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Wie ich auf die Katze kam

»Auf leisen Pfoten kommen Katzen wie Boten der Stille, und sacht, ganz sacht, schleichen sie in unser Herz und besetzen es für immer mit aller Macht.«

Daniel Defoe


Früher war alles anders. Nicht besser, wie so gern behauptet wird, aber anders. Früher war ich ein „Hundemensch“. Obwohl selbst hundelos, besaß ich eine geheime, geradezu magische Anziehungskraft auf Hunde. Egal wo ich mich befand, wenn ein Hund in der Nähe war, kam er freudig mit dem Schwanz wedelnd auf mich zu. Er schnüffelte kurz an meinem Hosenbein, um dann meine Hand zu lecken und seinen Kopf an irgendeiner mehr oder weniger genehmen Stelle meines Körpers zu reiben. Als Student war ich im Urlaub oft auf griechischen Inseln. Saß ich dort in einem kleinen Küstenort, in einem Kafenion bei einem gemütlichen Mokka, hatte ich innerhalb kürzester Zeit, zur Belustigung der Dorfbewohner, sämtliche Dorfhunde um mich herum. Dorfhunde, die mich offensichtlich ziemlich mochten und manchmal sogar damit begannen, gewisse Ansprüche auf meine Person zu erheben. Und das alles ohne mein Zutun – und auch ohne einen einzigen Hundekuchen oder Wurstzipfel in der Hosentasche zu haben. Ich war so eine Art unfreiwilliger passiver Hundeversteher.

Nach so viel mir entgegengebrachter Hundeliebe war es klar, dass in mir, um es vorsichtig zu formulieren, der starke Wunsch reifte, auch einmal einen „eigenen“ Hund zu besitzen. Es sollte ein großer sein, ein richtig großer: ein Rhodesian Ridgeback, ein Neufundländer oder ein Bernhardiner. Einer, der locker zehn Kilometer mit mir joggen kann und anschließend noch, ohne nur ein bisschen aus der Puste gekommen zu sein, einem etwaigen Einbrecher das Fürchten lehrt. Intelligent, pflegeleicht und schmusig sollte er auch noch sein. Sozusagen ein „Super-Multifunktions-Hund“.

Meine Frau Katharina hätte es dagegen lieber drei Nummern kleiner gehabt. Jetzt nicht gerade ein Rehpinscher oder ein früher so gern als „Nuttenhund“ übel beleumdeter Chihuahua. Nein, ein Rauhaardackel sollte es sein. Aber wir konnten uns nicht wirklich einigen. Es war ja noch zu klären, wer geht morgens mit dem Hund raus, wer nimmt ihn mit in den Job? Und was machen wir in den Ferien? Also beschlossen wir, das Projekt „Hund“ vorläufig ad acta zu legen. „Das war auch gut so“, um mit den bekannten Worten eines noch bekannteren ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin zu sprechen. Denn kurz darauf sind wir auf die Katze gekommen – und verloren unser Herz für immer.

Als wir 1999 von Heidelberg nach Karlsruhe zogen, trafen wir das erste Mal in unserem Leben bewusst auf eine Katze: Milva, eine, wie könnte es anders sein, rothaarige Schönheit, die Katze des Vorbesitzers unserer Wohnung. Der war zwar samt Milva nach dem Verkauf der Wohnung in die unmittelbare Nachbarschaft gezogen, aber irgendwie hatte das Milva nicht mitgekriegt und erhob noch Ansprüche auf ihr altes Zuhause. Und wie sie das machte: Sie stand, eine Katzenklappe machte es möglich, schon an unserem ersten Abend, quasi wie aus dem Nichts, in unserer Küche und forderte lautstark miauend ihr Abendessen ein.

Wir hatten die Katzenklappe zwar bereits vorher registriert, aber eher als unschöne Verschandelung unserer Wohnungstür wahrgenommen. Von da an kam Milva regelmäßig morgens und abends auf Stippvisite oder sollte ich lieber sagen zu einem Kontrollgang bei uns vorbei. Und so allmählich begannen wir, uns vorsichtig an das uns unbekannte Phänomen Katze heranzutasten. Wir machten die Erfahrung, die acht Millionen Katzenbesitzer in Deutschland und Hunderte von Millionen Katzenbesitzer auf der ganzen Welt schon vor uns gemacht hatten: Katzen sind wahre Zaubertiere. Auf der einen Seite stolz und unnahbar, auf der anderen Seite zärtlich und verschmust. Freiheitsliebend und doch anhänglich. Und dann ist da noch diese einmalige Eigenschaft, dass sie sich von „ihrem“ Menschen keineswegs erziehen lassen, sondern im Gegenteil ihren „Dosenöffner“ schon nach wenigen Wochen locker um den Finger wickeln. Das Unglaubliche: Der auf subtile Art domestizierte nützliche Idiot genießt das auch noch.

