Читать книгу Das Wunder von Bern - Marion Döbert - Страница 12
ОглавлениеDer Brief
Drei Tore hat der Boss beim Training geschossen.
Und das, obwohl er so verpennt war.
Angeblich war er wegen einer Besprechung zu spät ins Bett gekommen.
Aber Matthes glaubt eher, dass der Boss zu viel Bier getrunken hat. Egal!
Die Tore waren einfach klasse!
Glücklich hüpft Matthes nach Hause. Da will er erst mal erzählen, wie der Boss an allen Spielern vorbeigezogen ist. Wie der rennen kann, und wie der täuschen kann.
Und dann schießt er zum Schluss wieder ein Tor!
Aber als Matthes in die Küche kommt, ist alles anders.
Mama, Benno und Ingrid sitzen am Tisch.
Auf dem Tisch liegt ein Brief.
Alle drei sehen Matthes schweigend an.
„Was ist denn los?“, fragt Matthes.
„Mama wollte den Brief erst aufmachen, wenn alle da sind.“
Matthes setzt sich an den Tisch. Er schaut auf den Umschlag. So einen haben sie schon mal bekommen. Vor ein paar Jahren.
In dem Brief wurde damals mitgeteilt, dass die
Männer zurückkommen würden. Die Männer aus der russischen Kriegs-Gefangenschaft.
Mama, Benno, Ingrid und Matthes hatten sich ihre Sonntags-Kleidung angezogen und waren dann zum Bahnhof gegangen. Viele Männer waren damals aus dem Zug gestiegen, aber Papa war nicht mit dabei.
Christa nimmt den Brief vom Tisch.
„Und wenn er tot ist?“, fragt Ingrid nervös.
Alle sehen sich an. Keiner weiß, was dann wäre.
Langsam öffnet Christa den Umschlag.
Langsam, vorsichtig.
Denn die Nachricht kann alles verändern.
Das ganze Leben kann so eine Nachricht verändern.
Und dann denkt sie: Richard, mein Richard.
Alle starren auf die Mutter. Sie schaut von dem Blatt auf und sagt:
„Bald werden wir wieder eine richtige Familie sein.“
Die Kinder gucken sie fragend an, fast misstrauisch.
„Freut ihr euch denn gar nicht?“
„Und wenn Papa wieder nicht mit dabei ist“, sagt Ingrid.
Und das hört sich so an, als würde sie es fast ein wenig hoffen.
Am Abend sitzt Matthes wie immer
unten in der Kneipe.
Christa zapft Bier. Ingrid bedient die Gäste.
Benno hängt ein Plakat von der Kommunistischen Partei auf. Die Kommunisten, die findet er gut.
Die tun wenigstens was für die Arbeiter.
Wie jeden Abend sammelt Matthes die Kippen aus den Aschen-Bechern.
In den meisten Kippen ist noch ein Rest Tabak.
Matthes schneidet von den Kippen das Verbrannte ab und lässt den restlichen Tabak auf den Tisch rieseln. Da kommt schon was zusammen.
Dann dreht Matthes aus dem Tabak neue
Zigaretten. Richtige Zigaretten mit weißem Papier.
Die werden bei Christa in der Kneipe verkauft.
Denn Zigaretten sind heiß begehrt.
Alle wollen rauchen. Rauchen ist wie atmen.
Wie aufatmen nach dem Krieg.
Endlich kann man wieder das Leben genießen.
Sitzen, rauchen, Pils trinken und dazu über
Fußball reden.
Gerade jetzt zur Fußball-Weltmeisterschaft.
Die erste WM, bei der Deutschland wieder dabei sein kann.
„Wenn die dat überhaupt schaffen, so weit zu kommen“, sagt Paule mal wieder.
Matthes kann es gar nicht erwarten, dass die Spiele beginnen. Erst recht nicht, wenn der Boss vielleicht mitspielen darf. Der spielt so toll.
Den müssen die doch in die deutsche Mannschaft holen! Ohne den Boss gewinnen die nie!
Vor Aufregung hat Matthes beinahe vergessen, dass morgen die Männer aus Russland wiederkommen.