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ОглавлениеFernehe mit angemessener Verlobungszeit
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“: Wenn es eine Tierart gibt, für die das berühmte Zitat aus Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ Gültigkeit hat, dann ist das der Wanderalbatros. Diese großen Meeresvögel sind mit einer Flügelspannweite von bis zu 3,5 Metern die größten flugfähigen Vögel überhaupt. Aber Wanderalbatrosse, die vor allem auf der südlichen Halbkugel unserer Erde beobachtet werden können und auf einigen wenigen subantarktischen Inseln brüten, sind nicht nur in Sachen Größe Rekordhalter im Tierreich, sondern auch bei dem Phänomen Treue.
Die „Ehe“ von Albatrospaaren hält oft über Jahrzehnte hinweg. Und das will bei einem Lebensalter von 60 Jahren und mehr schon etwas heißen. Eine „Goldene Hochzeit“ ist in Albatroskreisen durchaus nicht ausgeschlossen. Aktuelle Weltrekordhalterin in Sachen Alter unter den Wildvögeln ist übrigens gerade ein Albatrosweibchen mit dem schönen Namen „Wisdom“ (Weisheit), das es auf ein Alter von 68 Jahren bringt und in diesem stolzen Alter sogar noch einmal Mutter geworden ist. Verantwortlich für diese ungewöhnlich dauerhafte Treue der Albatrosse ist möglicherweise die Tatsache, dass Herr und Frau Albatros vor der eigentlichen Ehe eine mehrjährige Verlobungszeit vorgeschaltet haben. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ eben. Schließlich soll die spätere Ehe das ganze Leben andauern.
Deshalb führen die „Verlobten“ jedes Jahr äußerst komplizierte und komplexe Balztänze auf, mithilfe derer sie offenbar herausfinden wollen, ob man die Zukunft wirklich gemeinsam gestalten will. Albatrosse paaren sich übrigens immer auf der Insel, auf der sie geboren wurden. Haben die Albatrosse diese Verlobungszeit erfolgreich hinter sich gebracht, gehen sie eine Ehe ein, die tatsächlich in den allermeisten Fällen ewig hält, obwohl es eigentlich eine Fernbeziehung ist. Herr und Frau Albatros sind nämlich das ganze Jahr getrennt irgendwo in der Welt unterwegs. Nur einmal im Jahr treffen sie sich auf „ihrer Insel“ zur Fortpflanzung. Dann wird zunächst ein kompliziertes Begrüßungsritual aufgeführt: In einer Art Tanz werden die Schwanzfedern gespreizt, der Schnabel zum Himmel gereckt und der Partner zärtlich mit dem Schnabel liebkost. Und wenn mit der Fortpflanzung alles geklappt hat, legt das Weibchen ein einziges Ei, aus dem dann nach 11 Wochen ein ziemlich großes Junges schlüpft, das von beiden Elternteilen 13 Monate lang abwechselnd versorgt wird. Oft ist dabei ein Elternteil während der Nahrungssuche Tausende von Kilometern entfernt. Unter diesen Voraussetzungen ist natürlich eine sorgfältige und clever geplante Brutfürsorge oberstes Gebot.
Albatrosse versus Killermäuse
Midway, ein winziges Atoll, das einsam mitten im Pazifik, weit entfernt von allen Kontinenten, etwa auf halbem Weg zwischen Kalifornien und Japan liegt, hat nicht nur für die US Navy und die US Airforce als Stützpunkt eine überragende Bedeutung, sondern beherbergt auch eine der größten Albatroskolonien weltweit. Rund 70 Prozent aller Laysanalbatrosse und immerhin fast 40 Prozent aller Schwarzfußalbatrosse brüten auf den drei kleinen Inseln des Midway-Atolls. Seit ein paar Jahren bedroht jedoch eine stetig wachsende Schar kleiner, ungewöhnlicher tierischer Killer die Vogelidylle auf Midway: Hausmäuse, die dort die um ein Vielfaches größeren Seevögel angreifen und töten.
Eigentlich handelt es sich bei Mäusen um Allesfresser, die sich hauptsächlich von Samen, anderer pflanzlicher Nahrung und ab und an auch von ein paar Insekten ernähren. Das änderte sich jedoch schlagartig 2015. In diesem Jahr konnten Wissenschaftler erstmals beobachten, dass Mäuse Albatrosse, und zwar sowohl Küken als auch erwachsene Tiere, attackierten.
Die Wissenschaft vermutet, dass der Wandel der Mäuse von mehr oder weniger friedlichen Allesfressern zu Vogelkillern möglicherweise mit einer schweren Dürreperiode zusammenhängt, die Midway im Jahr 2015 heimgesucht hat. Da es damals nur ausgesprochen wenig Trinkwasser auf den Inseln gab, haben die Mäuse möglicherweise nach trinkbaren Alternativen gesucht und sind dabei beim Blut der Seevögel fündig geworden. Offensichtlich wurde diese Angewohnheit beibehalten und auch an die Jungtiere tradiert.
