Читать книгу Hunde wollen nicht erzogen werden - Marion Höft - Страница 14
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Ich lebte mit meiner Familie und unseren zwei Mischlingshündinnen am Stadtrand einer mittelgroßen bayerischen Stadt. Die Zusammenführung und das Zusammenfinden der beiden Hündinnen verlief alles andere als „normal“ und hier beginnt bereits der erste Denkfehler, der bei vielen Menschen zu finden ist.
In vielen Köpfen ist fest verankert, dass alle Hunde alle Hunde lieben, sie als Spielkameraden willkommen heißen und überglücklich sind, wenn sie nicht mehr alleine sind. Dass dem nicht so ist, treibt viele Menschen an den Rand der Verzweiflung, wenn sie die harte Wirklichkeit einholt und sie feststellen müssen, dass der neue Hund alles andere als Willkommen ist.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Hunde sich im Grunde als Rivalen betrachten, Rivalen in dem Kampf um Ressourcen und solch eine Ressource kann durchaus auch der Mensch sein. Ein weiteres Konfliktpotenzial kann sich in der Revierverteidigung verbergen. Zieht ein neuer Hund ein, dringt er in ein fremdes Revier ein, was häufig auch in Kämpfen enden kann. Der eine Hund verteidigt sein Revier gegen den Eindringling, der andere Hund muss sich dagegen wehren oder will es gar übernehmen. Je nach Hund. Auch dies ist ein ganz normales Verhalten der Hunde.
So war es auch bei uns, als unsere zweite Hündin A-melie bei uns eingezogen ist.
Maya hat ihr Revier und ihre Ressourcen, in diesem Fall ihr Bett, vehement verteidigt und es dauerte ca. vier Wochen, bis sich die Wogen geglättet haben. In dieser Zeit waren wir gefordert, Amelie darin zu unterstützen, ihren Platz bei uns zu finden aber auch, Maya immer wieder ihre Grenzen aufzuzeigen.
Viele Menschen geben während dieser Zeit vorschnell auf, weil sie der Ansicht sind, dass sich die Hunde nicht mögen oder nicht verstehen. Beachten wir auch bei einer Zusammenführung von Hunden ihre natürlichen Verhaltensweisen verstehen wir, welch großem Irrtum wir mit diesem Denken erliegen. Wir interpretieren etwas in die Hunde hinein, was es in ihrer Welt nicht gibt Es sind rein menschliche Denk- und Verhaltensweisen.
Sehen wir Hunde wieder als Hunde, kann das Zusammenbringen und Zusammenleben wunderbar funktionieren. Vor allem aber müssen wir uns von der Gleichmacherei verabschieden. Es gibt durchaus „pflegeleichte“ Hunde, die sich sehr schnell einfügen und bei denen ein Kommando ausreicht. Bei vielen Hunden aber ist es nicht der Fall und dessen sollte man sich bewusst sein, bevor man einen Hund bei sich aufnehmen möchte.
Nachdem beide Hündinnen ihren neuen Platz bei uns gefunden hatten, kehrte langsam Ruhe ein und auch der Alltag. Mittlerweile sind die Beiden sogar wirklich „ziemlich beste Freunde“ geworden, im menschlichen Sinne gesprochen.
Beide Hündinnen stammten aus dem Tierschutz und eigentlich wollten wir keinen weiteren Hund. Never change a winning Team sagt man so schön. Nichtsdestotrotz verfolgten wir aber weiterhin die Seiten einiger Tierschutzvereine. Es kam, wie es kommen musste, wenn man sich all die Bilder der zu vermittelnden Hunde ansieht. Plötzlich war da ein Bild, das uns nicht mehr losgelassen hat. Auf dem Foto war nur der Kopf zu sehen und unscharf ein Stück des Körpers. Selbst anhand dieses Fotos war zu erahnen, in welch desolatem Zustand sich dieser Hund befand. Aber dennoch blickten uns zwei Augen so klar und so offen an, dass es um uns geschehen war. Ich gebe zu, dass wir dennoch einige Tage überlegt haben, ob wir wirklich noch einen Hund bei uns aufnehmen wollen. Alles war eingespielt und eine weitere Hündin aufzunehmen, die seit vielen Jahren in einem ausländischen Tierheim eingesperrt lebte, kann eine enorme Herausforderung bedeuten. Hinzu kam, dass diese Hündin eine Herdenschutzhündin war und meine Erfahrungen mit diesen Hunden bis zu diesem Zeitpunkt eher gering waren. So stellte sich mir zusätzlich die Frage: „Bin ich dieser Herausforderung gewachsen, kann ich dieser Hündin mit ihren Bedürfnissen gerecht werden“?
