Читать книгу Rosen und Reben - Marion Giebel - Страница 9

3 „Heilige Haine“ – Götter und Philosophen im alten Griechenland

Оглавление

Für die Griechen entsprach dem persischen Paradies der „Heilige Hain“, auch er ein Ort, der in wohltuendem Gegensatz zum heißen, trockenen Sommerklima stand. Es war etwa eine schattige Lichtung in waldiger Umgebung, mit einer Quelle, einem Teich oder einem Wasserlauf, wo man die Gegenwart einer Gottheit spürte, der man den Ort weihte. Hier verehrte man die Götter schon, bevor man Tempel errichtete, aber auch später noch, als Spender des Wassers und der reichen Vegetation. Die Dichterin Sappho ruft Aphrodite (Kypris) zu einem Fest herbei, die Göttin der blühenden, fruchtbaren Natur und der Jugend:

Kühles Wasser rauscht durch die Apfelzweige,

und von Rosen ist der ganze Platz umschattet,

von sich wiegenden Blättern senkt sich Schlummer nieder.

Darinnen ist eine rossenährende Wiese,

prangend mit vollerblühten Frühlingsblumen,

das Aniskraut haucht süßen Duft.

Sanfte Winde gehen dahin.

Komm denn, Kypris, nimm du die Festeskränze

und schenke in goldenen Schalen

als reiche Gabe der Festesfreude

Nektar aus!18

Der Hain ist sicher von Menschen gepflegt, mit seinen Apfelbäumen und Rosen, und doch erscheint er wie ein Wunder der Natur, ein Geschenk der Göttin, die da angerufen wird. So wie diesen Hain stellte man sich die „Jenseitsgärten“ vor, den Ort der Frommen und Gerechten, die Elysäischen Felder, die Inseln der Seligen: ein immerwährendes Fest in „paradiesischer Umgebung“, auf frühlingshaften Blumenwiesen, an schattigen Quellen.19

DER NYMPHENHAIN

Des lebenswichtigen Wassers wegen war solch ein idyllischer Ort (den auch die Römer als locus amoenus liebten) oft den Nymphen geweiht, ja er hieß geradezu nymphaion, Nymphenhain, ein Ort, wo man sich gern niederließ.

Zur Römerzeit hießen Brunnenanlagen Nymphäen, in Häusern und Gärten wie in den Villen, oder auch in Verbindung mit Wasserleitungen, wie das große, kunstvoll ausgestaltete Nymphäum des Herodes Atticus in Olympia.

Als ein Ort, wo man noch die Nymphen verehrt, erscheint in nostalgischem Nachglanz der Nymphenhain auf der Insel Lesbos, im Roman Daphnis und Chloe des Longos, Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. In einer Nymphengrotte, mit Statuen der Göttinnen, vor der sich das dichte, weiche Gras einer blühenden Wiese ausbreitet, von einem Quell benetzt, wird ein ausgesetztes kleines Kind gefunden: Chloe. Sie und ihr Gefährte Daphnis verehren später als Hirten fromm die Nymphen mit Opfer und Gebet, und diese vergelten es ihnen durch ihren Schutz. Kehren wir noch einmal zu Alexander dem Großen zurück. Er, der in einem persischen parádeisos starb, hat seine Jugendzeit in einem griechischen nymphaion verbracht. Sein Vater, König Philipp von Makedonien, berief Aristoteles, den berühmtesten und gelehrtesten Philosophen seiner Zeit, als Lehrer für seinen wissbegierigen jungen Sohn:

Als Schul- und Aufenthaltsort wies er den beiden den Nymphenhain bei Miëza an, wo man noch heutzutage die steinernen Sitze und die schattigen Wandelgänge zeigt.20

Zur Zeit Plutarchs, im 2. nachchristlichen Jahrhundert, gehörte Alexanders Schule, in der Nähe der makedonischen Hauptstadt Pella, offenbar schon zum Besichtigungsprogramm auf einer Bildungsreise. Heute zeigt man einen Wasserfall, neben und hinter dem sich der lauschige Schulort Alexanders befunden haben soll.

