Читать книгу VON KANADA NACH PANAMA - Teil 2 - Mario Covi - Страница 4
2. PIE DE LA CUESTA
ОглавлениеNein, Acapulco mit seinen Wolkenkratzern und seinen mondänen Hotels war nicht nach unserem Geschmack. So vertrauten wir dem Geheimtipp und steuerten den Strandabschnitt nördlich von Acapulco an. Tatsächlich gelangten wir in eine andere Welt und fanden auch bald das idyllische Dörfchen Pie de la Cuesta, abseits vom Trubel, zwischen Pazifikbrandung und der weiten, von Kokospalmen umsäumten Laguna de Coyuca.
Und als wir an den Palmenhainen, üppigen Blütenhecken und palmblattgedeckten Hütten vorbeifuhren, sahen wir den markanten Hochraum-Bulli mit Kölner Kennzeichen. Da standen sie, Herbert und Uschi, in alter Frische.
Wir hatten uns wieder gefunden!
Man konnte sich am Strand Sonnenunterstände mieten. Von einer freundlichen mexikanischen Familie mieteten wir einen langgestreckten, mit rustikalem Picknickmobiliar ausgestatteten Sonnenunterstand gleich für eine Woche. Für umgerechnet 70 Pfennige pro Auto und Tag. Üblicherweise suchten hier Badegäste Schatten, doch als Dauerkunden waren wir mindestens so willkommen. Wir durften auch die nahe Toilette benutzen und waren somit rundherum versorgt. Süßwasser zogen wir aus der Zisterne, und die nahe Süßwasser-Lagune bot Waschwasser für ein Vollbad im Überfluss. Schwimmen im Pazifik war bei der gefährlichen Brandung und wegen der Haie nicht so entspannend.
Die Mundpropaganda der Rucksackreisenden und Weltenbummler war tatsächlich noch gültig gewesen. Oft ist ja das geheime Weitersagen von Hinweisen auf ein letztes Stück Paradies das Ende so eines 'Geheimtipps'. Doch wir hatten noch Glück, und hatten ein Idyll gefunden!
Mittlerweile hat dort Sylvester Stallone 'Rambo' gedreht. Und in den Siebziger-Jahren hatten korrupte Polizeikräfte im geheimen Auftrag der Regierung bei Pie de la Cuesta mindestens 143 angebliche Guerilleros der 'Partei der Armen' brutal ermordet und die Leichen vom Flugzeug aus weit draußen im Pazifik 'entsorgt'.
Erfreulicher ist da das Geständnis des leider 2014 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez, dass ihm hier 1960, während einer Fahrt von Acapulco nach Pie de la Cuesta, die Idee zu seinem berühmten Roman 'Hundert Jahre Einsamkeit' gekommen war.
Wir lernten Harald und Valerie kennen. Valerie war Engländerin, Harald Deutscher. Beide lebten in Kanada und machten auf die ganz rustikale Art eine mehrmonatige Reise im VW-Käfer. In der blechernen Knutschkugel zu schlafen war schon eine asketische, wenn nicht gar sportliche Leistung. Schnell fanden wir Gefallen aneinander und beschlossen, die Zeit hier am Fuße des Hügels - Pie de la Cuesta - zwischen Pazifikbrandung und Kokospalmenrauschen gemeinsam zu verbringen. Harald war Hotelkoch und mit diesem Beruf schon weitgereist. Wir staunten nicht schlecht, wie er geschickt in einer riesigen Eisenpfanne auf einem kleinen einflammigen Coleman-Stove das Frühstück zubereitete. Auf der einen Seite brutzelten Spiegeleier, in einer anderen Ecke garten Kartoffelscheiben, daneben einige Zwiebelringe und Tomatenstücke. Die Kochhitze wurde durch spielerisch wirkendes Hin und Her der Pfanne geregelt. Man merkte, Harald wusste, was er tat.
Es waren herrliche Strandtage. Endlich, nach den Wochen im kühlen Hochland Mexikos, konnten wir uns volltanken mit Sonnenschein und Tropenklima. Meine Gitarre kam immer wieder zum Einsatz. Songs von Bob Dylan und Trini Lopez waren angesagt. Während meiner Seefahrtzeit hatte ich in Süd- und Mittelamerika einige spanische Lieder gelernt, vor allem die sehnsuchtsvollen Schmachtfetzen des 'Trio Los Panchos'. Hildrun und ich versuchten uns auch an typischen mexikanischen Klassikern wie 'La Llorona' und, natürlich, 'La Bamba', was unsere mexikanischen Nachbarn stets mit Sympathiebekundungen belohnten. Wir feierten vergnügt in die warmen Tropennächte hinein, ließen uns von der Farbenpracht pazifischer Sonnenuntergänge berauschen, und wenn wir besonders neckisch drauf waren, rannten wir zur nahen Lagune und badeten nackt.
