Читать книгу VON KANADA NACH PANAMA - Teil 2 - Mario Covi - Страница 7
5. WEIHNACHTEN
ОглавлениеNatürlich gab es keine Tankstelle auf der weiteren Dschungelstrecke. Unsere Tankanzeigen rutschten tiefer und tiefer. Es waren die goldenen Zeiten des Spritverschwendens! So ein armseliger Boxermotor mit 34 PS brauchte doch tatsächlich um die 11 bis 12 Liter auf hundert Kilometer. Die freundlichen Dschungeldorfbewohner hatten uns allerdings darauf hingewiesen, dass wir auf unserem Weg eine größere Vieh-Finca passieren würden. Die Leute dort verkauften uns dann tatsächlich jeweils fünf Liter Benzin.
Bei Champotón, rund 65 km vor Campeche, erreichten wir wieder den Golf von Mexiko und die Küstenstraße Nr.180, der ursprünglich einzigen Verkehrsader durch die Halbinsel Yucatán, die etwas vage aus Richtung Tampico kommend bis ans damalige Ende der Halbinsel, bei Puerto Juarez, reichte. Da war er wieder, der Verkehr, und es gab Tankstellen, und Schlaglöcher, und endlich auch wieder Seitenstraßen. Auf der Kiesstraße zu den Ruinen von Edzna verbrachten wir die Nacht zum 21. Dezember.
Erinnerungswürdig war für mich die Suche nach einem stillen Örtchen nach dem Frühstück. Zwischen riesigen Agaven wollte ich mein Geschäft erledigen, als ich eine farbenprächtige Schlange aufscheuchte. Das Tier war bestimmt über anderthalb Meter lang und auffallend rot, weiß und schwarz geringelt. Zum Glück hatte ich mich über Schlangen ein wenig schlau gemacht und war mir sicher, eine ungiftige Königsnatter aufgescheucht zu haben. Diese hat zwar ähnliche Farben wie die äußerst giftige Korallenschlange. Aber die Korallenschlange ist viel kleiner, und, als bestes Unterscheidungsmerkmal beginnt der schwarz-weiß-rote Farbrhythmus immer mit einem schwarzen Kopf. Bei der Königsnatter hingegen ist der Kopf stets weiß und die schwarzen Ringe sind extrem schmal. Aber es war gut, vorsichtig zu sein, denn Yucatán bot eine Palette von etwa 30 verschiedenen Giftschlangen.
Den Bundesstaat Campeche hatten wir bald hinter uns gelassen und waren nun im Staat Yucatán Richtung Hauptstadt Mérida. Nun befanden wir uns wirklich im Land der Mayas, wo nicht nur Spanisch sondern auch Mayathan gesprochen wurde, eine der am weitesten verbreiteten Mayasprachen.
Als die Spanier 1542 den Ort auf und aus den Überresten einer Mayastadt gründeten, erinnerte sie das an das spanische Mérida, welches auf den Ruinen römischer Bauten entstanden war. Schon war ein Name für den Ort gefunden, den wir als charmante helle Stadt mit viel kolonialem Flair kennenlernten. Spanische und maurische Architektur prägten das Stadtbild. Sehr auffallend waren die vielen Mayafrauen, die noch den traditionellen 'Huipil' trugen, ein weißes Kleid mit farbenprächtigen Stickereien. Ebenso hervorstechend waren die Gesichtsprofile der Menschen. Wir waren verblüfft, wie stark die urtypischen Mayagesichter beispielsweise den Darstellungen auf Tempelreliefs ähnelten.
Unser erstes vorrangiges Ziel in Mérida war die Bank, an deren Adresse wir schon von Deutschland aus 1.000,- DM vorausgeschickt hatten. Übergabe und Tausch des Geldes verliefen ohne Komplikationen. Dann ab zur Post. Vier Briefe warteten auf uns. Wir waren bester Laune!