Wir hatten zum Beispiel bereits am zweiten Tag Futter für Milva eingekauft. Eines Abends meinte Katharina, die zumindest anfangs meinen Enthusiasmus für Miezen nicht ganz teilte: „Wäre doch eigentlich schön, wenn wir eine eigene Katze hätten.“ Eine Aussage, die sofort ein breites und sehr, sehr glückliches Lächeln auf mein Gesicht zauberte.

Am nächsten Tag machten wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Katze. In einem Punkt waren wir uns sofort einig: Es sollte keine Rassekatze sein, sondern eine hundsnormale – falls man das in Bezug auf eine Katze sagen darf Straßenkatze. Aus dem Tierheim oder einem der zahlreichen Katzenschutzvereine sollte sie sein.

Im Tierheim gab es reichlich Fundkatzen, in allen Farben und jedweden Alters. Aber irgendwie wollte der Funken bei keiner so recht überspringen. Keine der infrage kommenden Miezen löst bei mir ein „Die-nehme-ich-sofort-Gefühl“ aus. Vermutlich lag das aber weniger an den Katzen selbst als am Ambiente des Tierheims, das doch stark an eine Art Strafvollzugsanstalt für Vierbeiner erinnerte. Nichts gegen Tierheime. In den allermeisten Fällen leisten die Verantwortlichen dort großartige Arbeit.

Allerdings trug auch das ziemlich offensive Verkaufsverhalten des zuständigen Tierheimmitarbeiters nur wenig zu einer möglichen positiven Entscheidung meinerseits bei. Mit einem Satz wie: „Am liebsten würde ich sie alle behalten“, kann man bei mir einfach nicht punkten. Ein bisschen ist das wie beim Kleiderkauf, wenn die geneigte Verkäuferin mit dem Satz: „Das trägt auch mein Verlobter gern“, ein Sakko präsentiert, bei dem zumindest ein Blindenhund knurren sollte.

Mit leeren Händen zu Hause angekommen, empfing mich Katharina jedoch mit einer überaus frohen Botschaft: „Beim Katzenschutzverein habe ich die ideale Katze gefunden. Sie sieht sehr gepflegt aus und hat gute Manieren. Außerdem passt sie farblich einfach super zu unserem Teppichboden.“ Sie merken schon, Katharina hat etwas andere Ansprüche an eine Katze als ich. Apropos Ansprüche an einen Stubentiger. Wir haben später recht schnell gelernt, dass es eher umgekehrt ist: Katzen haben Ansprüche an uns Menschen und setzen sie auch gnadenlos durch.

Als Katharina und ich am nächsten Tag zur „Endauswahl“ den Katzenschutzverein gemeinsam aufsuchten, war die farblich so gut zu unserem Teppichboden passende Katze die einzige, die nicht sofort in einer Kiste oder unter einem Sofa verschwand, sondern Katharina kräftig anfauchte. Das gab den Ausschlag! So betrat Pünktchen unser Leben und stellte selbiges schon vom ersten Tag an völlig auf den Kopf.

Kleiner Zeitsprung – rund ein Jahr später: Wir wollten eine zweite Katze haben. Nicht, dass wir mit Pünktchen nicht ausgelastet gewesen wären. Aber vielleicht brauchte Pünktchen – damals wussten wir noch nicht, dass wir uns eine willensstarke Katzenautistin ins Haus geholt hatten, – in den Zeiten unserer Abwesenheit einen vierbeinigen Spielgefährten. Schließlich sollte Pünktchen auf keinen Fall vereinsamen. Wie naiv wir damals noch waren! Und da Katharina und ich uns geradezu sklavisch am Zeitgeist orientieren, sollte es in Zeiten von Genderstudies und Gleichberechtigung natürlich ein Kater sein.

Nach einer Odyssee durch diverse Tierheime und private Katzenschutzorganisationen trafen wir dann auf Spikey. Spikey war ein rund halbjähriger herren- und frauchenloser Kater, der sich eines Morgens in einem ziemlich erbärmlichen Zustand im Garten eines Gerichtsvollziehers eingefunden hatte und dort lautstark um Nahrung bettelte. Der Justizbeamte mit den gefürchteten Kuckucksmarken besaß allerdings bereits zwei eigene Katzen und die waren nicht bereit, ihr Territorium mit dem Neuzugang zu teilen. Da kamen wir ins Spiel – und es war Liebe auf den ersten Blick. Spikey sah so aus, wie man sich einen gestandenen Kater vorstellt. Ein Herrscher des Hinterhofs, der sich nicht so leicht die Butter vom Brot bzw. die Maus von der Türmatte nehmen lässt. Spikey hatte schon in jungen Jahren einen geradezu lehrbuchhaft dicken Katerkopf. Einen Katerkopf, der, wäre er in Marmor gemeißelt, auch durchaus als Büste mit einem Cäsarenkopf mithalten könnte. Na ja, zumindest ein bisschen.