Zu unserer sparsamen Ausrüstung gehörte auch ein kleines aufblasbares Plastikboot, eher ein Spielzeug. Harald fand es aber groß genug, um damit auf der Lagune fischen zu gehen. Draußen auf dem See wurstelten wir mit dem Angelzeug herum, was mich sehr an meine Kindheit am Bodensee erinnerte, wo wir mit primitivster Ausrüstung Fische angelten. Auch hier funktionierte es schließlich und wir holten einen kleineren 'Catfish', eine Art Wels aus dem Wasser.
"Klappt ja prima!", jubelte ich, während Harald in Gedanken bestimmt schon an einem leckeren Fischgericht bastelte.
Als Kind hatte ich gelernt, Fische gleich zu töten und nicht endlos zappeln zu lassen. Harald war der gleichen Ansicht. Also legte ich den Burschen auf den Bootsrand und schlug ihm kräftig in den Nacken. Leider war das nicht klug, denn Welse sind ziemlich stachelig am Ende ihrer Flossen, und so ein spitzes Teil bohrte sich nun in das aufblasbare Gefährt. Tja, wir hatten einen Platten - und das Ufer war mindestens einen Kilometer entfernt.
Harald paddelte. Ich hielt das Loch zu. Trotzdem entwich immer mehr Luft aus einer der drei Luftkammern und machte unsere kleine Titanic immer schlapper. Wir mussten der Tatsache ins Auge sehen: Schiffsuntergang! Doch wir nahmen diese kleine Katastrophe mit Humor. Schließlich konnten wir schwimmen, und von Krokodilen in der Lagune wussten wir nichts. Wir schwammen gelassen heimwärts, schoben das Plastikwrack vor uns her und sahen zu, dass unser Fang nicht über die Kante ging. Und Harald wusste, wie man auch aus nur einem einzelnen 'Catfish' eine leckere Suppe zaubert.
Am Ufer der malerischen Lagune hatten sich ein paar Kanadier ein Stück Land gepachtet und aus Camp-Trailern und einem Überdach aus Palmblättern eine urige Sommerresidenz gebaut. Eigentlich war es ein Winterfluchtort. Sie erzählten uns, dass sie bereits mehrere Jahre während der Winterzeit, wenn in Kanada sowieso viele Jobs gekündigt werden, hier im tropischen Mexiko das einfache Leben genießen. Sie waren die ersten 'Snowbirds', die wir kennenlernten. So werden nämlich eine Vielzahl von Kanadiern genannt, die sich einen zweiten Winterwohnsitz im Süden - vorzugsweise Florida - leisten, und von November bis April, wie die Snowbirds und andere Zugvögel, dem kalten Norden Richtung Süden entfliehen.
Mittlerweile hatte sich die mexikanische Nachbarschaft an unser Hippie-Lager gewöhnt und kam regelmäßig zu einem Plausch vorbei. Einmal, als ich Wasser aus der Zisterne holte, rettete mich die Tochter unserer Vermieterin vor einer schmerzhaften Erfahrung. Fröhlich zog ich das Seil, an dem der Wassereimer hing, Hand über Hand aus dem Wasserloch. Wir plauderten gerade über irgendetwas als sie plötzlich aufschrie: " Cuidado! Alacrán!- Vorsicht, ein Skorpion!"
Mit der nächsten Hand hätte ich voll in das stachelbewehrte Spinnentier gegriffen, das stoisch auf dem Seil hockte. Mann, ich hatte wirklich Glück gehabt und dankte dem aufmerksamen Mädchen, das sich in unserer Gesellschaft sichtlich wohl fühlte.
Sie rettete mich vor dem Alacran
Die Bevölkerung an der Küste lebte vom, noch, spärlichen Badetourismus und vom Fischfang. Den Badegästen konnte man schattenspendende Unterstände mit Picknicktischen und Strandstühlen vermieten. So ein praktisches Teil also wie wir es gemietet hatten. Oder man wanderte am endlosen Strand entlang und versuchte ein paar Pesos durch den Verkauf von Bananen, Obst oder Tamales zu verdienen. Wir hatten uns mit einer Strandverkäuferin angefreundet, die regelmäßig vorbeikam und uns mit Obst versorgte.
