Читать книгу Mein Leben als Dosenöffner - Mario Ludwig - Страница 7
ОглавлениеCharakterstudien
»Die Katze behält ihren freien Willen, auch wenn sie dich liebt, und sie wird nichts für dich tun, was sie für unvernünftig hält.«
Théophile Gautier
Katzen mögen keine Veränderungen. So sorgt bereits ein umgestellter Stuhl bei den Samtpfoten für ein empörtes Maunzen oder wird zumindest mit einem verächtlichen Blick bedacht. Ein neues Sofa im Wohnzimmer empfinden die Miezen schon als unzumutbar. Katzen sind derart erzkonservativ. Ich glaube, die deutsche Katzenschaft würde, wenn sie denn dürfte, geschlossen CDU/CSU wählen. Rund 13 Millionen neue Stammwähler – bei diesem Zuwachs müsste sich unsere Bundeskanzlerin keine Sorgen mehr um ihre Wiederwahl oder künftige Koalitionen machen.
Pünktchen ist die konservativste aller Katzen – oder, um bei unserem Vergleich zu bleiben, der Franz-Joseph-Strauß unter den Katzen. Pünktchen, eine mittlerweile etwas betagte Katzenlady, die auch vom Leibesumfang durchaus mit dem ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten hätte mithalten können, legt größten Wert auf einen streng strukturierten, minutiös verplanten Tagesablauf: 5.30 Uhr: Wecken des Dosenöffners. 5.31 bis 5.40 Uhr: ausgiebiges Frühstück. 5.40 bis 9.00 Uhr: Inspektion des Treppenhauses – vorzugsweise in Kombination mit einer Attacke auf die verhasste Nachbarskatze. 9.00 bis 9.05 Uhr: zweites, ebenfalls üppiges Frühstück. Früher machte sich Pünktchen pünktlich um 9.06 Uhr auf den Weg – Katzenklappen machen es möglich – zu meinem Nachbarn Heinrich, um sich in dessen Bett von den bisherigen Strapazen des Vormittags so richtig auszuruhen. Heinrich, ein echter Katzenfan, hatte gegen den morgendlichen Katzenbesuch in seinem Bett nichts einzuwenden. Im Gegenteil, bevor Pünktchen ins Land der Träume versank, wurde sie von Heinrich noch mit dem einen oder anderen Leckerli verwöhnt. Dieses Prozedere hätte Pünktchen wahrscheinlich ewig beibehalten können, hätte der ewige Junggeselle Heinrich nicht, in bereits vorgerücktem Alter, noch einmal geheiratet. Die neue Dame des Hauses war jedoch nicht bereit, täglich den Besuch einer Katze im mittlerweile zum Ehebett mutierten Bett zu dulden.
Es kam zu einigen äußerst unschönen, um nicht zu sagen, äußerst hässlichen Szenen. Pünktchen flog gleich mehrfach in hohem Bogen aus Bett und Wohnung. Pünktchen ihrerseits war aber keineswegs bereit, diese rüde Sabotage ihres Tagesablaufs kampflos hinzunehmen. Sie hatte hier ja wohl ganz klar ältere Rechte. Und so machte sich Pünktchen eines schönen Morgens ein allerletztes Mal auf, um der Wohnung von Heinrich ihren üblichen Besuch abzustatten.
Allerdings war diesmal nicht das Schlafzimmer, sondern das Wohnzimmer der Ort ihrer Begierde. Dort angekommen, wartete sie geduldig, bis sie die volle Aufmerksamkeit von Heinrich und Neugattin besaß und pinkelte gezielt und ausgiebig in die Handtasche ihrer neuen Gegnerin! Sie verließ hocherhobenen Schwanzes den Ort des Geschehens.
Klar, dass die Katzenklappe von Heinrichs Wohnung von da für immer für Pünktchen verschlossen blieb. So weit, so nicht gut. Denn Pünktchen war jetzt bestrafungstechnisch auf den Geschmack gekommen und versuchte von da an, ihr unliebsame weibliche Besucher unserer Wohnung – und das sind für Pünktchen fast alle – durch gezieltes „Handtaschenpinkeln“ von einer Wiederholung ihres störenden Besuches abzuhalten. Seither haben wir im Flur für unsere Gäste ein hoch angebrachtes „Handtaschenboard“.
Was man nicht alles für seine geliebte Katze tut.
Kleiner Nachtrag: Heinrich lebt mittlerweile von seiner Frau getrennt. Nicht, dass das irgendetwas mit Pünktchen zu tun hätte.