PHILOSOPHENHAINE UND - SCHULEN

Bei aller Konzentration aufs Hochgeistige gedeihen philosophische Gespräche offenbar besonders gut in schattigen Hainen. Platon lässt am Anfang seines Werkes über die Gesetze (nomoi) die Gesprächsteilnehmer in Kreta auf dem Weg von Knossos zur Grotte und zum Tempel des Zeus wandern. Auf diesem Weg gibt es, wie die Gefährten mit Befriedigung feststellen, unter den hohen Bäumen schattige Plätze, Haine mit hohen, wunderschönen Zypressen und Wiesen, wo sie sich, ihrem fortgeschrittenen Alter entsprechend, häufig ausruhen und dabei ihre Gespräche in aller Bequemlichkeit fortsetzen können. Cicero erinnert an diese Szenerie in seinem Werk über die Gesetze. Er will ebenfalls an einem locus amoenus, beim heimatlichen Arpinum, unter hochgewachsenen Pappeln am grünen, schattigen Flussufer wandelnd, mit seinem Bruder und dem Freund Atticus diskutieren.21

Da diese Naturszenerie dem Philosophieren so förderlich war, ist es nur folgerichtig, dass Haine und Gärten zu Orten für Philosophenschulen wurden: Die Schule der Epikureer in Athen nannte man sogar einfach kepos, den Garten. Die Akademie Platons in Athen lag im Hain des attischen Heros Akademos, der von dem griechischen Staatsmann Kimon künstlich bewässert, bepflanzt und mit schattigen Wegen ausgestattet worden war. Auf dem Philosophenmosaik aus Neapel (1. Jahrhundert n. Chr.) sitzen die Philosophen in angeregtem Gespräch auf steinernen Bänken (wie Aristoteles und Alexander), hinter ihnen ein Baum und eine Stele mit einer Sonnenuhr, Versatzstücke für einen „Philosophenhain“. Man hat das Mosaik mit einiger Berechtigung die Akademie des Platon genannt.

Aristoteles hatte seine Schule im Hain des Heros Lykeios eröffnet, das Lykeion (daher der Name Lyceum). Die Nachfolger des Aristoteles wurden Peripatetiker genannt, nach dem Auf- und Abwandeln, dem peripatein, beim Lehren und Hören, im Freien wie auch in Säulenhallen. Eingeführt wurde dies, statt des „Frontalunterrichts“, wohl von Theophrast, dem Leiter der Schule seit 322 v. Chr. Mit seinem umfangreichen Werk über Pflanzenkunde ist er der Begründer der Botanik.

SOKRATES UNTER DER PLATANE

Der natürliche Hain ging in einen künstlich gepflegten Garten über, doch blieb dem Naturort sein eigener Zauber erhalten. In Platons Phaidros führt Sokrates ein philosophisches Gespräch, das vom genius loci geprägt ist. Er hat sich von dem jungen Phaidros verführen lassen, aus Athen heraus zu wandern, um sich von ihm eine Rede vortragen zu lassen. Am Flüsschen Ilissos finden sie ein schönes Plätzchen, um sich niederzulassen. Sokrates sagt:

„Bei Hera – das ist ein schöner Rastplatz. Diese Platane ist herrlich belaubt und hat eine hohe Krone, die Sträucher ringsum sind hoch, geben guten Schatten und stehen in voller Blüte, sodass sie den Ort mit Wohlgeruch erfüllen. Die lieblichste Quelle aber sprudelt unter der Platane, mit ganz kühlem Wasser, […]. Kurz, du hast uns aufs Beste geführt, lieber Phaidros.“

Phaidros: „Du scheinst mir ein seltsamer Kauz, […] wie du redest, gleichst du ganz und gar einem Fremden, der sich herumführen lässt, und nicht einem Einheimischen. So wenig kommst du aus der Stadt heraus oder gar über die Grenze von Attika, ja du gehst, so kommt es mir vor, nicht einmal zum Stadttor hinaus.“

Sokrates: „Das musst du mir schon nachsehen […] Ich möchte eben immerzu etwas lernen. Und die Landschaften und die Bäume wollen mich nichts lehren, wohl aber die Menschen in der Stadt.“22

Mit der Aussicht auf ein ertragreiches Gespräch hat Phaidros ihn aber nun hinausgelockt, und Sokrates ist zufrieden.

Die stimmungsvolle Beschreibung hat Generationen von Platon-Lesern (in Gedanken oder in Wirklichkeit) zu der Stelle geführt, wo sich die Quelle unter der Platane ergießt. Cicero verlegt sein Werk vom Redner in den Garten einer Villa in Tusculum, wo die Gesprächsteilnehmer angesichts einer schattenspendenden Platane sich an Sokrates in Platons Phaidros erinnern und beschließen, sich wie dieser dort im Schatten zu lagern und ihr Gespräch fortzusetzen. Worauf der Gastgeber meint, man wolle es sich noch etwas bequemer machen – und Sitzkissen bringen lässt.23

Platanen liebten die Griechen wie die Perser, und später die Römer. Bei diesem Baum gab es stets Wasser. In Gortyn auf Kreta wuchs eine immergrüne Platane, neben einer Quelle, und dort sollte Zeus sich mit der entführten Europa zuerst in Liebe vereinigt haben. Die Platane (oder eher eine Nachfolgerin) gehört zu den Sehenswürdigkeiten im heutigen Gortis (platanos orientalis var. cretica). Unter einer Platane lehrte der Überlieferung nach auch Hippokrates seine Schüler. Es soll der Baum sein, den man heute noch, sorgsam abgestützt, am Wirkungsort des berühmten Arztes, auf der Insel Kos, zeigt.