So lernten wir, dass Papayas erst durch etwas Limettensaft richtig schmackhaft werden. Und wir versuchten zum ersten Mal Mameyes, etwa so groß wie Mangos, mit einem ebenso großen Kern, aber braunem Fruchtfleisch, das ein wenig an Schokoladenpudding erinnert. Wir versuchten auch ihre Tamales, ein in Maisblättern gegartes mexikanisches Fingergericht in allerlei Variationen. Sie schmeckten wirklich gut und wir verdauten sie ohne von Moctezumas Rache, dem landesüblichen Durchfall für Touristen, heimgesucht zu werden.
Apropos Moctezumas Rache: Wir vermieden es nach Möglichkeit irgendetwas Nicht-selbst-Gekochtes zu essen. Salat, Tomaten, Gemüse oder Obst wuschen wir mit Wasser, in dem wir ein paar Kristalle Kaliumpermanganat gelöst hatten. Diese violette Lösung ist ein vielseitiges Desinfektionsmittel, mit dem man gegen Erkältungen gurgeln, Fußpilz bekämpfen oder eben Bakterien abtöten kann. Vor allem beim Wasser waren wir sehr vorsichtig, denn in Mexiko wurde Trinkwasser auch von der einheimischen Bevölkerung nur in großen Wassergaraffen gekauft. Wir füllten zwar unsere Wasserkanister meistens beim Tanken an der Tankstelle auf, entkeimten es aber stets mit 'Micropur', das wir von Deutschland mitgenommen hatten. So hatten wir immer gutes Trinkwasser. Wir hatten uns auch schon mal am Tor einer Getränkefabrik von den dortigen Arbeitern die Kanister mit 'Agua Purificada' auffüllen lassen.
Eine weitere Einkommensquelle der örtlichen Bevölkerung war die Ernte der vielen Kokosnüsse, die auf den Palmen entlang der Küste, und an den vielen Lagunen, dicht an dicht in regelrechten Wäldern wuchsen. Große Strandflächen wurden zum Trocknen der Nüsse genutzt, die schließlich mit Äxten oder Macheten gespalten wurden, um danach das weiße fetthaltige Kernfleisch herauszuschälen. Das getrocknete Kernfleisch wurde als Kopra verkauft, aus der man letzten Endes Kokosöl gewinnen konnte.
Ein paar Strandköter, grauselige Kreaturen, hatten sich dem Schutz unseres Rudels unterworfen. Jede Nacht schliefen sie unter den Bullis und sorgten für einen gewissen nächtlichen Lärmpegel, wenn sich vermutlich eine Ratte oder ein Strandkrebs zu nah an unsere Wagenburg heranwagte. Wir ließen die armen Tiere gewähren, vermieden aber eine zu große Nähe, denn sie waren von Schwären und Bisswunden und bestimmt auch Flöhen übersät und sahen alles andere als gesund und vertrauenswürdig aus. Aber sie liebten uns, denn sie bekamen regelmäßig irgendetwas zugeworfen, das ihren Hunger stillte. Als Hildrun und ich einmal am Strand entlang stromerten, folgten sie uns treu. Wir fanden ein paar große tote Fische, die sie gierig zerfetzten und auffraßen.
Zum Abschied zauberte Harald noch einen köstlichen Braten aus zwei Kilo Schweinefleisch, das wir direkt nach der Schlachtung hatten kaufen können. Es war lange her, dass wir uns an Frischfleisch gewagt hatten. Dann lud uns die mexikanische Familie, von der wir den Unterstand gemietet hatten, zu einem Stück Torte ein. Der kleine Carlo, eines von acht Kindern, hatte Erstkommunion. Und danach tanzten wir ausgelassen in der tropischen Nacht. Es war ein unvergesslicher Abend!
Eine Woche unbeschwerten Strandlebens musste reichen. Der Abschied fiel uns sehr schwer, doch wir erwarteten in Mérida Post und hatten uns Geld dorthin überweisen lassen. Wir verabredeten mit Harald und Valerie, die noch an der Pazifikküste bleiben wollten, uns zum Jahreswechsel am anderen Ende von Mexiko zu treffen. Und zwar in Puerto Morelos im Territorium Quintana Roo auf der Halbinsel Yukatan.
"Also dann, bis Silvester am Karibikstrand!", - oder so ähnlich war unser Abschiedsgruß von den beiden als wir uns mit unseren VW-Bullis wieder auf den Weg ins Hochland von Mexiko machten.