Die Attacken erfolgen stets mit System und einem gehörigen Maß an Brutalität. Die Mäuse klettern nachts auf den Rücken der schlafenden Vögel, wo sie unerreichbar für den scharfen Schnabel ihrer Opfer sind und beißen dann solange zu, bis Blut zu fließen beginnt. Einige Vögel wurden sogar bei lebendigem Leib aufgefressen.
Insgesamt haben die Mäuse bisher über 1000 Albatrosse getötet. Viele andere erlitten zum Teil schwere Verletzungen oder haben aufgrund der Mäuseattacken ihre Nester aufgegeben. Langfristig gesehen sind die Albatrospopulationen auf Midway massiv bedroht, da sich zum einen die Mäuse massiv vermehren und zum anderen Albatrosse über keine hohe Fortpflanzungsrate verfügen. Ein Albatrosweibchen bringt nur alle zwei Jahre ein einziges Junges zur Welt.
Übrigens: Auch bei den supertreuen Albatrossen wird – das zeigen Erbgutuntersuchungen – ab und an einmal fremdgegangen. Allerdings halten sich die Seitensprünge, zumindest der Albatrosdamen, in Grenzen: Gerade mal ein bis fünf Prozent der Albatrosweibchen lassen sich auf ein außereheliches Techtelmechtel ein. Bei Meisen ist es dagegen rund die Hälfte.
Leider wird der Vogel mit der langen Verlobungszeit von der Weltnaturschutzunion mittlerweile als gefährdet eingestuft. Verantwortlich für diese Einstufung ist jedoch nicht die spätestens seit dem berühmten Disney-Zeichentrickfilm „Bernhard und Bianca“ bekannte Tatsache, dass Albatrosse bei ihren Flügen die mit großem Abstand schlechtesten Starts und vor allem Landungen im gesamten Tierreich hinlegen. In Sachen Start fehlt Albatrossen vor allem eine kräftige Flugmuskulatur, mit der sie schnelle Flügelschläge erzeugen können. Aus diesem Grund haben Albatrosse große Probleme, auf das für das Abheben nötige Tempo zu kommen, und können deshalb nur mit sehr großem Anlauf und reichlich Gegenwind starten. Sind die Windbedingungen ungünstig, brauchen die Meeresvögel oft Dutzende von Anläufen, um sich erfolgreich in die Lüfte heben zu können. Dazu kommt noch, dass die Flügel von Albatrossen sehr lang, aber auch sehr schmal sind und deshalb beim Starten eher der Kategorie unhandlich zugeteilt werden müssen.
Wenn sie sich aber erst einmal in die Luft erhoben haben, macht den großen Meeresvögeln in Sachen elegantes und ausdauerndes Fliegen so leicht keiner etwas vor. Hier kommen den Albatrossen ihre ausgesprochen langen Flügel zupass. Dank dieser Flügel können die Tiere, ähnlich wie ein Segelflugzeug, den Aufwind für energiesparende Gleitflüge nutzen und dabei in kürzester Zeit Tausende von Kilometern zurücklegen.
Bei der Landung wird dann allerdings die im Verhältnis zur Länge sehr überschaubare Breite der Albatrosflügel zum Ärgernis. Die Flügel haben durch ihre geringe Breite eine nur sehr begrenzte Bremswirkung beim Landeanflug. Und als wäre das alles noch nicht genug: Albatrosse sind mit einem Körpergewicht von bis zu 13 Kilogramm unter den flugfähigen Vögeln echte Schwergewichte, die bei der Landung ordentlich Schwung mitbringen. Diese beiden Handicaps versuchen Albatrosse damit auszugleichen, dass sie beim Landeanflug ihre großen Füße nach vorne strecken, um mehr Bremswirkung zu erzielen. Eine Maßnahme, die allerdings relativ wenig hilft, wie die aus zahlreichen Filmen berühmt-berüchtigten Purzelbäume der Meeresvögel zeigen.
Um auf die bedrohliche Situation der Wanderalbatrospopulationen zurückzukommen: Für deren Rückgang ist vor allem die moderne Thunfischfischerei verantwortlich. Die arbeitet mit bis zu 100 Kilometer langen sogenannten „Langleinen“: Angelleinen, die mit bis zu 20 000, mit kleinen Fischen beköderten Haken bestückt sind. Und da die Albatrosse stets den Fangschiffen der Thunfischfischer folgen, um die Bordabfälle abstauben zu können, schnappen sie beim Auswerfen der Leinen ganz gezielt nach den Ködern. Mit der traurigen Folge, dass sie von den Haken oft regelrecht aufgespießt werden und jämmerlich ertrinken, wenn die Leinen dann in die Tiefe absinken. Nach Angaben von Naturschützern kommen auf diese Art und Weise jährlich mehrere hunderttausend Wanderalbatrosse ums Leben.