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1 Mythische Gärten – Mit Herkules zu den Hesperiden

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Der griechische Heros, der da auf die Park- und Gartenanlegen von Wilhelmshöhe herabblickt, kann auch ein Führer ins grenzenlose Reich der Gärten sein, wie sie uns die Antike bezeugt. Dazu gehören keineswegs nur Anlagen mit Blumenrabatten oder Gemüsebeeten; Gärten sind idyllische Orte mit Bäumen und Quellen, Rebenpflanzungen und heilige Haine, Parkanlagen – und mythische Gärten im Zauberland, wie der Garten, zu dem uns Herkules führt. In seiner rechten Hand, im Rücken, hält er nämlich wichtige Mitbringsel von seiner letzten, der elften seiner zwölf Arbeiten: die Äpfel aus dem Garten der Hesperiden.2

Der böse König Eurystheus, in dessen Dienst Herakles seine Arbeiten verrichten musste, hatte ihm befohlen, diese Äpfel zu holen, ohne ihm zu sagen, wo er sie finden könne. Er wusste es wohl selbst nicht, hatte nur von diesen Wunderdingen gehört, die ewige Jugend, Unsterblichkeit oder einfach das Glück bescheren sollten. Herakles geriet auf seiner Suche zum Kaukasus, zum Felsen, an den Prometheus geschmiedet war, als Strafe von Zeus, weil der Titan sich gegen ihn aufgelehnt und den Menschen das Feuer gebracht hatte. Ein Adler kam täglich und fraß an seiner Leber, die ständig nachwuchs. Herakles tötete den Adler mit seinen unfehlbaren Pfeilen und befreite Prometheus, der ihn zum Dank über die Hesperiden aufklärte. Sie sind göttliche Wesen, die Töchter der Nacht und des Dunkels und wohnen ganz im Westen, gegen Abend (Hésperos). In ihrem Garten steht ein Baum mit goldenen Äpfeln, den einst die Erdgöttin Gaia wachsen ließ, als Geschenk für Hera zu ihrer Hochzeit mit Zeus. Der grimmige Drache Ladon bewacht die wunderkräftigen Äpfel, und es liegt ein Fluch über dem, der sie raubt.

Prometheus riet Herakles, sich der Hilfe des Atlas zu versichern, der dort im Westen, an den Grenzen des Ozeans, das Himmelsgewölbe trägt. Herakles machte sich auf die Reise und traf schließlich den Riesen Atlas, auch er wie Prometheus aus dem Geschlecht der Titanen, die, im Kampf mit den olympischen Göttern unterlegen, von Zeus bestraft worden waren. Herakles befolgte den schlauen Rat des Prometheus und bat Atlas, ihm drei Äpfel aus dem Garten der Hesperiden zu pflücken, er selbst wolle währenddessen das Himmelsgewölbe tragen. So geschah es, doch als Atlas mit den Äpfeln zurückkam, wollte er Herakles die Last nicht wieder abnehmen. Der aber erklärte, er wolle sich nur den Kopf etwas polstern, solange solle Atlas noch einmal das Himmelsgewölbe stützen. Dieser ging darauf ein, doch Herakles nahm die Äpfel und machte sich eilends davon. Eine Metope vom Tempel von Olympia zeigt, wie die Göttin Athene den Helden stützt, während er den Himmel trägt und Atlas mit den Äpfeln herbeikommt. Vielleicht hat sie, die kluge Göttin, ihm auch die List eingegeben, mit der er den Riesen bezwang.

Ein Vasenbild zeigt eine andere Version: Herakles sitzt im Garten, um ihn drei schön gewandete Mädchen, die Hesperiden, von denen eine gerade dabei ist, einen Apfel von einem Baum abzupflücken, ohne Angst vor der Schlange, die sich um den Baum ringelt. Auch ist überliefert, dass Herakles selbst die Äpfel raubte, nachdem er den Drachen getötet hatte. Offenbar wollte man eine Darstellung des Helden, der ganz auf sich gestellt als Kraftmensch das Abenteuer besteht:

Auch zu den singenden Mädchen

In die Gefilde des Abends kam er,

Um von den goldenen Blättern die Früchte der

Goldenen Äpfel zu pflücken,

Erschlug den purpurschuppigen

Drachen, der unnahbar sie bewacht in weiten Kreisen.3

Im Argonauten-Epos des hellenistischen Dichters Apollonios Rhodios aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. kommen die Argonauten auf ihrer Irrfahrt auf dem Weg in die Heimat dürstend in der libyschen Wüste an. Hier erfahren sie von den Hesperiden, des wichtigen Wassers wegen als Nymphen bezeichnet, dass Herakles gerade da war. Er ist ja ihr Kamerad und Weggenosse, hat ihr Schiff, die Argo, aber unterwegs verlassen. Die göttlichen Mädchen haben den Helden zwar nicht in guter Erinnerung, erweisen sich aber als mitleidig gegenüber den Notgelandeten. Aigle, eine von ihnen, berichtet Folgendes:

Wahrlich, sehr zum Heil für euch, ihr Kummerbeladnen,

Kam der Unhold hierher, der dann dem hütenden Drachen

Erst das Leben geraubt und der Göttinnen goldene Äpfel

Pflückte und mit sich nahm und düsteren Gram uns zurückließ. […]

Kam doch jener auch, zu Fuß die Erde durchwandernd,

Durstgedörrt hierher und spähte rings in der Gegend

Gierigen Blicks nach Wasser und konnte doch keines gewahren.

Hier ist aber ein Fels, ganz nah dem Tritonischen Teiche,

Den betrachtete er, vielleicht auf Wink einer Gottheit,

Stieß mit dem Fuße ihn unten, und Wasser entströmte in Menge.

Er aber warf auf die Brust und beide Hände sich nieder,

Und aus dem Felsspalt trank er unersättlich, bis dass er

Niedergebeugt wie ein Rind den riesigen Magen gesättigt.4

Und die Argonauten freuen sich, dass Herakles selbst aus der Ferne noch etwas für seine Freunde getan hat.

Die Lokalisierung des Hesperidengartens nicht mehr in märchenhafter Ferne, sondern in Libyen, in der Landschaft um Kyrene, der Kyrenaika, hing mit der Kolonisation der Gegend durch griechische Siedler aus Thera-Santorin zusammen, die 631 v. Chr. die Stadt Kyrene gegründet hatten5 und sich ihren eigenen Mythenschatz schufen.

Jedenfalls besaß Herakles die goldenen Äpfel und brachte sie dem König Eurystheus. Als dieser jedoch hörte, dass ein Fluch auf ihnen lag, gab er sie dem Herakles wieder, und dieser reichte sie seiner göttlichen Helferin Athene weiter. Diese, klug wie sie war, brachte sie in den Garten der Hesperiden zurück.

DIE GÄRTEN IN DER „ODYSSEE“

Der Riese Atlas ist der Vater der Nymphe Kalypso, der Göttin, die Odysseus auf seinen Irrfahrten aufnimmt und ihn bei sich behalten will, obwohl der Held sich nach seiner Gattin Penelope und seiner Heimat Ithaka sehnt. Als die Götter endlich seiner Heimkehr zustimmen, wird der Götterbote Hermes entsandt, um Kalypso zu verkünden, dass sie den Helden ziehen lassen muss. Hermes fliegt hinab zur Insel Ogygia, und selbst er, der Gott, der alles sieht und kennt, schaut bewundernd auf die idyllische Umgebung der Grotte, in der die Nymphe wohnt:6 Hier ist ein Hain mit üppigem Grün von Bäumen, in denen Vögel wohnen, ein Weinstock mit Schatten spendenden Ranken, behängt mit purpurnen Trauben. Quellen mit silberhellem Wasser ergießen sich durch saftig grüne Wiesen mit bunten Blumen. So schön ist es hier in diesem Göttergarten (der wohl von selbst blüht und gedeiht), und doch will Odysseus nicht bleiben, auch angesichts eines weiteren Gartenwunders nicht.

