Читать книгу London. Eine Stadt in Biographien - Marina Bohlmann-Modersohn - Страница 9

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WILLIAM SHAKESPEARE

1564–1616

Er gilt als größter Dichter aller Zeiten. Sein oberstes Motto war: »Und sieh die Wunder dieser weiten Welt, statt dumpf daheim in Trägheit deine Jugend in ungeformter Muße zu vertun.«

London 1599, südliches Themseufer. Das Globe Theatre 36 ( ▶ H 4) ist zum Bersten voll. Für die billigen Stehplätze unter freiem Himmel im Innenhof des achteckigen Fachwerkbaus unmittelbar vor der Bühne haben die Zuschauer einen Penny bezahlt, für einen erhöhten und überdachten Platz in den umlaufenden Galerien bis zu sechs Pennys mehr. Die Theatervorstellungen beginnen in der Regel gegen 14 Uhr, heute präsentiert das Globe die lyrische Liebestragödie »Romeo und Julia« von William Shakespeare. Shakespeare ist nicht nur Autor des Stückes, er ist auch Intendant und Schauspieler. In »Romeo und Julia« tritt der 34-Jährige in der Rolle des Beichtvaters Pater Lorenzo auf.

Ein verstörtes Raunen geht durch die Zuschauermenge, als auf der Galerie im ersten Stock hinter der Bühne, die für manche Szenen auch als Balkon genutzt wird, die noch nicht mal 14-jährige Julia erscheint und, ergriffen von ihrer glühenden Liebe zu Romeo, verlangend in die Nacht hinaus ruft: »Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir/das wilde Blut, das in den Wangen flattert,/bis scheue Liebe kühner wird und nichts/als Unschuld sieht in inn’ger Liebe Tun./Komm, Nacht! Komm, Romeo, du Tag in Nacht!/Denn Du wirst ruhn auf Fittigen der Nacht/wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken./Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib/mir meinen Romeo!«

Das sind neue Töne auf der Bühne. Ein Mädchen fiebert der heimlichen Nacht mit dem Geliebten entgegen und sträubt sich gegen die von ihrem Vater erzwungene Heirat mit dem Mann, der ihm als der Richtige erscheint. Für die patriarchalische Moral der radikalen Protestanten im elisabethanischen England, der zufolge die Frau dem Mann untertan zu sein hat, grenzt so viel Rebellion an einen Skandal.

Ob als Rebellin, Erlöserin oder Opfer – in mehr als der Hälfte der Stücke Shakespeares spielen Frauen die entscheidende Rolle, selbst wenn sie, um ihr Ziel zu erreichen, hin und wieder auch als Männer auftreten müssen.

Als »Romeo und Julia« erstmals aufgeführt wird, lebt William Shakespeare schon seit etwa zwölf Jahren in London und gilt inzwischen als bester Komödien- und Tragödiendichter der Stadt, besser und beliebter gar als seine beiden hochgebildeten Zeitgenossen und Konkurrenten Christopher Marlowe (1564–1593) und Ben Jonson (1572–1637).

Als Knabe hatte William Shakespeare die Lateinschule besucht. Für ihn war der Unterricht kostenlos, denn sein Vater, ein Handschuhmacher, war auch Bürgermeister. Zur täglichen Lektüre gehörten Berichte römischer Feldherren und Philosophen in lateinischer Sprache, die Schüler mussten Aufsätze schreiben, Texte übersetzen und Szenen aus Märchen, Sagen und Mythen vorspielen. Die »Metamorphosen« von Ovid sollen Shakespeares liebster Lesestoff gewesen sein, daneben Bücher von Vergil und Horaz und die Bibel.

Welch’ ein reiches Repertoire, aus dem der wohl größte Dramatiker aller Zeiten ein Leben lang für seine eigene Bühne schöpfen kann! Dass Shakespeare besonders viel gelesen haben muss, davon zeugen seine Werke: Der Mehrzahl liegt mindestens eine, in der Regel aber mehrere schriftliche Quellen zugrunde. So war es ganz selbstverständlich für ihn, Texte umzuschreiben. Er muss sich dabei wohl ganz gewiss gewesen sein, dass sie durch seine Bearbeitung nur noch besser werden konnten. Den Begriff »Plagiat« gab es schließlich zu Shakespeares Zeiten noch nicht. Wie dem auch sei: Zwischen 1589 und 1612 entstanden bluttriefende, aber unsterbliche Meisterwerke wie »Hamlet«, »Othello«, »Richard III.«, »Julius Caesar«, aber auch die Komödien »Der Kaufmann von Venedig«, »Der Widerspenstigen Zähmung«, »Ein Sommernachtstraum« und »Die lustigen Weiber von Windsor«.

