Читать книгу Das Wunder von Bern - Marion Döbert - Страница 9
ОглавлениеDie Kneipe
Unsere Mutter Christa versucht, unsere Familie über die Runden zu bringen.
Vier Köpfe ernähren, das ist kein Pappen-Stiel.
Als der Krieg vorbei war, hat unsere Mutter eine alte Eck-Kneipe gekauft.
Dunkel und ungemütlich war die Kneipe damals.
Alles hat gestunken, nach altem Bier und altem Rauch.
Unsere Mutter Christa hat erst mal Ordnung
geschaffen. Sie hat die Kneipe entrümpelt,
gestrichen, geputzt, gewischt und dann die Gläser blank poliert. Seitdem ist „Das Eck“ ein Treffpunkt für alle.
Für alle, die bei uns um die Ecke wohnen.
Und für alle, die um die Ecke arbeiten.
Zum Feierabend ein frisches Pils trinken! Lecker!
Zusammen an der Theke sitzen und quatschen,
das gefällt den Leuten hier. Vor allem jetzt,
kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft 1954.
„Dat schaffen wir nie bis dahin“, sagt Paule an der Theke.„Da muss man dran glauben“, meinen die anderen. „Sonst wird dat nämlich nix.
Christa mach mal noch` n Pils für den Paule!“
Christa zapft das Bier und bedient.
Ingrid hilft dabei.
Benno nicht. Der macht Musik in einer Band.
„Band“ heißt das nämlich jetzt und nicht mehr
Musik-Kapelle. Wie zu der Zeit, als Vater Richard noch das Oberhaupt der Familie war.
Benno spielt Gitarre. Elektro-Gitarre. Fetzige Musik: Boogie-Woogie.
Heiße Musik. Amerikanische Musik! Das ganze
Zeug, das im Krieg verboten war, das spielt er jetzt mit seiner Band.
Solche Musik durfte man damals nicht mal im Radio hören. Dann ging es ab in den Knast! Oder sonst wo hin. Auf jeden Fall stand das unter Strafe, alles Amerikanische, alles Englische, alles Ausländische. Damals war nur alles Deutsche gut. Damals unter den Nazis.
Deutsche Ordnung, deutscher Gehorsam, deutsche Mütter, deutsche Musik.
Benno verachtet alles, was mit den Nazis zu tun hat.
Einmal hat Mama beim Nachbarn gefragt,
ob Benno bei ihm eine Lehre machen kann.
Zum Elektriker. „Dann soll er mal kommen“,
hat der Nachbar geantwortet.
„Warst du heute auf deiner Lehr-Stelle?“,
fragt Mama beim Essen.
„Da gehe ich nicht hin“, sagt Benno.
„Ich mache keine Lehre bei einem Nazi.
Außerdem bin ich Musiker.
Wir spielen alles, was ihr früher Neger-Musik genannt habt.
Was wir spielen, ist richtige Musik. Und mit der Band kann ich auch Geld verdienen.“
„Am Wochenende musst du in der Kneipe helfen“, sagt Mama zu Benno.
„Geht nicht. Da spiele ich mit der Band.“
Mama sagt weiter nichts.
Sie weiß: Benno macht sowieso, was er will.