Er hat Kalypso verlassen; auf einem selbst gebauten Floß ist er zwar der Heimat näher gekommen, aber dem Zorn des Meeresgottes Poseidon nicht entgangen. Als Schiffbrüchiger landet er an der Küste der Insel Scheria (die man gerne mit Korfu identifiziert) und begibt sich, mit Unterstützung der Königstochter Nausikaa, zum Palast des Königs Alkinoos, von dem er sich Hilfe erhofft. Er ist in Gedanken versunken, überlegt sich eine Strategie, bleibt aber dann staunend stehen angesichts des glänzenden Palastes und eines herrlichen Gartens:

Große Bäume stehen darin in üppigem Wachstum,

Apfelbäume mit glänzenden Früchten, Granaten und Birnen und auch süsse Feigen und frische grüne Oliven. […]

Dort ist ihm [dem König] gepflanzt ein üppiges Rebengelände;

Hier auf ebenem Platz zum Trocknen werden die Trauben

In der Sonne gedörrt, dort ist man gerade beim Ernten;

Dort beim Treten der Trauben, doch vorne sind sie noch unreif,

Stoßen die Blüten ab, und andere färben sich eben.

Dort sind auch Gemüsebeete am Rande des Weinbergs

Mannigfach in Reihen gepflanzt, das ganze Jahr prangend.

Drin sind auch zwei Quellen; die eine verteilt sich im ganzen

Garten; die andere läuft jedoch unter der Schwelle des Hofes

Hin zum hohen Haus; dort holen die Bürger das Wasser.7

Eine so üppige Vegetation, mit ständigem Wachsen und Ernten – das muss ein Zaubergarten sein, wie ja die Phäaken auch Züge von Über- oder Außerirdischen tragen. „Alkinoosgärten“ wird zum Namen für besonders schöne Gartenreiche, wie Gartenanlagen beim Apollonheiligtum von Daphne bei Antiochia in Syrien.8 Noch Goethe wähnt sich auf Sizilien in einem solchen Garten und besorgt sich eine Odyssee, um die Schilderungen nachzulesen.

Doch wie gesagt – Odysseus will nicht bleiben. Dabei ist seine Heimatinsel karg – sein Sohn Telemach, der Kunde einholen will von seinem verschollenen Vater, muss die edlen Pferde ablehnen, die ihm der König Menelaos in Sparta als Gastgeschenk geben will, denn Ithaka hat keine schönen grünen Weiden, taugt eher für Ziegen als für Pferde, sagt Telemach, aber es ist die Heimat. Einen Garten gibt es dort auch, und auch hier steht Odysseus angerührt, freilich aus einem ganz anderen Grund. Er ist endlich heimgekommen, hat die Freier getötet, die sein Haus besetzt hatten, nun muss er aber noch kriegerische Auseinandersetzungen fürchten und hat sich deshalb mit seinem Sohn und zwei Getreuen hinaus aufs Land begeben, wo sein alter Vater Laertes ein Gut bewirtschaftet. Er lässt die anderen ins Haus gehen, er, der ewig Listenreiche aber will seinen Vater auf die Probe stellen, ob er ihn noch erkennt.9

Er trifft ihn allein im Garten: Alt geworden, von Kummer gebeugt, in einem schmutzigen, geflickten Rock gräbt er und setzt Pflanzen um. Odysseus kommen die Tränen, aber trotz seines Mitleids kann er es nicht lassen, als Fremder aufzutreten und dem Vater die Lügengeschichte von einem angeblichen Besuch des Odysseus bei ihm vor fünf Jahren aufzutischen. Doch als Laertes daraufhin den sicheren Tod des Sohnes bejammert, hält es Odysseus nicht mehr. Er gibt sich zu erkennen, aber nun fordert der Vater Erkennungszeichen, bevor er dem perfekten Lügner glaubt. Odysseus nennt dem Vater die Bäume, die dieser ihm als Knabe geschenkt hat: Apfel-, Birn- und Feigenbäume und auch Reben, an denen die Trauben früher und später reifen. Obwohl Laertes, der einstige König von Ithaka, hier wie ein heruntergekommener Landadliger wirkt, hält er seinen Betrieb in Ordnung, samt den Knechten und der Haushälterin. Und wenn sich Odysseus erinnert, wie der Vater mit ihm als Kind durch die Pflanzungen ging, ihm die Namen aller Bäume nannte und ihm eine ganze Anzahl von Obstbäumen schenkte, offenbar mit Pflegeanleitung, da zeigt sich, dass Laertes schon in den guten Zeiten, vor dem erzwungenen Rückzug aufs Land, Freude hatte an einem „wohl bestellten Garten“, und die Freude daran dem Sohn weitergeben wollte.

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