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Zehn Jahre

Ich habe sie geschafft!

Diese furchtbaren zehn Jahre.

Zehn Jahre Schule!

Endlich bin ich da raus.

Einen Abschluss habe ich nicht geschafft.

Aber ich bin frei.

Ich bin frei!

„Du kommst mit auf den Bau!“, sagt mein Vater.

Auf den Bau heißt:

Ich soll mit ihm auf der Baustelle arbeiten.

„Was anderes kriegst du sowieso nicht“, sagt mein Vater.

Damit meint er meinen Schul-Abschluss.

Den Abschluss,

den ich nicht geschafft habe.

Ohne Abschluss keine Arbeit.

Das haben sie mir schon in der Schule immer wieder gesagt.

„Du hast keine Chance im Leben“, hat der Lehrer gesagt.

„Du musst lernen, damit du was wirst.“

Ich habe nicht einmal das verstanden:

damit du was wirst …

Ich hatte keine Zeit und keine Ruhe,

um über so was nachzudenken.

Die Gedanken sind frei …

Aber für wen?

Ich heiße Jakob Gärtner.

Ich will nichts werden.

Ich will einfach nur leben.

Ich will nur meine Ruhe.

Sonst nichts.

Auf keinen Fall will ich mit dem Alten

zusammen auf den Bau!

„Morgen früh“, sagt er.

„Um sechs bist du fertig!“

Ich sehe meine Mutter an.

Meine Mutter sieht weg.

Ich sage nichts.

Und dann denke ich:

Ich bin nicht der Papa von Jäckie und Marcel.

Ich bin auch nicht der Beschützer von Mama.

Ich kann nicht alles verhindern,

was hier scheiße läuft in unserer Familie.

Ich kann und will hier nicht bleiben!

Erlöse mich von dem Bösen.

Das haben sie in der Kirche gesagt.

Bei der Taufe von Marcel.

Wo ist denn jetzt dieser Gott?

Warum hilft er mir nicht?

Warum gibt er mir keinen Rat?

Ich kann doch nicht abhauen

und die Kleinen alleine lassen.

Das wäre doch böse, oder nicht?

„Ich komme nicht mit!“, sage ich.

„Ich gehe nicht mit dir auf den Bau!“

Mein Vater sieht mich wütend an.

Meine Mutter versucht, ihn zurückzuhalten.

Ich gehe in Deckung, bevor er zuschlagen kann.

„Raus!“, schreit er.

„Verschwinde, du Bastard!“

Ich hatte schon immer eine kleine Tasche gepackt.

Für alle Fälle.

Ich hatte sie unter dem Bett versteckt.

Ich hole sie jetzt aus dem Kinderzimmer.

Ich küsse Jäckie.

Ich küsse Marcel.

Zum Glück sind die Kleinen nicht wach geworden.

Meine Mutter steht hilflos an der Tür.

Ich laufe mit der Tasche an ihr vorbei.

Runter ins Treppenhaus.

Ich laufe durch die Nacht.

Ich laufe in den Park.

Auf einer Bank kann ich endlich ausruhen.

Hier will ich schlafen.

Endlich schlafen. Endlich ohne Angst.

Ich rieche einen süßen Duft.

Den Duft von Pflanzen.

Von Blumen, deren Namen ich nicht kenne.

Alles ist leise.

Manchmal raschelt es im Gebüsch.

Was für schöne Geräusche!

Ich habe keine Angst.

Nur einmal weine ich.

Wegen Jäckie und Marcel.

Vielleicht werden sie ja vom Jugendamt gerettet.

Kindes-Wohl.

Das Wort habe ich irgendwo mal gehört.

Ein schönes Wort.

Ich schlafe wieder ein.

Ich träume.

Ich träume von den Blumen,

deren Namen ich nicht kenne.

Ich träume, dass ich Gärtner werde.

Ich, Jakob Gärtner.

Ich lache im Schlaf.

Ich träume, dass ich schlafe,

und ich träume, dass ich lache.

Sie nannten mich Unkraut

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