Spikey ist anders gestrickt. Spikey ist mit Sicherheit der schönste Kater der Welt. Ich weiß schon, das behauptet jeder stolze Katzenbesitzer von seinem Stubentiger. Aber auch objektiv betrachtet ist Spikey eine echte Schönheit. Ein bisschen sieht er so aus wie der vierbeinige Protagonist eines sehr bekannten Katzenfutterwerbespots – nur noch besser. Aber leider können Spikeys geistige Fähigkeiten nicht mit seinem guten Aussehen mithalten. Katharina hat es einmal auf den Punkt gebracht:
Spikey ist ein Unterhosenmodel. Sie wissen nicht, was das ist? Ein Unterhosenmodel ist ein sehr gut aussehendes männliches Mannequin mit markantem Gesicht und einem Sixpack anstelle eines Bierbauches. So eine Art männliche Heidi Klum, nur dass der Herr auf den Laufstegen dieser Welt nicht Haute Couture, sondern Feinripp vorführt.
Allerdings behaupten böse Zungen, dass die geistigen Fähigkeiten eines Unterhosenmodels in der Regel nicht ausreichen, um etwa Nuklearphysiker oder Neurochirurg zu werden. In die Nähe eines Katzennobelpreises wird Spikey mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals kommen. Ich glaube, Sie verstehen jetzt, was ich meine.
Am deutlichsten werden Spikeys geistige Defizite bei seinem Jagdverhalten. So werden zum Beispiel seine Versuche, im Garten einen Vogel zu fangen, auch von ihm äußert wohlgesinnten Beobachtern als erbärmlich eingestuft. Man schleicht sich einfach nicht an ein potenzielles Opfer mit weithin sichtbar wedelndem Schwanz an.
Auch hat er nie verstanden, dass selbst der sportlichste Kater eine in zehn Meter Höhe fliegende Taube nicht vom Himmel pflücken kann. Spikeys zahlreiche Fehlversuche in dieser Hinsicht sind mittlerweile stadtbekannt und bereits mehrfach filmisch dokumentiert worden. Gott sei Dank sind sie noch nicht auf Youtube zu finden. Nach einer missglückten Attacke, von der die Taube meistens noch nicht einmal etwas mitbekommen hat, schaut er etwas verwirrt um sich und trollt sich dann in Richtung Trockenfutternapf. Seine Augen haben wir übrigens untersuchen lassen, kurzsichtig ist er nicht.
Müsste man Spikey ein Zeugnis in Sachen Vogelfangen ausstellen, würde es in etwa wie folgt lauten: „Er mühte sich redlich, konnte aber die vorgegebenen Ziele in keiner Weise erreichen.“ Aber ich hatte noch nie den Eindruck, dass sich Spikey in Sachen Intelligenz irgendwie defizitär vorkommt. Wenn es einen ausgeglichenen, ewig gut gelaunten, glücklichen Kater gibt, dann ist das unser Spikey. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich ihm manchmal abends natürlich ohne, dass es Katharina mitbekommt, ins Ohr flüstere: „Dicker, wer so gut aussieht wie Du, der hat es überhaupt nicht nötig, schlau zu sein.“ Meistens gibt er dann sofort Köpfchen, schnurrt glücklich und sabbert ein bisschen.
Es gibt Situationen, da ist sich Spikey allerdings seines guten Aussehens durchaus bewusst. Haben wir beispielsweise Besuch, kommt er nicht etwa einfach nur ins Wohnzimmer gelatscht. Nein, er tritt regelrecht in Erscheinung – gemessenen Schrittes. Mit wohlwollend huldvoller Mine nimmt er die ihm seiner Meinung nach selbstverständlich zustehenden Streicheleinheiten entgegen. So und nur so, muss ein Star unter den Katzen behandelt werden. Autogramme gibt er noch keine.
Eine Katze im Sack kaufen
Wer „eine Katze im Sack kauft“, der kauft etwas, ohne es vorher näher geprüft zu haben, bzw. er lässt sich auf etwas ein, ohne genau zu wissen, worauf er sich da eingelassen hat. Infolge wird man oft übervorteilt und betrogen. Die Redewendung selbst geht auf einen im Mittelalter häufig angewandten Trickbetrug zurück.
Damals haben betrügerische Markthändler einem unaufmerksamen Kunden oft, anstelle des eigentlich gekauften, wertvollen Ferkels oder Kaninchens, einfach heimlich eine damals deutlich weniger wertvolle Katze in den Einkaufssack gepackt. Zu Hause war dann die Enttäuschung groß, wenn anstelle des vermeintlichen leckeren Sonntagsbratens eine wenig schmackhafte Katze im Sack war. Ein Betrug, der offensichtlich sehr häufig getätigt wurde:
In alten Marktordnungen kann man lesen, dass bereits geschlachtete Kaninchen nur mit Kopf und Pfoten verkauft werden durften, weil sie sonst für den geneigten Kunden zu schwer von Katzen zu unterscheiden seien.