Um nicht in der Stadt übernachten zu müssen, suchten wir den Weg zum 35 Kilometer entfernten Hafen Progreso an der Nordküste der Halbinsel. Als wir uns dem Hafengelände näherten merkten wir, dass hier eine rege Bautätigkeit herrschte. Vor uns tuckerte gemächlich ein klapperiger Lastwagen und blieb plötzlich stehen. Er hatte allem Anschein nach die Abfahrt nach rechts verpasst. Dann lief alles ganz schnell: der Lkw setzte zurück, ich hupte wie ein Irrer - und schon krachte es!
Die rechte Windschutzscheibe zersplitterte und das Blech unseres treuen Bullis knirschte herzzerreißend. Ich dachte "und das zu Weihnachten!" während Hildrun wie eine Löwin aus dem Wagen sprang und wütend schimpfend auf die Lkw-Besatzung losging. Sie hatte noch gar nicht bemerkt, dass ihr das Blut vom Arm tropfte.
Ein Personenwagen, in dem ein Mann und eine Frau Zeuge des Unfalls gewesen waren, hatte angehalten. Der hilfsbereite Fahrer kümmerte sich sofort um Hildrun, die sich - es gab noch keine Sicherheitsgurte - beim Aufprall abstützen wollte und in die splitternde Scheibe gefasst hatte. Wie sich herausstellte war der Mann Arzt.
"Die bringen mich mal schnell ins Krankenhaus!", hörte ich meine Frau rufen. Vorher aber drückte mir der Mann noch rasch die abmontierten Nummernschilder des Lkw in die Hand und schnappte sich die Wagenpapiere unseres Unfallgegners, die hinter der Sonnenblende steckten: "So machen wir das in Mexiko. Man muss sofort etwas als Pfand in der Hand haben, sonst verschwinden die Kerle einfach..."
Herbert und Uschi hatten in einigem Abstand geparkt. Mit Herbert verhandelte ich mit unserem Unfallgegner. Der Fahrer des Lkw beschwor mich: "No Policia, por favor!" Und mir ging dauernd die beknackte Klage durch den Kopf "Und das kurz vor Weihnachten!" Dabei hätte ich mir viel mehr wegen der hereinbrechenden Dämmerung Sorgen machen sollen. Wo nur sollten wir uns mit unserer zerdepperten Hippie-Kiste hinstellen, hier, in diesem sandigen und sumpfigen Baugelände?
Schneller als gedacht war Hildrun wieder da, mit einem verbundenen Unterarm.
"War nicht schlimm, ein paar Glassplitter mussten entfernt werden", erklärte sie fröhlich.
Mann, dieses mexikanische Paar hätte meine süße blonde Frau doch glatt entführen können, ich hatte mir weder Namen noch Fahrzeugnummer gemerkt, die hätten sie ja sonst wohin bringen können, nur nicht ins Krankenhaus, fiel mir plötzlich panisch ein. Trotzdem waren wir sehr dankbar für diese spontane Hilfsbereitschaft!
Mit dem Fahrer und Beifahrer des Lkw begutachteten wir den Schaden. Sie gaben sich reumütig und versprachen sogar schriftlich, für den Schaden aufzukommen. Aber, no Policia, keine Polizei, bitte!
Warum nur? Wir sahen sofort, dass dem klapperigen Lastwagen ein Rückspiegel fehlte. Wer weiß, was da noch im Argen lag. Derjenige, der sich als Fahrer ausgab, der war doch von der Beifahrerseite gekommen. Und der eigentliche Fahrer... Da stimmte doch etwas nicht!
Wir stellten den angeblichen Fahrer zur Rede und er gestand kleinlaut, dass der Besitzer des Lkw gefahren sei, aber keinen Führerschein mehr habe. Er wolle für seinen Kollegen und Arbeitgeber die Schuld auf sich nehmen, damit sie beide ihren Job nicht verlören. Der arg abgewirtschaftete Lkw war mit vielen anderen Fahrzeugen ähnlicher Beschaffenheit in dem weiten Hafenbaugelände im Einsatz. Vermutlich zu einem halsabschneiderischen Billigtarif. Deshalb müssten wir das unbedingt unter uns regeln, ohne Polizei, bitte!
