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4. PALENQUE

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Wer sich die jugendliche Lust auf Abenteuer, Entdeckungen, auf Berichte über versunkene Dschungelstädte bewahrt hat, kommt in Palenque auf seine Kosten. Hier findet man eine Vielzahl beeindruckender Bauten aus der klassischen Periode der Mayakultur. Unvergleichlich ist die abenteuerliche Szenerie, die sich dem Besucher darbietet. Die Tempel und Pyramiden wirken so, als seien sie gerade erst dem Regenwald entrissen worden. Und in der Tat ist bislang nur rund fünf Prozent der alten Maya-Metropole archäologisch erfasst worden. Der Rest ist noch vom Dschungel überwachsen und wartet auf seine Erforschung. So jedenfalls fanden wir die aufregende Ruinenstadt Palenque vor, als wir am 19. Dezember 1967 für zwei Pesos Eintritt durch die Anlage wanderten.


Problemlos konnten wir uns mit unseren Bullis an den Rand der Tempelstadt stellen und hatten Zeit, unserem Entdeckertrieb nachzugehen, die interessantesten Fotoperspektiven zu suchen oder einfach die abenteuerliche, mystische Atmosphäre auf uns wirken zu lassen. Insgesamt waren vielleicht zwei Dutzend Besucher in der Anlage, so dass man sich der Illusion hingeben konnte, gerade erst auf diese geheimnisvollen Überreste einer versunkenen Kultur gestoßen zu sein. Der Regenwald, im Tiefland bereits zum großen Teil abgeholzt, war hier noch zu sehen, zu spüren, zu hören und zu riechen. Wir ließen uns verzaubern...


Palenque liegt im Nordosten des Bundesstaats Chiapas, der sehr gebirgig ist, auf niedrigen Hügeln, die schon eher im Tiefland des nahen Bundesstaats Tabasco liegen könnten. Bis vor kurzem war Palenque nur mit dem Buschflieger oder einer altertümlichen Eisenbahn zu erreichen. Wir hatten das Glück, dass mittlerweile eine Straßenverbindung zu diesem geheimnisvollen Ort existierte.

Zentrales Bauwerk ist der Palast, der vermutlich im siebten nachchristlichen Jahrhundert entstand. Allerdings sollen an diesem Bauwerk 120 Jahre lang Veränderungen vorgenommen worden sein. Markant ist der Turm, der wohl als Wachturm und Observatorium diente. Die Mayas, die auch gerne die Griechen Mesoamerikas genannt werden - im Gegensatz zu den Azteken, denen man das Schildchen 'Römer' anhängte - waren auf dem Wissensgebiet der Astronomie und Mathematik den europäischen Kulturvölkern weit voraus. Sie hatten eine Schrift aus Hieroglyphen und ein Zahlensystem, das einen Stellenwert und vor allem die Null kannte. Heute erscheint uns das Rechnen mit der Null als Selbstverständlichkeit, aber weder Griechen noch Römer waren jemals auf diese Idee gekommen. Die Mayas konnten das Jahr genauer berechnen als die Europäer, die ihnen letzten Endes den Untergang brachten.


Früheste Nachweise für eine Besiedelung Palenques reichen ins Jahr 400. Ab dem Jahr 814 versickern verlässliche Informationen über Palenque im unerforschten Nebel der Vergangenheit. Einst, um das Jahr 1564, gründeten spanische Dominikanermönche das Dorf Palenque. Aber erst Ende des 18. Jahrhunderts stießen die Spanier auf die Dschungelstadt. Viel wurde unsachgemäß ausgebuddelt, zerstört und völlig falsch gedeutet und interpretiert. Da kamen die Phönizier mit ins Spiel, unbekannte Bewohner von Atlantis, die verlorenen Stämme Israels oder gar - dank Erich von Däniken - die Außerirdischen. Nur nicht die Mayas selbst! Endlich aber, 1940, fing man ernsthaft und mit archäologischem Sachverstand an, in Palenque zu graben.

Gegenüber dem Palast liegt der 'Tempel der Inschriften', der im Jahr 690 vollendet wurde. Auf der zwanzig Meter hohen Stufenpyramide befindet sich ein Tempelhaus. Hier entdeckte man 1949 den Zugang zu einem verschütteten Niedergang, der tief in das Innere der steilen Pyramide führte. Das war eine Sensation! Aber es dauerte noch drei Jahre bis man den Treppengang zu einer 40 Quadratmeter großen und 7 Meter hohen Grabkammer freigelegt hatte. Hier also war der Herrscher Pakal in einem Sarkophag zur ewigen Ruhe gebettet worden. Mit einer kunstvollen Jademaske bedeckt lag der Maya-König unter einer schweren Steinplatte, deren Relief nach Erich von Dänikens Deutung einen Außerirdischen darstellt. Das allerdings erscheint nur noch wenigen Esoterikern glaubhaft.