GÄRTEN AN TEMPELN

Haine, also Gegenden, wo es Schatten und Wasser gab und man sich lagern konnte, waren nicht nur Aufenthalte für Philosophen und ihre Schüler, sondern für alle, die die Heiligtümer der Götter aufsuchten, ob in ihrer Stadt oder als Pilger auf längeren Wegen. Wo sie nicht von Natur vorhanden waren, schuf man entsprechende Anlagen, so am Hephaistostempel in Athen, dem besterhaltenen griechischen Tempel.24

Ausgrabungen im Umfeld des Tempels haben ergeben, dass sich hier Sträucher und Büsche befanden, was belegt, dass die Heiligtümer bewässert und begrünt waren.

DIE PFLANZEN DER GÖTTER

Oft stand die Flora in Verbindung mit dem heiligen Ort. Auf der Akropolis wuchs Athenes Ölbaum, längst bevor ihr Tempel errichtet wurde. Denn die Göttin selbst hatte ihn gepflanzt, als sie im Streit mit ihrem Onkel Poseidon um die beste Gabe für Attika gesiegt hatte. Der Baum war das sichtbare Zeichen dafür, dass Athene ihre Stadt Athen und das Land Attika beschützte. Der Perserkönig Xerxes hatte auf seinem Feldzug, ungeachtet seiner Liebe zu Bäumen, die Akropolis samt dem Ölbaum niederbrennen lassen, zur Strafe dafür, dass die Athener sich ihm nicht unterwerfen wollten. Offenbar hatte Xerxes aber ein schlechtes Gewissen, er schickte jedenfalls athenische Abgesandte auf die Burg, um dort ein Opfer darzubringen:

Diesen Ölbaum [auf der Akropolis] hatte es getroffen, zugleich mit dem übrigen Heiligtum von den Barbaren verbrannt zu werden. Als aber am zweiten Tag nach dem Brand die vom König mit dem Opfer beauftragten Athener zum Heiligtum hinaufstiegen, sahen sie einen jungen Trieb, der aus dem Stumpf etwa eine Elle [ca. 55cm] hoch aufgesprosst war.25

Das Hoffnungszeichen trog nicht: Unter der Führung der Athener siegten die Griechen in der Seeschlacht von Salamis 480 v. Chr., und die Perser mussten schließlich geschlagen abziehen. Diese hatten noch eine andere hochheilige Stätte eingeäschert: Eleusis, etwa 20 km von Athen, wo, im heute noch teilweise erhaltenen Telesterion, der Weihehalle, die Mysterien, die geheimen Einweihungen in den Kult der Demeter und ihrer Tochter Persephone abgehalten wurden.26 Demeter, die Göttin der Feldfrucht und des Getreides, hatte hier dem Königssohn von Eleusis, Triptolemos, die erste Getreideähre überreicht, mit dem Auftrag, sie – und damit das Wissen um den Anbau des Getreides – zu allen Menschen zu bringen. Hier hatte die Göttin trauernd gesessen, als der Unterweltsgott Hades ihre Tochter geraubt hatte, hier hatte sie das Wiedersehen mit ihrer Tochter gefeiert und ließ zum Dank wieder Getreide hervorsprossen, das sie vorher aus Kummer hatte verdorren lassen. Getreideähren wachsen noch heute, vermischt mit rotem Mohn, in dem weiträumigen heiligen Bezirk, am Felsensitz der Göttin. Am Beginn der Heiligen Straße in Athen, wo sich die Pilger sammelten zur Prozession nach Eleusis, war ein Garten, den beiden Göttinnen geweiht. Noch heute gibt es in der Umgegend von Eleusis als Souvenir eine Ähre zu kaufen, mit dem schmunzelnden Hinweis, man solle sie im Schlafzimmer aufhängen: „Viele Kinder!“

In Dodona stand die heilige Eiche des Zeus; aus dem Rauschen der Blätter deuteten die Priester seine Orakelsprüche, später waren Tauben, die in der Eiche nisteten, mit ihrem Gurren die Orakelspender.