Wir haben lange hin und her überlegt, aber diese Hündin ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Dieser Blick, diese Anmut und dieser Stolz in ihrem Ausdruck. Wie konnten wir da widerstehen? Nach einigen Tagen haben wir mit dem Verein Kontakt aufgenommen und unsere Bereitschaft für eine Adoption bekundet. Was folgte war das übliche Prozedere. Uns wurde ein Fragebogen zugeschickt und eine Vorkontrolle angekündigt. Habe ich es bereits erwähnt? Diese Hündin hieß Elionore!
Genau genommen hätten wir Elionore gar nicht bekommen dürfen. Bei den Auswahlkriterien für Herdenschutzhunde findet man immer den Hinweis, dass diese nur an herdenschutzhunderfahrene Menschen mit einem großen Grundstück abgegeben werden. Nun, beides hatte ich nicht aufzuweisen. Unser Garten war klein und meine Erfahrungen mit Herdenschutzhunden waren bis zu diesem Zeitpunkt eher gering. Lebt und arbeitet man in einer Stadt, gehören diese stattlichen Hunde nicht zwingend zu den durchschnittlichen Kunden einer Hundetrainerin.
Aber was heißt schon Erfahrung mit….? Berücksichtigt man, dass nicht alle Hunde gleich sind und jeder Hund anders ist, relativiert sich das mit den Erfahrungen. In meiner Praxis höre ich sehr häufig von meinen Kunden und Kundinnen, dass sie schon immer Hunde hatten oder schon immer mit dieser oder jener Rasse gelebt haben, aber mit so einem Hund noch nie!
So kam es auch, dass wir trotz fehlender Herdenschutzhunderfahrung und kleinem Garten die Zusage für Elionore bekamen und unsere Vorfreude war groß. Trotz allem mussten wir uns noch in Geduld üben, bis Elionore für den nächsten Transport bereit war.
Während der Zeit des Wartens ging der Alltag weiter und durch meine Arbeit komme ich auch viel mit Tierschutzvereinen in Kontakt. Von diesen erreichen mich viele Hilferufe mit der Bitte um Aufnahme eines Hundes, weil unzählige Hunde nach kurzer Zeit ihr neues Zuhause wieder verlassen müssen. Über die Gründe habe ich bereits ein wenig geschrieben. Meist waren die Erwartungen bei den Menschen in das Lebewesen Hund zu groß oder aber auch die Beschreibungen der Hunde schlichtweg falsch. Auch dies sind keine Einzelfälle, sondern leider traurige Wahrheit.
Eines Tages bekam ich eine Anfrage von einem befreundeten Tierschutzverein, ob ich zwei acht Monate alte Herdenschutzhunde vorübergehend bei mir aufnehmen könne, bis ein neues Zuhause für die Beiden gefunden werden kann. Die Hunde stammten aus einem Wurf und wurden an ein Paar mit einem riesengroßen Grundstück vermittelt. Wie man meint, die ideale Voraussetzung für das Halten eines Herdenschutzhundes. Allein an diesem Beispiel sieht man, dass es sehr viel mehr braucht.
Die Hunde durften den ganzen Tag draußen sein, selbstständig Wachen und Schützen und schnell zeigten sie, was so alles in einem führungslosen Herdenschutzhund versteckt sein kann. Bereits nach wenigen Wochen stellten sie ihre Menschen vor scheinbar unlösbare Probleme, indem sie ihre Eigenständigkeit, für die sie ja gezüchtet wurden, an den Tag legten und diese auch gegenüber ihren Menschen deutlich zum Ausdruck brachten. Besucher wurden nicht reingelassen, alles was sich dem Grundstück nähern wollte, wurde lautstark verbellt und zu guter Letzt zeigten sie ihren Menschen ganz deutlich deren Grenzen auf. Für die Menschen gab es in dieser für sie schwierigen Lage nur eine Lösung: die Hunde müssen weg, und zwar sofort.