Da lag jedoch noch Acapulco mit seinen lockenden Boutiquen und Läden auf unserer Route. Und dort machten wir die Bekanntschaft einer Geschäftsfrau, die sich so sehr darüber freute, uns deutsch sprechen zu hören, dass sie uns spontan zur Übernachtung in ihre Villa einlud.
Sie war Weißrussin, hatte aber in Hamburg gelebt und war von dort rechtzeitig vor dem Zweiten Weltkrieg nach Mexiko ausgewandert, oder sogar vor dem Naziregime geflüchtet? Ihr Textilgeschäft an der Uferpromenade Acapulcos hatte sie mit ihrem mexikanischen Mann aufgebaut. Nun war sie Witwe, beziehungsweise mit einem um Jahre jüngeren Mexikaner wieder verheiratet. Wir merkten bald, dass wir da in eine ziemlich verzwackte Beziehungskiste und eine skurrile soziale Szenerie geraten waren...
Aus geschäftlichen Gründen musste sie angeblich mit einem Mexikaner verheiratet sein, wenn wir das richtig begriffen hatten. Sie hatte sich dazu einen jungen Mann erkoren, der wiederum seine sexuellen Freuden bei seiner Cousine fand, die im Haushalt arbeitete. Das blieb natürlich nicht ohne Folgen. Nun ist in Mexiko die Verbindung zwischen Cousin und Cousine angeblich verboten, was mir allerdings schleierhaft ist in einer Weltregion, wo Konkubinate, sogenannte wilde Ehen und fröhliche Querfeldein-Liebesbeziehungen zur Alltagsnormalität gehören und folglich sogar allerlei Halbgeschwister-Ehen möglich sind. Ich vermute, dass unsere Gastgeberin ein bisschen mit den Fakten des Lebens auf Kriegsfuß stand. Jedenfalls behauptete sie, dass sie den Kleinen, der in der Villa aufwuchs, als ihr Kind hat registrieren lassen. Sie war allerdings bestimmt nicht mehr im gebärfähigen Alter.
Die Villa war ein respektables Haus mit reichlich Wohnraum und einem Swimmingpool im Garten. Doch vieles war erschreckend heruntergekommen. Der Swimmingpool beispielsweise war überwuchert mit wildem Pflanzenwuchs. Uns hätte es nicht gewundert, wenn da Kaimane und Schildkröten ein edles Biotop gefunden hätten. Freizügig in Hof und Haus herumlaufende Hühner hatten ihren Lieblingsplatz in der Küche gefunden. Sie hockten auf den offenen Schubladen und machten ihr Geschäft schon mal dösig gackernd ins schwere Silberbesteck. Ja, es war eine skurrile Umgebung, in die wir da hinein schauten und leise vor uns hin rätselten...
Wir wollten die sehr warmherzige und freundliche Dame natürlich nicht brüskieren und nahmen ihre Gastfreundschaft dankbar an. Geschickt umschifften wir eventuelle Peinlichkeiten, wenn etwa Besteck aus den Küchenschubladen geholt werden musste. Es gab schließlich fließend Wasser, und wir hatten einen gewissen Abhärtungsgrad erreicht, der sich beim Umgang mit Ekelgefühlen als hilfsreich erwies.
Als wir über unsere Reise plauderten, fragte die Señora des Hauses, ob wir denn auch bewaffnet seien. Wir bejahten, und sie fragte meine Frau: "Kannst du denn auch mit dem Revolver umgehen?"
Als Hildrun herumdruckste sagte sie: "Du musst üben! Die Knarre nützt dir gar nichts, wenn du sie nicht richtig handhaben kannst. Die bösen Buben haben doch alle einen Revolver. Da musst du einfach schneller sein. Ich kann schießen, das habe ich hier in Mexiko lernen müssen. Es waren wilde Zeiten, das kann ich euch sagen..."
Sie erzählte, dass sie außerhalb Acapulcos noch einen 'Ranchito' besitze, so eine Art Landhaus für Wochenenden oder Ferien. "Die Einbrecher dort wissen genau, dass ich nicht zögere zu schießen. Ich ziele allerdings immer auf die Hacken", sagte sie lachend.
Es war lange her, dass wir eine Nacht in einem Schlafzimmer zubrachten. Das Bett war in Ordnung. Aber leider waren wir nicht gegen die Attacken der Moskitos vorbereitet und kamen zu dem Schluss, dass unser Kuschelschlafsack im Camper einfach unschlagbar gemütlicher war...