Wir kamen überein, uns morgen gegen neun Uhr in der Werkstatt des VW-Händlers in Mérida zu treffen. Herbert und Uschi kamen treu mit uns mit, und unterstützten uns auch während der kommenden Tage freundschaftlich. Bei der Reparaturannahme wurden wir mit der mexikanischen Standardfrage bei derartigen Kollisionsschäden konfrontiert: "Una vaca? - Mit 'ner Kuh zusammengestoßen?"
Bei dem frei herumlaufenden Vieh, allen voran Eseln und Rindern, wurde in Mexiko ein Frontalschaden zuallererst durch solch ein Tier verursacht. Vor allem nachts drohten derartige Zusammenstöße. Nicht nur deshalb hatten wir uns geschworen, niemals eine Nachtfahrt zu riskieren.
Am nächsten Vormittag, wir hatten auf dem Hof des VW-Autohauses, mit Zugang zu den Toiletten, entspannt übernachten können, wurde unser Auto inspiziert und ein Kostenvoranschlag gemacht. Und wir warteten ungeduldig auf Pablo, den angeblichen Unfallverursacher. Der Kostenvoranschlag stimmte uns nachdenklich. Das würden Pablo und sein Chef kaum aufbringen können, oder wollen. Und wir warteten und warteten und warteten, und die Werkstatt wollte endlich eine Entscheidung von uns.
Enttäuscht traten wir die Flucht nach vorne an. Herbert brachte mich nach Progreso, wo wir versuchten die beiden Unfallfahrer im Hafenbaugelände zu finden. Anhand der Wagenpapiere hatten wir Namen und Fotos, doch keiner der Lkw-Fahrer im Gelände hatten Erinnerungen an die Gesuchten. Klar, wer hätte schon Kollegen an Gringos verpfeifen wollen. Also, letzte Chance: zur Polizei!
Das indes hätten wir uns echt schenken können! Unser Ansinnen, einen Unfall anzuzeigen, wurde mit arrogantem Lächeln vom Tisch gewischt. Im Sinne von: wie, ihr reichen Gringos wollt einen armen Mexikaner anzeigen? Das ist doch lächerlich, die Reparaturkosten tun euch bestimmt nicht weh! Und das war's dann!
Stinkig machten wir uns auf den Rückweg zur VW-Werkstatt. Und wer stand da und wartete auf uns? Pablo, der Lümmel! Oh, was für ein Glück, dass wir ihn nicht hatten anzeigen können bei den vermaledeiten Mistkerlen von Polizisten!
Pablo überzeugte uns, dass die VW-Leute viel zu teuer seien. Er hätte eine Werkstatt, die unseren Camper für weniger als die Hälfte reparieren würde. Es sei bereits alles geregelt, deshalb habe er sich auch so verspätet.
So landeten wir in einer archaisch anmutenden Werkstatt, im Gassenviertel Méridas, bei einem liebenswerten Meister mit typischem Mayagesicht und hellen blauen Augen. Welcher Konquistador da wohl einst ein Techtelmechtel mit einer seiner liebreizenden Mayavorfahrinnen gehabt haben mochte? Hildrun meinte: "Das war bestimmt ein Seemann..."
Die Reparatur war zeitaufwendig. Der Meister aber hatte Verständnis für unsere Lage als gestrandete Weltenbummler und hatte nichts dagegen, dass wir im Hinterhof der Werkstatt übernachteten. Wir standen sowieso schon da, und auch Herbert und Uschi fanden Platz im Hof, zwischen allerlei Karosserieblechen und Autoteilen. Wenn man nachts mal pinkeln musste, konnte das schon etwas blechern klingen, je nachdem wo man hinzielte.
Mit Herbert und Uschi streiften wir durch die Straßen und Gassen Méridas. Wir hatten zwangsläufig viel Zeit, um die freundliche Stadt und ihre Mayabevölkerung auf uns wirken zu lassen. Die Leute in der Werkstatt hatten vor, bis 23 Uhr an unserem Auto zu arbeiten.