In Delphi wuchs Apollons heiliger Lorbeer.27 Der Lorbeer, griechisch daphne: So hieß die schöne Nymphe, die sich der Liebe Apollons durch die Verwandlung in einen Lorbeerbaum entzogen hatte. Apollon schmückte sich mit dem Lorbeer, mit dem auch die Sieger in seinen heiligen Spielen in Delphi bekränzt wurden. Einen Lorbeerzweig aus dem heiligen Hain trug die Pythia in der Hand, wenn sie von ihrem Sitz aus weissagte. Auch Roms Feldherrn bekränzten sich mit Lorbeer.

Um die Heiligtümer des Gottes Dionysos (auch Bakchos genannt) waren Weingärten angelegt. Er war nicht nur der Spender des Weins, sondern verkörperte auch das stets sich erneuernde Leben: Wo er erscheint, herrscht Frühling, und die Blumen blühen.

DAS WEIN- UND ROSENWUNDER

In der Spätantike kamen die Verehrer des Dionysos zusammen, um an einem bestimmten Tag das Weinwunder zu erleben: Das Wasser im Brunnen des Gartens verwandelte sich in Wein. An den Säulenresten eines Tempels in Gerasa (Jerash in Jordanien) findet sich das Motiv der Weinreben; auf seinem Fundament wurde eine christliche Kirche erbaut, und auch hier fand im 4. Jahrhundert im heute noch erhaltenen Brunnenhof ein Weinwunder statt28 – hatte doch Christus gesagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Und er hatte auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt, was man in der östlichen Kirche am 6. Januar feierte, dem Tag, an dem einst Dionysos den wundertätigen Brunnen hatte fließen lassen.

Der Brunnen fließt nicht mehr, die Zeit der Wunder ist vorbei. Doch nicht die der Legenden. Im 7. vorchristlichen Jahrhundert zogen griechische Siedler aus Sybaris im Golf von Tarent aus, um an der Südwestküste Italiens eine neue Stadt zu gründen, die sie dem Meeresbeherrscher weihten: Poseidonia, das heutige Paestum. Sie huldigten aber auch Hera, die in jener Gegend als Große Göttin hoch verehrt wurde. Von den großartigen dorischen Tempeln, die heute den Ruhm von Paestum ausmachen, waren wohl zwei der Hera geweiht. An ihren Tempeln hat man das legendäre Blütenwunder angepflanzt, eine rosa centifolia, die hundertblättrige Rose, die untrennbar mit Paestum verbunden blieb als die von den Dichtern gepriesene, zweimal im Jahr erblühende Rose.29

Im Garten des Archäologischen Parks von Paestum will man dem aus der Antike stammenden Ruf der Stadt gerecht werden, und so sorgen Gärtner dafür, dass im Schatten der Tempelruinen Rosensträucher blühen, zur Freude der Besucher. Es bleibt aber ein Geheimnis, warum die auch andernorts zweimal im Jahr blühende Rose gerade hier zum „Rosenwunder“ wurde. War es der Gegensatz zwischen den wuchtigen Tempeln und den zarten Blüten?

Aus Rhodos, der Roseninsel, hatten die Griechen sie wohl mitgebracht in ihre neuen Siedlungsorte in Unteritalien, das zu Großgriechenland werden sollte. Nach Griechenland war sie aus dem Orient gekommen: In Schiras, in Persien, blühen immer noch die Rosengärten, die der Dichter Hafis besang. In den mythischen Gärten des Midas wuchsen wilde Rosen, jede hatte sechzig Blütenblätter, und an Duft übertrafen sie alle anderen.30

Die Rose war mit ihrer zarten Schönheit seit jeher etwas Besonderes. Rhododáktylos, rosenfingrig steigt Eos, die Göttin der Morgenröte, empor, viele Mythen verbinden sich mit Rosen. Die Schönheit eines Mädchens wird mit einer zweifarbigen Rose verglichen, wie Hero, deren Anblick die jungen Männer und besonders ihren späteren Geliebten Leander bezaubert:

Rot überhaucht ist das Rund ihrer schneeweißen Wangen, wie eine Rose zweifarbig aus der Knospe hervorschimmert: Du könntest meinen, auf Heros Gliedern leuchtet ein ganzer Hain voller Rosen.31

Die Rosen von Paestum blühten aber noch weiter und wurden bewundert von den Römern, die das Gebiet später vereinnahmten, samt der Gartenkultur der Griechen. Doch statt der Rosen pflanzte man im frühen Rom zunächst Rüben. Doch „auf Rosen gebettet“ zu sein, wurde zur Wunschvorstellung eines eher mühseligen Daseins.

Rosen und Reben

Подняться наверх