Immer noch ohne Herdenschutzhunderfahrung sagte ich spontan zu, denn ich wusste, dass die Plätze für diese Hunde sehr rar sind und daher den beiden Hunden die Einschläferung drohte. Glauben Sie nicht? Doch! Diese „Lösung“ für schwierige Hunde kommt häufiger vor, als viele glauben möchten, auch bei uns in Deutschland. Leider wird diese Art der „Problemlösung“ gerne totgeschwiegen, weil nicht sein kann was nicht sein darf. Wir haben schließlich ein Tierschutzgesetz. Doch nur wenn wir Probleme offen ansprechen, können wir auch eine Änderung herbeiführen.
Gleich am nächsten Tag machte ich mich auf die Reise, um die beiden Hunde abzuholen. Als ich nach ca. sieben Stunden Fahrt bei dem Verein ankam, war ich müde, aber doch sehr gespannt auf die Hunde. Was würde mich erwarten, wie waren die Hunde drauf und vor allem, würden sie mich akzeptieren?
Von den Vorsitzenden des Vereins wurde ich herzlich begrüßt und natürlich wollte ich sofort meine beiden Schützlinge kennenlernen. Ich erfuhr, dass der Rüde bereits ein neues Zuhause gefunden hatte und nur noch Anabel auf mich wartete. Na dann los, das Abenteuer Anabel kann beginnen.
Als ich Anabel sah, war mir sofort klar, dass sie nicht nur vorübergehend bei uns bleiben würde. Schon als junge Hündin hatte sie diesen Blick, mit dem sie bis heute jeden um den Finger wickelt. Anabel war uns Menschen, aber auch den anderen Hunden des Vereins, sehr zugetan und von Aggressivität war keine Spur zu erkennen, im Gegenteil. Dank der Gastfreundschaft der Vorsitzenden verbrachten wir einen harmonischen Abend und die Themen gingen natürlich rund um den Hund. Am nächsten Morgen machte ich mich mit Anabel auf den Heimweg und war gespannt, was meine Familie wohl sagen würde, aber eigentlich wusste ich es bereits.
Anabel hat die ganze Fahrt ruhig hinten im Auto verbracht, ab und an aus dem Fenster geschaut oder auch mal lautstark irgendetwas angebellt. Wir haben regelmäßige Pausen eingelegt, um uns die Beine zu vertreten. Die Fahrt mit Anabel hatte ich mir schwieriger vorgestellt.
Zuhause angekommen wurde, Hundemenschen kennen das, Anabel herzlich begrüßt und auch die Zusammenführung mit meinen beiden Hündinnen verlief problemlos. Anabel rein, den beiden Hündinnen ihre Grenzen aufgezeigt und das war es. Manchmal kann es ganz einfach sein.
Das Zusammenleben mit Anabel klappte vom ersten Moment an sehr gut. Natürlich musste sie Regeln kennenlernen und auch ihre Grenzen akzeptieren. Manchesmal meinte sie, mich herausfordern zu müssen, doch ich hielt ihren Prüfungen stand und schnell wurden wir ein Team.
Nach wenigen Tagen war bereits klar, dass wir Anabel behalten werden, trotz des kleinen Gartens und meiner immer noch mangelnden Herdenschutzhunderfahrung. Hier stellt sich mir die Frage, ob wir Menschen tatsächlich wissen (können), was andere Lebewesen wirklich brauchen oder ob es lediglich Interpretationen von Beobachtungen sind? Anabel und ich kamen und kommen bis heute wunderbar miteinander zurecht und was Herdenschutzhunde betrifft, habe ich an und mit ihr gelernt. Ich bin, wenn man so will, an meiner Aufgabe gewachsen. Das Entscheidende aber war, dass ich mich auf meine Instinkte verlassen habe und nicht auf das, was die Wissenschaft meint, herausgefunden zu haben. Im Grunde sind Herdenschutzhunde auch nur Hunde, nur ein wenig „anders“.
