walk« heißt dort noch heute der Gang, den die Gefangene vom Bell Tower zum Beauchamp Tower gehen musste. Die Prinzessin stand Todesängste aus und bat ihre Schwester um Gerechtigkeit. Entlassung aus dem Tower ja, doch Hausarrest, lautete Marys Order.
AUS KÖNIGIN MARY WIRD »BLOODY MARY«
1554 beschließt das Parlament, die kirchlichen Reformen Heinrich VIII. rückgängig zu machen. Mary lässt Ketzer verfolgen, unzählige Menschen sterben auf den Scheiterhaufen. Das Grauen ist entsetzlich, das Volk empört. Fortan nennt England seine kinderlose Königin nur »Bloody Mary«. Dass nach ihr im 20. Jh. ein blutroter Drink aus Wodka und Tomatensaft benannt wird, ist nur mit angelsächsischem Humor zu erklären. Bevor die »blutige Maria« 1558 stirbt, geht sie auf den Vorschlag ihres Mannes Philipp ein, Elizabeth zu ihrer Nachfolgerin zu ernennen.
Ein Baldachin überspannt die mit goldenem Brokat ausgeschlagene Sänfte, in der zwei Monate später, am Morgen des 15. Januar 1559, die 25-jährige Prinzessin Elisabeth durch die pompös geschmückten Straßen von London zu ihrer Krönung in die Westminster Abbey 45 ( ▶ F 5) getragen wird. Die neue Königin von England und Irland heißt jetzt Elizabeth I, mit ihrer 45-jährigen Regentschaft beginnt für England eine so ruhmreiche und prägende Ära, dass man vom Elisabethanischen Zeitalter spricht.
Die junge Regentin macht den Hof zum Zentrum der monarchischen Gewalt. Im Whitehall Palace ( ▶ F 4) drängen sich Adel, Räte und Staatsbeamte um Macht und Einfluss, zwölf Hofdamen und sechs Edelfräulein lesen der Königin jeden Wunsch von den Lippen ab und sorgen für den perfekten Sitz ihrer prunkvollen Kleidung, festgehalten auf zahlreichen zeitgenössischen Gemälden, wie sie auch in der Londoner National Portrait Gallery 25 ( ▶ F 4) hängen.
Ein französischer Chronist berichtet: »Sie hatte ein Kleid aus weiß und karmesinrot gemusterter Silbergaze an mit geschlitzten, rot gefütterten Ärmeln. Der vordere Teil ihres Kleides stand offen, so dass man ihren ganzen Busen sehen konnte. Überhaupt knöpfte sie ihr Kleid häufig eigenhändig vorne auf, als ob es ihr zu warm wäre. Der Kragen der Robe war sehr hoch und innen mit Gehängen aus Rubinen und Perlen geschmückt. Um den Hals trug sie eine Kette, ebenfalls aus Rubinen und Perlen, ihre rötliche Perücke schmückte eine dazu passende Kette und viel Gold- und Silberflitter.«
Beeinflusst von der italienischen Renaissance, macht Elizabeth den englischen Hof auch zum Mittelpunkt des kulturellen Lebens. Dichter, Musiker und Maler kommen in Scharen an die Themse, 1583 gründet die Königin ihre eigene Schauspieltruppe, die »Queen Elizabeth’s Men«. Das Theater öffnet sich weltlichen Konflikten und Leidenschaften, und die drei Männer, die es repräsentieren, sind William Shakespeare (1564–1616), Christopher Marlowe (1564–1593) und Ben Jonson (1572–1637). Unter Englands Flagge segeln Sir Walter Raleigh, William Drake und Robert Essex über die Weltmeere und bringen von ihren Entdeckungsreisen und Eroberungszügen neben Geraubtem den Tabak als neues Genussmittel mit. Die Londoner Jeunesse dorée geht mit rauchenden Pfeifen ins Theater.
… UND DANN MUSS MARIA STUART STERBEN
Seit 1568 hält Elizabeth die schottische Königin Mary Stuart gefangen – die strenggläubige Katholikin beansprucht den englischen Thron und ist für die protestantische Elizabeth eine ständige Bedrohung. Vor allem, seit der Papst Elizabeth exkommuniziert und die katholische Minderheit in England aufgerufen hat, sich der »Ketzerin« auf dem Thron zu entledigen und mithilfe Maria Stuarts die alte katholische Kirche wieder einzusetzen.
Die Rivalität zieht sich über Jahre hin. Am Ende lässt sich Mary immer häufiger in Komplotte verwickeln; im Oktober 1586 wird sie für schuldig befunden, an einem geplanten Anschlag auf Elizabeth beteiligt gewesen zu sein. Ober- und Unterhaus fordern ihre sofortige Exekution. Elizabeth stimmt nur widerwillig zu. Erst am 1. Februar 1587 unterzeichnet sie die Hinrichtungsurkunde.
Sieben Tage später, am 8. Februar, erscheint Mary in einem schwarzen, mit Samt umsäumten Satinkleid an der Hinrichtungsstätte im Fotheringhay Castle. An ihrem Gürtel trägt sie zwei Rosenkränze, über dem kurz geschorenen Haar einen weißen Schleier.
Der letzte Versuch, den Katholizismus mit Waffengewalt zu restaurieren, scheitert 1588 durch den Sieg über die spanische Armada vor der englischen Küste. Er bestätigt endgültig Spaniens Niedergang und Englands Aufstieg zur protestantischen Weltmacht.
Die beiden königlichen Stiefschwestern Elizabeth und Mary haben in Westminster Abbey 45 ( ▶ F 5) ihre letzte Ruhe gefunden. Dort liegen sie, neun Meter voneinander entfernt.
NATIONAL PORTRAIT GALLERY 25 ▶ F 4
2 St. Martin’s Place, Trafalgar Square, WC2
▶ U-Bahn: Charing Cross
Somerset House, Strand, WC2
▶ U-Bahn: Temple
Broad Sanctuary, Westminster, SWI
▶ U-Bahn: Westminster