Mit Uschi und Herbert schlossen wir uns einer kleinen Führung an, die uns auf dem steilen Niedergang in die Tiefe der Pyramide führte. Im Anthropologischen Museum von Mexiko-Stadt hatten wir zwar die Krypta als Nachbau gesehen. Doch das Erlebnis vor Ort, tief unten im dämmrigen, feuchten Inneren der Tempelpyramide war einfach völlig anders.

Nach der Besichtigung machten wir eine Nachmittagspause, aßen eine Kleinigkeit und ließen, fast zu Füßen des Tempels der Inschriften, den Zauber der versunkenen Ruinenstadt auf uns wirken. Wir kamen mit einem Mexikaner ins Gespräch, der neugierig um die Fahrzeuge schlich, vor denen wir in unseren Campingstühlen entspannten. Wir plauderten ein Weilchen über unsere Reise. Er stellte sich als Ingenieur einer mexikanischen Ölfirma vor und überreichte uns seine Visitenkarte. Wir verabschiedeten uns freundlich - und stellten zu spät fest, dass der Kerl nur auf eine Gelegenheit gelauert hatte, unser kleines und einziges Transistorradio aus dem Auto zu klauen! Zum Glück lag weiter nichts Wertvolles vorne auf der Konsole des Bullis, dessen Türen natürlich wegen der Tropenhitze alle offen standen.

Das war ärgerlich, denn das Radio war unsere einzige kleine Informationsquelle gewesen. Zum Glück hatten Herbert und Uschi in ihrem Bulli ein richtiges Autoradio mit dem sie regelmäßig die Nachrichten der Deutschen Welle empfingen. Zur musikalischen Entspannung hatten wir sowieso noch das Uher-Report und viele Stunden Musik auf Tonbändern dabei.

Wir machten uns wieder auf den Weg und kamen durch das Dörfchen Palenque, das 1967 von etwa 1.600 Menschen bewohnt wurde. Es tut mir Leid, aber nur durch Vergleichen mit heute kann man einige der Probleme Mexikos darstellen. Palenque hat heute 85.000 Einwohner, das ist das 53-fache! Landflucht und Verstädterung bringen immer mehr soziale Ungleichheit und Zündstoff an die Oberfläche. Im Fall von Palenque und seiner weiteren Umgebung mit ihren touristischen Attraktionen kommt hinzu, dass finanziell und politisch mächtige Kreise hier ein zweites Cancún aufbauen wollen. Ein touristisches Mega-Center. Das geht, so befürchtet ein großer Teil der ortsansässigen Bevölkerung, nicht ohne Enteignung von Gemeinschaftsland. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass soziale Konflikte bewusst geschürt würden, um eine Änderung der Besitzverhältnisse trickreich herbeizuführen.

Wir überquerten den mächtigen Usumacinta und fuhren weiter auf der Straße Nr.186 Richtung Campeche. Diese Verbindung durch das Landesinnere der Halbinsel Yucatán war gerade fertiggestellt worden und in manchen Autokarten noch gar nicht eingezeichnet. Sie war offiziell geöffnet, aber es schien uns, als ob das kaum jemand wusste. Es war ein Vergnügen auf dieser jungfräulichen Asphaltstraße dahinzugleiten. Kein Schlagloch, makelloser glatter Straßenbelag, und absolut kein Verkehr. Aber auch keine Tankstellen! Die einzige Tankstelle, die wir vorfanden, war ein menschenleerer Rohbau mit verhängten, noch nicht funktionsfähigen Zapfsäulen. Wir kamen ins Grübeln und hofften, morgen auf eine Tankstelle zu treffen. Hildrun nutzte ihre Chance und übte auf dieser einsamen Strecke das Autofahren.

Zunächst brauchten wir einen Platz für die kommende Nacht. Links und rechts der einsamen Straße wucherte sumpfiger Dschungel. Ab und zu strebten riesige Regenwaldbäume in den Himmel, aber kein einziger kleiner Nebenweg bot uns die Chance, vom frischen Asphalt herunterzukommen. Sollten wir mitten auf der Straße übernachten? Und wenn nachts dann doch ein LKW angebraust kommen würde?

Am Straßenrand erblickten wir ein Dschungeldörfchen. Eine Ansammlung von fünf Hütten. Vermutlich lebten dort Viehhirten, denn es zeichnete sich bereits ab, dass der Tieflanddschungel durch Abholzung zur Savanne wurde. Als wir zehn Jahre später durch diese Region Yucatáns fuhren, hatte ich unserem Freund Heiko, der mit einem zweiten VW-Bulli bei dieser Reise dabei war, bereits tagelang vorgeschwärmt, durch was für eine beeindruckend einsame Dschungellandschaft wir kommen würden. Tja, es war ein Schock: weit und breit nur Dornbusch-Savanne und Weideland mit Buckelrindern. Man konnte tief ins Land schauen, und nur vereinzelt stand mahnend ein einsamer Baumriese wie eine Insel im Grasmeer.