Merida, Straßenszene
Vor allem die Häuser der Wohlhabenden waren mit bunten Glühlampen und Bildern verziert, die Szenen aus dem Stall von Bethlehem zum Inhalt hatten. In vielen Geschäften, auch in den Banken, waren große Krippen mit vielen romantischen Krippenfiguren aufgestellt. Abends zogen Kinder mit Lampions und selbstgebastelten Krippenfiguren aus Wachs durch die Straßen und sangen Weihnachtslieder. Dabei begleiteten sie sich mit Schellen. Die Erwachsenen belohnten das mit Süßigkeiten oder Geld.
Nach zwei Nächten bei unserem Maya-Meister war unser Bulli soweit fertig, dass wir über die Feiertage irgendwohin fahren konnten. Wir verkrümelten uns an Heiligabend nach Dzibilchaltun, nördlich von Mérida, wo man erst vor kurzem mit archäologischen Ausgrabungen begonnen hatte. In diesem Buschgelände, zwischen altem Mayagemäuer, fanden wir Ruhe und Stille - und zelebrierten Weihnachten fern der Heimat.
Aus Akazienzweigen bastelte ich einen Mini-Weihnachtsbaum, der mit roten Blüten, kleinen wilden Kürbissen und Papierstreifen verziert wurde. Mit vereinten Kräften fabrizierten wir ein leckeres Weihnachtsmahl. Als Auftakt wurde bei Kerzenschein ein Martini kredenzt. Dann gab es frische Hühnersuppe. Hauptgericht war ein Hühnchen mit pikantem Knoblauchreis und Tomatensalat. Zum Nachtisch gab es frische Zapotes, mangoähnliche saftige Tropenfrüchte. Zum Essen wurden eine Flasche Roséwein und eine Flasche Rotwein aufgefahren. Hildrun hatte liebevoll Weihnachtsteller zusammengestellt, mit Mandarinen, Nüssen, Plätzchen und Süßigkeiten. Es war ein gelungenes Festmahl, dem sich die Bescherung anschloss. Von meiner geliebten Frau erhielt ich eine kleine antike Tolteken-Maske aus Ton, sowie ein Paar sehr schöner Manschettenknöpfe. Natürlich aus Silber, hecho en Taxco. Für Hildrun hatte ich eine Silberbrosche mit Türkiseinlagen sowie Ohrringe in Taxco erstanden. Und gegen die Sonne, die auch an Weihnachten kräftig scheinen konnte, bekam sie einen feingearbeiteten Panamahut.
Noch einmal mussten wir am 26. Dezember in die VW-Werkstatt nach Mérida, weil seit dem Unfall unser Tacho nicht mehr funktionierte. Aus der Tageszeitung erfuhren wir, dass über die Feiertage vom 16. bis zum 26. Dezember in der Stadt Mexiko 37 Menschen durch Totschlag und 76 durch Ermordung ihr Leben verloren hatten.
Noch einmal übernachteten wir vor dem VW-Autohaus und konnten dann, am 27. Dezember, endlich weiterreisen.
Und noch einmal fuhren wir Richtung Progreso an die Küste, wo wir in einem verträumten kleinen Küstendörfchen, in Chicxulub (Tschikschulup gesprochen), gleich bis zum 30. Dezember blieben.
Von dieser Küste aus war einst ein großer Teil der Sisalproduktion Mexikos verschifft worden. Kunstfasern hatten in den Sechzigerjahren die klassischen Naturfaserprodukte verdrängt, doch seit der Jahrtausendwende erholt sich der Markt zugunsten der Agave wieder.
Beim Bummel durch das Küstendörfchen bestaunten wir einige prachtvolle, blendend weiße Villen. Sie waren ganz im Stil der alten Mayahäuser, aber in großzügigeren Ausmaßen, an die Meeresküste gebaut worden. Der Verwalter einer der Villen kam mit uns ins Gespräch und fand uns 'Exoten' wohl so sympathisch, dass er uns spontan einlud, hier sicher im Hof zu übernachten.
Hier konnten wir endgültig entspannen, blieben gleich drei Nächte und schauten, das Rauschen der Palmen und der Meeresbrandung im Ohr, gelassen dem Jahresende entgegen.