Seither leben wir mit zwei Katzen zusammen. Seither gilt für mich ein Wort des großen Johann Wolfgang von Goethe: „Ein Leben ohne Katzen ist möglich, aber sinnlos.“ Ein Haus ohne Katzen ist für mich mittlerweile ein leeres Haus. Gut, ein leeres Haus ohne tote Mäuse, zerkratzte Möbel oder dreckige Pfotenabdrücke auf der frisch gereinigten Bettwäsche, aber eben ein leeres Haus. Ich glaube, auch wenn Sie ein Hundebesitzer sind, verstehen Sie, was ich meine.

Als kinderloses Ehepaar im fortgeschrittenen Alter, mit zwei überaus verwöhnten Katzen bekommt man von Freunden, Bekannten oder anderen Menschen mit Kindern etwa einmal im Monat die Frage gestellt: „Gell (wir leben in Baden), Eure Katzen sind so eine Art Kindersatz für Euch?“ Ziemlich oft schwingt in dieser Frage eine gehörige Portion Mitleid mit. Meine Antwort ist stets die gleiche: „Kein Kind kann meine Katzen ersetzen.“ Das ist dann immer das Ende aller Diskussionen.

Als Naturwissenschaftler war es mir immer wichtig, das Wesen unser beiden Katzen zu verstehen. Deshalb habe ich mich in Sachen Katzen richtig schlau gemacht: Ich habe die einschlägige Katzenfachliteratur verschlungen, die Ergebnisse brandneuer Studien in unseren Katzenalltag einfließen lassen, die Boulevardpresse durchstöbert und sogar mehrfach mit selbst ernannten Katzenpsychologen mögliche Kindheitstraumen unserer Katzen diskutiert. Dabei bin ich auf verblüffende, unterhaltsame und manchmal durchaus skurrile Geschichten gestoßen. Geschichten, die ich Ihnen keinesfalls vorenthalten will. Selbstverständlich habe ich das frisch erworbene Wissen mit eigenen, bescheidenen häuslichen Experimenten überprüft. So sind sie eben, die Naturwissenschaftler: ausgesprochen neugierig. Oder wie Katharina sagt: ausgesprochene Idioten.

Liebe Leserin, lieber Leser, betrachten Sie doch bitte das vor Ihnen liegende Buch als ein kleines Theaterstück, mit ganz vielen unterschiedlichen Akten und noch mehr wissenschaftlichen Erläuterungen, bei dem manchmal etwas schrecklich durcheinandergeraten ist.

Dabei sind die Hauptrollen klar verteilt sind: Pünktchen ist die etwas übergewichtige, ewig schlecht gelaunte, aber hochintelligente Hauptdarstellerin. An ihrer Seite unverrückbar, der George Clooney unter den Katern, Spikey, der, um es vorsichtig zu formulieren, nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist. Aber hat nicht auch Prinzessin Diana in ihrer Schulzeit lediglich eine Auszeichnung für das „bestgepflegte Nagetier“ eingeheimst, um dann später einmal zur meist fotografierten Frau der Welt zu mutieren? Sehen Sie, auch für die schlichteren Gemüter unter den Katzen besteht durchaus noch Hoffnung.

Dann kommen, um im Hollywoodjargon zu bleiben, die sogenannten „Supporting Actors“ – die Personen, die in einem Film die tragenden Nebenrollen spielen. Das sind Katharina und ich. Mir ist dabei die Rolle des etwas trotteligen, aber willigen Erfüllungsgehilfen der beiden Miezen zugefallen. Gelernter Biologe und Buchautor. Was soll man da als Katze schon groß erwarten! So einen wickelt man als Katze locker um die Kralle! Ganz anders Katharina. Als „Fachanwältin für internationales Wirtschaftsrecht“ bleibt ihr eigentlich nur noch die Rolle der „Bitch“. Einer Bitch, die ständig und mit allen Mitteln versucht, unsere Katzen von einem in ihren Augen „standesgemäßen“ Leben zu überzeugen. Typisch Rechtsanwältin eben. Sie kennen sehr wahrscheinlich den Spruch: „Lehrer wissen alles, Rechtsanwälte wissen alles besser.“ Da sind Mensch-Katzen-Konflikte vorprogrammiert.


Dann gibt es noch Nebendarsteller, Kleinstdarsteller und Komparsen: Tierärzte, Nachbarn, Besucher und jede Menge andere Katzen bzw. andere Tiere.

Übrigens: Heute habe ich meine Anziehungskraft auf Hunde komplett verloren. Ich könnte tagelang an einem griechischen Dorfplatz sitzen und nicht ein einziger Hund würde auftauchen. Vom Händelecken ganz zu schweigen. Selbst ein Hundekuchen in der Hosentasche hilft da überhaupt nichts. Muss irgendwie an den magischen Fähigkeiten von Pünktchen und Spikey liegen.

Und jetzt: Vorhang auf!


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