Wir fragten die Bewohner, ob wir wohl die kommende Nacht in ihrer Nachbarschaft verbringen dürften. Touristen aus Alemania? Von so weit her? Na klar! Willkommen! Nur die tastende Fahrt über eine fragile Brücke aus aneinandergereihten Palmenstämmen war etwas kniffelig. Die Räder unserer Bullis drohten, zwischen die runden Stämme zu rutschen, sollten diese ins Rollen geraten. Aber wir schafften den kurzen Weg über Sumpf und düsteres Wasser. Dann standen wir endlich neben urigen Urwaldhäusern im Dämmerlicht Yucatáns.


Die Hütten waren sehr rustikal. Sie waren traditionell ausschließlich aus Naturmaterialien gebaut. Wie in weiten Teilen Lateinamerikas schliefen die Bewohner in Hängematten, der genialen indianischen Erfindung. Übrigens ist aus dem indianischen Wort 'Hamaca' durch Verballhornung unser Wort 'Hängematte' entstanden. Wir genossen den friedlichen Abend in dieser urwüchsigen Atmosphäre, die irgendwie zeitlos war...

Die Nacht war tropisch schwül und voller fremdartiger Geräusche. Hildrun und ich hatten noch keine Lust, so früh wie die Einheimischen - bei Sonnenuntergang - schlafen zu gehen. Ich konnte Hildrun überreden, mit mir ein Weilchen in die geheimnisvolle, etwas unheimliche Dschungelnacht zu wandern.

Die nahe Straße, auf der absolut kein Verkehr herrschte, bot sich für einen nächtlichen Spaziergang an. Nach einer Weile hockten wir uns mitten auf die Fahrbahn und spürten die Wärme des Straßenbelags, der die Hitze des Tages gespeichert hatte. Wir philosophierten ein wenig über das einfache und extrem einsame Leben, das wir hier so hautnah erleben durften. Durch die nagelneue Autostraße würden diese Menschen allerdings ganz plötzlich in ein anderes Leben gezwungen werden. Die verkehrstechnische Öffnung dieses bislang abgeschiedenen Landstrichs würde auch die Nachteile des Fortschritts mit sich bringen. Die Bewohner waren keine typischen indigenen Ureinwohner, sondern schlichte mexikanische Landbewohner, deren Kinder uns noch sehr schüchtern begegneten.


Gedankenvoll hockten wir auf dem warmen Asphalt.

"Schon komisch", sagte ich zusammenhanglos, "bald ist Weihnachten." Tatsächlich trennten uns nur noch fünf Tage von Heiligabend. Wir lauschten den Zikaden, die laut sirrten, und den fremdartigen Tönen, die angeblich Frösche machten und die eher an den Gesang von Vögeln erinnerten. Mit einem Male ertönte ein durch Mark und Bein gehendes Gebrüll, das uns vor Schreck zusammenfahren ließ.

"Was ist das denn?", fragte Hildrun und stellte sachlich fest: "Ich habe Angst!"

"Hört sich an als ob da größere Tiere, vielleicht Jaguare kämpfen", grübelte ich laut und fummelte nach dem Revolver, den ich vorsorglich und zur Beruhigung doch noch eingesteckt hatte.

"Dann lass uns bloß von hier verschwinden", drängte Hildrun und drückte sich an mich, eingeschüchtert von dem irrsinnigen Lärm, der durch den Dschungel hallte. Wir verkrümelten uns schnellstens in Richtung Camping-Bullis. Zuvor aber ging ich noch zu den nahen Hütten und fragte vorsichtig in die Dunkelheit, was denn da wohl im Urwald vor sich gehe, wer denn da so einen Lärm mache.

"Los monos", war die lapidare Antwort.

"Los monos?", fragte ich verblüfft und bekam die Bestätigung: "Si, los monos..."

Brüllaffen waren es. Brüllaffen, aus der Familie der Klammerschwanzaffen, weil sie wie alle lateinamerikanischen Affen ihren Schwanz als fünftes Greifwerkzeug benutzen. Brüllaffen also, die größten Affen der Neuen Welt, und bestimmt die lautesten Baumbewohner der ganzen Welt.

Trotzdem hatten wir eine geruhsame Nacht und nahmen das Brüllkonzert als das, was es war: ein unvergessliches Abenteuer!

VON KANADA NACH PANAMA - Teil 2

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