AUF NACH LONDON, KARRIERE MACHEN!

Man muss sich vorstellen: Als William Shakespeare mit 23 Jahren seinen Geburtsort Stratford-upon-Avon verließ und nach London aufbrach, war er bereits ein verheirateter Mann und hatte mit der acht Jahre älteren Anne Hathaway drei Kinder: Susanna und die Zwillinge Judith und Hamnet. Shakespeare hat keine persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen, keine Briefe, man weiß wenig über ihn aus seinen frühen Jahren.

Untreue und Eifersucht, Liebe, Hass und Schuld spielen in zahlreichen seiner Dramen eine zentrale Rolle. Hatte es Streit in der Ehe gegeben? Reichte es ihm vielleicht nicht, sein Geld als kleiner Schreiber im ländlichen Stratford zu verdienen, statt als Bühnenschriftsteller und Schauspieler in London Karriere zu machen?

Viele Wandertheater zogen durch das Land. Es gilt als gewiss, dass sie auch in Stratford haltmachten und dort gastierten. Vermutlich war Shakespeare seit Ende der 80er-Jahre für eine dieser Truppen als Schauspieler tätig und schrieb kleine Rollen, um schließlich mit nach London zu ziehen – und dort zu bleiben.

London, um diese Zeit Europas größte Stadt, beginnt gerade, einen wahren Theater-Boom zu erleben. Zehntausende von Menschen strömen pro Woche in die festen Spielstätten, von denen sich inzwischen rund ein Dutzend über die Stadt verteilt. Schauspieler können schnell und leicht Geld verdienen, besonders, wenn sie ihre eigene Truppe mit selbst geschriebenen Stücken versorgen.

DAS THEATER MACHT SHAKESPEARE REICH

Das Theater ist eine ideale Gelderwerbsquelle. Bis zum Jahr 1594 hat Shakespeare schon mindestens acht Theaterstücke zu Papier gebracht. Besonders Königin Elizabeth I ist vom Können des Autors aus der Provinz überzeugt. Seine Vorstellungen am Hof werden beklatscht, bald gründet Shakespeare mit sieben weiteren Kollegen die Theatertruppe »Lord Chamberlain’s Men«. Der Erwerb einer eigenen Spielstätte auf dem südlichen Themseufer folgt 1598 – es ist die Geburt des berühmten Globe 36 ( ▶ H 4).

Shakespeare – Autor, Schauspieler, Regisseur und Intendant – besitzt nun auch noch sein eigenes Theater. Das Unternehmen floriert und gilt bald als das erfolgreichste in London. Regelmäßig vergnügt sich ein breites Publikum, vom Großkaufmann und Adeligen bis zum Studenten und Lehrling, an den Auftritten der »Lord Chamberlain’s Men«. Und immer mehr Frauen entdecken ihre Lust am Theater. Es bietet Unterhaltung und ermöglicht ihnen einen Zugang zur Literatur. Wer hatte ihnen schon das Lesen beigebracht! Trotz der Bildungsreform unter Elizabeth I konnten um 1600 über 89 Prozent aller Frauen ihren Namen nicht schreiben.

William Shakespeare verdient mit seiner Theaterarbeit bald so viel Geld, dass er sich überlegen muss, wie er es am besten anlegt. Er kauft ein Haus in London, erwirbt Gebäude und Ländereien in und um Stratford. Mit 47 Jahren hört er mit der aktiven Theaterarbeit auf und geht zurück in seinen Heimatort, um sich dort seiner Familie, seinen Freunden und seinen Grundstücksgeschäften zu widmen. Regelmäßige Aufenthalte in London gehören dennoch weiterhin zu seinem Alltag.