Und Anabel war anders und hat mich mehr als einmal herausgefordert. Anabel brauchte eine klare Führung, eindeutige Regeln und vor allem strikte Grenzen. Jede kleine Inkonsequenz wurde von ihr sofort genutzt, um ihrer Wege zu gehen. Bei Anabel musste ich mir ihren Respekt im wahrsten Sinne des Wortes erarbeiten. Unser gemeinsamer Weg war nicht immer einfach und es gab auch mal Rückschritte. Doch besonders bei Anabel war es mir wichtig, sie, soweit es möglich war, der Hund sein zu lassen, der sie war. Dazu gehörte auch, sie ihrer Veranlagung entsprechend „auszulasten“ und das war Wachen und Schützen. Ein großes Grundstück benötigte sie dafür nicht, es reichte auch unser kleiner Garten. Wenn ich mir unser Zusammenleben heute betrachte, kann ich sagen, dass ich instinktiv den richtigen Weg eingeschlagen habe und sie mir das geschenkt hat, was am wichtigsten in einer jeden Beziehung ist: Vertrauen!
Wer jetzt noch fehlte war Elionore. Der Tag ihrer Ankunft rückte immer näher und unsere Vorfreude wuchs, aber auch die Aufregung. Was oder besser wer würde uns erwarten? Alles was wir von Elionore gesehen hatten, war ein Foto. Aber genau genommen ist es nicht so wichtig, Hunde vorher kennenzulernen, weil es nicht geht. Man bekommt lediglich einen Eindruck, wie sich der Hund in der ihm bekannten Umgebung verhält. Wie er sich in einer anderen Umgebung entwickeln wird, mit anderen Menschen oder Hunden, sieht man nicht. Man bedenke nur, welchen Unterschied es macht, welcher Mensch die Leine hält. Ich erlebe immer wieder, dass geplagte Menschen mit einem vermeintlich leinenaggressiven
Hund zu mir kommen und um Unterstützung bitten. Kaum aber übernehme ich die Leine, beruhigen sich viele Hunde und der Spaziergang kann beginnen. Nicht wenige Menschen lässt dies sprachlos zurück.
Egal für welchen Hund wir uns auch entscheiden, es wird immer eine Reise ins Unbekannte sein, denn besonders „gebrauchte“ Hunde bringen häufig ein ganzes Paket an Erlebnissen mit, die sich tief in ihnen eingebrannt haben und immer für eine Überraschung in ihrem Verhalten sorgen können.
Es ist an uns, sich Hunden unvoreingenommen zu nähern und sie zu akzeptieren so wie sie sind. Was war können wir nicht mehr ändern, aber wir können ihnen helfen, in ihrem neuen Hier und Jetzt anzukommen und zu lernen, dass es auch Menschen gibt, die ihnen wohlgesonnen sind.
Es mag sich schwierig anhören, doch viel braucht es dazu nicht. Befreien Sie sich aus dem Wirrwarr der unterschiedlichen Methoden, Systeme oder Modelle und folgen Sie wieder Ihren Instinkten. Meine Kunden und Kundinnen berichten mir immer wieder, dass sie sich bei diesem oder jenem Training nicht wohl gefühlt haben oder ein komisches Gefühl hatten. Leider folgen viele Menschen diesen Gefühlen nicht mehr und doch ist es genau das, was es im Zusammenleben mit unseren Hunden braucht: das Bauchgefühl und ein wenig Mut, sich darauf einzulassen.
Und haben Sie keine Sorge, dass es schief gehen kann. Ja das kann passieren, Fehler werden gemacht und sie gehören zu einem lebenslangen Lernen dazu. Aus Erfahrung wird man klug, auch aus den negativen. Dies sagten uns bereits unsere Großeltern und sie hatten Recht. Seien Sie mutig und machen Sie Fehler, die Erfahrungen aus diesen sind unbezahlbar.