Shakespeare muss jetzt nicht mehr schreiben, aber natürlich kann er es nicht ganz lassen. In Zusammenarbeit mit dem jungen Autor John Fletcher entsteht 1612 sein letztes Drama »Heinrich VIII.«. Darin geht es um Religion, Macht, die Scheidung des Königs von Katharina von Aragon und seine Vermählung mit Anne Boleyn. Am Ende wird ausführlich Prinzessin Elizabeths Taufe dargestellt.

Eine prächtige Aufführung, die das Globe 36 ( ▶ H 4) dem Publikum am 16. Juni 1613 präsentiert. Und plötzlich ein furchtbarer Schrecken. Böllerschüsse auf der Bühne haben das Strohdach des Theaters in Brand gesetzt, binnen einer Stunde fällt das gesamte Gebäude vollständig in sich zusammen, wird aber im Juli 1614 wieder eröffnet.

Es gibt wieder ein Shakespeare’s Globe Theatre. Es steht fast genau dort, wo das elisabethanische Original seinen Platz hatte. Initiator war der 1993 in London verstorbene amerikanische Schauspieler und Regisseur Sam Wanamaker, ein Shakespeare-Fan.

SHAKESPEARE BOOMT SEIT JAHRHUNDERTEN

Die Rekonstruktion ist gelungen: Der achteckige Theaterbau ist nach oben offen, nur Teile sind mit Reet gedeckt. Das Spektakel auf der hölzernen runden Bühne können die Zuschauer von den 900 Steh- und 600 Sitzplätzen aus sehr gut verfolgen und sich auf den anschließenden Spaziergang freuen, der sie über Norman Fosters Millennium Bridge ( ▶ H 4) zurück in die City bringt. Die nahezu durchsichtig wirkende Fußgängerbrücke verbindet St Paul’s Cathedral 40 ( ▶ H 3) mit dem Haus für zeitgenössische Kunst am Südufer der Themse, Tate Modern ( ▶ F 4). Am Abend, wenn ganz London leuchtet, ist das absolut spektakulär.

William Shakespeare starb 1616 in Stratford und wurde dort auch beerdigt. Seit 1740 erinnert eine lebensgroße Marmorstatue in der Dichterecke Poets’ Corner im südlichen Querhaus von Westminster Abbey 45 ( ▶ F 5) an ihn: den rechten Arm auf einen Stapel von Büchern gestützt, das rechte Bein über das linke geschlagen, der Gesichtsausdruck ist – wie könnte es anders sein – von elegischer Getragenheit.

Unvorstellbar, dass von diesem Shakespeare immer wieder behauptet wird, er könne gar nicht der wahre Verfasser seiner 37 Stücke und 154 Sonette sein, weil er nur der Sohn eines einfachen Handschuhmachers vom Lande war.

Die Kandidatenliste der wahren Autoren von Shakespeare-Dramen ist ellenlang und der angelsächsischen Lust an Verschwörungstheorien gestundet: Der Philosoph Francis Bacon wird genannt und Sir Walter Raleigh, zuweilen sogar Elizabeth I. Schon wahrscheinlicher sind da Männer wie der Autor Christopher Marlowe und der hochgebildete Abenteurer Edward de Vere, 17. Graf von Oxford. Marlowe wurde 1593 bei einem Gelage erstochen, und de Vere verschied 1604. Beide müssten also Dramen wie »König Lear« (entstanden 1605), »Timon von Athen« (1606), »Antonius und Cleopatra« (1607) und »Macbeth« (1608) im Voraus geschrieben haben …

Vielleicht hat der echte Shakespeare dieses Gezänk nach seinem Tod geahnt, denn auf seine Grabplatte ließ er meißeln:

»Guter Freund, im Namen Jesu grabe nicht/den Staub auf, der hier eingeschlossen ist./Gesegnet sei derjenige, der diese Steine achtet,/und verflucht der, der meine Gebeine bewegt.«

SHAKESPEARE’S GLOBE 36 ▶ H 4

New Globe Walk, Bankside, SE I

www.shakespearesglobe.com

▶ U-Bahn: Mansion House

WESTMINSTER ABBEY 45 ▶ F 5

Poets’ Corner

Broad Sanctuary, Westminster, SWI

www.westminster-abbey.org

▶ U-Bahn: Westminster

London. Eine Stadt in Biographien

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